Meine Fraktion schlägt erstens dem Landtag in Punkt II unseres Antrages verschiedene Initiativen vor, die wir mit Frau Schophuis besprochen haben, insbesondere was den runden Tisch anbetrifft. Dieser runde Tisch kann, muss sich aber nicht auf Opfer sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche beschränken. Er kann weiter gefasst werden. Der Antrag ist an dieser Stelle bewusst offengelassen, auch die Auflistung der Beteiligten gilt nicht als abgeschlossen.
Ich sage Ihnen das auch, Herr Dachner, warum, weil es meines Erachtens und im engeren Sinne kein religions- beziehungsweise kirchenpolitisches Thema ist,
sondern es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das allerdings in diesem Falle in einem besonderen Umfeld angesiedelt ist,
und das gehört mit dazu. Wir wollen vermeiden, dass es weder Täter noch Opfer erster oder zweiter Klasse gibt.
(Manfred Dachner, SPD: Ja, dann hätten Sie das auch schreiben müssen, das haben Sie aber nicht. – Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)
Wichtig ist uns zweitens, dass das begangene Unrecht in allen Bistümern über den gesamten Zeitraum von 1946 bis 2014 aufgeklärt wird, weil es sonst zu inkonsistenten Bewertungen kommt. Der Missbrauch in der Katholischen Kirche war kein ostdeutsches Problem, es scheint sich eher in der Aufklärung als ein westdeutsches Problem zu entpuppen.
Drittens sehen wir erneut an diesem Beispiel, dass Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch anzuheben sind. Unabhängig von den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche trifft es auf viele Opfer sexuellen Missbrauchs zu, dass sie sich oft erst nach vielen Jahren später dazu in der Lage sehen, sich zu ihrem Missbrauch zu äußern und, wenn überhaupt, gegen die Täter auszusagen.
Für Straftaten im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs gelten im Strafrecht Verjährungsfristen zwischen 5 und 30 Jahren. Bei schweren Sexualstraftaten ruht die Verjährungsfrist bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres, das allerdings erst seit einer Gesetzesänderung im Januar 2015 und auch nur für Fälle, die bis dahin nach alter Regelung nicht verjährt waren. Im Zivilrecht, also für Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Verletzung des Rechtes auf sexuelle Selbstbestimmung sowie
wegen vorsätzlicher Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit sieht das Gesetz eine einheitliche Verjährungsfrist von 30 Jahren vor. Diese Regelungen, insbesondere die des Strafrechtes, sind aus unserer Sicht noch einmal zu überprüfen. Es stellt sich die Frage, ob die Verjährungsfrist nicht grundsätzlich bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres ruhen sollte.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Katholische Kirche ist eine Weltreligion und sie hat ein Problem, ein Problem mit ihrer eigenen Kybernetik, ihrer inneren Organisation, mit ihren Grundsätzen, mit ihren Hierarchien und ihren teilweise jahrhundertealten Traditionen, mit Überlieferungen auf der ganzen Welt. Diese Probleme muss sie selbst lösen. Die Katholische Kirche in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern muss den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen intern, aber auch gemeinsam mit der Gesellschaft lösen, deren Bestandteil sie ist, von der sie profitiert und deren Akzeptanz sie erfahren will. Stellt sie sich außerhalb dieser Gesellschaft, dann verwirkt sie auch Rechte an dieser.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sei mir gestattet, an dieser Stelle noch drei persönliche Bemerkungen anfügen zu dürfen, auch zum eigenen Selbstverständnis:
Erstens. Bei allem, was allgemein hinsichtlich des Sexualverhaltens und der Ausübung von Gewalt im hierarchischen Gefüge der Kirche bekannt ist, verwundert mich die Blauäugigkeit und das Entsetzen einiger Würdenträger. Das kann ich ihnen nicht durchgehen lassen. Vielen davon ist das seit vielen Jahrzehnten bekannt. Das heilt nämlich weder den Schmerz meiner oberschlesischen Großeltern, noch befreit es im Nachhinein meine Mutter, die in einer strengen katholischen Kultur wurzelte und auch betroffen war.
Zweitens. Problematisch finde ich eine reduzierte Berufung auf Akten. Wenn sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige aktenkundig sind, dann müssen sie ja irgendwie vorher bekannt gewesen sein. Das zu verschweigen, bis der Druck von außen so groß wurde, dass man letztlich zur Handlung gezwungen war, hat zumindest ein Geschmäckle und verweist auf die Dimension der innerkirchlichen Konflikte. Die Kirchen dürfen damit aber nicht alleingelassen werden, insbesondere jene, die jetzt unter Generalverdacht gestellt werden.
Und schließlich drittens, wie weit die festgestellte Härte der Fälle in Mecklenburg mit der Diaspora korrespondiert, ist ein innerkirchliches Thema. Es kann aber auch einer besonders guten Aktenpflege in Mecklenburg-Vorpommern geschuldet sein. Da sollten wir dankbar sein.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache.
Für die Landesregierung wird in Vertretung für die Justizministerin die Ministerin für Bildung, Kultur und Sport sprechen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie hörten es bereits, ich vertrete heute die Justizministerin, die leider erkrankt ist. Wenn ich also in meiner Rede von „ich“ spreche, stellen Sie sich dann bitte die Justizministerin vor.
Jeder Fall von Kindesmissbrauch ist einer zu viel, egal ob vor 70 Jahren oder erst kürzlich. Das Leid der Betroffenen ist nicht wiedergutzumachen. Die Aufdeckung von Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche läuft seit 2010, angestoßen von Jesuitenpater Klaus Mertes. Er ist ehemaliger Schulleiter eines Kollegs in Berlin. Und aus heutiger Sicht sage ich, die Aufklärung ist mehr als überfällig, denn es rollte eine Schockwelle mit Berichten vieler Betroffener los. Erschreckend ist, dass alles, was jetzt bekannt ist, nur die Spitze des Eisberges sein soll. Darin jedenfalls sind sich die leitenden Forscher der nun vorliegenden MHG-Studie – wir hörten es bereits – sicher.
Die Studie der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen dokumentiert für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz ein unvorstellbares Ausmaß an Fällen auch in Mecklenburg-Vorpommern und die Dunkelziffer lässt sich kaum erahnen. Gerade Betroffenen, die in kindlichem oder jugendlichem Alter Opfer sexueller Übergriffe werden oder geworden sind, drohen psychische Folgen ein Leben lang. Typisch ist auch, dass die Opfer aus Scham und Angst das Leid bis zu ihrem Tod verdrängen. Manche schaffen es erst Jahre später, sich dem Leid zu stellen beziehungsweise Anzeige gegen die Täter zu erstatten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Entsetzen und die Erschütterung über die Widerwertigkeit sind groß über das, was hier zutage getreten ist und immer noch tritt. Die gesellschaftliche und politische Forderung, alles umfassend aufzuklären, die Täter zu bestrafen und präventiv tätig zu werden, ist berechtigt und zu unterstützen. Den Schlussfolgerungen aus dem uns vorliegenden Antrag vermag ich mich gleichwohl nicht anzuschließen.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang zunächst eine Vorbemerkung: Wegen der verfassungsrechtlich verankerten Trennung von Staat und Kirche stehen dem Land Mecklenburg-Vorpommern im Verhältnis zur Kirche keinerlei verwaltungsrechtliche Aufsichtsbefugnisse oder vergleichbare Möglichkeiten zu. Die Katholische Kirche, also der Heilige Stuhl, ist ein Träger eigener Hoheitsgewalt. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist mit dem Heiligen Stuhl durch einen Staatsvertrag verbunden. Das Justizministerium und damit auch ich sind für die Kirchenangelegenheiten des Landes zuständig. Das bedeutet, wir sind Kontaktstelle zu den Kirchen. Hoheitliche Eingriffsbefugnisse gegenüber der Katholischen Kirche sind damit selbstverständlich nicht verbunden, aber natürlich habe ich Gespräche mit der Katholischen Kirche geführt, sowohl mit dem Erzbistum Hamburg als auch mit dem Erzbistum Berlin.
Ich habe mich über den Umgang mit den Ergebnissen der Studie erkundigt. Eine unabhängige Juristin hat über 660 Personalakten gesichtet. Bei relevanten Hinweisen wurden diese an die Staatsanwaltschaft übergeben. Die Generalstaatsanwaltschaft prüft gerade, auf welchem Wege die notwendigen Informationen erlangt werden sollen, um verfolgbare Taten zu konkretisieren.
Das noch junge Erzbistum Hamburg erklärte mir gegenüber sehr schnell, dass man an einer Aufklärung interessiert sei. Am 11. Oktober 2018 wurde daher ein wissenschaftlicher Beirat zur Aufarbeitung schwerwiegender Vorwürfe im Bereich Neubrandenburg eingerichtet. Eine der Beiratsbeteiligten ist unsere Landesbeauftragte Frau Drescher. Für den Bereich Mecklenburg wurde ein eigener Fonds eingerichtet. Daraus wird Opfern juristischer Beistand bezahlt. Es werden aber auch psychologische Begleitung, erforderlichenfalls Therapien und außerdem eine Entschädigung angeboten. Weitere Stichworte in den Gesprächen, die ich führte, waren die systematische Präventionsleitlinie, die Einrichtung einer Fachstelle für Kinder- und Jugendschutz und umfassende Mitarbeiterfortbildung.
Die Aufklärung muss mit Nachdruck weiter vorangetrieben werden. Sie wird es auch, versicherte mir zum Beispiel der Erzbischof von Hamburg. Das ist das Mindeste, meine sehr geehrten Damen und Herren, was wir den Missbrauchsopfern schuldig sind. Die bereits begonnene Arbeit zur Prävention ist konsequent fortzusetzen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu Ziffer II.1 des Antrages. Das deutsche Strafrecht gewährleistet bereits, dass alle Missbrauchsfälle in Deutschland rückhaltlos aufgeklärt und die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Das Legalitätsprinzip zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, jeden Verdächtigen zu verfolgen und bei Verdichtung des Verdachts anzuklagen. Staatsanwaltschaft und Gerichte sind zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet. Es gibt die erforderlichen Vorschriften, es gibt die Strafverfolgungsbehörden. Ich kann nicht erkennen, welcher Bundesratsinitiative es insoweit bedürfen sollte. Gegen eine Prüfung seitens der Katholischen Kirche, ob ein Entschädigungsfonds eingerichtet werden soll, ist grundsätzlich nichts einzuwenden.
Aus der MHG-Studie ergibt sich, dass die Katholische Kirche zwischen 1946 und 2014 in 869 Fällen durchschnittlich jeweils rund 6.000 Euro Entschädigung an Opfer sexuellen Missbrauchs geleistet hat. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, kein Geld der Welt macht erlittenen Missbrauch ungeschehen. Und ich gebe zu, ich habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn man meint, die sogenannten Leistungen, die zur Anerkennung des Leids der Opfer sexuellen Missbrauchs zugeführt wurden, sollten nicht das letzte Wort sein.
Hinzu kommt, dass die Bewilligungspraxis der einzelnen Diözesen aufgrund uneinheitlicher Regeln sowohl bezüglich ob der Zahlung als auch der Höhe des Betrages anscheinend zum Teil höchst unterschiedlich ausfiel. Dass dies auf Unverständnis der Opfer stößt und Kränkungspotenzial birgt, erscheint verständlich. Es gibt gleichwohl Opfer, die berichten, dass es ihnen oft nicht auf das Geld ankommt. Sie wollen Aufklärung. Sie wollen das Eingeständnis des Sachverhalts. Angesichts der von mir bereits erwähnten verfassungsrechtlich verankerten Trennung von Staat und Kirche vermag ich allerdings
Zu Ziffer II.2: Zu der Forderung nach Initiativen zur Anhebung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch ist zunächst anzumerken, dass bereits verjährte Taten nicht mehr von einer etwaigen Gesetzesänderung betroffen wären. Wenn also eine Verjährung bereits eingetreten ist, kann eine nachträgliche Verlängerung der Verjährungsvorschriften für diesen Fall nicht mehr greifen. Das nennt man strafrechtliches Rückwirkungsverbot.
Aber auch soweit solche Taten noch nicht verjährt sind, erscheint mir eine Anhebung der einschlägigen Verjährungsfristen nicht offensichtlich sinnvoll. Die Verjährungsfristen für einschlägige Taten, wie Paragraf 176 Strafgesetzbuch, „Sexueller Mißbrauch von Kindern“, Paragraf 176a, „Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern“, und Paragraf 182, „Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen“, liegen bei 10, 20 beziehungsweise 5 Jahren. Das erscheint mir weiterhin angemessen.
Hinzu kommt, dass die Verjährung unter anderem dieser Straftaten gemäß Paragraf 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB ruht, bis das Opfer das 30. Lebensjahr vollendet hat. Das bedeutet, dass die Verjährung so lange nicht zu laufen beginnt. Damit hat man dem bereits erwähnten Umstand Rechnung getragen, dass Opfer den Entschluss, die Straftaten zur Anzeige zu bringen, häufig erst mit einigem zeitlichen Abstand fassen. Diese Altersgrenze wurde schrittweise von 18 auf 21 und zuletzt mit Wirkung vom Januar 2015 auf 30 Jahre angehoben. Damit ergeben sich ausreichend lange Zeiträume, in denen die Ahndung der Taten erfolgen kann.
Meine Damen und Herren, ich widme mich Ziffer II.3, der Einrichtung eines sogenannten runden Tisches gegen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen unter Federführung des Justizministeriums mit dem Ziel, Erfahrungen von Gewalt und Missbrauch aufzuarbeiten und Betroffenen Hilfe zur individuellen Bewältigung anzubieten. Das wäre mit dem Aufgabenbereich meines Hauses nicht in Einklang zu bringen. Das Justizministerium übt die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften aus. In der Zuständigkeit des Justizministeriums werden die Erfahrungen von Gewalt und Missbrauch strafrechtlich aufgearbeitet. Diese Aufarbeitung kann jedoch nicht Gegenstand von Diskussionen und Verhandlungen an einem runden Tisch sein, sondern sie unterliegt dem Legalitätsprinzip und wird letztendlich durch Entscheidungen der Staatsanwaltschaften und der unabhängigen Strafgerichte verwirklicht.
Eine unabhängige Anlaufstelle für Opfer gibt es bereits. Seit September 2018 ist der Beauftragte der Justiz für Opfer für das Land Mecklenburg-Vorpommern im Amt. Der Opferhilfebeauftragte ist der zentrale Ansprechpartner für Opfer von Straf- und Gewalttaten und ihm nahestehende Personen. Er berät Opfer über ihre Rechte, und vor allem vermittelt der Opferhilfebeauftragte die Hilfesuchenden an geeignete Institutionen und Opferhilfeeinrichtungen im Land. Für Vorschläge zur Änderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, wie im Antrag gefordert, scheint mir der runde Tisch in der vorgeschlagenen Zusammensetzung auch nicht das richtige Gremium zu sein. In diesem Bereich sollten eher Organisationen der Zivilgesellschaft ihre Expertise einbringen.
Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Wertes Präsidium! Werte Kollegen! Liebe Gäste! Zunächst einmal möchte ich der Fraktion DIE LINKE dafür Dank sagen,
dass sie dieses schwierige, oft vernachlässigte und verheimlichte Thema auch mal hier in den Landtag gebracht hat, wenngleich wir nur über eine Bundesratsinitiative da einwirken können. Aber ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass der Landtag dieser Praxis von Vertuschen, Verschweigen, aus welchen Gründen auch immer, entgegenwirkt, und deswegen erst mal danke schön dafür.