Und wenn Herr Förster vorhin hier von Verhandlungen sprach – ja, ich sehe bei der Justiz sehr viel Bedarf, weil mir da doch mitunter die Sensibilität dem Opfer gegenüber vollkommen fehlt. Ich habe einige Prozesse begleitet in Opferentschädigungsangelegenheiten und habe mich sehr gewundert, und habe mich sehr gewundert, wie man da mit traumatisierten Opfern teilweise umgeht und nicht wirklich darauf eingestellt ist, darauf einzugehen. Und ich glaube, zu erbringende Glaubwürdigkeitsgutachten, die für die Opfer schrecklich sind, die sind nicht gerade selten. Ja, wir haben noch viel zu tun. Wir tun stets etwas und entwickeln das weiter. Und Ihren Antrag brauchen wir dazu nicht und wir lehnen ihn auch ab. – Vielen Dank!
(Der Abgeordnete Peter Ritter wendet sich an das Präsidium. – Schriftführerin Maika Friemann-Jennert: Sie haben ja noch nicht angesetzt.)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war so ein bisschen wie erwartet, die Debatte, deswegen zwei, drei Bemerkungen vorweg.
Sehr geehrter Herr Förster, ich habe in meinem Zwischenruf die Frage gestellt, ob denn die Frauen dann schuld seien an dieser Situation.
Ich habe nicht unterstellt, dass Sie das gut finden. Das will ich hier noch mal klarstellen. Also es war meine Fragestellung: Sind also die Frauen schuld an der von Ihnen beschriebenen Situation?
Und ich weiß gar nicht, wer oder wann hier auf die Situation in der DDR zu sprechen gekommen ist. Es stimmt natürlich, Sexismus und sexuelle Gewalt, das passte nicht zum offiziellen Bild, was die DDR gern von sich malte. Das ist eine Tatsache. Erst Anfang der 1980er-Jahre fanden mutige Frauen den Weg in die Öffentlichkeit und haben das Tabu gebrochen. Aber daraus abzuleiten, dass unser Engagement heutzutage in dieser Frage unglaubwürdig wäre, das halte ich dann schon für ein Stück weit weit hergeholt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass die Fallzahlen der Betroffenen in den Frauenhäusern und Beratungsstellen mit jedem Jahr weiter ansteigen. Das ist eine Tatsache. Auf der einen Seite zeigt das, dass mehr Betroffene Hilfe suchen, dass wir ein gutes Hilfesystem haben. Das haben wir an gar keiner Stelle bezweifelt.
Ich glaube mal, dass die Frau Sozialministerin von zu Hause aus diese Debatte verfolgt, und deswegen auch von hier aus sehr herzliche Genesungsgrüße!
Aber diese Anerkenntnis, dass wir ein gutes Beratungssystem schon haben, schließt natürlich nicht aus, dass vor uns die Aufgabe steht, dieses Hilfesystem weiter stetig zu verbessern und weiter so auszugestalten, weiter so auszugestalten, dass sich möglichst alle vertrauensvoll an dieses System wenden möchten und können. Aus dem Hilfesystem –
(Martina Tegtmeier, SPD: Ich sage doch: Kein Widerspruch! – Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Sie stimmt dir zu.)
Aus dem Hilfenetz, in dem wir permanent unterwegs sind und mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort sprechen, wird berichtet, dass die Aufenthalte in den Frauenhäusern durchschnittlich länger werden. Die Problemlagen werden komplexer. Sucht- und Schuldenproblematiken, psychische oder chronische Erkrankungen sind häufige Begleitumstände. In den Alterskohorten nimmt die Zahl der älteren Frauen und der jungen Frauen mit Kleinkindern zu. Auch Frauen aus anderen Kulturen machen eine große Gruppe unter den Betroffenen von häuslicher Gewalt aus. Und das ist dann schon so ein Punkt, wo wir uns dann unterscheiden auch in der Herangehensweise, dass wir uns um alle kümmern müssen und nicht nur sozusagen, oder die Frauen aus anderen Kulturen eben nicht ausblenden.
Und was hinzukommt, etwa zehn Prozent der Betroffenen im sogenannten Hellfeld sind männlich. Deshalb ist es natürlich wichtig, auch für Männer zielgerichtete Angebote vorzuhalten. Und ich bin schon froh, dass sich die Initiativen meiner Fraktion insofern niedergeschlagen haben, als dass diese Personengruppe nun gezielter angesprochen wird und sich auch immer mehr männliche Betroffene vertrauensvoll an das Hilfesystem wenden. Das ist eine gute Entwicklung. Hier zu meinen, wir wären schon gut vorangekommen, das entspricht einfach nicht den Tatsachen bei uns im Land, denn es ist natürlich bitter, dass es bis heute bei uns im Land keine Schutzunterbringung für Männer als Betroffene von häuslicher Gewalt gibt, obwohl die Zahlen und die Bedarfe bekannt sind. Hier gibt es Nachholbedarf, und den kann man doch nicht wegreden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Lücken und Strukturschwächen zeigen sich meist erst so richtig in Krisen, wie wir sie gegenwärtig erleben. Mit der CoronaPandemie waren Familien in der besonderen Situation, über Wochen und Monate viel Zeit in der gemeinsamen Häuslichkeit zu verbringen. Das ging und geht nicht immer gut. Angeheizt durch prekäre Lagen in Ungewissheit, Sorge und Frust infolge von Einschränkungen, Jobverlusten, Mehrfachbelastungen in der Häuslichkeit, Druck und unkompensierter Aggression kam es bundesweit zu einem Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt.
Mit dem Sozialfonds, der im April 2020 auf Initiative meiner Fraktion im Ersten Nachtragshaushalt beschlossen wurde, sollte darauf reagiert werden. Mit Mitteln in Höhe von 500.000 Euro wurde Geld, unter anderem für Frauenhäuser und Beratungsstellen, bereitgestellt. Damit sollten zum einen zusätzliche beziehungsweise alternative Unterkünfte und Mehrbedarfe für die Betreuung für von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern finanziert werden.
Zum anderen sollte das Geld dafür dienen, technische Geräte anzuschaffen, um alternative Beratungsmöglichkeiten in den Beratungsstellen vorzuhalten, zum Beispiel per Chat oder Videoschalte. Davon wurden bis heute jedoch lediglich 20.200 Euro bewilligt. Neun Anträge wurden gestellt, zwei Anträge abgelehnt, sieben Anträgen wurde stattgegeben. So hat eines von neun Frauen
häusern externe Unterbringungsmöglichkeiten angemietet und sechs Beratungsstellen konnten Technik finanzieren. Jedoch wurde immerhin ein Viertel der Anträge abgelehnt. Die Begründung aus dem Sozialministerium auf Nachfrage der Linksfraktion, warum das so ist, steht bis heute aus.
Es wäre also auch ein Punkt im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, flexiblere Möglichkeiten zur Unterbringung zu schaffen und die Kommunikation mittels neuer Medien grundsätzlich einzurichten und dauerhaft ein zusätzliches Kommunikationsrohr zu eröffnen. Es ist eben nicht so, dass in unseren Plänen und in unseren Strategien schon alles berücksichtigt worden sei. Und gerade die Erfahrungen, die wir in der Corona-Zeit gesammelt haben, müssen doch Widerspiegelung finden, auch in einer Fort- und Weiterschreibung. Und da kann ich an einer solchen Stelle eine Verweigerungshaltung überhaupt nicht nachvollziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Hilfenetz bei häuslicher und sexualisierter Gewalt in MecklenburgVorpommern besteht aus mehr als 30 Einrichtungen, darunter neun Frauenhäuser, acht Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt, fünf Interventionsstellen, fünf Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt, die Täter/-innenberatung in Güstrow, Greifswald und Neubrandenburg, die Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsverheiratung und die Landeskoordinierungsstelle CORA, alles wichtige und gut arbeitende Einrichtungen und Institutionen, denen es von dieser Stelle aus einmal einen herzlichen Dank zu sagen gilt.
Es ist aber auch, es ist aber auch an der Zeit, darüber nachzudenken, ob das ausreicht, und nicht einfach vom Tisch zu wischen und zu sagen, wir haben schon einen guten Stand – was niemand bezweifelt. Aber daraus zu schlussfolgern, dass wir es nicht weiterentwickeln müssen, das ist eine falsche Schlussfolgerung.
So fordert die Fraktion DIE LINKE unter anderem eine personelle Aufstockung in der Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsverheiratung ZORA und eine Strukturerweiterung in der Fläche. Um die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig zu halten und neue Fachkräfte zu gewinnen, muss die Bezahlung und müssen die Rahmenbedingungen besser werden. Das kann man doch nicht einfach ignorieren!
Die finanzielle Ausstattung des Beratungs- und Hilfesystems muss in den Beratungen zum nächsten Doppelhaushalt 2022/2023 unbedingt ganz nach oben auf die Agenda.
Im Jahr 2014 startete ein Bündnis, bestehend aus dem Landesfrauenrat, der LIGA der Wohlfahrtsverbände, dem
Beratungs- und Hilfenetzwerk bei häuslicher und sexualisierter Gewalt, dem Flüchtlingsrat und vielen weiteren Akteuren, eine Petition in Mecklenburg-Vorpommern, Opferschutz zur Pflichtaufgabe zu machen. Wir erinnern uns: vom Tisch gewischt. Und da sagen wir, wir haben schon alles erreicht! Das ist doch,
Der beinhaltet eine Fortschreibung des erreichten Standes. Aber: Brauchen wir nicht! Brauchen wir nicht! Das war doch Ihre Argumentation: Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.