Protocol of the Session on July 12, 2017

Als Nächste erhält das Wort die Abgeordnete Frau Tegtmeier für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich musste eben direkt noch mal auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung schauen, weil wir sprechen hier zur Zweiten Lesung eines Gesetzentwurfs der AfD-Fraktion und die Einbringung ist bei der Ersten Lesung erfolgt. Herr Lerche sprach selbst von einem Antrag und der Überweisung in die Ausschüsse. Also ich bin jetzt ein bisschen erstaunt, weil bei der Zweiten Lesung erfolgt die Endabstimmung und in der Regel …

(Dr. Matthias Manthei, AfD: Das ist falsch, man kann Ausschussüberweisung beantragen. – Peter Ritter, DIE LINKE: Eine Dritte Lesung kann man beantragen unter bestimmten Voraussetzungen. Grundlage sind die Beschlüsse der Zweiten Lesung.)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, lassen Sie die Rednerin zu Wort kommen!

Eins, Herr Lerche, fand ich eben gut, Sie haben das noch mal alles wiederholt, was letztes Mal sowieso schon gesagt wurde, weil getretener Quark wird bekanntlich breit und nicht stark,

(Tilo Gundlack, SPD: Er hat es vertieft.)

und Sie haben mittels Ihres Redebeitrages durchblicken lassen, dass Sie das Expertengespräch, das wir am 29.06. hier durchgeführt haben im Innenausschuss, durchaus zur Kenntnis genommen haben.

Ansonsten zeugt der Gesetzentwurf von einem sehr seltsamen Bild bezüglich unserer repräsentativen Demokratie. So ist in der Begründung unter „Lösung“ angeführt, dass sich die Gemeindevertretungen hier hinter Gesetzen „verstecken“ würden. Ich denke, die Gemeindevertretungen sind dazu da, dass sie vernünftige Lösungen für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, so, wie es das Grundgesetz in Artikel 28 festlegt, finden wollen und auch zum Wohle ihrer Bürgerinnen und Bürger finden werden.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Gemeindevertretungen einen breiten Gestaltungsspielraum in dieser Frage haben und den auch ausnutzen. Ich hatte

das bei der Ersten Lesung in der ganzen Spannbreite hier dargelegt. Das geht bei Anliegerstraßen zum Beispiel von 51 bis 90 Prozent und das trifft genauso auf Billigkeitsgründe zu.

Beim Expertengespräch wurde vorgetragen, dass Billigkeitsgründe bei der Umsetzung der Beitragserhebung angesetzt werden können, dass diese aber nur in der Abgabenordnung so festgeschrieben sind und dass es besser wäre, diese würden mit ins KAG aufgenommen werden. Nun wissen wir aber – alle, die mit der kommunalen Ebene Erfahrungen haben –, dass es in den Gemeinden auch Satzungen gibt, die genau diese Billigkeitstatbestände vernünftig regeln, sodass es nicht dazu kommt, dass bei einem erhöhten oder einem hohen Antragsvolumen die Bürgerinnen oder Bürger oder die Grundstückseigentümer in den Ruin getrieben werden.

Herr Lerche sprach ausdrücklich noch mal an, dass wir hauptsächlich Probleme mit Einzelfällen haben, und er skizzierte hier einige besondere Lagen. Für besondere Lagen kann man kommunal besondere Regelungen treffen, indem man diese Straßen besonders kategorisiert. Auch das ist durchaus möglich. Dieser Spielraum, den Sie mit Ihrem Gesetzentwurf für die Gemeinden einfordern, ist vorhanden, auch mit den Regelungen, so, wie sie hier sind.

Nur weil man eine Pflicht zu einer Kannregelung ummünzt, bedeutet das erst mal nicht, dass sich an der Umsetzung irgendetwas ändert, weil aufgrund des Kommunalabgabengesetzes haben – so will ich doch hoffen, denn es ist seit Anfang der 90er-Jahre Pflicht – alle Gemeinden ihre Beitrags- oder Straßenausbausatzungen erlassen, die in sehr unterschiedlicher Ausprägung umgesetzt und festgelegt, und nur, weil eine Gesetzesänderung erfolgt, die einen Spielraum einräumt, heißt es noch lange nicht, dass sich vor Ort die kommunalen Mehrheiten dafür finden, die Spielräume, die schon ziemlich ausgeprägt sind, anders zu nutzen als bisher.

Die ganzen Besprechungen oder vor allen Dingen das Expertengespräch im Innenausschuss haben einige wichtige Aussagen zutage gebracht. Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich hier eine Passage der Ausführungen von Lars Prahler aus der Stadt Grevesmühlen zitieren und im Nachgang auch eine kurze Passage vom Städte- und Gemeindetag, weil ich finde, dass die einschlägig sind.

Herr Prahler führte aus: „Ein ersatzloses Streichen der Straßenausbaubeiträge würde unweigerlich zu einer deutlichen Verringerung der dringend erforderlichen Investition im Straßenbau führen. Ein wahlweiser Verzicht auf die Erhebung von Straßenbaubeiträgen in finanziell gut ausgestatteten Kommunen kommt in unserem Amtsbereich nicht in Betracht und ist“ – und jetzt kommt es – „aus meiner Sicht auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber unseren Bürgern vereinbar. Eine alternative Finanzierung des Fehlbetrags aufgrund eines Verzichts auf Straßenausbaubeiträge über allgemeine Steuern erachte ich als sozial ungerecht, da bisher lediglich bevorteilte Grundstückseigentümer betroffen waren, eine Steuerfinanzierung auch und insbesondere vermögenferne Bevölkerungsgruppen zusätzlich treffen würde.“

Ergänzend dazu vom Städte- und Gemeindetag: „Eine Freistellung der Kommunen von der Beitragserhebungs

pflicht wäre aber geeignet, die Unterschiede zwischen den Gemeinden zu verstärken. Finanzschwache Gemeinden wären weiterhin auf die Erhebung von Straßenbaubeiträgen angewiesen und würden zusätzlich an Attraktivität gegenüber den finanzstarken Gemeinden verlieren. Wir würden hier die Unterschiede im Land deutlich erhöhen und würden die Wohnqualität in den Gemeinden ganz einfach von der Steuerkraft der einzelnen Gemeinden abhängig machen, sodass wir darauf hinausliefen, dass wir Gemeinden hätten, da hat man nur noch Buckelpisten, und andere, die können es sich leisten, da finden wir super ausgebaute Straßen und Bürgersteige und so weiter vor. Und das kann ja nicht in unserem Sinne sein.“

Ich glaube, die kommunale Ebene handelt eigenverantwortlich im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger, um hier einen vernünftigen Ausgleich zu finden, um nicht dazu zu kommen, die Anliegerinnen und Anlieger über Gebühr zu beanspruchen. Wenn wir solche außerordentlichen Situationen haben, dann müssen außerordentliche Regelungen getroffen werden. Ich glaube, das geben unsere gesetzlichen Vorgaben auch heute schon her. Deswegen ist unsere Antwort heute nicht anders als beim letzten Mal: Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Frau Abgeordnete.

Das Wort erhält Herr Ritter für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen der AfDFraktion! Man kann natürlich eine Dritte Lesung eines Gesetzentwurfes machen, das kann man beantragen. Die Dritte Lesung basiert dann auf den Beschlüssen der Zweiten Lesung. Aber einfach mal so einen Gesetzentwurf wieder in die Ausschüsse überweisen, das funktioniert nicht. Ich glaube, das wird auch nicht nötig sein, weil auch meine Fraktion den Gesetzentwurf ablehnt. Ich habe im Expertengespräch letzte Woche im Innenausschuss schon deutlich gemacht, warum wir das tun.

Dieses Expertengespräch war aus meiner Sicht eine sehr interessante Veranstaltung. Es verlief sachlich und friedlich – auch das haben wir ja nicht immer im Ausschuss – und es wurden sogar aus den Reihen der Koalitionsfraktionen dankenswerterweise Fragen gestellt beziehungsweise Einzelaspekte problematisiert, und das, obwohl die Landesregierung selbst in Person des Innenministers vielfach bereits erklärt hat, es bestünde kein Handlungsbedarf beim Kommunalabgabengesetz. Die Debatten im Land und auch die Debatten, die wir hier im Landtag schon zu dieser Problematik geführt haben, zeigen, dass das eine glatte Fehleinschätzung ist. Deswegen war es aus Sicht meiner Fraktion wichtig, dass wir uns nicht nur mit der Ablehnung des Gesetzentwurfes der AfD-Fraktion oder der nicht möglichen Zweiten Lesung zufriedengeben, sondern haben deswegen dieses Expertengespräch beantragt und durchgeführt.

Aber gestatten Sie mir nach dieser Vorbemerkung drei Anmerkungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Wie gesagt, meine Fraktion lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf der AfD-Fraktion ab, denn die vorgeschlagene Kannregelung stellt die Erhebung von Straßenausbau

beiträgen nur theoretisch in das Ermessen der Kommunen beziehungsweise der kommunalen Satzungsgeber. Praktisch hingegen wird auf der Grundlage der tatsächlichen Haushaltssituation dieses „Kann“ für die allermeisten Kommunen unseres Landes automatisch zu einem „Muss“. Deswegen sind dieser Gesetzentwurf und die öffentliche Arbeit dazu eine Mogelpackung. Es wird automatisch zu einem „Muss“, denn – so unter anderem der Städte- und Gemeindetag in der Diskussion in dem Expertengespräch – die Kommunen sind auf diese Einnahmequellen angewiesen. Das spricht wiederum deutlich gegen die Behauptung, dass die kommunale Finanzausstattung in unserem Land aufgabengerecht sei.

Zweitens darf aber mit der heutigen Abstimmung und mit der Ablehnung des Gesetzentwurfes der AfD-Fraktion der Diskussionsprozess zu dieser Problematik nicht abgeschlossen sein,

(Marc Reinhardt, CDU: Da gebe ich Ihnen recht.)

auch wenn die künftigen Entscheidungen nach diesem Expertengespräch nicht einfacher werden – auch das habe ich im Ausschuss schon gesagt –, weil die Spannbreite der Argumente ging von „sowohl“ bis „als auch“. Es hat für die Entscheidungsfindung zwar hinreichend Informationen gegeben, aber ich glaube, für uns alle ist es nach dem Gespräch nicht einfacher geworden. Aber eine kategorische Gesprächsverweigerung, so wie bislang von der Landesregierung die Mitteilung, es bestünde kein Handlungsbedarf, schadet letztendlich dem sozialen Frieden in unserem Land, solange diese Form der Beitragserhebung teilweise – das haben wir im Expertengespräch gehört – als „kalte Enteignung“ empfunden oder erlebt wird und daher deren Abschaffung gefordert wird.

Drittens schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte dieser Landtag auch in Fortsetzung des Expertengesprächs im Innenausschuss zumindest zwei Ansätze weiter und vertieft diskutieren:

Da ist zunächst die Anregung, die Billigkeitsregelungen zu erweitern, um auf diese Weise die Beitragszahlungen zeitlich deutlich zu strecken und sie möglicherweise erträglicher zu machen. Die entsprechenden Vorschläge der Experten waren hier meiner Meinung nach sehr konkret.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Landtag und Landesregierung könnten aber auch den Mut aufbringen und sich von dem historisch überkommenen Begriff des „Vorteils“ lösen. Auch dazu haben wir die unterschiedlichsten Auffassungen im Expertengespräch gehört.

Den Zusammenhang von individuellem Grundstück und individuellem Straßenbauvorteil in unserer modernen und vor allem höchst mobilen Zeit konnten mir auch die Experten nicht nahebringen. Dass die Anrainer in Grevesmühlen des Jahres 1870 für den Wegebau Steine und Kies bereitstellen mussten, war hochinteressant zu erfahren. Das hat aber mit der heutigen Frage genauso viel zu tun wie die Pferdekutsche von damals mit dem Elektroauto von heute.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dem Verzicht auf Beiträge müsste sich das Land dann aber auch für eine entsprechende kommunale Finanzausstattung entscheiden oder, wie jüngst in Thüringen, die dauernde

Leistungsfähigkeit der Gemeinde zur Voraussetzung für einen Beitragsverzicht definieren. Aber auch das ist letztlich eine hohe Hürde.

So oder so, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Ablehnung des Gesetzentwurfes heute ist die Debatte für meine Fraktion nicht beendet, denn, so haben wir heute früh gehört, an erster Stelle stehen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und um deren Probleme müssen wir uns kümmern. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Herr Abgeordneter.

Es erhält das Wort Herr Kollege Reinhardt für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich fange mit einer Gemeinsamkeit an, Herr Ritter.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr gut!)

Auch für uns ist die Diskussion nach diesem Expertengespräch nicht beendet, sondern hat begonnen. Aber dazu komme ich zum Schluss noch mal. Ich will es relativ kurzfassen, weil vieles schon gesagt ist, nur noch nicht von jedem.

Seit 1991 erheben wir Straßenausbaubeiträge in diesem Land. Das macht jede Änderung, die wir jetzt vornehmen, auch nicht leichter, weil es schon viele gibt, die sie nach den alten Regelungen bezahlt haben.

Wir haben jetzt vor uns liegen den Gesetzentwurf der AfD-Fraktion, der aus einer Soll- eine Kannregelung machen will. Im Expertengespräch war, glaube ich, lediglich der Verband der Grundstücksbesitzer derjenige, der eine komplette Abschaffung gefordert hat, und es war Herr Komning, der sich dem angeschlossen hat. Ich weiß nicht, ob er seinen eigenen Gesetzentwurf nicht gelesen hatte, weil der fordert das nun ganz explizit nicht. Der fordert, dass man umstellen kann auf eine Kannregelung. Dies würde bedeuten, dass wir zu einem Flickenteppich in Mecklenburg-Vorpommern kommen. Die Gemeinden, die es sich finanziell leisten können, verzichten unter großem Applaus der Einwohnerinnen und Einwohner auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da wird man lebenslänglich Bürgermeister.)

und andere Gemeinden, die es sich nicht leisten können, würden entweder gar nichts bauen oder sie erheben Beiträge, und wenn es dann auch noch die Nachbargemeinde ist, wird das wahrscheinlich nicht gerade zum Rechtsfrieden und Bürgerfrieden bei uns im Land führen. Deshalb kann ich an dieser Stelle schon sagen, dass auch wir in dieser Zweiten Lesung selbstverständlich diesen Gesetzentwurf ablehnen und auch einer Dritten Lesung nicht zustimmen würden.

Ich will zum Schluss noch sagen, was für uns als Arbeitskreis Innen der CDU-Landtagsfraktion nach den Gesprächen mit den Betroffenen und mit den Experten wichtig

ist, was wir prüfen wollen und wo wir uns, wenn wir in dieser Legislaturperiode noch mal an das KAG rangehen wollen, für Veränderungen einsetzen und sie prüfen wollen. Das ist zum einen – das, fand ich, haben Sie sehr gut dargestellt – eine frühere Informationspflicht, dass bereits in der Vorplanung die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden und wissen, was in naher Zukunft dort ausgebaut werden soll.

(Martina Tegtmeier, SPD: Steht in der Kommunalverfassung.)

Das ist heute schon möglich, Frau Tegtmeier, da gebe ich Ihnen recht.

(Martina Tegtmeier, SPD: Das ist in der Kommunalverfassung so vorgeschrieben.)