Meine Damen und Herren, im Kern geht es um Folgendes: Das bayerische Polizeiaufgabengesetz senkte bereits 2017 die polizeiliche Eingriffsschwelle durch den Begriff der drohenden Gefahr erheblich ab. Die Polizei muss nicht mehr eine konkrete Gefahr begründen, bevor sie jemanden überwacht. Hintergrund ist das BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 2016, welches allerdings Auswirkungen auf unser Land hat und auf die präventive Terrorismusbekämpfung abzielt. Durch die jetzige bayerische Novelle wird mit dem Begriff der drohenden Gefahr die Eingriffsschwelle für 39 einzelne Polizeimaßnahmen abgesenkt. Dieses Änderungsgesetz wird beklagt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für dieses Gesetz brauche ich in Mecklenburg-Vorpommern kein Expertengespräch, wie es die AfD und BMV gewünscht haben. Ganz im Gegenteil, wir haben das auf der letzten Innenausschusssitzung diskutiert. Wir brauchen das deutliche Signal des Landtages gegenüber der Landesregierung, sich gegen die Einführung solcher polizeilichen Befugnisse in unserem Land auszusprechen, auch ohne konkreten Verdacht zu ermitteln und Personen zu durchsuchen, Telefone abzuhören, verdeckte Ermittler einzusetzen, Post zu beschlagnahmen, Daten auszulesen, zu speichern und zu verändern sowie Videoüberwachung massiv auszubauen. Bei der Videoüberwachung kann man ja vorsichtig sein. Das haben wir jetzt gelernt in Schwerin.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, geradezu bedrohlich auch für Mecklenburg-Vorpommern wird der Umstand, dass Bundesinnenminister Seehofer – das ist wieder der Bezug zu Mecklenburg-Vorpommern, lieber Kollege – die bayerischen Regelungen als Blaupause für ein neues Musterpolizeigesetz missbrauchen will und damit ganz konkrete Auswirkungen für unser Bundesland vorhanden wären. Genau aus diesem Grunde sind die politische Debatte und die politische Positionierung schon vor der Einzeldiskussion um die Umsetzung bundespolitischer Vorgaben richtig und notwendig. Und genau aus diesem Grunde waren die Aussagen des Innenministers in der letzten Innenausschusssitzung erste Schritte in die richtige Richtung. Der Begriff der drohenden Gefahr werde keinen Eingang finden in das SOG M-V. Also wir haben genau protokolliert. Und auch andere bayerische Verschärfungen, so unser Minister, werden nicht ins SOG kopiert, weil sie möglicherweise gar nicht verfassungskonform sind. Dafür, sehr geehrter Herr Innenminister, haben Sie die vollste Unterstützung meiner Fraktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Dachner hat im „Nordkurier“ die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, Gesetzesverschärfungen müssten ja nicht für alle Zeiten gelten, etwa, wenn sich die Terrorgefahr wieder verringere. Im Übrigen lese ich Ihre Artikel immer bis zum Ende, Kollege Dachner, ich lese sie immer bis zum Ende.
Nein, nein, und deswegen bleibe ich auch bei meinen Aussagen dieser Pressemitteilung, die Sie ja heftig kritisiert haben.
Also solche Regelungen müssen nicht für alle Zeit gelten, etwa, wenn sich die Terrorgefahr wieder verringere. So verständlich diese Hoffnung ist, praktisch erweist sie sich lückenlos als Irrglaube, denn was einmal eingeführt worden ist, wird in den seltensten Fällen wieder herausgenommen.
Das ist eine Lehre, die wir hier in unserer Mitarbeit im Landtag und auch in der Landesregierung in den acht Jahren leider erfahren mussten. Auch deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, der heutige Appell: Wehret den Anfängen, kein Überwachungswahn nach bayerischem Vorbild in Mecklenburg-Vorpommern! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Landesregierung hat ums Wort gebeten der Minister für Inneres und Europa. Herr Caffier, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass, wo die ganze Bundesrepublik gerade auf Bayern eindrischt,
wir uns hier im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit Einzelheiten des bayerischen Polizeigesetzes auseinandersetzen sollen, denn das muss man ja zwangsweise, wenn man versucht zu ergründen,
was die Fraktion der LINKEN hier möglicherweise unter Überwachungsstaat verstehen könnte. Aber bitte schön, wenn es in der Aussprache gefordert ist, Bayern ist das zweitschönste Bundesland Deutschlands. Ich bin sowieso ein Fan von Bayern. Warum also nicht?
Zunächst einmal, was Sie als Überwachungswahn bezeichnen, hat sich mir selbst nach den Ausführungen, lieber Kollege Ritter, nicht erschlossen. Fakt ist, Gefahren machen an Ländergrenzen nicht halt, Mobilität, gren
zenlose Kommunikation und Netzwerke sind immer mehr auf dem Vormarsch, terroristische Bedrohungen nehmen zu. Auch das ist eine traurige Realität.
Wie Sie im Angesicht dieser Realität am tradierten Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren festhalten wollen, erschließt sich mir derzeit nicht. Es geht hier eben nicht um Handtaschendiebe oder Wohnungseinbrüche, es geht hier um gefährliche Terroristen, wie den in Köln festgenommenen Tunesier, der konkrete Pläne für einen Terrorakt auf deutschem Boden hatte. Solch eine Gefahr sehen derzeit die Sicherheitsbehörden Deutschlands und Europas und wir alle sehen uns solchen möglichen Gefährdungen ausgesetzt. Und da kann es nicht ernsthaft unser Ansatz sein, an Rechtsansichten aus der Zeit der Telefonwählscheibe festzuhalten.
Wir müssen uns der Realität stellen. Sie wedeln immer mit allen möglichen Rechten, die auch Verbrecher und Terroristen haben, aber das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Recht, das jeder Bürger und jede Bürgerin in der Bundesrepublik Deutschland und damit in Mecklenburg-Vorpommern haben. Deshalb muss es unser gemeinsames Ziel aller Länder sein, mit harmonisierten, gefahrenabwehrrechtlichen Reglungen in allen Bundesländern in vergleichbarem und hohem Maße Sicherheit und Ordnung zu garantieren.
Genau solche gemeinsamen gesetzlichen Standards hat die Innenministerkonferenz im letzten Jahr beschlossen. Ein Musterpolizeigesetz wird derzeit durch den entsprechenden Arbeitskreis ausgearbeitet und nicht durch das Bundesland Bayern, wie immer suggeriert wird. Aber bis es so weit ist, müssen bereits jetzt mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage auch gesetzliche Befugnisse angepasst oder neu im Gefahrenabwehrrecht verankert werden. Bayern hat das mit seinem Polizeigesetz gemacht und auch für unser SOG ist der Bedarf noch bekannt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2016 wurde das zugrundeliegende Bundeskriminalamtsgesetz zum 25. Mai dieses Jahres angepasst und genau daran werden wir uns als Bundesland auch orientieren. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem damaligen Urteil gerade explizit darauf hingewiesen, dass der Handlungsspielraum des Gesetzgebers bisher überhaupt nicht umfassend wahrgenommen wird, denn auch die Verhütung von Straftaten ist natürlich ein wichtiges, rein legitimes Ziel. So können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt sein, wenn schon das Verhalten einer Person den Verdacht nahelegt, dass sie eine terroristische Absicht verfolgt. Das hat sich weder der Innenminister von MecklenburgVorpommern ausgedacht, noch mein Kollege Herr Herrmann aus Bayern und schon gar nicht Herr Seehofer, sondern das sind die Ausführungen des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes.
Wenn die Länder also Gefahrenabwehrgesetze anpassen, hat das nichts, aber auch gar nichts mit Überwachungswahn zu tun. Vielmehr reagieren wir als Gesetzgeber – und darauf hat der Bürger, denke ich, einen durchaus berechtigten Anspruch – auf rechtliche Mittel, die wir nutzen dürfen und die wir auch nutzen sollten. In der heutigen Zeit nur noch bei konkreten Gefahren aktiv
zu werden, öffnet Verbrechern und Terroristen Tür und Tor. So etwas kann kein Innenminister verantworten.
Auch wenn es mir fernliegt, andere Polizeigesetze zu kommentieren, so kann ich doch sachlich festhalten, dass Bayern sich hier entschieden hat, die „drohende Gefahr“ in sein Polizeigesetz aufzunehmen. Im SOG Mecklenburg-Vorpommern hingegen – das habe ich gesagt im Ausschuss – werden wir diesen Weg nicht gehen, weil ich davon ausgehe, dass diese Aufnahme, und auch das habe ich ausgeführt, ins bayerische Gesetz vor dem Verfassungsgericht landen wird. Zum Schluss muss man auch abwarten, welche Ergebnisse da herauskommen, und nicht die gesetzliche Forderung aufnehmen, die man dann gegebenenfalls gehen muss. Bayern geht also noch einen Schritt weiter. Das will ich gar nicht weiter bewerten, das steht mir auch nicht zu. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Aber das ist nun mal beim Thema Terrorismus so, das muss jedes Bundesland für sich selbst entscheiden.
Bei der Verabschiedung des angepassten SOG sind wir diesen Schritt nicht gegangen, sondern haben im Zusammenhang mit der elektronischen Fußfessel und der Aufenthaltsanordnung die Gefahr der Begehung oder Teilnahme an einer terroristischen Straftat zugrunde gelegt. Und wie jemand heute feststellen kann, dass das ein Flop ist, erstaunt mich auch. Wir haben erst mal die Befähigung dafür geschaffen, dass man dies tun kann, und man sollte doch dankbar sein, wenn wir es noch gar nicht unbedingt gebraucht haben. Aber wir haben überhaupt die Voraussetzung, dass man dieses einsetzen kann, und das war auch Sinn und Zweck.
Auch bei den anstehenden Anpassungen des SOG werden wir, wie schon ausgeführt, die „drohende Gefahr“ nicht aufnehmen.
Was ich dem Landtag aber ganz sicher vorschlagen werde, ist die SOG-Anpassung zur Telekommunikationsüberwachung und zur Onlinedurchsuchung. Hier besteht auch Einigkeit innerhalb der Koalition. Mittlerweile gibt es unzählige verschlüsselte Messangerdienste, in denen sich Terroristen ganz unbehelligt Anleitungen zum Bau von Biobomben und anderes hin- und herschicken können, so, wie das andere Leute mit Tiervideos über WhatsApp tun. Sollten wir da nicht endlich rankommen und reinkommen, können die Länderpolizeien ihren Laden dichtmachen. Das ist ohne Wenn und Aber. Natürlich wird das Ganze an hohe Voraussetzungen gebunden sein, in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen und selbstverständlich unter einen Richtervorbehalt gestellt.
Niemand kann mir erzählen, dass Länder wie Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Baden-Württemberg, Hamburg und so weiter aufgrund der dortigen Befugnisse zur Quellen-TKÜ als Überwachungsstaaten zu zählen sind. Ansonsten dürfte ich dabei ab heute ganz offiziell Ihren Parteigenossen Ramelow als totalitären Anführer bezeichnen.
An dieser Stelle kann ich die Gelegenheit ansonsten gleich dafür nutzen, einen kurzen Ausblick auf die anstehende SOG-Novellierung zu geben:
Der Referentenentwurf geht dieser Tage in die Hausanhörung und dann in die weiteren Anhörungsverfahren. Vor Jahresende rechne ich aber nicht mit einer Beschlussfassung beziehungsweise Beratung hier durch den Landtag. Enthalten sein werden natürlich datenschutzrechtliche Anpassungen und Änderungen aufgrund der schon erwähnten BKA-Urteile, aber auch Punkte wie die Eilkompetenz für Zollbedienstete – eine lange Forderung hier innerhalb des Landes –, der Einsatz von Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die schon genannte Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung oder auch der Einsatz von Drohnen. All das sind Themen, die in der heutigen Zeit auch in Polizeigesetzen geregelt werden müssen, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Befähigung und die rechtlichen Sicherheiten zu geben.
Ausdrücklich nicht geplant sind einige Befugnisse aus dem Bayerischen Polizeigesetz, die aktuell durch die Medien geistern. Das betrifft solche Themen wie DNAAnalysen, das Löschen von Cloud-Daten, die Gewahrsamnahme von bis zu drei Monaten und/oder die Postbeschlagnahme. Ich hoffe, damit nehme ich Ihnen die Angst, dass neben Thüringen nach Verabschiedung des angepassten SOG auch Mecklenburg-Vorpommern zum Überwachungsstaat wird.
Ich wünsche uns eine lebhafte Diskussion und möchte an der Stelle noch mal ganz deutlich sagen, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie sich darüber ein wenig lustig machen: Ja, ich habe gemeinsam mit dem Präsidium entschieden, dass die Vergabe rückgängig gemacht wird,