ausgeben. Ich wundere mich über diesen Standpunkt sehr. Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Debatte die Frage gestellt: Wie müsste aus meiner Sicht eigentlich weltanschaulich eine linke Partei diese Debatte führen? Dann habe ich mir Ihr Grundsatzprogramm noch mal angeguckt, da sind verschiedene Anknüpfungspunkte. Zwei Mal habe ich sogar den Namen Marx gelesen. Ich würde in der Tat gerne …
(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, na ja, wer solche Vorlagen liefert, der braucht sich doch nicht zu wundern, dass diese Reaktion kommt.)
Was mich überrascht, ist Folgendes: Es gab mal Zeiten, da war die linke Arbeiterbewegung stolz darauf, dass sie Karl Marx als Wissenschaftler hatte, und hat sich dies als Analyseinstrument des Kapitalismus erarbeitet. Das scheint bei Ihnen heute nicht mehr der Fall zu sein, deswegen versuche ich es.
Herr Ritter, die Geschichte des Jahresabschlusses 2017 beginnt eigentlich in der Tat am 5. Mai 1818 mit der Geburt von Karl Marx.
ich habe mich gefragt: Was kann man eigentlich von Marx, auch wenn man ihn nicht für richtig hält, heute noch gebrauchen?
Es gibt mindestens eine Erkenntnis von Marx, die uns heute, glaube ich, auch umtreiben sollte, nämlich, dass der Kapitalismus zwar ein hochinnovatives und dynamisches Wirtschaftssystem ist, aber genau dadurch hoch krisenanfällig. Es gibt permanent Konjunkturkrisen – ein Aufschwung und ein Abschwung.
Nun hat sich Marx leider nicht mit der Frage beschäftigt, was tun wir eigentlich dagegen, denn das hätte ja bedeutet, den Kapitalismus zu stabilisieren, und das war nicht in seinem Interesse. Insofern finden Sie auch als Linkspartei bei Marx leider nichts darüber, was Sie mit dieser Situation machen. Es gab aber im 20. Jahrhundert einen zweiten Ökonomen, der sich mit genau dieser Frage beschäftigt hat und nicht daran geglaubt hat, dass der Kapitalismus untergeht, aber festgestellt hat, dass die krisenhaften Entwicklungen des Kapitalismus auf ihrem Höhepunkt massive Konsequenzen für die Menschen haben, nämlich Arbeitslosigkeit. Dieser Ökonom war Sir John Maynard Keynes – im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges der großen Wirtschaftskrisen.
Was hat Sir John Maynard Keynes in der „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ geschrieben?
Er hat gesagt, wir werden, wenn wir etwas gegen diese konjunkturellen Auswüchse tun wollen, eines tun müs
sen, nämlich den Staat in die Lage versetzen, dass er eine Investitionslokomotive ist und in Zeiten, in denen wir eine Hochjunktur haben, seine Ausgaben etwas bremst, weil die private Konjunktur das Ganze trägt, um dann in dem Moment, wo die Konjunktur nach unten geht, in der Lage zu sein, Investitionen zu tätigen und die Wirtschaft zu stützen mit dem Ergebnis, dass die Arbeitslosigkeit nicht so groß wird, wie sie sonst werden würde. Das heißt, eine aus meiner Sicht linke Haushaltspolitik trifft Vorsorge, um die krisenhaften Auswirkungen des Kapitalismus abzufedern. Die gibt es.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, es war die rot-rote Regierung in diesem Land, die damit begonnen hat, aufsetzend auf diese Analyse, eine Finanzpolitik einzuführen, die zu dem heutigen Ergebnis geführt hat.
(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Egbert Liskow, CDU: Ein ganz zartes Pflänzchen war das damals.)
Jetzt kommt nämlich die entscheidende Frage. Herr Koplin, da Sie ja besonders interessiert sind an dieser Sache, kommt jetzt die entscheidende Frage: Was machen wir als Staat, wenn wir die Konjunkturkrise, aber kein Geld haben? Was wird denn dann? Da gab es in den 60er-/70er-Jahren die Antwort, ja, dann reiten wir den Staat richtig in die Verschuldung. Wer das propagiert, kann sich auf eine linke volkswirtschaftliche Theorie nicht berufen.
Wenn Sie das 24. Kapitel der „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ aufschlagen, dann werden Sie sehen, dass Keynes dort zwar sagt, der Staat soll viel investieren, aber wissen Sie, warum? Weil er, Zitat, „den sanften Tod des Rentiers“, Zitatende, anstrebt. Er möchte durch eine stärkere staatliche Regulation der Investitionen den Finanzkapitalismus eindämmen. Wer ernsthaft die Stabilisierung der Konjunktur vor allem über Verschuldung organisieren will, der verteilt am Ende Steuermittel ans Finanzkapital und züchtet den Finanzkapitalismus hoch. Das hat mit linker Politik nichts zu tun.
Abgesehen davon, selbst wenn man das anders sieht, wissen Sie, dass ab dem Jahr 2020 die Schuldenbremse gilt.
Wir werden ab dem Jahr 2020 gar nicht mehr die Möglichkeit haben, beliebig in die Verschuldung zu gehen, um die Konjunktur zu stützen. Wenn das aber so ist, dann gibt es nur eine Möglichkeit, um antizyklische Fiskalpolitik zu betreiben, und zwar, um die Arbeitslosigkeit zu minimieren und zu verhindern. Das heißt, ich muss Rücklagen haben.
Frau Rösler, „angemessene Rücklagen“ ist mein Stichwort, das ist unbedingt mein Stichwort. Sie kennen doch die Mittelfristige Finanzplanung des Landes und Sie wissen, wie teuer uns die Konjunkturkrise 2002/2003 bei den Einnahmen zu stehen gekommen ist. Wissen Sie noch, wie viel Einkommensverluste wir hatten? 4 Milliarden Euro. Dann hatten wir die Konjunkturkrise 2008/09. Wie viel waren es da? 2 Milliarden Euro. Wir brauchen, um eine normale Konjunkturkrise ohne massive Kürzungen in Schulen, in der Kultur, in der Wirtschaftsförderung überstehen zu können, ungefähr 2 Milliarden Euro. Das ist die Orientierungsgröße. Das können Sie sich empirisch angucken, das ist die Realität in diesem Land.
Jetzt haben wir mit unseren 2 Milliarden Rücklagen ein Problem. Vieles von diesem Geld gehört uns gar nicht. Da sind zum Beispiel über 100 Millionen drin für die Kommunen. Wollen wir denn ernsthaft, Frau Rösler, in der Konjunkturkrise quasi die Kommunen enteignen und dieses Geld einfach auf unser Konto schieben? Darin sind 100 Millionen Euro Rücklage der Hochschulen. Wollen wir in der Konjunkturkrise auch den Hochschulen diese 100 Millionen, die sie sich erspart haben, wegnehmen? Darin enthalten sind 415 Millionen Euro für den Breitbandausbau, 415 Millionen Euro für den Breitbandausbau!
Das Geld geben wir den Kommunen. Wollen wir in der Konjunkturkrise den Kommunen sagen, wir blasen den Breitbandausbau ab, denn wir brauchen das Geld jetzt für die Stabilisierung, für die Konjunktur? Wollen wir das wirklich machen?
Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es eine Rücklage von 2 Milliarden Euro, aber das heißt nicht, dass diese 2 Milliarden keine Zweckbindung hätten, sondern es gibt klare Zwecke. Zum Teil gehören uns diese Mittel eigentlich nicht, jedenfalls würde ich das so interpretieren.
Sehr geehrte Frau Rösler, deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir, wenn wir uns auf eine Konjunkturkrise gut vorbereiten wollen, sogar noch ein paar mehr Rücklagen brauchen werden. Ich weiß auch gar nicht, was dagegensprechen soll, denn ich halte es für den richtigen Kurs in diesem Land, dass wir die guten Zeiten nutzen – die haben wir jetzt –, um Vorsorge für die schlechten Zeiten zu treffen.
Das ist keine Kleinigkeit, allein deshalb, weil es eine hohe staatliche und moralische Verantwortung ist, so zu handeln. Wir haben mit diesem Instrument die Möglichkeit zu verhindern, dass in einer Konjunkturkrise mehr Menschen