Meine Damen und Herren, noch ein letztes Beispiel, bei dem eine weitere fiskalische Diskriminierung deutlich wird. Normalerweise lassen sich hohe Kosten für Medikamente, die ein Arzt verschreibt, von der Steuer absetzen, die circa 200 Euro, die Frauen für die Antibabypille jährlich ausgeben, in der Regel aber nicht, denn bei der Pille zur Verhütung soll es sich um typische Kosten der Lebensführung handeln und nicht um außergewöhnliche Belastungen eines Einzelnen. Für die Herren der Schöpfung hat der Staat allerdings einen Bonus parat, egal, ob Kassen- oder Privatpatient: Viagra oder andere potenzsteigernde Mittel zählen zu Krankheitskosten und lassen sich ohne Weiteres von der Steuer absetzen.
Nur das Rezept und die Rechnung müssen der Steuererklärung beigefügt werden, dann gibt es Geld zurück. Das ist eine Ungerechtigkeit sondergleichen.
infolge einer Petition, die bereits fast 200.000 Unterstützerinnen und Unterstützer hat, eine Petition, die übrigens von zwei weiblichen SPD-Mitgliedern aus Hamburg gestartet wurde.
Länder wie Kanada oder Australien haben bereits beschlossen, die höhere Steuer auf Menstruationsartikel abzuschaffen. Deutschland sollte also als gutes Beispiel folgen und sich ebenfalls im Rat der Europäischen Union dafür einsetzen, den geringeren Steuersatz in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anzuwenden.
Meine Damen und Herren, die bisherige Begründung des Bundesfinanzministers, um den Status quo beizubehalten, ist mehr als dürftig. Er meint, eine Steuervergünstigung würde bei den Frauen und Mädchen sowieso nicht ankommen, weil der Handel die Differenz draufschlage. Hier geht es aber allein um eine systematische Diskriminierung, die die Bundesregierung beenden muss, und nicht darum, wie sich der Handel verhalten soll. Die Nachfrage bestimmt das Angebot und das Angebot den Preis. Das wäre mit der Ermäßigung im Steuersatz nicht einfach ausgehebelt, meine Damen und Herren.
Und auch Mecklenburg-Vorpommern könnte ganz konkret etwas tun, um ein Zeichen gegen diese Benachteiligung zu setzen. In den öffentlichen Einrichtungen des Landes sollten Hygieneartikel für Frauen und Mädchen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, und den Kommunen sollte empfohlen werden, dies ebenfalls in ihren Einrichtungen zu tun. Gemeinsam können wir etwas ändern. Also stimmen Sie diesem Antrag zu! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich haben sich angesichts des Antrages schon einige gefragt, wenn jetzt der Finanzminister redet, was wird er zu dem Thema sagen.
Zunächst mal, Frau Rösler, vielen Dank. Ich pflichte Ihnen vollständig bei, das Thema ist alles andere als belanglos. Und ich glaube, der Antrag der LINKEN unterstreicht – und das haben Sie ja an Beispielen dargestellt, ich könnte Ihnen nachher auch noch welche liefern – einmal mehr das Dilemma des deutschen Steuerrechts. Das ist auch
Wenn wir über das deutsche Steuerrecht oder generell über Steuersysteme reden, dann gibt es eigentlich immer nur zwei Möglichkeiten:
Entweder, wir haben ein einfaches Steuersystem, das dann aber viele Ungerechtigkeiten in sich birgt, weil keine Besonderheiten mehr berücksichtigt werden, und der berühmte Bierdeckel soll dann für die Steuererklärung reichen. Aber ich glaube, sogenannte Flat Taxes und alles, was damit verbunden ist, sind eher populistisches Machwerk, weil es in der Regel den Vermögenden in der Gesellschaft nutzt.
Oder, meine Damen und Herren, wir haben ein komplexes Steuersystem mit vielen Ausnahmetatbeständen, um eine möglichst hohe Einzelfallgerechtigkeit zu erlangen. Da bin ich ganz klar dafür, dass wir uns dem Ideal eines möglichst gerechten Steuersystems zumindest nähern, denn die Realität, das wissen wir alle, sieht da doch häufig anders aus. Und unser Steuersystem in Deutschland bildet da keine Ausnahme. Nicht zuletzt bei der Mehrwertsteuer, das ist offenbar geworden, treiben die Ausnahmen teilweise merkwürdige Blüten.
Sie haben darauf hingewiesen, Frau Rösler, das Ganze ist in der Hauptsache aus den 60er-Jahren, Ende der 60er-Jahre. Viele wirtschaftliche, gesellschaftliche Entwicklungen, die es seitdem gegeben hat, sind zum Teil nicht in dem Mehrwertsteuersystem, so, wie wir es heute haben, abgebildet. Das heißt aus meiner Sicht unzweifelhaft natürlich ein Reformbedarf.
Und, meine Damen und Herren, Sie kennen die Geschichten, Frau Rösler hat einige Beispiele genannt. Man ist sich der Stammtischerfolge immer sicher, wenn man die Beispiele zur Mehrwertsteuer dann auch immer zitieren kann. Ich will Ihnen auch ein paar Beispiele nennen. Zum Glück sind es nicht die gleichen Beispiele wie bei Ihnen, Frau Rösler, sonst hätte ich noch mal suchen müssen. Aber das zeigt eben, dass jeder eine Menge Beispiele findet, die einem mit dem gesunden Menschenverstand geradezu absurd vorkommen.
Mein Beispiel sind die Adventskränze. Überwiegend aus frischem Material gefertigt, unterliegen sie dem ermäßigten Steuersatz. Nehmen Sie getrocknete Zweige, dann ist der volle Mehrwertsteuersatz zu entrichten.
Oder: Frisches Obst und Gemüse ebenso wie daraus Püriertes und Eingekochtes werden ermäßigt besteuert, Gepresstes in Form von Frucht- und Gemüsesäften aller
dings nicht. Und besonders für den Stammtisch geeignet sind die sogenannten Schweineohren. Sind diese genießbar, unterliegen sie dem ermäßigten Steuersatz – Sie hatten schon auf die Tierfutternahrung hingewiesen –, sind sie nicht für den menschlichen Verzehr geeignet, muss der volle Mehrwertsteuersatz veranschlagt werden, meine Damen und Herren.
Ich glaube, für Sie alle hier in diesem Saal sind diese Beispiele genauso schwer nachzuvollziehen wie für mich. Allerdings, eines hat mich schon gestört bei diesem Antrag, weil es nämlich nicht so ist wie bei all diesen Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten im Mehrwertsteuersystem, es geht hier nicht um die Unterscheidung zwischen Alltags- und Luxusgütern. Also die Unterstellung, dass hier sozusagen Menstruationsartikel als Luxusgüter klassifiziert werden, die stimmt einfach nicht. Aber wenn das eine reißerische Überschrift für den Antrag sein sollte, um sich der Sache zu nähern, dann sei es drum. Meine Damen und Herren, auf jeden Fall suggeriert er etwas in der Überschrift, was so nicht vorhanden ist.
Ich glaube, wir sollten auch nicht sozusagen über dieses Beispiel eine Gleichstellungsdebatte führen. Das ist im Zusammenhang mit dem Mehrwertsteuersystem nicht geeignet, das sage ich ganz deutlich.
Und es ist auch meines Erachtens nicht Aufgabe des Staates, dass wir Hygieneartikel für Mädchen und Frauen auf Landes- und kommunaler Ebene kostenlos zur Verfügung stellen. Man mag das diskutieren, aber zunächst auch hier, Zurückhaltung ist angezeigt.
Ich verstehe, meine Damen und Herren und sehr verehrte Abgeordnete der LINKEN, ich verstehe das Grundanliegen des Antrages, ich kann es nachvollziehen. Aber ich muss dem Antrag an einer Stelle widersprechen, weil ich glaube, wir könnten jetzt eine Vielzahl von Einzelbeispielen nehmen, aber das löst das Problem nicht. Wir brauchen eine Gesamtlösung. Deswegen muss man dann ein bisschen den Blick darauf werfen, wie sich das Mehrwertsteuersystem in den Jahren entwickelt hat. Und wir hatten bereits darauf hingewiesen, Ende der 60erJahre, seit 2009 gibt es Kommissionen, gibt es Arbeitsgruppen, gibt es Koalitionsvereinbarungen unterschiedlicher Bundesregierungen, unterschiedlicher parteipolitischer Zusammensetzung. Und da steht dann immer wieder drin, dass man sich einer Reform des Mehrwertsteuersystems annehmen möchte. Nur, und da gebe ich Ihnen vollständig recht, bisher ist nichts passiert.
Es würde uns auch nicht viel mehr bringen, wenn wir auf die EU-Ebene gehen, denn auch dort gibt es Vorschriften. Es wurde schon von Frau Rösler darauf hingewiesen, wir haben eine EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Und wenn wir da mal reinschauen, da gibt es eine Auflistung der Möglichkeiten halbierter Mehrwertsteuersätze, also Umsatzsteuersätze. Das Thema Körperhygiene ist dort nicht aufgelistet, aber – und jetzt kommen wir zum Kern – es gibt eine Ermächtigung für die Mitgliedsstaaten in einem Anhang zu dieser Systemrichtlinie, wo darauf hingewiesen wird, dass die Mitgliedsstaaten selber entscheiden können, ob bei Arzneimitteln, Erzeugnissen zum Zwecke der Empfängnisverhütung und Monatshygiene, ob die jeweiligen Mitgliedsstaaten davon abweichen können und halbierte, also reduzierte Mehrwert
steuersätze ansetzen können. Das ist die entscheidende Stelle, wo man auch die Diskussion an der Stelle führen sollte.
Aber ich sage noch mal ganz deutlich: Alles, was man tut mit dem Mehrwertsteuersystem, erfordert natürlich auch eine entsprechende Gegenfinanzierung. Sie können nicht immer sagen, wir nehmen mal verschiedene Einzelbereiche raus, und machen dann nicht die Gesamtrechnung des Steueraufkommens, mit dem wir viele andere Dinge finanzieren. Übrigens, die Länder profitieren ja auch von der Umsatzsteuer. Also da muss man genau hingucken.
Summa summarum aus meiner Sicht die Einschätzung, wir brauchen eine Gesamtbetrachtung bei der Mehrwertsteuer, wir brauchen eine Gesamtlösung, wir brauchen keine Lösungen für einzelne Tatbestände wie Menstruationsartikel. Das, meine Damen und Herren, ist bei dem Thema nicht zielführend und das wäre auch zu einfach. Deswegen sage ich noch mal ganz deutlich, eine Gesamtbetrachtung der Mehrwertsteuertatbestände ist schon lange überfällig, und wir werden uns als Landesregierung da, wo wir die Gelegenheit haben, im Dialog mit dem Bund dafür einsetzen, dass dies dann auch geschieht. – Vielen Dank.