Protocol of the Session on June 14, 2002

- Ich werde gleich auch zur Ersatzfreiheitsstrafe kommen, weil das ja auch immer genannt wird.

Sie sprechen von Kleinstkriminellen. Ich finde, das ist nun wirklich eine Verschleierung des tatsächlichen Sachverhalts. Jeder von uns weiß, dass in Deutschland niemand so ohne weiteres in den Knast kommt. Jeder von uns weiß, dass in Deutschland zunächst die Geldstrafe, zunächst die Bewährungsstrafe ausgesprochen wird, soweit das Strafgesetzbuch es zulässt, und dass erst nach Wiederholungstaten, nach mehrmaligem Auffäl

ligwerden sich die Richter dazu entscheiden, eine echte Freiheitsstrafe auszusprechen. Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Kleinstkriminellen sprechen, ist das eine Verschleierung des tatsächlich Sachverhaltes.

(Beifall bei der CDU)

Das gilt - Herr Minister, auch das wissen Sie am allerbesten - erst recht für Frauen, weil man bei Frauen noch strengere Maßstäbe anlegt, wenn es darum geht, sie in Haft zu nehmen.

Nun zum Stichwort „Ersatzfreiheitsstrafe“, auf das ich nur gewartet habe: Das ist ja ein Thema, über das wir hier seit Jahren diskutieren und bei dem auch wir immer gesagt haben: Jawohl, wenn jemand seine Geldstrafe nicht bezahlen kann, dann sollten wir auch nach anderen Lösungen suchen, die dann dieser Geldstrafensanktion folgen. Aber eine weitere Sanktion muss kommen.

Obwohl wir aber seit Jahren darüber diskutieren, ist in dem Bereich nichts passiert. Wir haben über das Programm „Schwitzen statt sitzen“ gesprochen, wir haben über elektronische Fußfesseln gesprochen, wir haben über Führerscheinentzug und alle diese Dinge gesprochen. Es gibt dazu Arbeitsgruppen, es gibt dazu auch Versuche, die durchgeführt werden, z. B. in Hessen zum Thema elektronische Fußfesseln. Übrigens wären die elektronischen Fußfesseln auch ein geeignetes Mittel für Untersuchungshäftlinge. Aber das nur nebenbei gesagt. Nie ist dieses Thema aus dem Versuchsstadium herausgekommen, und letztlich diskutieren wir immer noch. Das heißt, es ist nichts passiert, und dafür, dass nichts passiert ist, tragen nun einmal diejenigen, die im Land und im Bund regieren, die Verantwortung. So einfach ist das.

(Beifall bei der CDU)

Nun haben Sie auch einen Anspruch darauf, von uns zu erfahren, wie unsere kurzfristigen Maßnahmen aussehen. Ich glaube, das gehört zur Redlichkeit dazu, auch wenn ich sagen könnte, das geht uns nichts an, das ist Sache der Exekutive. Gleichwohl glaube ich, dass man auf diese Frage eine Antwort geben muss, weil ja in der Tat die Sache rechtlich nicht zu beanstanden ist. Nach § 455 a StPO haben Sie dieses Mittel angewandt. Das ist auch in Ordnung. Aber der § 455 a StPO darf nach unserem Dafürhalten nur die absolute Ultima Ratio sein. Das heißt, es darf keine andere Möglichkeit mehr geben. Es gibt aber solche Möglichkeiten.

Erstens. Es dürfen jetzt in Niedersachsen auf keinen Fall alte Anstalten geschlossen werden. Ich sage das hier, Kollegin Bockmann, auch wenn ich weiß, das ich dafür bei mir in Oldenburg nicht nur Zustimmung finde, weil es dort eine solche alte Anstalt gibt, die eigentlich geschlossen werden sollte.

Zweitens. Die in vielen Anstalten laufenden Baumaßnahmen, die ich von der Sache her nicht kritisiere, müssen endlich aufeinander abgestimmt werden.

(Beifall bei der CDU)

Es kann doch nicht sein, dass wir in vielen Anstalten unabgestimmt Baumaßnahmen haben, die dazu führen, dass ganze Vollzugshäuser geschlossen werden müssen und damit Haftplätze nicht zur Verfügung stehen. Stimmen Sie diese Baumaßnahmen aufeinander ab! Dass das zurzeit nicht getan wird - diesbezüglich mache ich Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gar keinen Vorwurf -, hängt natürlich damit zusammen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MJ sagen, wenn wir das Geld, das uns der MF gegeben hat, jetzt nicht schnell ausgeben, dann kriegen wir es womöglich im nächsten Jahr nicht wieder. Das ist völlig klar. Aber dafür, dass das nicht passiert, haben Sie im Verhältnis zum Finanzminister Sorge zu tragen und damit eben auch dafür, dass hier eine abgestimmte Baupolitik vonstatten gehen kann.

(Beifall bei der CDU)

Zum Thema Vechta: Zugegeben, Vechta ist in einer besonders schwierigen Situation. Diese Situation wiegt noch schwerer als im Männervollzug. Das will ich sagen. Es gibt nach meinem Dafürhalten die Möglichkeit, eine Männeranstalt in Niedersachsen dadurch von Männern zu räumen, dass man diese Männer auf andere Anstalten verteilt und diese Anstalt dann für den Frauenvollzug öffnet. Ich nenne den Namen dieser Anstalt nicht - das werde ich im Rechtsausschuss tun -, weil ich hier nicht zur Verunsicherung der Bediensteten dort beitragen will, obwohl es gar keinen Grund zur Verunsicherung gibt; denn die werden ihre Arbeit genauso wie vorher tun, nur eben im Frauenvollzug. Es gibt eine solche Anstalt, die dafür in Betracht kommt und die auch in der Nähe von Vechta liegt. Die Männer dieser Anstalt könnten auf den übrigen Vollzug verteilt werden. Das ist möglich. Man muss es nur wollen, meine Damen

und Herren, und politisch durchsetzen. Hierfür hätten Sie unsere Unterstützung.

Ich sage ein Letztes: Wenn trotzdem alle Stricke reißen, dann stellen Sie eben - wir haben es doch schon gemacht - in Vechta kurzfristig Container auf den Hof. Wir haben das schon bei der Abschiebehaft gemacht. Das, was man Abschiebehäftlingen zumutet, kann man nach meinem Dafürhalten auch rechtskräftig verurteilten Straftätern zeitlich befristet zumuten, bis die Baumaßnahme dort beendet ist.

(Zustimmung von Frau Körtner [CDU])

Wir könnten - auch das ist vielleicht bereits geschehen; wenn ja, dann sagen Sie das bitte - uns in Kontakt mit unseren benachbarten Bundesländern setzen und dort um Hilfe bitten, um Gefangene zumindest kurzfristig dort unterzubringen. Auch das wäre eine Möglichkeit.

Abschließend will ich Ihnen Folgendes sagen, Herr Minister: Wenn unabhängige Strafgerichte keine andere Sanktionsmöglichkeit mehr sehen als die Verurteilung zu einer Strafhaft, dann hat dies einen sehr guten Grund. Dann ist es die Aufgabe des Niedersächsischen Justizministers, dafür Sorge zu tragen, dass ausreichend Haftplätze zur Verfügung stehen, um diese Strafhaft vollstrecken zu können nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie diese Aufgabe nicht erledigen können, dann haben Sie an dieser Stelle schlicht und einfach versagt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Pfeiffer, bitte schön!

(Bontjer [SPD]: Endlich ein Fach- mann!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Normalerweise rede ich hier am Ende der Debatte, wenn die Vertreter der Fraktionen gesprochen haben. Heute halte ich mich nicht an diese Regel und will das auch begründen. Ich habe in meiner anderthalbjährigen Amtszeit noch nicht erlebt, dass sich die CDU-Fraktion im Bereich der Rechtspoli

tik dermaßen vergaloppiert hat wie mit diesem Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich beginne einmal mit dem Vorwurf, ich hätte das Parlament missachtet. Ich hätte mir gewünscht, dass der Plenarsaal Fenster hat, damit die heiße Luft entweichen kann, die entstanden ist, als der Abgeordnete Stratmann geredet hat. Offenbar hat er kein Gedächtnis für das, was hier im Parlament abgelaufen ist. Natürlich hatte ich einen Grund! Hermann Bontjer hatte nach dem Grund gefragt, aus dem ich im Mai nicht gesprochen habe. Ich hatte einen ganz einfachen Grund. Ich darf zitieren, was ich im April, zwölf Tage vorher, gesagt hatte. Als die Grünen nach der Situation der Überbelegung gefragt hatten, habe ich gesagt: Die Fraktion der Grünen rennt bei mir auch im Hinblick auf die Aussetzung der Vollstreckung für verurteilte Frauen offene Türen ein. Bereits am 17. April habe ich angeordnet, dass die Vollstreckung von Freiheitsstrafen beim Vorliegen genau bestimmter Voraussetzungen für die Dauer eines Jahres nach § 455 a StPO unterbrochenen werden kann, weil wir hier ein Problem haben. 183 Haftplätze für 240 weibliche Gefangene - das ist unerträglich. Darauf mussten wir reagieren. Das hätten Sie nachlesen können. Wenn schon Ihr Gedächtnis so kurz ist, dann hoffe ich wenigstens, dass Ihre Assistenten funktionieren, bevor solche Anträge gestellt werden, in denen steht, ich hätte das Parlament missachtet. Ich habe zwölf Tage vor der Maßnahme informiert.

(Beifall bei der SPD)

Von daher bestand überhaupt kein Anlass, im Mai noch einmal dasselbe zu sagen. Ich erwarte von Ihnen - so gut kennen wir uns - eine Entschuldigung für die Behauptung, ich hätte das Parlament missachtet.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt. Mit großem Getöse wird kritisiert, dass wir inzwischen 29 Frauen - maximal werden es 43 sein - wegen der unerträglichen Überbelegung entlassen haben. Ganz am Rande hatte der Abgeordnete Stratmann erwähnt, dass es einmal einen Justizminister Remmers gegeben hat. Was hat der gemacht? - Er hat zehnmal so viele, nämlich 402, Gefangene nach dieser Vorschrift entlassen, als der Vollzug hier in Niedersachsen überbelegt war.Jetzt wird etwas von anderen Bio

grafien erzählt. Natürlich! Das waren nämlich überwiegend Männer, die ein wesentlich höheres Rückfallrisiko aufweisen als Frauen.

(Beifall bei der SPD)

Ein solches Risiko gehen wir nicht ein, obwohl wir auch im Männervollzug Überbelegung haben. Es wird gesagt, das seien keine Kleinkriminellen. Bei der Hälfte ist die Strafhaft verhängt worden, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Bei der anderen Hälfte geht es um Diebstahlsdelikte, Betrug und kleine Drogensachen. Die schweren Drogensachen hatten wir ausgeschlossen. Es ist also keine Rede davon, dass das Schwerstkriminelle seien, von denen eine hohe Gefahr ausgeht.

Es gibt noch einen wunderschönen Punkt. Die CDU hatte damals, verantwortungsbewusst wie sie in alten Zeiten war, eine wissenschaftliche Untersuchung machen lassen, in der sie hat prüfen lassen, was dabei herausgekommen ist. Sie hat festgestellt, dass durch die Entlassung von 400 Männern überhaupt keine Risiken für die Allgemeinheit entstanden sind. Ich darf aus der Presseerklärung von Herrn Dr. Remmers aus dem Jahre 1986 zitieren: Diese Maßnahme hat sich nicht nur wegen des Entlastungseffektes bewährt, die vorzeitig Entlassenen sind seltener rückfällig geworden als die zeitgleich entlassenen Gefangenen, die ihre Strafe voll verbüßen mussten. - Die CDU hat konstatiert: Risiken waren für die Allgemeinheit nicht entstanden, obwohl immerhin 400 Gefangene - überwiegend Männer - nach der Vorschrift des § 455 a entlassen worden sind. - Welche Selbstgerechtigkeit wurde hier hinausposaunt! Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der letzte Punkt. Was machen die anderen Länder? Wir sind ja nicht die einzigen, die einen überbelegten Vollzug haben. Baden-Württemberg und Saarland als Beispiel - zwei CDU-geführte Länder - haben 1 000 Gefangene nach § 455 a in den letzten zwölf Monaten entlassen. Ist das nichts gegen 29 Frauen bei uns? 43 werden es demnächst sein. In dem benachbarten Land, im Land des Richters Gnadenlos, dort, wo angeblich gnadenlose Härte herrscht, in Herrn Schills Hamburg, hat der Kollege Kusch angesichts der dramatischen Überbelegung im Männervollzug nicht anders gekonnt, als in seiner Amtszeit mittlerweile knapp 200 Männern zu entlassen. Dort ist die Strafhaft nicht

unterbrochen worden, anders als bei uns. Bei uns müssen sie nachsitzen, wenn sie eine neue Straftat begehen, und alles absitzen. Nein, er hat sie sofort begnadigt, weil er sie nicht wiederhaben will, weil seine Probleme so gravierend sind.

Angesichts dieser Situation wirft sich der Kollege Stratmann im Fernsehen in die Brust und sagt: Mit der CDU ist so etwas nicht zu machen. - Sie machen das in den Nachbarländern selbst; und zwar auch angesichts der Biografien von Männern und nicht nur von Frauen, die nachgewiesenermaßen eine extrem niedrige Rückfallgefahr haben.

Sie haben sich also völlig vergaloppiert. Ich bin gespannt, wie Sie darauf reagieren. Auf Ihre Entschuldigung freue ich mich. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Zu diesem Antrag spricht jetzt Frau Kollegin Müller

(Frau Litfin [GRÜNE]: Elke, mach‘ es kurz! Er hat schon alles gesagt!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns den vorliegenden Antrag der CDUFraktion ansehen, dann fragen wir uns, warum Sie sich auf der rechten Seite des Hauses eigentlich so fürchterlich aufplustern. Richtig ist an Ihrem Antrag eigentlich nur eines: Das ist die Feststellung, dass sich die Belegungssituation verschärft hat. Im Übrigen wissen wir alle, dass das nicht nur in Niedersachsen der Fall ist. Ihre Behauptung, Herr Stratmann - es wundert mich schon, das von Ihnen so zu hören -, die Überbelegung der Anstalten sei auf Versagen und Versäumnisse der SPD-Landesregierung seit 1990 zurückzuführen, ist falsch, sie ist absolut falsch. Das wissen Sie auch. Zumindest könnten Sie es wissen.

Muss ich Sie eigentlich erst daran erinnern, dass der Anstieg der Häftlingszahlen auch etwas mit der Grenzöffnung zu tun hat und dass wir schon vor langem darauf reagiert haben? Wir haben doch in den vergangenen Jahren ein Programm mit drei mal 100 Haftplätzen - für die Anstalten in Lingen, Hameln und Meppen - aufgelegt und damit 300 Plätze geschaffen. Wir haben in Oldenburg die große neue Anstalt gebaut, die Sie kennen, mit

ebenfalls 300 Plätzen. Wir haben die alte Oldenburger Anstalt bewusst offen gelassen und haben sie nicht geschlossen. Wir haben das Rote Haus in Wolfenbüttel mit 70 Plätzen saniert und diese wieder in Betrieb genommen. Wir haben dafür gesorgt, dass in Langenhagen eine Abschiebehaftanstalt mit 144 Plätzen eröffnet wurde.

Ich will Sie der Mühe entheben, das zusammenzurechnen. Das sind zusammen 814 zusätzliche Haftplätze. Sie wissen, dass dazu noch Sehnde und in absehbarer Zeit Göttingen-Roßdorf hinzukommen werden. Das sind noch einmal 830 Plätze.

Das alles zeigt, wie absurd Ihre Vorwürfe wegen eines angeblichen Versagens der Landesregierung sind.