Außerdem ist es trotz etlicher Bemühungen nicht an allen Schulen möglich, den Schwimmunterricht anzubieten. Dafür können auch Eltern nichts und da haben wir politische Verantwortung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 12.55 Uhr fortgesetzt. Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung und würde Sie auch bitten, wieder Platz zu nehmen. Wir sind ohnehin im Zeitverzug.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Aktionsplan gegen Kinderarmut umgehend auflegen, Drucksache 7/786.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete – wobei ja nicht so wahnsinnig viele hier drin sind, woran man sieht, welchen Stellenwert eigentlich Kinder- und Jugendarmut bei den Fraktionen hier im Landtag hat, insbesondere bei SPD und CDU. Deshalb: einfach nur traurig, dass so wenige da sind.
Lassen Sie uns reden über Kinder! Lassen Sie uns reden über Kinder, die sich nicht freuen können beim ersten Taschengeld im Leben, sondern im Gegenteil sogar Angst bekommen, dass die Eltern den Kühlschrank dann nicht mehr ausreichend füllen können! Lassen Sie uns reden über Kinder, die sich nicht freuen, wenn der Lehrer die erste Klassenfahrt ankündigt, weil sie sich schämen, nach finanzieller Unterstützung fragen zu müssen! Lassen Sie uns über die 29.000 wohnungslosen Kinder und Jugendlichen in Deutschland reden, die auch heute Morgen aufgewacht sind, ohne zu wissen, wo sie und ihre Familien heute Abend schlafen sollen, die sich fragen, ob und wann überhaupt sie wieder eine Wohnung ihr Zuhause nennen können! Lassen Sie uns über Kinder reden, die ihren 18. Geburtstag erleben, ohne je eine Urlaubsreise mit den Eltern gemacht zu haben, die auch keine Geburtstagsparty mit ihren Freunden feiern können, über Kinder, die noch nie oder nur unregelmäßig morgens mit einem Frühstück aus dem Haus gehen, über die Kinder, die sich fürchten vor dem Weihnachtsfest, weil sie ganz genau wissen, dass die Eltern nicht das Geld zur Erfüllung ihrer Wünsche bereit haben! Und lassen Sie uns über die Eltern dieser Kinder reden, über die Eltern, die sich schämen, ihren Kindern nicht die neuesten Klamotten bieten zu können, über die Eltern, die ihren Kindern erklären müssen, dass der ausgewaschene Pullover mit den abgenutzten Stellen doch noch ganz gut aussieht!
Jetzt könnten Sie sagen, das ist lächerlich, an den Haaren herbeigezogen, das sind Fake News, wir machen doch schon so viel, oder gar, die Eltern seien selbst schuld. Sagen Sie, was Sie wollen, es ändert nichts an der Situation und daran, dass es diese Menschen in unserem Land, in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Eltern und Kinder, die in solche schlimmen Situationen geraten und darin verharren, weil sie keinen Ausweg finden – das sind die Situationen, für die Sie, werte Regierungskoalitionäre, mitverantwortlich sind.
Aber lassen Sie uns nicht nur über ihre Situation reden, sondern Maßnahmen dagegen gemeinsam beraten, wie wir ansetzen und Kinder- und Jugendarmut in Mecklenburg-Vorpommern bekämpfen können. Denn wie sieht es in Mecklenburg-Vorpommern aus? Es leben hier nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung 29 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in einem Haushalt mit einem Nettoäquivalenzeinkommen von unter 60 Prozent, also unterhalb der Armutsschwelle.
Um das mal anhand von Zahlen festzumachen: Für einen Alleinerziehendenhaushalt mit einem Kind bedeutet das,
dass sie weniger als 1.039 Euro im Monat haben. Damit ist sozusagen fast jedes dritte Kind in MecklenburgVorpommern arm. Überdurchschnittlich trifft Armut Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende. Die Armutsgefährdungsquote in Haushalten mit zwei Erwachsenen und drei oder mehreren Kindern liegt in Mecklenburg-Vorpommern über 40 Prozent und bei Alleinerziehenden sogar über 50 Prozent.
Sie, meine Damen und Herren von SPD und CDU, schauen nicht hin und handeln nicht, wir haben es mehrfach in der letzten Legislaturperiode hier im Landtag erlebt. Es ist einfach nur ein Kapitulieren vor diesen Problemen, wenn es noch nicht einmal in dem im Oktober 2016 zwischen Ihnen geschlossenen Koalitionsvertrag auftaucht, wie das Thema Armut insgesamt nicht im Koalitionsvertrag zu finden ist. Sie versuchen in Ausschüssen, das Thema wegzudiskutieren. Experten reden angesichts dieses Agierens von SPD und CDU von einer politisch gewollten Kindeswohlgefährdung.
(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zurufe von Martina Tegtmeier, SPD, und Torsten Renz, CDU)
Es ist unverantwortlich, die Augen vor den Problemen zu verschließen und weiterzumachen, als sei nichts geschehen. In der Welt da draußen kämpfen die Leute einen harten Kampf. Machen Sie sich das bewusst! Aus unserer Sicht ist es eine Art unterlassene Hilfeleistung,
wollen diesen Kindern und Familien helfen. Wir nehmen es nicht hin, dass fast jedes dritte Kind bei uns in Armut leben muss oder unmittelbar von Armut bedroht ist. Die Landtagsfraktion DIE LINKE hat den Kampf gegen Kinderarmut schon seit Längerem zum Schwerpunkt ihres Agierens gemacht. Wir waren beispielsweise im Juni auf der Landtour bei den Menschen vor Ort, haben mit Vereinen und Verbänden, den Tätigen darin, gesprochen, was sie bewegt, was sie dringend brauchen und was geändert werden muss.
Daraus entstand dann die „Charta für Kinderrechte in Mecklenburg-Vorpommern“, die zehn der wesentlichen Forderungen enthält. Viele der Forderungen stellen wir bereits seit Jahren, wie die elternbeitragsfreie Kita und die kostenfreie Schülerbeförderung. Weitere konkrete Maßnahmen finden Sie in dem vorliegenden Antrag.
Erstens. Was fordern wir nun? Wir fordern, dass die Landesregierung aktiv wird und einen Aktionsplan erstellt, gemeinsam mit dem Bund und den Kommunen, um umfassende Maßnahmen für nahezu alle Lebensbereiche zu beleuchten, von der frühkindlichen Bildung bis zum Thema Gesundheit, und der auch die spezielle Unterstützung für Alleinerziehende enthält. Dies ist uns klar:
Die eine Maßnahme gegen Kinder- und Jugendarmut gibt es nicht, es muss ein Bündel von Maßnahmen sein zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut, weil sie vielschichtig ist, und dem muss mit vielschichtigen Maßnahmen begegnet werden.
Es sind eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig. Neben dem Aktionsplan haben wir konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die wir aus unserer Sicht unverzüglich angehen müssen. Das ist erstens die Kinderkarte. Jedes Kind ist anders, hat andere Talente, Interessen und Dinge, die es faszinieren. Ausgehend von der Frage, was ist sozial gerecht, entstand zu Beginn der Legislatur die Idee, allen Kindern etwas in die Hand zu geben, um außerhalb der Schule und Kita etwas für ihre Förderung zu tun. Wir wollen allen Kindern ermöglichen, ihren ureigenen Interessen nachzugehen, sei es im Bereich Musik oder Sport. Deshalb fordern wir eine Kinderkarte im Wert von 50 Euro im Monat. Jedes Kind im Alter von 6 bis 16 Jahren soll sie bekommen und frei über ihren Einsatz in Bildung, Kultur, Freizeit und Sport entscheiden können.
Es ist eine Investition in alle Kinder unseres Landes und ihre und schließlich auch unsere gesellschaftliche Zukunft. Wenn ohne Ausnahme jedes Kind so eine Karte hat, kann es auch keine Stigmatisierung geben. Mit einer einheitlichen Karte können keine Rückschlüsse auf die soziale Situation oder den Geldbeutel der Eltern gezogen werden. Zudem lernen die Kinder, ihre Interessen zu ergründen, selbstbestimmt zu agieren und eigenständig Entscheidungen zu treffen.
Zweitens, Kinderarmut ist aus unserer Sicht immer verbunden mit der Elternarmut, denn wenn die Eltern auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, sind es die Kinder auch.
Wenn die Eltern zu wenig verdienen, bleibt auch zu wenig für die Kinder übrig. Gute Arbeit, gute Löhne sind deshalb das A und O für die Zukunft des Landes, und das werden wir auch in unserer Debatte zu unserem Vergabegesetz heute noch deutlich machen.
Ein weiteres Thema ist das Thema Wohnungslosigkeit. Man denkt zuerst, Mensch, das gibt es doch hier gar nicht in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch da haben wir auf unserer Landtour einfach andere Erfahrungen machen müssen. Deshalb, es fällt leider noch zu sehr unter den Tisch. Dabei gibt es einen ansteigenden Trend und eine Zunahme von wohnungslosen Menschen, wobei zunehmend auch Familien mit Kindern betroffen sind. Sie leben tatsächlich auf der Straße und kommen meist in sogenannten Schlichtunterkünften oder bei Freunden oder Verwandten unter. Dennoch ist es Armut in Reinform und das gibt es auch bei uns in Mecklenburg-Vorpommern.
Auch deshalb muss das Land die Bundesmittel für soziale Wohnraumförderung vollständig zweckgebunden …
... ausgeben und durch eigene Mittel ergänzen. Nur so kann bedarfsgerecht neben den vielen kleinen Wohnungen auch besonders großer Wohnraum vorgehalten werden.
Zum Schluss meiner Einbringung eine Bitte: Bitte kommen Sie nicht ans Rednerpult, nur um zu resümieren, was Sie vermeintlich alles schon Tolles in den letzten Monaten gemacht haben, oder um anhand der Definition Kinderarmut wegzudiskutieren.
(Martina Tegtmeier, SPD: In der Debatte kann ja wohl jeder das sagen, was er selber für richtig hält. – Zuruf von Manfred Dachner, SPD)
Das ist eine Arroganz, die sich die Politik in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit aus unserer Sicht nicht leisten kann.