Protocol of the Session on September 14, 2018

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Extremismus sind mit den Grundlagen unserer Gesellschaft nicht vereinbar.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BMV)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, politischer Streit ist selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Ich habe es schon bei der Einbringung der Verfassungsänderung zur Bürgerbefragung angesprochen: Es gibt viele Meinungen und Interessen, jede Bürgerin und jeder Bürger ist ein Individuum mit seinem Blick auf Themen, die diskutiert werden, mit seinen Erwartungen. Es gehört in einer friedlichen Grundordnung dazu, dass

es diese verschiedenen Meinungen und Interessen gibt, dass sie auch artikuliert werden dürfen. Es ist falsch, wenn immer wieder behauptet wird, das darf man nicht sagen. Man darf alles sagen, es gibt Meinungsfreiheit, aber die Grenze ist da, wo die Meinung zu Hass und Hetze gegenüber anderen führt.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und BMV – Nikolaus Kramer, AfD: Sehr richtig, sehr richtig!)

Natürlich sind die Menschen in einem Gemeinwesen nicht immer einer Meinung. Ganz ehrlich, das fängt doch schon in der eigenen Familie und im Freundkreis an. Das ist in vielen Punkten so und das ist gerade in wichtigen emotionalen und grundlegenden Punkten so. Unsere parlamentarische Demokratie ist zur friedlichen Lösung dieser Konflikte bestens geeignet und dazu gibt es die parlamentarische Demokratie, gerade die unterschiedlichen Meinungen auszutarieren mit dem Ziel, trotz aller Differenzen zu guten Ergebnissen für unser Land zu kommen.

Deshalb sind die gewählten Abgeordneten und auch die Regierung aufgefordert, diese verschiedenen Interessen der Menschen zusammenzuführen, für gute Lösungen zu sorgen, im Streit um das beste Ergebnis, aber auch in der Gemeinsamkeit Ergebnisse zu akzeptieren, und vor allem nach Regeln, die für alle gelten, nach Regeln, die das Recht aller achten, denn neben der Mehrheitsentscheidung, die transparent und nachvollziehbar in unseren Parlamenten getroffen wird, gibt es auch den Schutz der Minderheit. Nie darf eine Mehrheit die Minderheit marginalisieren oder diskriminieren. Auseinandersetzungen um politische Ziele werden also in rechtsstaatlichen Verfahren geklärt. Für mich ist deshalb ganz wichtig: Das Recht des Stärkeren darf niemals in unserer Demokratie gelten, nicht auf der Straße, nicht im Netz, nirgendwo.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, AfD, DIE LINKE und BMV – Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Auch nicht im Parlament.)

Über allem steht die Forderung, Auseinandersetzung und das Ringen um gute Entscheidungen müssen gewaltfrei ablaufen. Das heißt auch, das Gewaltmonopol des Staates und die Durchsetzung des Rechts können niemals infrage stehen, genauso wenig wie diejenigen, die diese Ziele für uns durchsetzen für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich weiß, es ist nicht genug, die Grundlagen unserer Gesellschaft zu beschwören und dann darauf zu vertrauen, das wird schon laufen. Ich frage mich: Ist uns schon allen wirklich klar, wie groß die gefühlte Entfremdung mancher Bürgerinnen und Bürger ist, wie groß auch die Entfernung? Und wenn wir ehrlich sind, kann jede und jeder von uns selbst noch mehr tun. Wir alle gemeinsam müssen uns als Politikerinnen und Politiker in Regierungen und Parlamenten den Problemen stellen, die es ganz offenkundig gibt, Problemen bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit, Problemen bei der Migration und mit Blick auf Ostdeutschland auch bei der Frage der Anerkennung von Lebensleistungen. Niemand von uns hat das Recht darauf gepachtet, dass er oder sie immer recht hat. Es gehört auch dazu, dass wir den anderen mit seiner Meinung akzeptieren und gemeinsam gute Lösungen su

chen. Deshalb spricht auch niemand von uns ausschließlich im Namen des Volkes. Wir sind alle dazu aufgerufen, die verschiedenen Meinungen der Bürgerinnen und Bürger zu akzeptieren, zu diskutieren und auszutarieren.

Ich weiß aus vielen Gesprächen, da hat sich eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgestaut. Viele finden sich nicht in dem wieder, was in der Politik oder auch in den Medien gesagt und geschrieben wird. Es ist auch nicht zu verschweigen und man muss selbstkritisch sein, jede und jeder von uns, dass die eine oder andere Entscheidung über die Köpfe der Bevölkerung hinweggeht, und das zu ändern, mehr Bürgernähe, mehr Transparenz und Entscheidungen mit den Bürgern gemeinsam, das ist mir ein wirklich wichtiges Anliegen.

Es ist uns wichtig als Landesregierung, mit Bürgerinnen und Bürgern ständig im Gespräch zu sein. Das tun wir in ganz verschiedenen Formaten, wie „Landesregierung vor Ort“. Ich will aber ausdrücklich sagen, weil es oft so dargestellt wird, die Politiker wüssten nicht mehr, was vor Ort los ist, wenn ich unterwegs bin im Land und es sind eine Vielzahl von Terminen, von den Kleingartenvereinen bis zu den großen Unternehmen, dann erlebe ich auch dort viele Abgeordnete, die dabei sind, die engagiert sind, aus allen demokratischen Fraktionen, und das ist gut. Wir sollten mehr vor Ort sein, den Bürgern zuhören und daraus unsere politischen Debatten führen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Ich persönlich finde die Formate der Bürgerforen, die ich selbst durchführe, auch der Livechats, wichtig. Es ist wichtig, dass wir die Chance haben, Politik und unsere Beweggründe zu erklären, und das geht eben oft nicht in einem kleinen O-Ton im „Nordmagazin“ oder der „Tagesschau“ von einer Minute oder halben Minute, sondern dafür müssen wir uns Zeit nehmen. Das ist wichtig, um Politik zu erklären, aber es ist auch wichtig, um ein Feedback zu bekommen.

Ich will ausdrücklich sagen, bei allen Foren, die ich bisher durchgeführt habe, bei allen Begegnungen, Veranstaltungen vor Ort habe ich erlebt, trotz unterschiedlicher Meinungen, trotz Kritik und trotz Positionen, die ich nicht teile, dass die Bürgerinnen und Bürger interessiert sind, dass sie eigentlich gar nicht politikverdrossen sind und dass es auch möglich ist, Meinungen und Positionen auszuhalten und die Diskussion darüber zu führen. An der Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die kommen, die im Gespräch sind, die bereit sind, als Bürgerinnen und Bürger zu diskutieren über unser Land und über das gemeinsame Zusammenleben. Herzlichen Dank für das Engagement!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BMV)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich meine, es ist eine Aufforderung an uns alle hier im Saal, auf alle zuzugehen, zuzuhören, das zusammenzuführen, was im Streit auseinandergeht, die Menschen zu beteiligen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Und es ist natürlich eine besondere Verantwortung, die wir hier im Parlament und in der Regierung tragen. Es gibt nicht das eine Rezept, das alle Konflikte löst. Es wird sicher so bleiben, dass die einen sagen, ich habe große Bedenken, dass die vielen Veränderungen, die zum Beispiel mit

der Zuwanderung in kurzer Zeit zu tun haben, meine Lebenswelt verändern, während andere erst recht für mehr Offenheit und globale Solidarität eintreten. Ich selbst habe diese unterschiedlichen Positionen jetzt mehrfach erlebt, als ich zum Beispiel mit dem Abgeordneten Thomas Schwarz unterwegs war bei einem Grillfest in einem ehrenamtlichen Bereich. Da saßen die einen, die permanent auf mich eingeredet und gesagt haben, „Bitte seien Sie noch offener! Tun Sie noch mehr!“, und die anderen, die total dagegen waren. Das sind die Positionen in unserer Gesellschaft. Diese Positionen sollten wir nicht anheizen, sondern wir müssen versuchen, diese zusammenzubekommen.

Was ich mir deshalb wünsche, ist, dass wir alle bereit sind, unseren Beitrag zu leisten. Die Vielfalt bildet sich in unserer Gesellschaft ab. Dafür brauchen wir einen guten Ausgleich, um Akzeptanz für den gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Wir müssen alle bereit sein, einen Beitrag dafür zu leisten, dass unsere Gesellschaft solidarisch bleibt, dass der Zusammenhalt, dass die Gemeinsamkeit, die Zuversicht oben bleiben und dass es für Gewalt keinen Raum gibt.

Wir dürfen uns nichts vormachen, nach meiner Einschätzung gibt es viel mehr zu tun als bisher. Wir dürfen in Zukunft an dieser Stelle nicht nachlassen. Wir müssen für Zusammenhalt sorgen und immer da gemeinsam entgegentreten, wo Hass, Hetze und Gewalt im Netz, in den Straßen die Oberhand bekommen sollen. Da müssen wir gegenhalten, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und BMV)

Zum Abschluss möchte ich sagen, dass ich glaube, dass diese Debatte nicht einfach eine Debatte ist, die aus aktuellem Anlass allein geführt wird, sondern wirklich eine Debatte, die wichtig ist, die wir nicht nur heute führen sollten, die wir ständig führen müssen, denn ich weiß, dass viele von uns in die Politik gegangen sind mit dem Idealismus, die Welt wirklich zu verbessern. Es hört sich immer sehr groß an, es ist aber nach meiner tiefen Überzeugung im ganz Kleinen möglich.

Ich lese gerade Zitate von Dietrich Bonhoeffer und der hat, finde ich, sehr zutreffend gesagt, dass erst das friedliche Zusammenleben von zwei, drei Menschen der Grundstein dafür ist, dass es Frieden in der ganzen Welt gibt. Deshalb will ich noch mal darauf aufmerksam machen: Wer Hass, Hetze und Gewalt schürt, der beteiligt sich am Zündeln in unserer Gesellschaft, am friedlichen Zusammenleben, und da ist absolut die Grenze, da müssen wir Demokraten dagegenhalten. – Herzlichen Dank für den Antrag.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und BMV)

Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der BMV der Abgeordnete Herr Dr. Manthei.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte muss zweigeteilt werden, erstens muss über die Folgen

des Tötungsdelikts von Chemnitz gesprochen werden und zweitens über die berechtigten Folgen in der Bevölkerung. In beiden Fällen geht es aber darum, dass der Rechtsstaat vor einer Bewährungsprobe steht.

Zunächst zu dem, was in der Folge des Tötungsdeliktes passiert ist. Hier hat sich gezeigt, dass es politische Kräfte in Deutschland gibt, die keinen Respekt mehr vor dem Rechtsstaat haben. Die Rechtsstaatlichkeit aber ist das wesentliche Element unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der Rechtsstaat ist nicht verhandelbar.

(Beifall Bernhard Wildt, BMV)

Ein Unrechtsstaat hat keine soziale Marktwirtschaft, keine Demokratie, keine Sicherheit, keine Ordnung.

Zur Rechtsstaatlichkeit zählt das staatliche Gewaltmonopol. Wird eine Straftat begangen, ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft. So ist es hier in Chemnitz geschehen, der Rechtsstaat hat funktioniert, schnell wurden zwei Tatverdächtige ermittelt.

Dennoch rief ein rechtsradikaler Bundestagsabgeordneter öffentlich zu Folgendem auf, Zitat: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst – ganz einfach. … Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen.“ Zitatende.

(Thomas Krüger, SPD: Selbstjustiz!)

In die gleiche Richtung geht ein weiterer rechtsradikaler Bundestagsabgeordneter in der Talkshow „Maischberger“ in der ARD, Zitat: „Der Rechtsstaat hat sich im Prinzip fast aufgegeben. Wir haben Chaos in Deutschland in diesen Bereichen.“ Zitatende.

Ein anderer rechtsradikaler Landtagsabgeordneter schrieb öffentlich, Zitat: „Ich biete Daniel Zabel aus Chemnitz eine Arbeitsstelle in meinem Team an. … Ich danke Herrn Zabel für seine wahrhaftige Zivilcourage … Es ist auch als Beamter … Ihre Pflicht, Widerstand und Ungehorsam zu leisten. … Sie sind ein Held“. Zitatende. Der Angesprochene ist aber kein Held, sondern ein Krimineller.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BMV)

Er hatte als Justizmitarbeiter den Haftbefehl eines der mutmaßlichen Täter fotografiert und veröffentlicht. Hier sieht man wieder einmal die Ähnlichkeit im radikalen Denken, egal ob links, rechts oder islamistisch, es werden Straftäter gefeiert.

Gerade zu diesem Fall muss ich ganz persönlich sagen, es ist ein unglaublicher Vorgang. Ich selbst war jahrelang Ermittlungsrichter und habe dort viele Jahre mit meinen Kollegen in der Justiz, im Gericht, mit Staatsanwaltschaft und Justizvollzugsbeamten zusammengearbeitet, doch was hier passiert ist, darüber haben wir nicht einmal nachgedacht. Das war außerhalb unserer Vorstellung. Dass ein Mitarbeiter geheime oder vertrauliche Unterlagen an die Öffentlichkeit gibt, das ist schon schlimm genug. Ich weiß gar nicht, ob es so etwas in der Bundesrepublik Deutschland schon mal gegeben hat. Mir ist kein Fall bekannt aus meiner 16-jährigen Praxis und ich habe auch noch nicht gehört, dass so etwas schon passiert ist.

Aber diesen Straftäter dann auch noch als Helden zu feiern, zeugt von einer tiefen Verachtung des Rechtsstaates. Es wird also versucht, ein totales Versagen des Rechtsstaates herbeizureden.

Meine Damen und Herren, das ist eine vollkommene Abkoppelung von der Realität.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BMV)

Diese Leute leben nur noch in der Welt des Hasses und der Hetze von Facebook. In der Realität gehen Zehntausende Polizeibeamte und Mitarbeiter der Justiz tagtäglich mit großem Fleiß und Engagement ihrer Arbeit nach. Der Rechtsstaat in Deutschland funktioniert. Ihnen hier völliges Versagen vorzuwerfen, beleidigt alle Mitarbeiter im rechtsstaatlichen Bereich. Was aber noch viel schlimmer ist, man will eine aggressive Stimmung in Deutschland erzeugen, um unser Land zu destabilisieren.

Es wird auch gesagt, dass in Chemnitz ganz normale Bürger demonstriert haben und keine Extremisten. Doch wer sich nicht entfernt, wenn beispielsweise Hitler-Grüße gezeigt werden, leistet diesen Rechtsextremisten auch noch psychische Beihilfe.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BMV)

Ergänzend muss man hier auch noch sagen, dass die verantwortlichen Versammlungsleiter natürlich hier hätten einschreiten müssen, was offenbar nicht geschehen ist. Weil immer diskutiert wird, die Polizei hätte einschreiten müssen: Das ist immer so ein bisschen schwierig zu beurteilen, weil die Polizei hier nach Lage handelt und es auch möglich ist, dass sie es dokumentiert und je nach Situation dann später einschreitet. Verantwortlich ist die Versammlungsleitung, die offenbar das hier hingenommen hat.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Bekannte Rechtsextremisten sind Versammlungsleiter.)

Ich habe auch überhaupt kein Verständnis dafür, wenn die in Chemnitz begangenen Straftaten bagatellisiert und verharmlost werden oder gar Verständnis dafür gezeigt wird. Das höhlt den Rechtsstaat aus.

Wir haben auch überhaupt kein Verständnis dafür, wenn die Straftat von Chemnitz politisch instrumentalisiert wird. Das hat mit Trauer und Betroffenheit nichts zu tun. Die Folgen sind nicht zu tolerieren, auch das höhlt den Rechtsstaat aus.

Zusammengefasst: Der Rechtsstaat muss gegen die Verächter des Rechtsstaates entschieden vorgehen. Unsere Demokratie muss wehrhaft sein.