Protocol of the Session on August 28, 2002

es für die niedersächsischen Bauunternehmen gut gewesen, wir wären vor einigen Wochen zu einem bundesweiten Tariftreuegesetz gekommen. Dann wären unsere Chancen dort größer.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mehr als 7 Milliarden Euro aus dem Hilfsprogramm stammen aus der Verschiebung der Steuersenkung um ein Jahr. Diese 7 Milliarden werden gerecht aufgebracht. Die 10 % mit hohen Einkommen in Deutschland bezahlen 50 % dieses Betrages. Stärkere Schultern müssen mehr beitragen als schwächere. Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführer und Minister müssen mehr auf Steuersenkungen verzichten als Krankenschwestern, Polizeibeamte und Facharbeiter. Wer 150 000 Euro jährlich verdient, der gerät nicht ins Elend, meine Damen und Herren, wenn er auf die Steuersenkung für ein Jahr um fast 1 700 Euro verzichten muss.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer nur 20 000 Euro verdient, der trägt nur mit 170 Euro bei, meine Damen und Herren. Deshalb wird diese Entscheidung von der Niedersächsischen Landesregierung voll mitgetragen. Es gibt dazu auch keine ernsthafte Alternative. Die Forderung von CDU und CSU, statt dessen längst zur Schuldentilgung festgelegte Bundesbankgewinne als Sofortprogramm aufzulegen, ist nichts anderes als ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.

Meine Damen und Herren, Helmut Kohl hat unglaublich viel für die deutsche Einheit getan. Nichts kann ihm diese historische Leistung nehmen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

- Da darf man durchaus klatschen. - Aber selbst eingefleischte Konservative und Anhänger seiner Regierungspolitik würden wohl im Rückblick zugeben, dass die ausschließliche Finanzierung der deutschen Einheit auf Pump ein volkswirtschaftlicher Fehler gewesen ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Busemann [CDU]: Wel- che Alternative gab es denn?)

- Herr Busemann, darauf kommt jetzt die Antwort. - Niemand sollte im Rückblick allzu viel Kritik daran üben.

(Möllring [CDU]: Schröder hat ge- sagt, die Leute im Osten sollen sich selber krumm machen! Damals gab es keinerlei Erfahrungen mit einer solch gewaltigen Aufgabe. Aber es wäre töricht, meine Damen und Herren, wenn wir, nachdem wir diese Erfahrungen gemacht haben, den gleichen Fehler beim zweiten Aufbauprogramm wiederho- len würden. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben aus dieser Lektion jedenfalls gelernt. Unterm Strich wären mit dieser höheren Verschuldung durch den Einsatz der Bundesbankgewinne jährlich 400 Millionen Euro zusätzlich zu tilgen. Über zehn Jahre hieße das: Mehr als die Hälfte der von Edmund Stoiber vorgeschlagenen Summe geht für zusätzliche Tilgungszahlungen drauf. Das ist schlicht ökonomischer Unsinn, auch wenn wir wissen, dass - -

(Zuruf von Möllring [CDU])

- Darauf habe ich gewartet, dass Herr Möllring uns auf unsere Haushaltspolitik verweist. Herr Möllring, der Rest des Satzes wäre gewesen: Wir wissen, dass wir da in der Vergangenheit schon zu viele Fehler gemacht haben. Aber eines frage ich Sie mal: Wenn Sie wissen, dass das eine Katastrophe ist, warum machen Sie dann im Bundestagswahlkampf Vorschläge für eine Senkung der Steuern unter 40 % und der Staatsquote unter 40 % bei gleichzeitigen Mehrausgaben? Dadurch würde die Verschuldung in Deutschland erhöht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn Sie mit mir der Überzeugung sind, dass wir alle in Deutschland zu lange zu viele Schulden gemacht haben - ich sage ausdrücklich: auch wir in Niedersachsen -, warum wollen Sie dann diese Verschuldenspolitik durch zu viele Versprechen und gleichzeitige Steuersenkungsversprechen auf Bundesebene fortsetzen? Warum begehen Sie damit Mord an den Ländern und Doppelmord an den Kommunen, meine Damen und Herren? Das verstehe ich nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Deutschland ist wirklich ein starkes Land.

(Jahn [CDU]: Na ja, das ist ein starkes Stück! - Möllring [CDU]: Wer ist denn hier der Oberwürger bei den Kommunen? Das ist ja wohl eindeutig die SPD!)

Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein starkes Land. Wir müssen unsere heutigen Aufgaben auch heute lösen, auch wenn die Folgen der Flutkatastrophe noch so groß sein mögen. Trotz aller Probleme und trotz aller Aufgaben: Wir gehören zu den kräftigsten und dynamischsten Wirtschaftsnationen der Welt. Angesichts der riesigen Schäden in ärmeren Ländern, wie Tschechien oder auch China, sollten wir nicht verzagt sein und die Verschuldung unseres Landes und damit die Lasten für unsere Kinder, Enkel und Urenkel nicht weiter erhöhen, sondern wir sollten bereit sein, jetzt zusammenzustehen und die Finanzierung sozial gerecht gemeinsam aufzubringen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jahn [CDU]: Das machen wir doch!)

Meine Damen und Herren, was geschieht in Niedersachsen? - Für Niedersachsen ist das Soforthilfeprogramm des Landes angelaufen. Die Abwicklung - ich sagte es bereits - wird wie beim Sommerhochwasser zügig und unbürokratisch erfolgen. In Laasche und Hitzacker ist mit der Erhebung der Schäden begonnen worden. Soforthilfe wird auch dort sofort ausgezahlt.

Um zerstörte Wirtschaftsgüter wieder herzustellen oder wieder anzuschaffen, können von der Wirtschaft Sofortprogramme in Anspruch genommen werden. Ab der kommenden Woche stehen die Mittel dafür zur Verfügung.

Die steuerlichen Erleichterungen, die bereits beim Sommerhochwasser praktiziert wurden, gibt es auch diesmal. Meine Damen und Herren, es kann auch eine Hilfe sein, auf Steuerzahlungen zu verzichten, sie zu stunden und dann, wenn die Steuern später gezahlt werden, keine Zinsen dafür zu erheben. Auch darauf sollten wir in der Öffentlichkeit hinweisen.

Mit dem Bund werden wir kurzfristig eine Vereinbarung schließen, damit ein Existenzsicherungsprogramm zum teilweisen Ausgleich der Erlösausfälle aus zerstörten Ernten aufgelegt wird. Die Zahlung von Vorschüssen wird ermöglicht.

Nach Aufhebung des Katastrophenfalls stehen jetzt Aufräumungsarbeiten an, etwa die Sandsäcke abzutransportieren. Wir sind dem Bundesverteidigungsminister außerordentlich dankbar, dass er veranlasst hat, dass auch dafür die Hilfe der Bundeswehr in Anspruch genommen wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es wird in den kommenden Wochen noch ein hartes Stück Arbeit erfordern, um die Spuren der Hochwasserkatastrophe bei uns zu beseitigen. Das wird ein hartes Stück Arbeit sein. Wir alle sind dabei gefordert. Das gilt auch für die Politik.

Wir handeln nicht nach der Devise „Das Hochwasser ist weg und die Politiker auch“ und dürfen auch nicht nach dieser Devise handeln. Ich kann Ihnen versprechen, dass die Niedersächsische Landesregierung die Menschen dort nicht allein lassen wird. Wir werden uns selbst davon überzeugen, dass alles so rasch wie möglich vorangeht. Notfalls werden wir die Hilfe verstärken. Das gilt für die Mitglieder meines Kabinetts ebenso wie für alle Mitarbeiter und Mitglieder hier in diesem Haus.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz und Küstenschutz hatten in Niedersachsen immer einen hohen Stellenwert. Trotzdem haben wir gerade erleben müssen, dass all diese Anstrengungen der letzten Jahre nicht ausgereicht haben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mit den dabei aufgetretenen Fragen offen umgehen. Es macht weder Sinn, diesen Fragen aus dem Weg zu gehen, noch macht es Sinn, sie zu dramatisieren oder einfach nur billig jetzt im Wahlkampf einzusetzen.

Erstens. Niemand in Deutschland hat mit einer derartigen Flutwelle gerechnet. Nirgendwo in Deutschland waren die Binnendeiche darauf vorbereitet. Auch die gut ausgebauten Deiche an Elbe oder Nebenflüssen mussten durch Sandsäcke erhöht und verstärkt werden.

Zweitens. Die Gründe dafür, dass an einigen Stellen die Deiche besonders gefährdet gewesen sind - das gilt übrigens nicht nur für das Amt Neuhaus, sondern durchaus auch für den linksseitigen Bereich der Elbe im Landkreis Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Lüneburg -, und auch für die

Gefährdung der Deiche an Nebenflüssen wie der Jeetzel sind vielfältig. Sie reichen von einer nicht vorhersehbaren Gefahrensituation insbesondere für die Jeetzel über den Widerstand von Grundstückseigentümern und Bürgermeistern gegen den Deichbau und jahrzehntelangem Streit zwischen Naturschutz und Deichbau bis hin zu begrenzten Finanzmitteln.

Die Dauer des Deichbaus hat auch etwas mit den Qualitätsansprüchen beim Neubau von Deichen bei uns in Niedersachsen zu tun. Wir in Niedersachsen packen nicht auf alte Deiche einfach nur etwas oben drauf und unten daneben, sondern sanieren von Grund auf. Das dauert länger und kostet auch mehr Geld. Es ist aber, meine Damen und Herren, sicherer. Safety first - daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.

(Beifall bei der SPD)

Mit all dem werden wir uns jetzt befassen müssen. Die Grundstückseigentümer werden sich fragen müssen, ob es z. B. im Amt Neuhaus klug war, gegen den Deichausbau vorzugehen. Die Naturschützer müssen den Bau von Deichverteidigungswegen zulassen. Denn dies hat uns vor allem im Bereich des Gartower Deichverbandes besondere Schwierigkeiten gemacht. Einzelne Bürgermeister müssen sich fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, sie hätten auf ihren Deichhauptmann gehört.

Die Städte und Gemeinden dürfen bei ihren Planungen nicht mehr zulassen, dass Wohngebiete in Überschwemmungsgebieten entstehen. Das Land, meine Damen und Herren, muss solchen Fragen der Raumordnung wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen und auch eingreifen.

Die Landesregierung muss mit ihren Fachbehörden prüfen, ob wir die richtigen Prioritäten beim Deichbau gesetzt haben und wie wir die jetzt erkannten Gefahren schnellstmöglich ausschalten können. Und natürlich müssen wir auch mehr Geld in den Deichbau investieren.

Anders als öffentlich vor wenigen Tagen von Mitgliedern der CDU-Fraktion behauptet wurde, haben wir keine Finanzmittel für den Deichbau verfallen lassen. Tatsache ist, dass sich die Bundesmittel, die für den Deichbau in Niedersachsen zur Verfügung standen, seit 1997 auf fast ein Drittel der ursprünglichen Summe reduziert haben. Seit Mitte der 90er-Jahre muss das Land Niedersachsen fast in jedem Jahr diese Bundesmittel erhöhen, in

manchen Jahren um Beträge von mehr als 4 oder 5 Millionen Euro, meine Damen und Herren. Das war und ist wahrlich kein leichtes Unterfangen.

Seit Mitte der 90er-Jahre haben wir für den Küstenschutz in den vergangenen zehn Jahren nach einem Prioritätenprogramm rund 500 Millionen Euro eingesetzt, für den Hochwasserschutz im Binnenland im selben Zeitraum rund 153 Millionen Euro, in den letzten Jahren mit Schwerpunkt in diesem Bereich für den Hochwasserschutz im Binnenland in Prozentzahlen von über 20 % im Bereich des Amtes Neuhaus.

Die Behauptung, Niedersachsen habe im Haushalt 2002/2003 1,5 Millionen Euro Bundesmittel verfallen lassen, ist schlichtweg falsch. Wir haben diese nicht abgerufenen Mittel durch EU-Mittel praktisch kompensiert. Aber selbst wenn es so gewesen wäre, meine Damen und Herren, - -

(Lachen bei der CDU – Zuruf: Was heißt das?)

- Das heißt, dass 1 Million Euro kompensiert worden sind.

(Lachen bei der CDU)

- Nun passen Sie einmal auf, dazu will ich jetzt etwas sagen. - Selbst wenn es so gewesen wäre, ist die Behauptung doch abenteuerlich, durch 1,5 Millionen Euro zusätzliche GA-Mittel hätte sich die Deichsituation an der Elbe bei dem Sommerhochwasser nachhaltig verbessern können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Wir reden über das Haushaltsjahr 2002. Ich habe mir sagen lassen, dass an einem Bereich der Elbe, bei dem nicht Sozialdemokraten zuständig sind, ein Sanddeich nicht gebaut werden konnte, weil der dortige Bürgermeister 1,1 Millionen Euro sogar wieder zurückgeben wollte, gegen den Widerstand des Deichverbandes, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)