400 Betten. Am vergangenen Mittwoch, dem 01.03.2017, wurden zeitgleich mehrere Selbstmordattentate verübt. Jährlich beginnt im März die Frühjahrsoffensive der Taliban. In diesem Jahr haben sich die Anschläge verstärkt.
Den Bundesländern ist es nach Aufenthaltsrecht gestattet, einen Abschiebestopp von drei bis sechs Monaten zu verhängen. Erst nach dieser Frist benötigen sie die Zustimmung des Bundes. Schleswig-Holstein, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen zweifeln schon länger die Einschätzung der Bundesregierung bezüglich der Sicherheitslage in Afghanistan an. Sie haben sich zumindest teilweise entschlossen, bis zu einer Neubewertung der Sicherheitslage, Abschiebungen nach Afghanistan nicht vorzunehmen.
Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland warnt auch heute offiziell auf seiner Internetseite unter der Überschrift „Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt“, ich zitiere: „In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und andere Gewaltverbrechen kommen.“ Dies gilt eben nicht nur für Ausländer, sondern auch für die einheimische Bevölkerung.
Die Bundeswehr, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist nicht mal mehr in der Lage, deutsche Einrichtungen in Afghanistan zu schützen. Zitat: „Am 10.11.2016 hat ein Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Sharif stattgefunden. Das Generalkonsulat ist daher vorübergehend nicht erreichbar.“ Auch dies steht heute noch auf der Internetseite des Amtes – fast vier Monate nach dem Anschlag.
Der Bundesminister reist nur noch in voller Schutzkleidung nach Afghanistan. Abgeschobene Zivilisten haben keine Schutzkleidung, sie haben auch sonst niemanden, der sie beschützt. Tausende Tote, bedrohte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und beschossene, bombardierte Konvois von Hilfsorganisationen, Reisewarnungen – all das ist nicht relevant? Bundesminister de Maizière bezeichnet die Lage als volatil, also beweglich, veränderlich, flüchtig. Der Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im Auftrag des Bundesinnenministeriums vom Dezember 2016 spricht davon, dass das gesamte Staatsgebiet von einem innerstaatlich bewaffneten Konflikt betroffen ist und sich die Sicherheitslage seit April 2016, ich zitiere: „insgesamt nochmals deutlich verschlechtert hat“. Der Bundesminister ignoriert diese Bewertung und der Innenminister unseres Bundeslandes schließt sich der Bewertung seines Parteigenossen an, die Lage sei volatil. Ja, Herr Innenminister, die Lage ändert sich täglich, denn es herrscht Krieg, und ja, Worte können töten. Wir haben heute viel über Worte gehört.
Meine Fraktion und viele Menschen im Land stellen sich die Frage: Warum geben Sie eigentlich Expertisen in Auftrag, um diese dann einfach zu ignorieren? Tendenziös haben Sie nur Passagen übernommen, die Ihre eigene Wunscheinschätzung bestätigen. Sämtliche Einschätzungen, Berichte und Fakten sprechen hingegen eine völlig andere Sprache und sie sprechen deutlich gegen eine Rückkehr von Zivilisten nach Afghanistan. Sie sind dort nicht sicher und niemand gewährt ihnen Schutz. Die von den afghanischen Regierungstruppen kontrollierten Landesteile sind seit Monaten Bombardierungen und Anschlägen ausgesetzt. Die Taliban kontrollieren weite
Teile des Landes, und wie diese mit einer nicht willfährigen Zivilbevölkerung umgehen, das weiß jeder politisch Interessierte bei uns. Das können und müssen Sie auch wissen, Herr Innenminister und verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Nach Angaben des UNHCR, also des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, gibt es derzeit 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge in Afghanistan und mehr als 1 Million afghanische Menschen, die nach Pakistan und in den Iran geflohen sind. Allein im Jahr 2016 wurden offiziell 3.000 zivile Todesopfer gezählt. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Von einem sicheren Afghanistan zu reden, entspricht nicht den Tatsachen und reiht sich ein in eine Liste derjenigen, die sogenannte alternative Fakten als Wahrheit verkaufen wollen, um die Menschen zu täuschen und ihr eigenes Handeln zu rechtfertigen.
Herr Innenminister, nennen Sie mir, nennen Sie uns sichere Gebiete in Afghanistan, in die man Menschen ohne Gefahr für Leib und Leben zurückschicken kann! Die Bundesrepublik Deutschland ist seit Dezember 2001 aktiver Teil des Krieges, der offiziell zum Schutz der Bevölkerung gegen die Taliban geführt wurde. Wir sind mit verantwortlich für Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen und für die jetzige Situation in diesem Land. Wir haben uns der Bevölkerung bedient, solange sie uns nütze war. Jetzt schicken wir diejenigen in ein zerstörtes und kriegerisches Land zurück, die vor dem Ergebnis unserer Politik geflohen sind.
Und die Bundesregierung versucht mal wieder, ihr schlechtes Gewissen ins Reine zu bringen und es mit einem 90-Millionen-Euro-Deal einfach zu beruhigen: 40 Millionen Euro werden für ein Rückkehrerprogramm und 50 Millionen für die Reintegration zur Verfügung gestellt. Wer, meine Damen und Herren, wird wohl von dieser Sicherheitslage von diesen Millionen profitieren in einem korrupten Staat mit einer korrupten Taliban? Wo werden die Millionen ankommen? Wieder bei den Terroristen.
Herr Minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in Mecklenburg-Vorpommern ja nicht über Tausende afghanische Menschen, die nach dem Willen der Landesregierung von SPD und CDU in ihre zerstörte und lebensbedrohliche Heimat abgeschoben werden sollen. Die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion hat ergeben, es geht um 175 Menschen – 175 Menschen afghanischer Herkunft. Von diesen haben 126 eine Duldung. Duldungen kann man nun problemlos verlängern, wenn man den politischen Willen dazu hat. Wir sprechen also noch über genau 49 Frauen und Männer. Für diese 49 und alle anderen afghanischen Menschen, die in Mecklenburg-Vorpommern vor Krieg und Vertreibung Schutz gesucht haben, können wir heute ein solidarisches Zeichen setzen, ein Zeichen des Mitgefühls, ein Zeichen der Menschlichkeit.
Abschiebungen zu fordern und auszuführen, um Stimmungsmachern nach dem Munde zu reden oder aus Angst vor der eigenen Courage, aus Angst davor, eigene Fehler einzugestehen, ist arm und das ist falsch. Abschiebungen in ein Kriegsland zu unterstützen, sollte nicht die Sicht der Menschen in diesem Land, in unserem Land sein und sie sollte es auch nicht werden. Sie kön
nen hier und heute dazu einen Beitrag leisten. Was Sie gleich entscheiden, das ist von Bedeutung. Aber zwei Dinge sind für meine Fraktion auch klar: Mit Waffen und mit Kriegen löst man keine Konflikte und mit Menschenleben macht man keinen Wahlkampf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Als Erster hat ums Wort gebeten Finanzminister Mathias Brodkorb in Vertretung des Innenministers. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Innenminister möchte sich ausdrücklich bei der Fraktion DIE LINKE für den vorliegenden Antrag bedanken, nicht, weil er ihn inhaltlich teilt, ganz im Gegenteil, sondern weil er durch diesen Antrag die Möglichkeit erhält, einiges klarzustellen und vor allem zurechtzurücken.
Es ist etwa eineinhalb Jahre her, als die Lage mit Zigtausenden Zuwanderern und Kriegsflüchtlingen auf dem Balkan eskalierte und unter anderem Deutschland, Österreich und Schweden ihre Grenzen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe öffnen mussten. Wir waren uns damals einig, dass wir solch dramatische Bilder mit sterbenden Menschen im Mittelmeer und auf der Balkanroute aus dem September 2015 nicht wieder sehen wollten.
In der Folge startete vor allem Deutschland wichtige Initiativen auf europäischer Ebene. So wurden unter anderem das wichtige EU-Türkei-Abkommen geschlossen, Frontex ausgebaut und Verhandlungen für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge geführt. Darüber hinaus brachte die Bundesregierung gemeinsam mit Bundestag und Bundesrat zahlreiche Gesetze auf den Weg. Vermutlich wurde in Deutschland noch nie ein Politikbereich in so kurzer Zeit so stark verändert wie die Asyl- und Flüchtlingspolitik, was ja auch gerade die Forderung nach einem angeblich notwendigen Politikwechsel so absurd erscheinen lässt.
Die Große Koalition im Bund und die Große Koalition hier im Land arbeiten konstruktiv zusammen, auch wenn manche Beschlüsse nach meinem Dafürhalten nicht schnell genug kamen oder nicht weitreichend genug waren. Es ist beileibe noch nicht alles gut in der deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik, aber wir sind nach Ansicht des Innenministers große Schritte vorangekommen.
Die Notunterkünfte sind längst geschlossen und die Zugangszahlen rapide gesunken. Das größte Problem bleiben aber nach Meinung des Innenministers die Rückführungen. Hier hat Mecklenburg-Vorpommern noch viele
Baustellen wie Deutschland insgesamt, insbesondere was die Beschaffung von Pässen und Passersatzpapieren betrifft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im vergangenen Jahr stellten 128.000 Afghanen einen Asylantrag in Deutschland. Damit rückte Afghanistan auf den zweiten Platz der Herkunftsländer vor. Die Schutzquote ist in Deutschland mit derzeit 56 Prozent fast doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Das unterstreicht eindrucksvoll, Deutschland kommt auch in diesen bewegten Zeiten seinen humanitären Verpflichtungen nach. Wer Anspruch auf Asyl hat, dem wird auch Asyl gewährt. Das ist die ausdrückliche Haltung der Bundesregierung und auch der Landesregierung. 56 Prozent bewilligte Asylanträge bedeuten im Umkehrschluss aber auch 44 Prozent abgelehnte Asylanträge. Zur Wahrheit gehört: Nur, weil ein Land kein sicheres Herkunftsland ist, heißt dies nach Ansicht des Innenministers noch lange nicht, dass es dort überall unsicher ist.
Die Sicherheitslage bleibt, wie bereits zitiert, volatil, aber sie ist regional unterschiedlich. Es gibt Regionen, in denen die Lage ausreichend kontrollierbar und für den Einzelnen vergleichsweise ruhig und stabil ist. Genau deshalb wird ja jeder Einzelfall intensiv geprüft. Ob ein Asylantrag bewilligt oder abgelehnt wird, hängt maßgeblich vom Gefährdungsrisiko ab. Dabei geben nicht zuletzt die Ethnie, die Herkunftsregion, die Konfession, sondern auch der Familienstand der Asylbegehrenden den Ausschlag für die Entscheidung. Die steht im Einklang mit der Einschätzung des UNHCR im Bericht vom 22. Dezember 2016 und wird, wie wir alle wissen, im Zweifelsfall auch gerichtlich überprüft. Wessen Asylantrag also endgültig abgelehnt wurde, muss unser Land verlassen. Das gilt für Marokkaner genauso wie für Ghanaer, Kosovaren, Russen oder eben auch Afghanen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und eine gefestigte Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte haben mehrfach bestätigt, dass Rückführungen nach Afghanistan im Einzelfall möglich sind. Hiervon macht Deutschland behutsam Gebrauch und beschränkt sich bis jetzt auf alleinstehende Männer. Lediglich 67 Personen wurden im letzten Jahr nach Afghanistan abgeschoben. Es wäre daher nach Ansicht des Innenministers infam zu behaupten, hier werde jemand in den Tod geschickt.
Im Übrigen sind 2016 über 3.300 Personen freiwillig von Deutschland nach Afghanistan zurückgekehrt. Aus Pakistan sind sogar 600.000 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Glaubt denn jemand ernsthaft, so fragt der Innenminister, dass diese Menschen freiwillig in ihr Verderben gehen? Er kann sich dies schlechterdings nicht vorstellen. Auch wenn sicherlich noch viel zu tun ist, Afghanistan hat seit 2001 in vielen Bereichen Fortschritte erzielt, und das wirkt sich auch positiv auf die Rückkehrbereitschaft aus. Das sollte man nach Ansicht des Innenministers auch mal zur Kenntnis nehmen und bei der Rückführungsdebatte berücksichtigen. Im Übrigen soll mir mal jemand erklären, wie Afghanistan wieder auf die Beine kommen soll, wenn die klügsten Köpfe alle im Ausland bleiben. Wenn wir jetzt einen weitreichenden
Abschiebestopp verhängen würden, käme das nach Ansicht des Innenministers einer Einladung zu einer Ausreise nach Deutschland gleich. Das kann seiner Ansicht nach niemand wollen, und zwar auch nicht im Interesse Afghanistans.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, all diese Erkenntnisse scheinen aus Sicht des Innenministers in Schleswig-Holstein eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Die dortige Landesregierung handelt nach Ansicht des Innenministers völlig willkürlich, weil der Flüchtlingsrat laut aufschreit. So kann man nach Ansicht meines geschätzten Kollegen Caffier keine ernsthafte Politik betreiben.
Es ist wirklich bemerkenswert, dass eine Landesregierung wie in Schleswig-Holstein bei der Beurteilung der Lage in Afghanistan dem Urteil von Hilfeorganisationen mehr Gewicht beimisst als den Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums und dem Auswärtigen Amt. Beide Ministerien halten Rückführungen in bestimmte Regionen Afghanistans offensichtlich für verantwortbar. Das haben sie in einem Brief an die Innenminister der Länder fundiert und umfangreich begründet. Die Argumentation ist schlüssig und nachvollziehbar und es gibt keinen Anlass, diese in Zweifel zu ziehen. Nebenbei bemerkt, der Innenminister kann es ja auch keinem Menschen auf der Straße erklären, dass unsere Soldaten vor Ort für die Sicherheit des afghanischen Staates kämpfen, die aber niemanden der vielen Zehntausend abgelehnten Asylbewerber dorthin abschieben können.
Außerdem wird jeder Asylantrag, Herr Abgeordneter Renz, bis hin zur Entscheidung unabhängiger Gerichte rechtsstaatlich geprüft und es wird festgestellt, ob eine Rückführung vertretbar ist oder nicht. Das ist schon kein einfacher Job und verdient auch unseren größten Respekt. Wir orientieren uns weiter an der Lageeinschätzung der Bundesregierung und sehen daher keinerlei Notwendigkeit für einen Abschiebestopp nach Afghanistan. Der Innenminister empfiehlt, den Ihnen vorliegenden Antrag deshalb abzulehnen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Landtagskolleginnen und -kollegen! Erst einmal hat der Finanzminister wiederholt darauf hingewiesen,
(Torsten Renz, CDU: Das brauchen Sie nicht noch mal zu entschuldigen, das haben wir schon verstanden.)
(Peter Ritter, DIE LINKE: Die Minister reden für die Regierung. Die reden nicht für die Ressorts, die reden für die Regierung. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)
Ich habe nur das gesagt, was Herr Brodkorb eben die ganze Zeit gemacht hat. Und damit kommen wir auch zu einem kleinen, ich will nicht sagen, Konflikt: Also immer dann, wenn es um Abschiebungen geht, dann haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten