Protocol of the Session on April 24, 2002

Das Wort hat Herr Europaminister Senff.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung bedankt sich ganz herzlich bei der CDU-Fraktion dafür, dass sie diese Anfrage eingebracht hat, gibt sie uns doch Gelegenheit, über unsere europapolitischen Initiativen sachkundig und unpolemisch zu informieren. Das haben wir mit der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage getan. Ich darf darauf hinweisen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir uns dabei der Mühe unterzogen haben, die Antworten selbstständig zu erarbeiten,

(Zustimmung von Rabe [SPD])

im Gegensatz zu Ihnen, die Sie diese Große Anfrage wortwörtlich aus einer Bundestagsdrucksache abgeschrieben haben.

(Zurufe von der SPD: Au!)

Da hat die CDU-Bundestagsfraktion diese Anfrage gestellt. In anderen Ländern Deutschlands ist dieselbe Anfrage textgleich von den entsprechenden Landtagsfraktionen der CDU ebenfalls gestellt worden.

(Nolting [SPD]: Das ist ja wohl der Gipfel der Faulheit!)

Wenn das der Beleg für Ihr europapolitisches Engagement ist, dann habe ich die herzliche Bitte, dass Sie sich in Zukunft zusätzlich zu dem, was andere für Sie erarbeiten, auch auf niedersächsische Themen der Europapolitik konzentrieren.

(Beifall bei der SPD)

Denn die interessieren hier, und die interessieren die Bevölkerung.

(Coenen [CDU]: Wir wollen ja Ihre Meinung hören!)

Herr Biestmann, Sie haben in Ihrer Rede genau das nicht getan. Sie haben sich nicht mit Niedersachsen und nicht mit Niedersachsen und Europapolitik auseinander gesetzt. Das ist der Beleg dafür, dass dieses Abschreiben lediglich ein Abschreiben und nicht ein Durchdenken in der Sache war.

(Beifall bei der SPD)

Das wollte ich gerne vorweg sagen.

(Biestmann [CDU]: Wir wollen Ant- worten haben!)

Damit Sie hinterher nicht behaupten können, dass Sie keine Antwort auf das bekommen haben, was Sie hier noch verbal vorgetragen haben - auf den schriftlichen Teil beziehe ich mich -, werde ich zu ein paar Punkten Stellung nehmen, zu denen Sie hier, wie ich fand, ein bisschen zwischen den Zeilen und leicht auch fälschlicherweise den Eindruck zu vermitteln versuchten, wir hätten uns mit der Thematik schriftlich nicht ausreichend und nachdrücklich auseinander gesetzt.

Lassen Sie mich zunächst die Frage des Konventes angehen. Ich stimme Ihnen zu, dass das im Moment eine der beiden zentralen Fragen der europäischen Politik ist, nämlich: Wie wird sich der Konvent entwickeln, und wie gehen wir mit der Erweiterung der Europäischen Union um? - Sie haben den Konvent angesprochen. Ich stimme Ihnen dabei zu, dass dieser Konvent in seinem Ergebnis eine Konzentration Europas auf die Kernkompetenzen, also auf die wichtigsten Aufgaben, die Europa zu erledigen hat, erreichen muss. Das sind auch Ziel und Aufgabe des Konventes, den er mit dem Rat von Nizza und Laeken bekommen hat. Nach dem, was man nach der ersten inhaltlichen Sitzung - wie gesagt, das ist bislang erst eine erste inhaltliche Sitzung gewesen - sagen kann, sieht es so aus, als ob der Konvent auch tatsächlich diese Aufgabe a) angenommen hat und b) auch erfüllen will. Ich wage mal die Prognose: zu großen Teilen auch erfüllen wird.

Welches sind dabei die Hauptunterpunkte? Was ist unter „Konzentration auf Kernkompetenzen“ zu verstehen? - Es sind gemeinsame Regeln für den gemeinsamen Markt. Der gemeinsame Binnenmarkt ist eine große europäische Erfolgsgeschichte.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Das ist ein Teil der Basis unseres Wohlstandes in der Bundesrepublik Deutschland und in den anderen europäischen Ländern. Wir werden dort die gemeinsamen Regeln erhalten und dort, wo dies notwendig ist, ausbauen müssen, weil sie für Wohlstand, Sicherheit und soziale Solidarität notwendig sind.

Der zweite Punkt, den der Konvent regeln muss, wird eine Garantie für die gemeinsame europäische Währung werden. Dazu gehören dann Fragen, die

offen debattiert werden, also: Inwieweit wird es eine europäische Wirtschaftsregierung oder andere Instrumente geben? - Da ist der Konvent erst in der Anfangsphase. Es ist nicht absehbar, wohin sich unsere europäischen Partner entwickeln werden.

Ich darf an diesem Punkt auch einmal deutlich machen, dass Niedersachsen zwar in der Mitte von Europa liegt. Aber um uns herum gibt es selbstverständlich eine Reihe anderer deutscher Länder, aber auch europäischer Nationalstaaten, die ebenfalls mit debattieren, die auch mit entscheiden wollen. Deshalb ist es zwar wichtig, dass Niedersachsen seine eigene Position hat - wir haben sie Ihnen mitgeteilt -, aber es ist genauso wichtig, diese niedersächsische Position im Konzert der deutschen Länder durchzusetzen und die gemeinsame deutsche Position dann auch mit unseren Partnerländern in der Europäischen Union mehrheitsfähig zu machen. Das ist nicht immer ganz einfach.

(Beifall bei der SPD)

Dritter Punkt. Wir müssen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger sichern. Das ist eine zentrale Frage, die in einem europäischen Verfassungstext ganz oben auf der Agenda steht.

Vierter Punkt. Wir brauchen - ich formuliere das ganz vorsichtig - ein Mindestmaß an regionaler Solidarität. Die Europäische Union ist kein Wolfsrudel, in dem jeder über den Schwächeren herfallen darf oder herfallen soll. Um es gelinde auszudrücken: Es ist nicht nur eine Wettbewerbsgemeinschaft, in der der stärkste Ellenbogen zählt, sondern es ist auch eine Gemeinschaft der Solidarität. Es gibt schwache und starke Regionen. Gerade wir in der Bundesrepublik Deutschland haben einen eigenen Eindruck davon. Deshalb brauchen wir ein Mindestmaß an regionaler Solidarität. Dazu brauchen wir auch die entsprechenden Finanzinstrumente. Wie die dann im Einzelnen aussehen, ob es das heutige Finanzierungssystem oder ein anderes Finanzierungssystem ist, ob es eine europäische Steuer ist, die an die Stelle vorhandener anderer Steuern tritt, ist in der Debatte noch offen.

Der fünfte und letzte Punkt, den ich gerne nennen möchte, ist eine gemeinsame Verteidigung unserer Interessen, unserer Sicherheit, unserer Wertevorstellungen nach innen und außen. Ich sage hier auch ganz deutlich, dass es für mich ein vordringliches Ziel ist, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren und auf

europäischer Ebene durchzusetzen. Das bedeutet im Klartext zu irgendeinem Zeitpunkt auch: Es wird keine nationalen Außen- und Verteidigungsminister mehr geben, sondern die werden in die europäische Ebene überführt werden.

Wer es mit der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ernst meint, der muss auf lange Sicht zu einer solchen Lösung kommen. Aktuell steht das allerdings nicht an. Aktuell würde es uns reichen, wenn man Ämter, die man in der Europäischen Union heute schon für diese Frage geschaffen hat, und Personen überhaupt erst einmal zusammenlegt, damit wir auf europäischer Ebene in der Europäischen Kommission und Vertretung mindestens mit einer Stimme sprechen.

Das zu den Kernkompetenzen, wie wir sie uns vorstellen und wie ich sie mir vorstelle und die, wie ich nach der ersten Debatte im Konvent den Eindruck habe, von den meisten der europäischen Länder, die bereits in der Union sind, und denjenigen, die hinein wollen - die nehmen am Konvent teil -, geteilt werden.

Sie wissen, dass der deutsche Bundesrat zwei Vertreter - ein Hauptmitglied und einen Stellvertreter in den Konvent entsandt hat. Das Hauptmitglied ist Herr Teufel, ich bin sein Stellvertreter. Wir arbeiten - das darf ich an dieser Stelle sagen - gut zusammen, auch wenn es zu Beginn zwischen der Position des Ministerpräsidenten Teufel und allen anderen deutschen Ländern ein paar Irritationen gegeben hat. Herr Biestmann, ich hatte den Eindruck, Sie haben die Rede von Herrn Teufel abgeschrieben. Das ist das Problem. Die BadenWürttemberger, an der Spitze Herr Teufel, haben in ein paar Punkten mittlerweile eine andere Position formuliert, als sie sie in gemeinsamen Beschlüssen auf Europaministerkonferenzebene gemeinsam mit uns gefasst haben. Ich komme daher in ein, zwei Punkten noch einmal auf sie zurück.

Es gibt große Übereinstimmung mit ihnen, was die Kompetenzen angeht. Den ersten Punkt habe ich genannt: dass wir Kompetenzen abgeben, aber auch dass wir selbstverständlich Kompetenzen auf die nationale Ebene zurück verlangen, und die nationale Ebene muss dann entscheiden, wie sie diese innerhalb der Nationalstaaten weiter verteilt. Dieser Meinung sind wir auch. Wir haben auch große Übereinstimmung, dass das System der begrenzten Einzelermächtigung in seinem Kern und als Hauptinstrument erhalten bleiben muss.

Wo wir, die 15 deutschen Länder, mit Ihrer Position, die Sie hier vorgetragen haben, und im Moment noch mit Baden-Württemberg - aber das wird sich geben; deshalb müssen Sie da noch nachbessern - ein Problem haben, ist die Frage: Wie formulieren wir die Kompetenzen, in einem Katalog oder nicht in einem Katalog? - Es ist völlig unstrittig: Die deutschen Länder wollen keinen Kompetenzkatalog. Das ist beschlossene Sache. Dies ist im Bundesrat beschlossen worden. Auch am letzten Samstag auf der Europaministerkonferenz ist das beschlossen worden. Lediglich Herr Teufel - nicht das Land Baden-Württemberg - hat in seinem Auftritt im Konvent den Kompetenzkatalog nach vorne geholt. Er wird dies nach einem Gespräch mit mir und mit seinen Beratern in entsprechender Weise korrigieren - Sie sollten das dann auch tun -,

(Zustimmung bei der SPD)

indem wir den Beschluss des deutschen Bundesrates gemeinsam - Herr Teufel und ich - als persönliches Dokument bei dem Konvent einreichen. Damit ist die Basis dessen, was wir gemeinsam wollen, wieder hergestellt - kein Katalog, sondern Kategorien.

Die Niedersächsische Landesregierung hat zusammen mit den anderen deutschen Ländern eine ganz strikte Grundposition: Was auf europäischer Ebene nicht geregelt ist, bleibt in der Kompetenz der Nationalstaaten. Wir halten überhaupt nichts davon, einen Katalog zu machen oder eine Liste aufzuschreiben, was nationale Kompetenzen sein sollen. Nein, wir sind da viel strikter: Wir regeln, was die Europäische Union machen darf, und das, was nicht geregelt ist, bleibt bei uns. Ich meine, das ist auch so einfach, dass die Bürgerinnen und Bürger es leichter verstehen können.

Der nächste Punkt, bei dem wir einen Konflikt haben - aber auch dieser wird sich dann auflösen, wenn Sie die neue baden-württembergische Position übernehmen werden -: Ein Kontrollgremium wollen wir nicht. Unsere europäischen Partnerinnen und Partner wollen auch keines. Das zeichnet sich ganz klar ab. Selbst wenn wir ein Kontrollgremium wollten, würden wir uns nicht durchsetzen. Nein, wir wollen mehr. Wir wollen ein Klagerecht für die Regionen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn die Regionen ein Klagerecht bekommen, dann haben wir das schärfste Instrument, um uns

gegen die Europäische Union durchsetzen zu können, wenn wir glauben, dass sie ihre Kompetenzen überschreitet. Denken Sie an die letzte Geschichte bezüglich der EU-Tabakverordnung. Da haben wir das riesige Problem im Land Niedersachsen gehabt - wir gemeinsam, weil wir eine Position vertreten haben -, dass wir nicht selber klagen durften, sondern wir mussten den Umweg über die Bundesregierung gehen. Es geht also darum, dass wir für den Fall, dass wir den Eindruck haben, dass unsere Kompetenzen verletzt werden, ein eigenes Klagerecht haben. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass das, wenn wir das hinbekommen - dahin sollten wir verhandeln -, besser ist als das Kontrollgremium, das Sie angesprochen haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich will, weil die Zeit mir davoneilt, nicht mehr zum Konvent reden; ich will ein paar Bemerkungen zur niedersächsischen Europapolitik in Niedersachsen machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Antritt des Ministerpräsidenten Gabriel ist die Europapolitik eine Erfolgsgeschichte dieses Landes geworden.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben viel erreicht. Wir haben erreicht, das Europäische Informationszentrum als erstes schlagkräftiges Instrument in den deutschen Ländern einzurichten. Dieses Europäische Informationszentrum erfreut sich bis nach Brüssel eines hohen Ansehens. Wir werden von Brüssel aus gefordert, wir werden in Brüssel als Modell Niedersachsen in Europa gehandelt.

(Oh! bei der CDU)

Ich meine, ein schöneres Kompliment kann man uns nicht machen.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Informationszentrum erfüllt seine Aufgabe in vorbildlicher Art und Weise, indem es im Moment für die Erweiterung der Europäischen Union eine Kampagne durchführt, sich um Aufklärung bemüht, sich um Zustimmung bemüht, den Frauen und Männern in unserem Land Informationen gibt, um unberechtigten Ängsten und vielleicht auch berechtigten Befürchtungen entgegenzutreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Lob bekommen wir nicht nur aus Brüssel, wir bekom

men es auch in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in der wir ausdrücklich für unser Engagement in unserem Eintreten für die Erweiterung der Europäischen Union und in unseren Informationskampagnen gelobt werden.