Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 22. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“, Drucksache 7/1130.
Antrag der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ – Drucksache 7/1130 –
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 165 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ wurde im Jahre 2006 zum Leben erweckt, einstimmig – und das möchte ich hier in diesem Raum noch einmal betonen –, einstimmig durch die damals im Landtag vertretenen Fraktionen.
Nun mag man sich fragen, warum für so etwas Selbstverständliches wie den in unserem Grundgesetz, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, fest verankerten Grundsatz der Demokratie ein Programm entworfen werden muss. Warum soll etwas scheinbar so Normales wie Toleranz durch institutionelles Handeln ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden? Selbstverständlichkeiten und Normales, das wurde den beteiligten Fraktionen im Landtag in der 4. Legislaturperiode klar, unterliegen einem Naturgesetz. Selbstverständliches und Normales wird im Laufe der Zeit als natürlich gegeben hingenommen und verliert somit an Wertschätzung.
Wer möchte oder kann sich in diesem Saal noch an das sogenannte „Zettelfalten“ erinnern? Das war vor circa 30 Jahren in der DDR.
Und das nannte sich Wahl. Ich kann mich noch gut daran erinnern und auch daran, wie die Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR auf die Straßen gegangen sind und demokratische Wahlen forderten. Es ist noch gar nicht so lange her, aber scheinbar ist es schon wieder in Vergessenheit geraten. Trotzdem scheinen solche Kuriositäten der Geschichte nicht nur vergessen zu werden, sondern auch hin und wieder als normal, als Selbstverständliches, wie auch immer, abgetan zu werden. Wie sonst erklären sich sonst geringe Wahlbeteiligungen? Warum ist demokratische Mitbestimmung,
Wenn also schon vielen Erwachsenen die Bedeutung des Demokratieprinzips verloren gegangen ist, von wem sollen es denn die Kinder und Enkel lernen? Um diese offensichtlichen Wahrnehmungs- und Erinnerungsdefizite zu füllen, hat sich der Landtag damals zusammen mit der Regierung von Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2006 die Aufgabe gestellt, durch ein entsprechendes Landesprogramm den Gedanken der Demokratie wieder stärker in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Herausgekommen ist ein echtes Mitmachprogramm, das durch eine Vielzahl von Akteuren in allen Winkeln des Landes umgesetzt wurde. So unterschiedlich die Lebenswelten der Menschen, ob Jung oder Alt, ob Stadt oder Land, ob Ost oder West, so verschieden sind die Ansätze des Programms in der Umsetzung.
Institutionelle Unterstützung erfahren die Projektverantwortlichen durch die fünf Regionalzentren für demokratische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern – in Anklam, Stralsund, Rostock-Roggentin, Ludwigslust und Neubrandenburg. Sie organisieren, moderieren und dokumentieren die regionalen Beratungsnetzwerke und sind für die Gestaltung der fallbezogenen Angebote verantwortlich. Weitere Ansprechpartner sind die Landesweite Opferberatung, das Betriebliche BeratungsTeam und das Netzwerk für Demokratie und Courage. Der Landeszentrale für politische Bildung obliegt die Funktion als Landeskoordinierungsstelle für Demokratie und Toleranz. Auf der Grundlage des Landesprogramms „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ und dessen Umsetzungsstrategie koordiniert sie die Prozesse im Land zur Stärkung von Demokratie, Toleranz und der Zivilgesellschaft sowie die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Eine interministerielle Arbeitsgruppe, die aus Vertretern der Staatskanzlei, des Bildungs-, Innen-, Wirtschafts-, Justiz-, Finanz- und Sozialministeriums, der Landeszentrale für politische Bildung sowie der Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen besteht, begleitet alle grundlegenden Entscheidungen zur Umsetzung des Landesprogrammes auf Regierungsebene. Einmal im Jahr erstellt sie einen Bericht zur Umsetzung des Landesprogrammes für den Landtag. Aufgrund der Ergebnisse dieser Berichte erfolgten im Laufe der Jahre kleinere Anpassungen. Dies betraf vor allem die Organisationsstruktur der Regionalzentren.
Sehr geehrte Damen und Herren, in der Landtagsbefassung zum Bericht der Landesregierung für das Berichtsjahr 2015 am 26.01.2017 wurde der Anstoß für eine Fortschreibung des Landesprogrammes gegeben, denn die gesellschaftlichen Herausforderungen haben sich gewandelt. Die gestiegene Zahl von Geflüchteten führte 2015 zu einer starken gesellschaftlichen Polarisierung – auf der einen Seite ein großes zivilgesellschaftliches Engagement, auf der anderen Seite gab es aber auch zunehmende Abwehrhaltungen bis hin zu Übergriffen auf Geflüchtete, auf deren Unterkünfte und auf Unterstützer.
Daher war die Arbeit im Bereich Demokratie und Toleranz in allen Bereichen weitestgehend durch die Herausforderungen im Themenfeld Flucht und Asyl geprägt. So definierte die Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz als besondere Arbeitsschwerpunkte im Jahr 2015 einerseits die Unterstützung von ehrenamtli
chen Initiativen, Kommunen und Institutionen im Zusammenhang mit der Unterbringung von Geflüchteten und zweitens die Unterstützung der Beratungsprojekte insbesondere bei der Arbeit im Themenfeld „Flucht und Asyl“.
Zum Glück hatten wir durch die Regionalstellen eine flächendeckende und schnell aktivierbare Beratungsstruktur im Land. Dadurch konnte kurzfristig bei der Bewältigung der besonderen Herausforderungen des Jahres 2015 auf die Vernetzung der zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteure auf Landesebene und in den Regionen zurückgegriffen werden. Mit der Erweiterung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ um das Themenfeld „Islamismus und antimuslimischer Rassismus“ hat auch die Landeskoordinierungsstelle 2015 begonnen, sich dieses Feld neu zu erschließen und erste Grundlagen für die Entwicklung ab 2016 zu legen.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Aufgabenspektrum des Landesprogramms hat sich erweitert, es besteht somit dringender Anpassungsbedarf. Das soll aber nicht heißen, dass die ursprünglichen Aufgaben des Programms sich damit erübrigt haben: Stärkung von Demokratie, Toleranz und der Zivilgesellschaft sowie die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, dem Kampf gegen Antisemitismus, gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit. Das Gedankengut ist weiterhin vorhanden, das Gewaltpotenzial ist weiterhin da. Nur hat sich der eine oder andere Akteur von damals mittlerweile ein blaues Mäntelchen umgehängt und verstreut seine Hetze nicht nur übers Mikrofon auf großen Plätzen, sondern nutzt heute geschickt verschiedene Kanäle von Social Media zur Verbreitung populistischer Phrasen und menschenverachtender Ansichten.
Die Methoden der Einpeitscher sind dieselben geblieben, um in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Um die Zusammengehörigkeit in der eigenen Gruppe aufzubauen und zu stärken, muss man was tun? Und damit gucke ich jetzt mal ganz scharf nach rechts, liebe Kollegen der AfD. Man hetzt gegen eine Fremdgruppe. Man verbreitet Hass,
Man schürt Ängste und Unmut gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden. Kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor? Vielleicht sogar aus der Geschichte?
Sie wissen genau, wovon ich spreche. Hass und Hetze soll heißen, wir gegen die anderen. Das ist das Gegenteil von Toleranz. Sie gehen mit populistischen Parolen auf Menschenfang, und da, muss ich sagen, da hört meine, da hört unsere Toleranz auf.
Wie sagte schon Wilhelm Busch? Wie sagte schon Wilhelm Busch? „Toleranz ist gut, aber nicht gegenüber den Intoleranten.“
Liebe Fraktionskollegen der CDU, der LINKEN und der BMV, im Namen meiner Fraktion bitte ich um Zustimmung für unseren interfraktionellen Antrag. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dieser Antrag ist schon allein deshalb ein gutes Zeichen, weil man ja nur das fortführen will, was sich auch bewährt hat. Ich sehe diese Forderung also als eine Bestätigung – das haben wir eben von meiner Kollegin Susann Wippermann gehört – des Landesprogramms „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“. Es freut mich außerordentlich, dass es ein interfraktioneller Antrag geworden ist, dass also auch die Fraktion DIE LINKE dabei ist, war es doch maßgeblich Peter Ritter, der an dem ersten Programm gearbeitet hat. Das Anliegen ist heute aktueller denn je, und ich finde es richtig und gut, dass wir uns hier und heute mit der Frage auseinandersetzen, wieso wir fortschreiben wollen und was insbesondere auch die Gründe dafür sind.
Ich möchte aber gern noch mal zurückgehen auf das Jahr 2006 und mit der Erlaubnis der Präsidentin Armin Jäger zitieren, der, wie ich finde, sehr treffend skizziert hat, warum dieses Landesprogramm so wichtig und notwendig ist. Er hat gesagt, ich zitiere: „Es geht … um die Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaates, um die Verdeutlichung, dass die Menschenwürde eines jeden Menschen unantastbar ist, egal welcher Herkunft, Rasse und Hautfarbe er ist. Es geht darum, dass jeder ein Recht auf freie Meinungsäußerung hat, solange damit diese Rechte, die ich genannt habe, nicht verletzt werden. Wir wollen … mit“ diesem „Antrag erreichen, dass alle Menschen in“ diesem „Land diese Werte verinnerlichen und gegenüber populistisch-antidemokratischen Parolen verteidigen …“ Zitatende.
Damit ist aus meiner Sicht der Kern dieses Landesprogrammes sehr treffend beschrieben worden und Sie sehen, dass dieses Zitat an Aktualität nicht verloren hat. Aber – und das möchte ich an dieser Stelle betonen – in den letzten zehn Jahren ist auch viel passiert. Ich möchte vor allem ganz herzlich den Akteuren danken, die dieses Landesprogramm mit Leben erfüllt haben. Lieber Herr Schmidt, vielen Dank für Ihre Arbeit, vor allen Dingen auch die der Mitarbeiter und der vielen Akteure, die beteiligt waren. Vielen herzlichen Dank dafür!
Denn, und das muss man ganz deutlich sagen, ein Programm zu schreiben, ist das eine, aber ein Programm zu leben, ist das andere. Das hat Susann Wippermann schon skizziert. Es gibt viele Beratungsnetzwerke, es gibt die Regionalzentren, es gibt Landkreise, die sich positio
niert haben, Kommunen, die sich positioniert haben, die für dieses Landesprogramm und für den Geist in diesem Landesprogramm stehen. Und das ist gut so. Es gibt Sportvereine, es gibt Unternehmen, Feuerwehren, Verwaltungen und Ausbildungseinrichtungen, die sich ebenfalls unter das Dach dieses Landesprogramms gestellt haben. Genau das ist doch das, was wir wollen: Wir wollen eine breite Akzeptanz dieses Landesprogramms.
Und, das möchte ich auch noch mal ganz deutlich betonen, das Landesprogramm trägt einen konstruktiven Geist. Auf der Grundlage von Prävention, Integration und Repression geht es also nicht in erster Linie darum, etwas zu bekämpfen, sondern es geht darum, etwas zu stärken. Das ist mir an dieser Stelle noch mal ganz wichtig zu sagen: Es geht darum, Demokratie und Toleranz zu stärken.
Meine Damen und Herren, ein Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse, auf ausufernde Hetze im Netz, auf die Angst vor islamistischem Terror und umgekehrt die Reaktionen auf Schutzsuchende, auf die Krawalle beim G20Gipfel, auf Hass in Fußballstadien und auf Parallelgesellschaften à la Reichsbürger zeigt uns doch zwei Dinge ganz deutlich: Erstens, ein Landesprogramm wird es alleine nicht richten, aber das Thema dieses Landesprogrammes ist aktueller denn je und wir müssen etwas dafür tun, um Demokratie und Toleranz gemeinsam zu stärken. Wir sollten also im positiven Sinne ganz gezielte Nadelstiche setzen, die dann aber auch sitzen müssen.
Wir wollen und brauchen ein treffsicheres Landesprogramm und dafür ist eben seine Fortschreibung eine sinnvolle Gelegenheit. Wollen wir diese Gelegenheit nutzen, gilt es, möglichst viele Menschen, möglichst viele Akteure einzubinden. Auf der anderen Seite muss das Programm aber auch mehr Menschen erreichen, auch solche, die wir bisher nicht erreicht haben. Ein Programm, das wirken will, braucht Instrumente und Formate, die ankommen, die aufklären, die wahrhaftig sind, auch im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung.
Wir haben es gehört, der Ton in der Auseinandersetzung ist gerade im Netz rauer geworden. Die Anonymität dort lädt viele dazu ein, alle Regeln des kommunikativen Anstands zu vergessen und statt zu diskutieren zu diffamieren. Kommentare auf Facebook-Seiten und unter Online-Artikeln sprechen da Bände. Ein erneutes Landesprogramm muss aus meiner Sicht auch die Frage aufgreifen, wie wir gerade mit diesem Heer von Unzufriedenen, die sich da Luft verschaffen, umgehen und wie wir aus Wut Lust zum Diskutieren machen, Lust auf Beteiligung, Lust auf Austausch, Lust auf Gestaltung. Dafür müssen wir Wissen über demokratische Strukturen und Handlungsweisen an den Mann, an die Frau bringen und das Vertrauen in die demokratischen Grundwerte stärken. Es geht aus meiner Sicht darum, viele mit ins Boot zu holen.
Daneben sollten wir ein modernisiertes Landesprogramm breiter aufstellen. Der Fokus des Landesprogramms war in der Vergangenheit nach rechts gerichtet. In der Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut nicht lockerzulassen, darf den Blick auf andere demokratiefeindliche Phänomene nicht versperren. Auch von linksextremen
Der Schwarze Block ist auch schon durch Wismar gezogen. Ich selbst war damals Ordnungsbehörde als Landrätin und war fassungslos, wie in so einer Stadt wie Wismar auf einmal schwarze Vermummte durch die Straßen ziehen, Polizei bepöbeln, mit Steinen schmeißen. Das ist etwas, was wir kategorisch ablehnen sollten, und auch dafür ist so ein Landesprogramm richtig.
Aber – ich möchte es noch einmal betonen und das ist mir auch wichtig – dieses Landesprogramm ist konstruktiv, das heißt, wir wollen stärken, wir wollen nicht verurteilen und nicht bekämpfen. Aus meiner Sicht ist es insofern ganz wichtig, dass wir hier und heute ein breites Votum für diesen Antrag finden. Wir möchten Toleranz und Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern weiter stärken, denn Mecklenburg-Vorpommern ist ein schönes, ist das schönste Bundesland, lieber Till Backhaus, insofern haben hier Demokratie und Toleranz ihren Platz und nicht Extremismus, in welcher Form auch immer. – Vielen herzlichen Dank.