Protocol of the Session on December 9, 2020

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Vielen Dank, Herr Minister!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 58 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Schneider.

Wertes Präsidium! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren und liebe Landsleute! Demokratie bedarf der Unmittelbarkeit der Rede und Gegenrede. So begann sie im antiken Griechenland, so wurde sie in den Parlamenten der Frühen Neuzeit lebendig, so pflegen wir sie hier, noch jedenfalls. Und Demokratie beginnt immer ganz unten, bei den Bürgern in den Kommunen, also dort, wo die Leute leibhaftig und konkret miteinander im Gespräch sind, wo sie vis-à-vis miteinander ihre ureigenen Angelegenheiten diskutieren und dann entscheiden.

Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, meint im FAZ-Feuilleton vom 7. De

zember des Jahres, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: „Wer den Diskurs über den Lockdown weder moralisieren noch politisieren noch juridifizieren will, muß also einen aufgeklärten öffentlichen Diskurs führen. Für ihn tragen die Massenmedien eine Gewährleistungsverantwortung. Sich an der Verhältnismäßigkeit zu orientieren wäre das Angebot einer Diskursethik, das nicht ohne die Inanspruchnahme von Freiheitsrechten und die Suche nach Wirkungsketten zu haben ist.“ Zitatende.

Wir brauchen also die öffentliche Aussprache. Und wir brauchen sie im Wortsinne öffentlich. Was immer an Infektionsgeschehen, über dessen Bewertung wir uns noch lange nicht einig sind, daran ändern mag, wir dürfen damit nicht die Lebendigkeit der Demokratie, die in den Kommunen beginnt, einschränken. Es mag noch die Frage sein, wie krank die Gesellschaft nun tatsächlich ist und woran sie eigentlich krankt, ob eher an einem Virus oder an einer fragwürdigen Verordnungspolitik, aber die Demokratie darf dort, wo sie ihren Ursprung hat, bei den Bürgern der Kommunen, nicht infiziert werden von so fatalen Fehlentscheidungen, wie sie in diesem Gesetzentwurf der Regierung getroffen werden. Was Sie beschließen wollen, das blockiert und verhindert echte kommunale Demokratie.

Es geht der Regierung im vorliegenden Entwurf um zweierlei, zum einen um die Veränderung von Sitzungsregeln, zum anderen aber wie immer ums Geld. Im ersten Fall werden Bürgerversammlungen und, mehr noch, die Teilnahme der Öffentlichkeit kraft vermeintlicher Hygienevorschriften entscheidend erschwert. Im zweiten Fall hebt man Haushaltsdisziplin und die dafür erforderliche genaue Revision auf.

Zum ersten Punkt: Abgesehen von dem stilistischen Lapsus, dass die Regierung in den Gesetzestext hineinschreibt: „Der Landtag stellt fest, dass...“ (Paragraf 1 Absatz 1), was so ausgedrückt in kein Gesetz gehört, blasen Sie das Corona-Gespenst derart bedrohlich auf, dass deswegen Gemeindevertretungen nur noch reduziert als Rumpfvertretung und nicht in der beziehungsweise mit der Öffentlichkeit zusammenkommen dürfen, weil so Gefahr für Leib und Leben bestünde und Corona alle Versammelten samt Zuhörerschaft befallen könnte. Man soll, so Ihr Entwurf, ohne gleichzeitige Anwesenheit der Teilnehmenden im Sitzungsraum tagen und dann Bild und Ton synchron in einen öffentlich zugänglichen Raum in der Gemeinde oder des Amtes oder über allgemein zugängliche Netze übertragen. Hier sollen dann wohl die Bürger mit Alltagsmaske und unter Berücksichtigung eines Hygieneplans in artigem Sitzabstand beflissen schweigend zuhören dürfen.

Ich gestatte mir, dazu ein Zitat des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz,

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

in Klammern: SPD,...

... zu adaptieren, das er auf ein technisches Erschwernis von Wahlakten gemünzt hat, gleichfalls unter CoronaBedingungen, nur eben couragierter auftrumpfend als Sie. Er sagte nämlich mit Chuzpe und Mumm, dass, solange man noch Brot kaufen gehen könne, auch eine Urnenwahl stattfinden könne. Mit diesem Bonmot möchte

er zeigen, dass die Hürden für eine Briefwahl, die Sie, sehr geehrte Regierung, ja ebenfalls zu erwägen scheinen, außerordentlich hoch sein müssen.

Außerordentlich hoch sollten auch die Hürden zur Verhinderung der Ausübung kommunaler Demokratie sein. Also, mit Roger Lewentz formuliert, solange die Bürger sich noch in den Supermärkten tummeln und auf engstem Raum gedrängt in Nahverkehrsmitteln und Zügen stehen und sitzen, solange 28 Schüler in einem Unterrichtsraum zu unterrichten sind, so lange sollte man ja wohl unter Beachtung vernünftiger Hygieneregelungen auch Sitzungen vergleichsweise kleiner Gemeinde- und Städtevertretungen sowie Kreistagen abhalten und ihnen als interessierter Bürger aufmerksam beiwohnen dürfen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Dass das sogar größerformatig funktioniert, hat namentlich ausgerechnet die AfD jüngst mit einem ganzen Parteitag in Anwesenheit von 600 Delegierten bewiesen. Man hat noch von keinem Gemeinde- oder Stadtrat gehört, der zum Hotspot wurde.

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

Was Sie mit Ihrem Gesetz verordnen wollen, das ist der tiefe Einstieg in die Digitalisierung, also in die Entpersonalisierung der Politik und in die Entpersönlichung der Politik, und zwar in dem Sinne einer generellen Ermächtigung, dass perspektivisch nur noch digital – also distanziert über Medien – Rede und Gegenrede erfolgen kann, sodass Entscheidungen also via Bildschirm und Mikrofon vorgenommen werden und dass der Bürger davon ebenfalls nur über irgendein Streaming Kunde bekommt, ohne in unmittelbarer Präsenz und Authentizität mitwirken zu können. Demokratie braucht aber Unmittelbarkeit, beratend, diskutierend, entscheidend.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Des Weiteren ermöglichen Sie mit dem Gesetz eine fragwürdige Übertragung, insofern Gemeindevertretungen und Kreistage abweichend von der Kommunalverfassung auch jene Angelegenheiten auf den Hauptausschuss beziehungsweise den Kreisausschuss übertragen, die nach gesetzlichen Bestimmungen oder dem Ortsrecht allein ihr vorbehalten sind. Obwohl Sie sich damit trösten, dass die Zusammensetzungen des Haupt- beziehungsweise Kreisausschusses ja den Gemeindevertretungen und den Kreistagen spiegelbildlich entsprechen, führt dies von einer an der Basis und mit den Bürgern beginnenden Demokratie weg. Es hat schon seinen genauen Grund, warum bestimmte Entscheidungen allein den Gemeindevertretungen und Kreistagen in ihrer Eigenschaft als Urvertretungen vorbehalten sind. Sie ziehen in der Argumentation zu Ihrem Entwurf sogar die bayerische Gemeindeordnung heran und vergleichen die Reduzierung örtlicher Basisdemokratie mit bayerischen Ferienausschüssen. Wie bizarr!

Noch fataler ist es jedoch, dass Sie mit diesem Gesetz Haushaltsregelungen sprengen. Das haben Sie ja eindrucksvoll heute hier schon unter Beweis gestellt mit den Beschlüssen zum Nachtragshaushalt. Sie sprechen von „vorübergehenden Standardabsenkungen“ und „Verfahrenserleichterungen“, von „Risikozuschlag“, von der „Flexibilisierung der Kassenkreditaufnahme zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit“. Sie gestatten die Aufhebung der

Haushaltssicherungskonzepte und ermöglichen so das Risiko einer Pleite, auch wenn Sie mit Ihren Begründungsbeipackzetteln von Ausnahmeregelungen und Befristungen sprechen. Fehlbeträge und negative Saldi gingen schon in Ordnung, schreiben Sie dort, wenn das dem Punkt zugrunde liegende Konzept lediglich Maßnahmen zur finanziellen Bewältigung der Pandemie zum Inhalt hat.

Genauso verfahren Sie in den Nachtragshaushalten. Sie konstruieren für alle Posten, für die Sie zusätzliches Geld ausgeben wollen, irgendeinen Veranlassungszusammenhang mit der Pandemie, ob es sich nun so verhält oder nicht, und Sie ignorieren dabei geflissentlich sogar die Einwände des Landesrechnungshofs.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das hatten wir heute schon, und ich wiederhole es immer und immer wieder. Ausgaben ohne Deckung und Hochverschuldungen sind immer eine Gefahr, weil irgendwann ja doch jemand für diese Schulden in die Pflicht zu nehmen ist, und dann bleibt es sehr vermutlich an den Kommunen selbst hängen. So, wie Sie im Großen mit dem Sondervermögen einen Schattenhaushalt für das gesamte Jahr auflegten, guten Willens und dringend erfordert, wie Sie betonen, im Verfahren aber ein verfassungsrechtlich höchst fragwürdiger Akt, so ermächtigen Sie nun die Kommunen in vermeintlicher Großzügigkeit zum freien Überziehen der Konten und zur deckungsfreien Mittelgewährung in der Weise von „whatever it takes“. Das ist das Ende redlicher Buchhaltung und solider, maßvoller Haushaltung. Und zur Erklärung: Ich habe den Draghi zitiert mit seiner unseligen EZB-Politik.

Wenn ich Sie nochmals zitieren darf, „die jederzeitige Zahlungsfähigkeit auch bei erheblichen Ausfällen von Einzahlungen zu sichern, sodass es einer Flexibilisierung von Kassenkreditaufnahmen bedarf“, das ist nun mal nichts anderes als genau das Vabanquespiel, das wir von der EZB-Politik bis zu den Nachtragshaushalten der Länder leider kennen, verstärkt um den Mangel, dass zu viel an Entscheidungen über solche Vermögen der Exekutive und zu wenig der Legislative überlassen bleibt.

Im Zusammenhang dazu, Wolfgang Merkel schrieb jüngst in der FAZ, ich zitiere mit Erlaubnis: „Der grundlegende Legitimationsmodus der Demokratie verschiebt sich von der Bürgerbeteiligung (input) und den parlamentarischen Entscheidungsverfahren (throughput) hin zum Output, also den Politikergebnissen. … Dies widerspricht jedoch dem konstitutionellen Imperativ, dass in der Demokratie die Institutionen und Verfahren a priori feststehen, ihre Ergebnisse jedoch kontingent sind.... In einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft darf aber kein – von wem auch immer definiertes – ‚richtiges‘ Ergebnis die Entscheidungsverfahren nach dem gewünschten Ergebnis modellieren.“ Gerade Zeiten der Not und der Einschränkung bedürfen der Tugend der Sparsamkeit und eben nicht eines Gesetzes, das der Verschwendung Tür und Tor öffnet.

Zurück zum Beginn und zum ersten Teil Ihres Gesetzentwurfes: Eben weil es um höchst verantwortungsvolle Entscheidungen geht, müssen jetzt die Gemeinderäte und Stadtvertretungen frei diskutieren und dabei von Bürgern besucht werden dürfen, ohne dass Beratungen steril nur über Medien laufen. Wir werden also Ihren Gesetzentwurf so, wie er ist, ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, es ist zwar sehr schön, dass man mir so viel Macht zutraut, aber wenn jemand hier ordnungsgemäß zitiert, bedarf es nicht meiner Erlaubnis. Es muss nur ordnungsgemäß zitiert werden, ansonsten gibt es Ärger.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Sie können es ja mal versagen, dann würde ich mal sehen, was er dann macht.)

Jetzt rufe ich auf

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Sagen Sie doch einfach mal Nein!)

für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Tegtmeier.

(Unruhe vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie hat ja schon im Vorfeld die Wellen hochschlagen lassen

(Peter Ritter, DIE LINKE: Was?!)

und für einige Aufregung gesorgt. Zurzeit sind wir in einer Situation, dass die kommunalen Vertretungen, wie wir auch, erst mal in die Winterpause gehen. Die meisten kommunalen Vertretungen tagen zwar alle zwei Monate, manche nicht mal ganz so häufig, sodass man vielleicht sogar die Hoffnung haben kann, dass dieses Gesetz vielleicht in dieser Pandemie gar nicht zur Anwendung kommt.

In dem Gesetz geht es natürlich darum, das hat der Innenminister vorhin ausgeführt, Optionen zu schaffen für die Gemeinden, Beschlüsse zu fassen, auch wenn die Gemeindevertretung aus ganz realen Gründen besser nicht physisch zusammenkommt, um Menschen nicht zu gefährden. Und, Herr Schneider, auch heute schon gibt es Einschränkungen, was die Möglichkeit der Öffentlichkeit an der Teilnahme von Sitzungen angeht, weil Sie können nicht Ihren Parteitag mit jeder Gemeindevertretung vergleichen.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Viel zu unterschiedlich sind die Situationen, die wir hier vorfinden.

Und ich finde auch, alle einzeln aufgeführten Punkte sind durchaus dazu geeignet, hier Fragen aufzuwerfen, Fragen aufzuwerfen, was die Umsetzbarkeit dieser ganzen Regelungen überhaupt betrifft. Ich will da nur mal einen einzigen Punkt aufgreifen. Der Innenminister hat uns vorhin gesagt, dass ein besonderer Schwerpunkt für ihn in der Übertragung von Aufgaben oder Entscheidungen auf den Hauptausschuss besteht. Und wenn ich mir mal angucke, was wir hier für Regelungen treffen, wir machen, wollen hiermit ermöglichen, dass Gemeindevertretungen auch anders als in der gewohnten Form Be

schlüsse fassen können, damit trotzdem die Öffentlichkeit irgendwie beteiligt werden kann, und wenn ich hier davon ausgehe, wie schwierig es ist für Gemeindevertretungen, diese technischen Möglichkeiten umzusetzen, fällt es nicht schwer, darauf zu kommen, dass, je kleiner so eine Gemeindevertretung ist, umso größer ist vielleicht das Problem, das technisch auch alles so hinzukriegen. Und gerade diese Gemeindevertretungen – und davon haben wir fast ja noch 250, die unter 500 Einwohner haben, also mit sieben Gemeindevertretern inklusive Bürgermeistern –, die sind überhaupt nicht dazu verpflichtet, einen Hauptausschuss einzurichten, und viele haben auch gar keinen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wozu?)

Also für die fällt das schon mal flach.

Also etliche Fragen, die sich da auftun. Wir haben ja schon für heute Abend eine Innenausschusssitzung einberufen, in der wir Verfahrensfragen ja klären werden. Deswegen werbe ich natürlich für die Überweisung in den Innenausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)