Protocol of the Session on July 13, 2017

(Manfred Dachner, SPD: Ja, war das schlecht?)

Ich bin gespannt, ob das alles nur Parteitagsgetöse war oder Ihre tatsächliche politische Haltung. Wenn Letzteres der Fall ist, dann stimmen Sie unserem Antrag zu, Abschiebungen nach Afghanistan bis auf Weiteres aus humanitären Gründen auszusetzen! Und das Gleiche gilt natürlich auch für alle Abgeordneten, die ein „C“ für „christlich“ in ihrem Parteikürzel haben.

Ich beantrage im Namen meiner Fraktion die namentliche Abstimmung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so und ich eröffne die Aussprache.

Zunächst hat das Wort der Innenminister. Herr Caffier, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Frau Larisch, Sie machen mir keine Angst wegen der namentlichen Abstimmung, und was das „C“ bedeutet, müssen Sie jemandem, der als Pastorensohn groß geworden ist und viele Erlebnisse mit der SED hatte, nicht unbedingt noch ins Stammbuch schreiben.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das „C“ hieß vor ein paar Jahren mal „Zukunft“.)

Da müssen Sie mal über den Umgang nachdenken in der Vergangenheit, aber das sei Nebensache.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Trotzdem LPG-Vorsitzender geworden, trotz der negativen Erfahrungen.)

Und um es vorwegzusagen: Ihr Antrag wird natürlich abgelehnt.

Ich muss auch darauf verweisen, dass ich mir verbitte, dass Sie hier über „Abschiebung über die Hintertür“ reden. Wir führen Flüchtlinge unabhängig von ihrer Nationalität, wenn es denn möglich ist, in die zuständigen Dublin-Länder zurück. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, solange das Dublin-System so ist, wie es besteht.

Die Situation in der Asylpolitik ist von Land zu Land in Europa unterschiedlich. Auf der einen Seite haben Länder wie Italien größere Probleme und fühlen sich ein Stück weit im Stich gelassen. Auf der anderen Seite stehen Länder wie Deutschland, die nun schon seit geraumer Zeit einen relativ geringen Zugang haben, und beobachten natürlich die weiteren Entwicklungen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat endlich ihre Hausaufgaben gemacht. Sie hat ein modernes Asylgesetz, mehr Personal und sie hat verbesserte Abläufe. Ohne Zweifel gibt es noch genug zu tun, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Umso wichtiger ist es, dass wir im Ablauf und in der Asylpolitik konsequent die Forderungen umsetzen und vor allen Dingen, dass wir glaubwürdig bleiben. Dazu gehört eben auch der Umgang mit Afghanistan.

Zu den Zahlen: In Mecklenburg-Vorpommern hielten sich Ende Mai 210 ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige auf. Davon waren 146 Personen im Besitz einer Duldung. Das Land am Hindukusch – und da sind wir uns einig –

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ist sicher?)

ist gewiss keines, in dem wir gerne leben würden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ach so?)

Es gibt dort viele Ecken, in die man lieber keinen Fuß setzen sollte, wenn einem das eigene Leben lieb ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da willst du mich hinschleppen?!)

Aber Afghanistan ist fast doppelt so groß wie Deutschland. Natürlich gibt es dort auch Regionen, in denen man vor den Taliban weitgehend sicher ist. Deswegen waren nach den Bewertungen der Bundesregierung Rückführungen nach Afghanistan unter bestimmten Bedingungen möglich. Und wer heute Nachrichten gelesen hat oder so,

hat gesehen, dass Herr Steinmeier vor Ort von dem derzeitig zuständigen Brigadegeneral informiert worden ist, dass es Regionen gibt, die

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Todsicher sind.)

von der Armee als sichere Gebiete eingeschätzt werden. Wir werden warten, wie die Einschätzung der Bundesrepublik zu der Thematik ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist wie mit den Reservaten früher bei den Indianern.)

Klar ist, die Lage vor Ort kann sich schnell ändern. Deshalb wird die Bewertung ja fortwährend aktualisiert. Genau das passiert im Moment, übrigens eben auch infolge eines fürchterlichen Terroranschlages in unmittelbarer Nähe zur Deutschen Botschaft.

(Die Abgeordnete Karen Larisch bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Das Ergebnis der Neubewertung erwarten wir in den nächsten Wochen.

Frau Larisch, Sie haben nachher noch genügend Redezeit. Ich beantworte Ihnen keine Fragen, leider.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der redet nicht mit jedem.)

Sie können sie schriftlich einreichen.

(allgemeine Heiterkeit)

Die Bundesregierung geht da gewissenhaft vor. Bis dahin gelten für uns die aktuellen Lagebewertungen und der dazugehörige Beschluss des Innenministers und der Innenministerkonferenz von Mitte Juni. Das bedeutet, nein, es werden keine Kinder nach Afghanistan abgeschoben, auch keine schwangeren Frauen und auch keine Christen. Aber wir schieben sehr wohl Straftäter, Gefährder und Ausreisepflichtige, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern, nach sorgfältiger Einzelprüfung ab.

Das können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, unmenschlich finden, aber nun erklären Sie bitte den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, warum Sie Straftäter und Gefährder lieber hierbehalten wollen! Ich empfehle Ihnen, verabschieden Sie sich in dieser Frage von Ihren theoretischen Träumereien und reden Sie mit den Menschen auf der Straße!

(Karen Larisch, DIE LINKE: Das tue ich jeden Tag.)

Tun Sie sich den kleinen Realitätscheck an! Das würde Ihrem Meinungsbildungsprozess zumindest in der Frage der bestimmten Personengruppen sehr gut tun.

Die Landesregierung wird sich jedenfalls weiterhin sehr eng mit der Bundesregierung abstimmen und sich an den Vorgaben aus Berlin orientieren. Wir brauchen in Deutschland eine bundesweite, eine einheitliche Vorgehensweise. Das ist auch Konsens in der Landesregierung. Wir haben jedenfalls nicht vor, aus der Reihe zu tanzen.

Vielleicht helfen Ihnen ja zwei Zahlen zur Einordnung der gesamten Problematik, zumindest was das Land Mecklenburg-Vorpommern betrifft. Seit der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Afghanistan zur Rückführung afghanischer Staatsbürger im Oktober letzten Jahres wurde bisher eine einzige Person aus Mecklenburg-Vorpommern nach Afghanistan abgeschoben, eine einzige! Und noch interessanter ist eine andere Zahl, die Sie möglicherweise auch kennen werden und vorhin nicht genannt haben, wenn Sie sie kennen wollen: Im Jahr 2016 sind insgesamt 3.300 Afghanen freiwillig in ihr Heimatland zurückgereist. Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass diese Menschen mit ihrer Rückreise Selbstmord begangen haben. Nein, die Afghanen können die Lage vor Ort schon recht gut einschätzen, auf jeden Fall besser, als wir und als Sie das hier vor Ort tun können von der Fraktion DIE LINKE.

Im Übrigen will ich noch mal mit einer Legende aufräumen. Richtig ist, dass wir Afghanen als Dublin-Fälle an die zuständigen Länder überstellen, und das wird auch in Zukunft so bleiben, weil es geltendes Recht ist. Zuletzt – das haben Sie schon ausgeführt – ging ein Flug nach Norwegen. Und dass die Kolleginnen und Kollegen der Bundespolizei von einem sehr renitenten Verhalten in den Protokollen einen Vermerk gemacht haben, das ist auch das gute Recht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei, denn schließlich müssen sie entscheiden, ob sie mitgenommen werden kann oder nicht. Da muss man sich auch fragen, welche Gründe es gab. Also insofern sollte man vorsichtig sein, wenn man solche Behauptungen in den Raum stellt. Schließlich ist auch sie ein Einzelfall gewesen, der sehr intensiv geprüft worden ist, und sie hat nach geltendem Recht gegen Dublin verstoßen und dürfte nicht in MecklenburgVorpommern oder in Deutschland sein. Auch das gehört dazu.

Falsch ist, dass wir das machen – und das ist infam –, um Afghanen schneller abzuschieben. Das ist einfach Unsinn! Wenn Sie das behaupten, dann haben Sie das gesamte System nicht verstanden oder wollen es nicht verstehen, obwohl Sie ja vorhin eine Lehrstunde über Flüchtlinge, Asylsuchende, Asylzuständigkeiten gehalten haben.

(Karen Larisch, DIE LINKE: Das Recht verstehe ich schon, nur den Sinn nicht.)

Die EU-Staaten haben sich bisher eindeutig zum DublinSystem bekannt. In diesem System werden Afghanen eben nicht anders behandelt als Tunesier oder Iraker. Das ist derzeit geltende Rechtslage. Irgendwann sollte auch mal Schluss sein mit dieser kruden Verschwörungstheorie. Wir handeln in unseren Ländern nach Recht und Gesetz. Ich bitte, dass auch Sie, die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, das mal zur Kenntnis nehmen. Sie werden in diesem Haus niemanden finden, der Afghanistan als das Paradies auf Erden preist. Genauso sollten wir aber auch darauf verzichten, Aussagen zu treffen, die wir nur vom Hörensagen kennen. Mit welchem Recht würden wir nach Ihren Aussagen dann Bundeswehrsoldaten zum Einsatz nach Afghanistan schicken können – als Bundeswehrarmee, die eine Parlamentsarmee ist?

Die Bundesregierung und die Länder gehen sehr verantwortungsvoll mit den Rückführungen nach Afghanistan um. Wenn es die Lage ermöglicht, werden wir im Einzel

fall weiterhin rückführen. Wenn es die Lage nicht erlaubt, werden die Rückführungen gestoppt. Warten wir also erst einmal die neueste Einschätzung der Bundesregierung ab, und dann werden wir einen gemeinsamen Beschluss mit den Länderkollegen zur Frage der Rückführungen machen. Weil Schleswig-Holstein da in Zukunft auch nicht mehr ausscheren wird, werden wir sehen, wie die Beschlusslage am Ende aussieht, wenn wir die Empfehlung der Bundesregierung zur Frage der Rückführungssicherheit in Afghanistan kennen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Für die Fraktion der AfD hat das Wort Dr. Manthei.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion lehnt den Antrag ab. Derzeit werden in der Regel keine Abschiebungen nach Afghanistan vollzogen. Damit wurde auf den letzten großen Anschlag in Kabul reagiert. Die Bundesregierung prüft derzeit die Sicherheitslage in Afghanistan. Bis Ende Juli soll die Neubewertung der Sicherheitslage vorliegen. Der erste Teil des Antrages der LINKEN ist also überflüssig und ich gehe auch davon aus, wie der Herr Innenminister sagte, dass die Fraktion DIE LINKE nicht unbedingt großen Wert darauf legt, dass auch Straftäter hierbleiben sollen.

Es ist auch richtig, was der Innenminister gesagt hat, dass diese Bewertung abgewartet werden soll und bundesweit einheitlich vorgegangen werden soll. Ich hatte es schon in der letzten Rede zu dem ähnlichen Thema – „Abschiebungen nach Afghanistan“ – gesagt, dass wir, bisher jedenfalls, vor diesem Stopp seitens des Bundes, einen Flickenteppich hatten. Einige Länder haben abgeschoben, einige nicht. Das kann ja irgendwie nicht richtig sein. Dass die Bundesregierung die Sicherheitslage in Afghanistan auch selbst prüft, ist zu begrüßen, das nicht nur von Berlin aus, sondern sie verfügt auch vor Ort über die nötige Kompetenz dafür.

Es gibt seit Oktober 2016 ein Abkommen zwischen Europa und Afghanistan. Demnach fließen in diesem Jahr etwa 400 Millionen Euro Finanzhilfen von Deutschland nach Afghanistan. Unter anderem soll dadurch erreicht werden, dass Afghanistan seine Landsleute zurücknimmt.

Man darf auch nicht denken, dass bei einer Abschiebung die Personen, die in einen Flieger gesetzt werden, in Kabul quasi ausgesetzt würden. Afghanische Behörden, Nichtregierungsorganisationen und die Deutsche Botschaft in Kabul unterstützen die rückgeführten Afghanen, sie helfen ihnen beim Neustart in ihrer Heimat. Das läuft unter der Bezeichnung „Reintegrationsmaßnahmen“. Diese Institutionen vor Ort waren bislang offenbar in der Lage, die abgeschobenen Personen in sichere Gebiete Afghanistans zu lenken. Aber wie gesagt, das geschieht derzeit nicht, und dies auch deshalb nicht, weil die deutsche Auslandsvertretung in Kabul beim Anschlag am 31. Mai dieses Jahres beschädigt wurde.