Ich will noch mal auf 1996, als ich aus der Schule gekommen bin, hinweisen. Wir waren 30.000 Schulabgänger und hatten auch nur 12.000 Ausbildungsplätze. Da war das...
Ja, man darf aber immer noch mal darauf verweisen. Ihr macht das ja auch so gerne, Frau Simone Oldenburg. Insofern kann ich auch darauf verweisen.
Ich will nur damit sagen, die Demografie hat hier einen ganz kleinen positiven Effekt, nämlich, dass es heute möglich ist, dass keiner der Schulabsolventen Mecklenburg-Vorpommern verlassen muss, so, wie das früher war. Wir haben heute genug Ausbildungsmöglichkeiten, wir haben genug Studiermöglichkeiten. Wir haben auch im Landesdienst, bei der Polizei genug Ausbildungskapazitäten, die zur Verfügung stehen, und können den jungen Leuten sagen, ja, es ist möglich, ihr könnt euch eine Zukunft von Anfang an in Mecklenburg-Vorpommern aufbauen.
Daran werden wir mit unserem Koalitionspartner gemeinsam weiterarbeiten und ich lade Sie alle recht herzlich dazu ein. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Wildt, zunächst mal: Die Intention des Antrags der Fraktion BMV wird von uns uneingeschränkt geteilt. Die Probleme, die Sie beschrieben haben, sind schon sehr häufig Thema im Hohen Haus gewesen, auch namentlich hier eingebracht durch meine Fraktion. Dennoch muss ich Ihnen sagen, auch wir glauben, dass man das Problem grundsätzlicher angehen muss als mit einem Sonderförderprogramm, das sich an die Konditionen von MobiPro-EU anlehnt und das dann bestenfalls wieder nur für einen befristeten Zeitraum wirken kann.
Den Erfolg dieses Sonderprogramms, das Sie quasi als Blaupause genommen haben für Ihren Antrag, muss man schon sehr differenziert betrachten. Denn bevor Sie das hernehmen und sagen, auf der Basis dieser Dinge möchten Sie hier Ähnliches für deutsche Auszubildende auf den Weg bringen, sollten Sie sich mal mit Trägern, die sich mit der Umsetzung dieses Themas beschäftigt haben, oder mit den Betrieben unterhalten.
Ich will einige Dinge nennen, die dazu auch an mich im Rahmen von Vor-Ort-Besuchen herangetragen worden sind.
Die Träger würden Ihnen das Problem des 10-ProzentEigenanteils nennen, für den keine Sachkosten geltend gemacht werden konnten, für den man auch nicht über Drittmittel oder Einnahmen im Projekt eine Finanzierung herbeiführen konnte. Die würden Ihnen was erzählen zu dem bürokratischen Aufwand, der in diesem Fall mit der Dokumentation für den Fördermittelgeber einhergegangen ist. Und wenn Sie in die Unternehmen gehen, dann werden Sie dort merken, dass es einerseits viel Lob für die Motivation der jungen Leute geben wird, andererseits werden Ihnen die Unternehmer aber auch vom extremen Heimweh, von mangelnden Deutschkenntnissen und von der Notwendigkeit, nicht nur Ausbildungsbetrieb, sondern ein Stück weit auch Mutter- und Vaterersatz zu sein, berichten.
Diese gesamte Gemengelage hat dazu geführt, dass es eben nicht gelungen ist, etliche Jugendliche langfristig an den Betrieb zu binden.
Dass sich die Unternehmen insbesondere im Handwerksbereich und auch im Gastrobereich trotzdem gern weiter engagieren möchten, kann man nachvollziehen mit Blick auf die angerissene Fachkräfteproblematik. Allerdings sahen sie das Aus für dieses Sonderprogramm kritisch, das ist doch sehr enttäuschend für sie gewesen. Sie haben sehr deutlich gesagt, dass Maßnahmen ohne dauerhafte finanzielle Förderung, zum Beispiel für Sprachkurse, Reisekosten, Unterbringung oder sozialpädagogische Unterstützung, so nicht auf den Weg gebracht werden können, und sie haben kritisiert, dass dieses Aus vollkommen intransparent war. Da spielt natürlich das Bundesarbeitsministerium auch eine entscheidende Rolle. Das will ich nur sagen zum Dilemma „zeitlich befristete Förderprogramme“ im Allgemeinen und zu dem von Ihnen hier vergleichsweise Herangeführten im Speziellen.
Jetzt allerdings noch einige Anmerkungen grundsätzlicher Art: Ich denke, wir stimmen darin überein, dass sich die Lebenssituation von Auszubildenden in den letzten Jahren stark verändert hat. Die jungen Leute beginnen immer später mit der Ausbildung als noch zu Zeiten der Einführung des Berufsbildungsgesetzes. Wenn man das mal nachschaut, dann sieht man, dass in den letzten Jahren weniger als die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber aus dem aktuellen Schulabgangsjahr kam. Bei nahezu jedem fünften Bewerber lag der Schulabgang sogar ein Jahr und bei fast jedem dritten sogar schon zwei Jahre und länger zurück.
Woran liegt das? Zum einen probieren sich junge Leute natürlich heutzutage gerne aus. Sie nutzen dabei die Formate wie das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst.
Andererseits ist es so, dass, wenn sie dann durch sind und sich entschieden haben, völlig neue Herausforderungen auf sie zukommen als noch vor 20, 30 oder 40 Jahren. Denn fast immer und überall wird ja nach wie vor ein Höchstmaß an Flexibilität und auch Mobilität von ihnen verlangt. Wer dann zumindest in seinem Wunschberuf hofft, im Bewerbungsverfahren den Zuschlag zu bekommen, der muss im Zweifel bereit sein, weitere Entfernungen zu überwinden, zu pendeln oder den Wohnort zu wechseln.
Dann treten genau die Herausforderungen ein, die Sie mit Ihrem Antrag aufgegriffen haben, das heißt, ich muss ein Internatzimmer finanzieren oder ich muss im Zweifel auch eine Wohnung am Ausbildungsort beziehungsweise am Ort der Berufsschule finanzieren. Dafür ist es natürlich essenziell, was ich für eine Ausbildungsvergütung bekomme. Wenn ich mir das anschaue – das ist geregelt im Berufsbildungsgesetz –, dann steht da unter Paragraf 17, dass eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen ist. Ich finde dort aber keinerlei Wert. Für die Auszubildenden ist die Zahlung einer angemessenen Vergütung aus unterschiedlichsten Gründen sehr wichtig. Zum einen ist sie pünktlich und zuverlässig gezahlt natürlich ein Ausdruck der Anerkennung ihrer schon geleisteten Arbeit und zum anderen ist sie auch notwendig, um ein vom Elternhaus weitgehend unabhängiges Leben führen zu können.
Jetzt haben Sie etwas zu tariflichen Vergütungen gesagt. Ich finde es gut, dass Sie in Ihrem Antrag ausdrücklich geschrieben haben, Sie wollen, ich sage mal, keine Möglichkeit schaffen, dort irgendetwas quer zu subventionieren, so will ich es mal ausdrücken. Für tarifgebundene Ausbildungsbetriebe sind die Vergütungen verbindliche Mindestbeträge, das heißt, ich darf nicht runtergehen. Aber wenn die Ausbildungsbetriebe nicht tarifgebunden sind, dürfen die Ausbildungsvergütungen nach Branche und Region von den ortsüblichen Ausbildungsvergütungen um bis zu 20 Prozent unterschritten werden. Da kommen wir dann natürlich zu einem großen Problem.
Ich hatte jüngst angefragt, wie sich die Zahl der tarifgebundenen Ausbildungsbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt hat. Das waren 2011 3.500 und heute sind es 4.000. Wenn man sich das absolut anschaut, was das für die Zahl der Auszubildenden bedeutet, dann haben wir heute rund 15.000, die eine tarifliche Ausbildungsvergütung bekommen. Das sind etwa 1.000 mehr als vor fünf Jahren. Allerdings will ich anmerken, für Entwarnung ist es viel zu früh, weil nach wie vor lediglich 43 Prozent der Ausbildungsbetriebe überhaupt tarifgebunden sind. Selbst da, wo es tarifliche Ausbildungsvergütungen gibt, ist nicht alles Gold, was glänzt, denn was am Ende tatsächlich gezahlt wird, hängt natürlich von der Organisationsmacht der Gewerkschaften in der jeweiligen Branche ab. Da wissen wir, dass ein Gleisbauer am Ende natürlich was anderes verdient – schon in der Ausbildung – als ein Bäcker oder ein Friseur.
Das wäre nicht das ganz große Problem, wenn es für Auszubildende ähnlich wie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine branchenübergreifende gesetzliche Untergrenze geben würde, also konkret eine Mindestausbildungsvergütung. Da will ich jetzt gar nicht über die Höhe streiten, damit könnte man sich auseinandersetzen, aber ich finde es schon ein Stück weit paradox, dass wir auf der einen Seite für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Mindestlohn haben, aber für die jungen Leute, die sich in der Ausbildung befinden, keine Mindestausbildungsvergütung.
Ich will noch mal zwei, drei Zahlen nennen, damit nachvollziehbar wird, warum wir die eigentlich auch in Mecklenburg-Vorpommern gut gebrauchen könnten. Im letzten Ausbildungsreport des DGB – der ist zugegebenermaßen schon drei Jahre alt, da wird es auch eine Entwicklung gegeben haben, aber nichtsdestotrotz noch mal die Zahlen, um das zu versinnbildlichen – wurde festgestellt, dass 37,6 Prozent der Azubis zwischen 250 und 500 Euro im Monat verdienen, 44,1 Prozent zwischen 500 und 750 Euro monatlich und nur 14,7 Prozent mehr als 750 Euro.
Die negativste Zahl waren die 3,6 Prozent der Azubis, die für ihre Arbeit sogar weniger als 250 Euro bekommen haben, was auch damals schon deutlich unter dem Hartz-IV-Satz für Jugendliche ab 14 und insbesondere natürlich ab 18 Jahren lag.
Noch mal: Ich will gern zugestehen, die heutigen Zahlen werden schon wieder etwas anders, will heißen, sicherlich auch etwas besser aussehen. Aber völlig klar muss uns doch sein, dass Ausbildungsvergütungen zum einen
die Leistung der Auszubildenden würdigen müssen und zum anderen deutlich über dem Existenzminimum liegen sollen. Ansonsten brauchen wir uns über die Herausforderungen, die Sie zu Recht beschrieben haben, gar nicht mehr zu unterhalten.
Es ist angeklungen, bei den Steigerungen der letzten Jahre haben die Lehrlinge in Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt der tariflichen Ausbildungsvergütung der Bundesrepublik Deutschland gelegen. Aber wenn wir von Durchschnitt reden, dann müssen wir auch dazusagen, dass wir niedrige Ausgangswerte haben. Insofern hier davon zu sprechen, dass die Kuh schon vom Eis ist, wäre sicherlich eine gewagte Behauptung. Deswegen muss sich auch an der Stelle was tun, ansonsten werden sich Jugendliche weiterhin in der heutigen Zeit den Ort und den Ausbildungsbetrieb gegebenenfalls außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern suchen, den sie für den besten halten. Ich glaube, auch vor dem Hintergrund müssen wir tatsächlich noch mal über die Unterstützungsmöglichkeiten reden – über das Wie insbesondere.
Was sind noch die Herausforderungen für junge Leute gerade in dem Bereich, den Sie mit dem Antrag angerissen haben? Das klang ja vorhin in der Aussprache schon an. Ich habe es anklingen lassen, es geht natürlich um eine vernünftige, will heißen, bezahlbare Unterbringung am Ausbildungs- und Berufsschulstandort. Und wenn wir über die Hotel- und Gastronomiebranche reden, dann ist ja völlig klar, dass gerade an der Ostseeküste ein Azubi mit seinen finanziellen Möglichkeiten Probleme bekommen wird, eine Wohnung an seinem Ausbildungsort beziehungsweise auch am Standort der Berufsschule zu finden. Wenn er solche Möglichkeiten nicht findet und aus diesem Grund pendeln muss, stellt sich natürlich auch die Frage der Fahrtkosten. Das ist ja genau das Thema, über das wir hier reden.
Worin ich nicht mit Ihnen übereinstimme, ist Ihre Analyse mit Blick auf die Unternehmen. Natürlich sind die erst mal gefragt. Die könnten ja beispielsweise auch Geld in die Hand nehmen und sagen, ich finanziere dir ein Ausbildungsticket oder gebe dir zumindest einen Fahrtkostenzuschuss. Da passiert nach meiner Einschätzung noch zu wenig.
Die Landespolitik, das ist vom Kollegen Reinhardt angerissen worden, hat zwar das Problem erkannt, aber wenn ich mir die Förderrichtlinie anschaue, die er hier zitiert hat, dann gilt wohl wieder mal der alte Spruch: „Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.“
Ja, seit 2015 gibt es diese Richtlinie, über die man zumindest theoretisch Unterstützung erhalten kann. Wenn wir uns das aber mal praktisch angucken, dann kommt die Förderung bei relativ wenig Auszubildenden an.
Ich habe mir die Zahlen noch mal geben lassen. Im Schuljahr 2016/2017 wurden immerhin noch 535 von 739 Anträgen bewilligt. Bis zum 4. Oktober des aktuellen Schuljahres waren es 84 von 132. Woran das liegt, klang bei Ihnen an, ohne dass Sie es dezidiert ausgeführt haben, Herr Reinhardt. Das hat etwas damit zu tun, dass sie
nur in den Genuss dieser Förderung kommen können, wenn sie als Auszubildende brutto weniger als 500 Euro Ausbildungsvergütung bekommen. Nur dann können sie 175 Euro Unterkunftszuschuss pro Halbjahr bekommen beziehungsweise, wenn sie eine Fahrstrecke von bis zu 300 Kilometer zwischen Ausbildungs- oder Wohnort und Unterrichtsort haben, können sie nochmals 140 Euro je Halbjahr bekommen. Allerdings dürfen sie dann nicht sozial benachteiligt sein, also sie dürfen nicht mit ihren Eltern oder ihrem Partner in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft leben oder selbst Hartz IV beziehen, denn dann wird diese Leistung angerechnet und verschwindet sofort im Hartz-IV-Topf.
Das ist auch wieder so ein Beispiel für diese unselige Hartz-Gesetzgebung, die Entwicklung eben nicht befördert, sondern oftmals hemmt. Da muss man schon fragen, wer sich so was ausdenkt. Ich glaube, wenn Sie den Azubis in unserem Land helfen wollen, meine Damen und Herren von SPD und CDU, dann müssen Sie sich dringend dafür einsetzen, dass diese unsägliche Anrechnung aufgehoben wird. Denn wegen der niedrigen Einkommen und der Ausbildungsvergütung wären viele Jugendliche in unserem Land auf diese Hilfen angewiesen, aber so, wie es jetzt konzipiert ist, macht es gar keinen Sinn, weil das Geld eigentlich gar nicht bei denen ankommt, die es am meisten benötigen würden.
Was ist denn – und das ist vielleicht schon ein bisschen Ursachenforschung –, was ist denn ursächlich dafür, dass ich so lange Wege zur Ausbildung habe? Die Landesregierung hat ja die Berufsschulen und damit auch die Auszubildenden im Land seit Jahren nicht nur personell vernachlässigt, was zu vielen Stundenausfällen geführt hat und auch weiterhin führt, sondern auch die Zusammenlegung zu sogenannten Landesfachklassen, die Zusammenlegung von Berufsschulen und die Ausdünnung der Ausbildungsberufe waren die Ursachen für weite Wege und die Notwendigkeit auswärtiger Unterbringung.
(Torsten Renz, CDU: Möglicherweise auch die Geburtenraten?! – Zurufe von Andreas Butzki, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE)
Herr Renz, Sie sind nun nicht Mitglied des Wirtschaftsausschusses. Wir hatten als Wirtschaftsausschuss in der vergangenen Woche die Möglichkeit, mit der IHK Neubrandenburg, die ja für das östliche Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist, über genau diese Problematik zu reden. Und was hat man uns an der Stelle ins Stammbuch geschrieben? Da wurde gesagt, 71 Berufe oder 50 Prozent der Berufe in Mecklenburg-Vorpommern werden nur noch in Landesfachklassen ausgebildet.
(Torsten Renz, CDU: Ja, aber was ist denn nun mit der Geburtenrate und der demografischen Entwicklung?)
Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt beklagen in Mecklenburg-Vorpommern mehr als doppelt so viele Unternehmen zu weite Wege zur Berufsschule. Nur noch vier Ausbildungsberufe werden durch alle acht Schulträger vorgehalten und für 189 Berufe sind andere Bundesländer als Einzugsbereich aufgenommen worden.