Protocol of the Session on July 3, 2015

Unsere Gesellschaft ist angewiesen auf die von Freiberuflern zumeist in den Kernbereichen des öffentlichen Interesses erbrachten gemeinwohlorientierten und durch hohe Qualität, Eigenverantwortlichkeit und fachliche Unabhängigkeit geprägten Vertrauensdienstleistungen. So stehen Architekten und Ingenieure für die Sicherheit von Gebäuden im öffentlichen und privaten Raum, der Rechtsanwalt ist Teil der unabhängigen Rechtsordnung, die Freien Kulturberufe erhalten und pflegen unsere Kultur und der Arzt oder der Zahnarzt stehen im Dienste der Patienten und sie stehen für die Aufgaben der allgemeinen Gesundheit.

So vielschichtig, wie ihr Dienstleistungsspektrum ist, sind auch die unterschiedlichen Herausforderungen, von denen die Freien Berufe geprägt sind. Zu diesen Herausforderungen gehören insbesondere die Überprüfung und Modernisierung der beruflichen Regelungen durch die Europäische Kommission, denn die Europäische Kommission hat im Rahmen des vierten Europäischen Semesters analysiert, dass in Deutschland in den vergangenen Monaten die politischen Maßnahmen zur Belebung des Wettbewerbs in den Freien Berufen und das Produktionswachstum in den freiberuflichen Dienstleis

tungen zu gering gewesen seien. Es bestehe Spielraum, um die Entwicklung der Beschäftigung in den Freien Berufen zu verbessern, sagt die Kommission.

So sei beispielsweise die Berufsausbildung von Architekten, Ingenieuren und Steuerberatern zu stark reglementiert und die Preisbildung durch die entsprechenden Gebührenordnungen eingeschränkt. Es schadet nicht, die Tradition auch dieser Berufsfelder einmal zu untersuchen, zu hinterfragen, aber sie darf nicht dazu führen, dass bewährte Strukturen, die im Interesse eines Landes liegen, einseitig zugunsten eines gesamteuropäischen Wettbewerbes und uneingeschränkter Mobilität aufgegeben werden. Verbraucherschutz und die anerkannte hohe Qualität der in Deutschland erbrachten freiberuflichen Dienstleistungen dürfen im europäischen Binnenmarkt nicht auf der Strecke bleiben!

(Udo Pastörs, NPD: Bleiben sie aber, das wissen Sie ganz genau!)

Die Durchlässigkeit der Grenzen darf nicht zum Abbau von Qualitätsstandards und Verlust des Vertrauens seitens der Verbraucher führen. Dies sind Merkmale, die auch auf unserem Weg zum Gesundheitsland Nummer eins in Deutschland von besonderer Bedeutung sind. Schon heute arbeiten landesweit etwa 60.000 Menschen im Kernbereich der Versorgung von kranken Menschen, die mit ihren qualitativ hochwertigen Dienstleistungen zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern beitragen.

In der gesamten Gesundheitswirtschaft sind über 100.000 Menschen bei uns beschäftigt. Diese Arbeit leisten einerseits freiberufliche Ärzte, aber auch Krankengymnasten und Physiotherapeuten will ich hier nennen. Und das, meine Damen und Herren, soll auch so bleiben. Dazu zählen aber auch das Fremdkapitalangebot oder das bestehende System der Kosten- und Honorarordnungen der Freien Berufe in seiner grundsätz- lichen Ausrichtung. Dies darf nicht infrage gestellt werden.

Dem folgenden Antrag kann ich daher nur die Zustimmung empfehlen und Kollege Waldmüller wird ja noch mal ins Detail gehen. Von daher, denke ich, haben wir eine spannende Diskussion mit der Europäischen Kommission vor uns. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU und Rainer Albrecht, SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Holter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Waldmüller, Sie sprechen ein wichtiges Thema an. Immer wieder haben wir die Fragen der dualen Ausbildung, des Meisterbriefes, aber auch der Freien Berufe hier im Landtag thematisiert. Und die verschiedenen Parlamentarischen Abende haben ja auch ihren Beitrag dazu geleistet, auf der einen Seite unseren Horizont zu erweitern, aber auf der anderen Seite noch mal deutlich zu zeigen, so habe ich das zumindest immer verstanden, dass sich die demokratischen Fraktionen in dieser Frage einig sind. Unterschiede gibt es im Detail.

(Rainer Albrecht, SPD: Ja. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Es begann tatsächlich damit, dass bei der Meisterrolle Veränderungen durchgeführt werden sollten und wurden, und zwar auf Druck der Europäischen Union. Der BolognaProzess hat dazu geführt, dass das Diplom abgeschafft und die Bachelor-Master-Ausbildung eingeführt wurde. Jetzt geht es darum, durch Deregulierung und andere Maßnahmen die Freien Berufe in ihrer Wettbewerbsfähigkeit einzuschränken, und deswegen halte ich es für richtig und für wichtig, dass wir hier darüber sprechen.

Sie haben, und das werden Sie nachher noch sagen, Herr Waldmüller, darauf verwiesen, dass es auch in anderen Landtagen entsprechende Anträge gegeben hat. Das ist guter Brauch. Das will ich gar nicht kritisieren. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass es richtig und wichtig ist, dass die verschiedenen Parlamente sich durchaus dazu äußern, um entsprechend der Europäischen Kommission anzuzeigen, es gibt hier nicht nur den Wunsch einer Fraktion oder eines Einzelnen, wenn ich so weit gehen darf, sondern es gibt tatsächlich eine, wenn man so will, breite Front gegen das, was sich da in Europa ausgedacht wurde.

Freie Berufe – das hat Minister Glawe gesagt und Herr Waldmüller und die anderen Rednerinnen und Redner werden das sicherlich auch zum Ausdruck bringen – sind für uns ein wichtiger Teil unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft und der Wirtschaft unseres Landes. Freie Berufe arbeiten gemeinwohlorientiert, eigenverantwortlich und unabhängig. Klar, wer zum Arzt, zum Rechtsanwalt, zum Architekten oder zum Steuerberater geht, erwartet, dass diese Menschen kompetent Auskunft geben, dass sie eine qualitätsvolle Dienstleistung anbieten, gerade weil es um ein Vertrauensverhältnis geht und gerade auch um ein mehr oder weniger individuelles Vertrauensverhältnis, wenn sich also in der Regel zwei Personen gegenüberstehen oder gegenübersitzen. Es geht darum, dass die Anforderungen an die persönliche Eignung, an die Qualifikation, die Berufsausübung und damit an den Verbraucherschutz nicht infrage gestellt werden dürfen und auch nicht ausgehöhlt werden dürfen. Und so, Herr Waldmüller, verstehe ich Ihren Antrag.

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder über die Kosten- und Honorarordnung diskutiert. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass wir bereits Anfang der 2000erJahre über die HOAI, also die Honorarordnung für die Architekten und die Ingenieure, gesprochen haben und auch immer wieder aus Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit der Architektenkammer und der Ingenieurkammer gegen die Bemühungen, diese auszuhebeln, hier Front gemacht haben.

Denn auch das wollen wir, wir wollen keinen Preiswettbewerb, sondern wir wollen einen Qualitätswettbewerb. Und das ist doch die entscheidende Frage, auch im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen, bei aller Deregulierung sind wir der Überzeugung, wir brauchen Regeln, um die Freien Berufe in ihrem jeweiligen Stand zu schützen, damit sie tatsächlich wettbewerbsfähig sind.

Und nun besteht eine Gefahr, es besteht die Gefahr, dass diese Regeln aufgeweicht werden. Diese Gefahr treibt den Freiberuflern und den Freiberuflerinnen die Sorgenfalten auf die Stirn. Das haben wir ja – im Dezem

ber, glaube ich, war es – auf dem Parlamentarischen Abend eindrücklich auch gehört. Allein die Tatsache, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union keine gemeinsame Auffassung zu der Freiberuflichkeit haben, gibt dazu schon Anlass. Die Deregulierungssignale aus Brüssel leisten ihren Beitrag zur allgemeinen Verunsicherung. Meine Vorredner sind darauf eingegangen.

Der Wirtschaftsausschuss war im März in Brüssel und wir haben dort mit Vertretern der Kommission genau diese Fragen diskutiert. Es ging um die Berufsanerkennung, Berufsvoraussetzung, Freizügigkeit und die sogenannte Transparenzoffensive. Gegen Transparenz kann niemand etwas haben, weil am Ende damit auch Klarheit herrscht, was in welchem Land in Europa insgesamt zu dieser Frage sozusagen vorgelegt wird und welche Regeln herrschen.

Was uns dort versichert wurde, ist, dass die Regelungskompetenz weiter bei den Nationalstaaten bleiben soll. Es werde aus Brüssel Empfehlungen und einen Bericht geben. Nun habe ich auch, so wie Herr Minister Glawe und Herr Waldmüller, die Empfehlung des vierten Europäischen Semesters gelesen und habe mit Sorge und Erschrecken zur Kenntnis genommen, dass das, was uns da erzählt wurde, mit diesen Ergebnissen des Semesters nun nicht mehr übereinstimmt.

Und das ist genau richtig und notwendig, dass wir hier darüber sprechen, denn es geht wohl eher darum, sämtliche Eintrittshindernisse, Hürden, die zur Erbringung von Dienstleistungen im Wege stünden, zu beseitigen. Wenn das dann aber unsere Standards in Deutschland sind, unsere Regeln sind, dann habe ich die gleichen Sorgen wie die Kolleginnen und Kollegen der CDU.

Und hier sieht, das ist ausgeführt worden, die Europäische Kommission insbesondere bei Architekten und Ingenieuren, Anwälten und Steuerberatern entsprechende Hindernisse. Ich halte es nicht nur für bedenklich, sondern ich halte es für eine große Gefahr, die hiermit verbunden ist.

Sie fordern in Ihrem Antrag drei Punkte: Es geht um den Erhalt der hohen Qualität der Freien Berufe, den Fortbestand des Fremdkapitalverbotes für die Wahrung der Unabhängigkeit und das Bestehenbleiben des Systems der Kosten- und Honorarordnung. Das ist auf jeden Fall richtig. Und es ist auch richtig, nach Europa und dem Bund zu schauen, denn, wie bereits ausgeführt, es geht um hohe Standards und es geht um das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Freien Berufe, ob das nun der Zahnarzt, der Arzt, der Steuerberater, der Architekt, der Ingenieur und viele andere sind.

Aber eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie setzen sich mit Ihrem Antrag dafür ein, dass diese Standards und der Verbraucherschutz gesichert werden. Aber kehren Sie doch erst mal vor der eigenen Haustür, denn das, was Sie mit Ihrer Politik in Mecklenburg-Vorpommern machen, ist genau das Gegenteil von dem, was Sie mit Ihrem Antrag einfordern!

Sie hauen den Freiberuflern die Beine weg und gefährden sie in ihrer Existenz. Das will ich Ihnen an zwei Beispielen, und zwar ganz simplen Beispielen, deutlich machen. Da geht es als Erstes um die Gerichtsstrukturreform. Da werden Sie jetzt möglicherweise fragen: Was hat das mit Freiberuflern zu tun? Das hat mit den Anwäl

ten in den ländlichen Räumen zu tun. Sie zerschlagen die Amtsgerichtsstruktur.

(Zurufe von Jochen Schulte, SPD, und Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Doch, Herr Schulte! Stellen Sie sich mal vor, Sie sind der Anwalt. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind nicht in Rostock, sondern Sie sind in einem ländlichen Raum ansässig und das Amtsgericht wird geschlossen und zieht um. Und genau um diese Frage geht es. Die Gerichtsstruktur wirkt sich auf die Freiberufler aus, auf die Rechtsanwälte im ländlichen Raum,

(Jochen Schulte, SPD: Bei allem Respekt, aber das ist Blödsinn!)

denn die haben Sorgen, ihre Kanzleien wirtschaftlich aufrechtzuerhalten, und sie werden künftig zum fahrenden Volk gezählt werden müssen.

(Jochen Schulte, SPD: Ach! – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Denn sie werden mehr Zeit auf der Straße verbringen müssen und höhere Fahrkosten haben, um ihre Aufgaben überhaupt erledigen zu können. Und die Zeit, die ihnen dann fehlt, fehlt ihnen natürlich, um mit den Mandantinnen und Mandanten zu arbeiten, und das ist auch eine Frage von Einnahmen für diese Berufe.

(Minister Harry Glawe: Na ja.)

Aber selbstverständlich, Herr Glawe. Ich komme gleich noch zu einem anderen Punkt, der Sie direkt angeht.

(Minister Harry Glawe: Na ja, na ja.)

Warten Sie doch mal ab!

(Minister Harry Glawe: Na ja, mein Lieber!)

Und deswegen hat das nichts mit Belebung des Wettbewerbs zu tun, sondern Sie gefährden die Existenz dieser Kanzleien und damit dieser Anwälte.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Das Zweite, Herr Minister Glawe, meine Damen und Herren der Koalition, ist die Änderung der Landesbauordnung, und zwar die Kleine Bauvorlageberechtigung.

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Ja, selbstverständlich, weil mit dieser Kleinen Bauvorlageberechtigung die Architekten und Ingenieure die Freiberufler angreifen.

(Rainer Albrecht, SPD: Aber in den neuen Bundesländern gilt das nicht.)

Nun warten Sie mal ab! Sie wollen das Handwerk stärken, aber schwächen die Freiberufler, die Architekten und Ingenieure.

Und wirklich kann uns noch niemand erklären, warum denn das Land Mecklenburg-Vorpommern von der Musterbauordnung abweicht und heimlich nach der Verbändeanhörung durch die Regierung in den Gesetzentwurf

genau diese Kleine Bauvorlageberechtigung aufgenommen hat. Die Betroffenen wurden gar nicht befragt, sondern sie hatten erst die Chance bei der Anhörung hier im Landtag, ihre Position zu formulieren.

Herr Albrecht, auch Sie haben etwas dazu gesagt, aber ansonsten fand doch in der Auswertung im Wirtschaftsausschuss nun wirklich keine Diskussion über die Anhörung statt. Und die Auswertung war mehr als dürftig, wenn wir nicht ganz konkrete Vorschläge und Schlussfolgerungen aus dieser Anhörung gezogen hätten.

Wenn es bei dem Regierungsentwurf bleibt, Herr Minister Glawe und meine Damen und Herren der Koalition, dann werden die freiberuflichen Architektinnen und Architekten und die bauvorlageberechtigten Ingenieurinnen und Ingenieure einfach angegriffen und sie werden Probleme bekommen.

(Rainer Albrecht, SPD: Ist doch nicht wahr!)