Protocol of the Session on July 2, 2015

(Zuruf vonseiten der Fraktion der CDU: Der ist blind.)

der muss sich sozusagen die Binde von den Augen nehmen. Meine Damen und Herren, das war mein kurzer Beitrag. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Ums Wort gebeten hat nun der Minister für Wissenschaft, Kultur und Bildung Herr Brodkorb – für Bildung, Wissenschaft und Kultur, natürlich, Herr Brodkorb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich eigent- lich nur zu einem Punkt äußern, nämlich, wenn ich es richtig verstanden habe, zu dem Vorwurf oder zu der Behauptung, wir hätten in Mecklenburg-Vorpommern das schlechteste Schulsystem in Deutschland und wir wären Schlusslicht. Ich hoffe, dass ich das richtig interpretiert habe, Herr Holter.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ich habe gesagt, wir sind das Schlusslicht, ja.)

Ja, dann haben wir das schlechteste Schulsystem.

Das Problem ist ja, wenn man 16 Länder hat …

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das habe ich nicht gesagt, Herr Brodkorb.)

Also ich würde es mal Arbeits…

Was heißt das denn? Na gut, wir können jetzt keinen Dialog machen. Schlusslicht müsste ja eigentlich bedeuten, wir sind die Schlechtesten.

(Heinz Müller, SPD: Ja.)

Also sonst weiß ich nicht, was ein Schlusslicht ist.

(Zuruf von Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE)

Jetzt haben wir natürlich die Schwierigkeit, wenn man 16 Länder hat, ist immer einer der Schlechteste.

(Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, selbst, wenn alle Länder innerhalb von zwei Jahren ihr Leistungsvermögen verdoppeln würden, wäre trotzdem irgendeiner der Letzte.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Jetzt habe ich mich bloß gefragt: Wie misst man das eigentlich? Wenn wir uns mit Bildungsforschern aus dem Ministerium unterhalten, sagen die immer, wir haben gar nicht genug Daten, um solche Behauptungen aufstellen zu können. Das ist ja gerade das Dilemma: kein Zentralabitur, zu viel Unterschiedlichkeit zwischen den Ländern.

Es gibt gar keine Datensätze, die Ihre These hergeben. Es gibt gar keine wissenschaftlichen Befunde, die eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen.

Da habe ich mir jetzt die Frage gestellt: Woran könnte man es denn messen? Herr Holter, ich bin auf drei Punkte gekommen. Wenn man keine wirklich wissenschaftlichen Befunde hat, um so eine These zu stützen, könnte man über die Ausstattung reden. Wie viel investieren wir in Schule? Was stellt der Staat bereit? Das misst man für gewöhnlich an der Schüler-Lehrer-Relation oder an der Klassengröße. Ich konzentriere mich jetzt mal auf die Klassengröße.

Die einzigen Daten, die wir im Moment im Bundesvergleich haben, kommen von der KMK aus dem Jahr 2013: Grundschule Mecklenburg-Vorpommern 19,6, bundesweit 20,7 – ohne Förderschule, Sek I 20,6, bundes- weit 24,2, berufliche Schule Mecklenburg-Vorpommern 18,5, bundesweit 19,0. Mit anderen Worten: Bei der Ausstattung – und da hatten wir das 50-Millionen-Paket noch nicht – sind wir teilweise deutlich besser als der Bundesdurchschnitt, teilweise leicht besser als der Bundesdurchschnitt. Ein Ausstattungsproblem kann es offenbar nicht geben.

Dann könnte man die Frage diskutieren: Liegt es vielleicht bei den Lehrerentgelten? Sparen wir denn da?

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Ja, 65 Millionen.)

Da muss ich sagen, seit dem 50-Millionen-Paket ist ja bekannt, dass wir zu einer Spitzengruppe der Länder gehören, die alle ihre Sekundarstufenlehrer genauso bezahlen wie Gymnasiallehrer. Es gibt nur wenige Länder, die das tun. Ansonsten sind wir in der Beamtenbesoldung bei den Lehrern unter den ersten vier oder fünf Ländern deutschlandweit, und bei den Angestelltentarifen ist es deutschlandweit gleich. Also liegen wir auch da vorn. Die Ausstattung ist es nicht.

Dann könnte man das Leistungsniveau der Schüler heranziehen. Da gibt es in der Tat zwei aktuelle Studien, die man nehmen kann. Die sind beide vom IQB und nach meiner Kenntnis die einzigen wissenschaftlich verlässlichen und repräsentativen Studien von der Humboldt-Uni Berlin. Der Ländervergleich bei Grundschulen für 2011: Lesen: Platz von Mecklenburg-Vorpommern: 8, Mittelfeld, Hörverstehen: 8, Mittelfeld, Mathe: Platz 8, Mittelfeld. Das ist die Grundschule.

Dann gibt es einen zweiten repräsentativen Ländervergleich aus dem Jahr 2011, wiederum vom IQB zu Naturwissenschaften und Mathematik: Mathe: Platz 6, Bayern übrigens auf Platz 3, Biologie: Platz 5, Bayern auf Platz 8, Chemie: Platz 5, Bayern auf Platz 6, und Physik: Platz 5, Bayern auf Platz 6. Das heißt, in allen Leistungsstufen, die wir haben, liegen wir im mittleren Leistungsniveau der Schüler – entweder im Mittelfeld oder in der Spitzengruppe. Das sind die objektiven Befunde. Wir können also offenbar nicht das schlechteste Schulsystem dahin gehend haben, dass wir die schlechtesten Schülerleistungen haben. Das wäre aber vielleicht ein guter Indikator, um diese Frage zu beantworten.

Bleibt die dritte Möglichkeit. Wenn es also auch nicht das Leistungsniveau der Schüler ist, geht es eigentlich nur noch messbar bei den Absolventenquoten. Und das sind

zwei besonders interessante – darauf haben Sie abgehoben –: Abitur und die Schüler ohne Hauptschulabschluss. Ich weiß nicht, ob es sich herumgesprochen hat, aber im Abitur liegen wir ungefähr im Durchschnitt der Bundesrepublik und haben historisch die höchste Abiturientenquote aller Zeiten und gleichzeitig die höchste Durchfallerquote beim Abitur in ganz Deutschland.

Jetzt ist die Frage: Ist das Ausdruck von Qualität und von Leistungsanspruch im Gymnasium, dass auch Schüler durchfallen können, oder ist es ein Versagen des Staates, dass nicht jeder schon mit der Geburt das Abitur überreicht bekommt? Das ist jetzt die spannende Frage.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Und warum schleppt man die dann bis zur 12?)

Wenn Sie sich das angucken, dass das Leistungsniveau der Schüler eher gut ist und wir einen deutlichen Anstieg der Abiturientenquote der letzten Jahre haben, dann spricht doch viel für folgende Hypothese – das kann man übrigens heute in der FAZ auch nachlesen –,

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist immer noch Bundesdurchschnitt, Herr Brodkorb.)

dass heute sehr viel mehr leistungsschwächere Schüler aufs Gymnasium gehen als noch vor zehn Jahren und dass es, wenn man das Niveau der Abiturprüfung nicht absenken will, natürlich eine der Folgen ist, dass man wahrscheinlich auch ein paar mehr Durchfaller hat. Das ließe sich nur verhindern, indem man das Niveau bei der Abiturprüfung absenkt, und dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oder wie wäre es damit, die individuelle Förderung zu stärken?)

Jetzt gibt es den nächsten Punkt.

Frau Berger, wie gesagt, das ist die Frage, ob Sie daran glauben, dass 100 Prozent einer Schülerpopulation Abitur machen können. Mit genug Förderung schafft es je- der – ich glaube es nicht. Sie können ja glauben, dass das geht. Ich glaube es nicht.

(Heiterkeit und Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Jetzt gibt es den dritten Punkt oder den unteren Punkt: Schüler ohne Hauptschulabschluss. Ich würde vielleicht versuchen, den Rahmen etwas zu weiten.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Es ist das Jahr 2013 und ich sage Ihnen mal, wie sich das in Deutschland verhält mit den Schülern ohne Berufsreife: Sachsen 9,5 Prozent – Sachsen ist übrigens sonst hinter Bayern immer das beste Land bei der Bildung –, Mecklenburg-Vorpommern 10,3, Brandenburg 8,0, Thüringen 7,6, Sachsen-Anhalt 9,7. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 5,7. Im Westen liegt die Quote von Schülern ohne Berufsreife also um 5 Prozent oder darunter, und im Osten bei 8, 9 oder 10 Prozent – in allen ostdeutschen Ländern. Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen Ost und West.

Wenn Sie das aber verbinden mit den Leistungsdaten, die ich eben referiert habe, kann es nichts mit Schüler

leistung zu tun haben, weil unsere Schülerleistungen im Mittelfeld liegen. Sachsen ist übrigens in den ganzen naturwissenschaftlichen Fächern auf Platz 1 und hat trotzdem die höchste Quote der Schüler ohne Berufsreife.

Was wäre denn mit folgender Hypothese? Dafür gibt es, glaube ich, durchaus auch Befunde, die das nahelegen. Was wäre eigentlich, wenn das Anspruchsniveau unserer Schulen, unserer Prüfungen, ein höheres ist in ganz Ostdeutschland als in Westdeutschland und sich nur so diese Daten erklären lassen?

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Aber hallo!)

Sehr geehrte Frau Oldenburg, ein Anhaltspunkt dafür könnte sein – vielleicht nehmen Sie diese IQB-Studie aus dem Jahr 2012 zur Kenntnis –, dass in der repräsentativen Studie bundesweit geprüft wurde, wie viele Schüler die Mindeststandards in Mathematik nicht haben. Da kommt raus: In Sachsen sind es 1,3 Prozent, bei uns 2,8 und, nehmen wir mal Nordrhein-Westfalen, dort sind es 7,2 Prozent, die die Mindeststandards nicht erfüllen. Es gibt ein erhebliches Gefälle zwischen den Bundesländern.

Jetzt halten wir es doch einmal für möglich, dass die Abschlussstandards und die Berufsreife in Deutschland nicht gleich sind und das der Grund dafür ist, warum alle ostdeutschen Länder relativ hoch liegen. Bei uns sind die Ansprüche noch etwas anders als in Westdeutschland. Dann müssten wir ja die Quote – und das könnte man beliebig machen – einfach auf das westdeutsche Niveau absenken, indem wir es einfacher machen. Das geht innerhalb von einem Jahr oder vielleicht von zwei Jahren, das können Sie machen, da sind wir von 16 auf 5 Prozent runter, das ist gar kein Problem. Das hat diese Regierung nicht getan. Sie hat gesagt, sie arbeitet daran, ohne das Leistungsniveau infrage zu stellen, diese Quote Schritt für Schritt zu senken.

Ich nenne Ihnen mal ein paar Beispiele, woran man das festmachen kann, dass es wahrscheinlich richtig ist, was ich sage. Dann bin ich auch fertig. In Bayern, in Hessen, in Niedersachsen können Sie mit einer „Sechs“ auf dem Zeugnis in Mathematik die Berufsreife erwerben. Das geht in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr. Das ist in dieser Legislaturperiode geändert worden.

Insofern sind die ganzen Fragen oder die Behauptungen, die Sie, Herr Holter, aufgestellt haben, aus meiner Sicht sehr, sehr fragwürdig. Wir haben am Ende gar keine wirklich belastbaren Daten, um eine solche These zu plausibilisieren. Man kann ein bisschen was vermuten oder das machen, was ich jetzt versucht habe, aber am Ende kann man diese Frage nur beantworten, wenn man, und daran arbeitet die Koalition, bei Schulabschlüssen bundesweit zentrale Standards und zentrale Maßstäbe, zentrale Rahmenpläne, Stundentafeln und auch Bewertungskriterien hat.

(Regine Lück, DIE LINKE: Das müssen wir gleich zentralisieren.)

Erst wenn wir das haben, wissen wir am Ende wirklich, wo unsere Schülerinnen und Schüler stehen. Aber alle Daten, die uns vorliegen, die wissenschaftlich belastbar sind, sprechen leider – was heißt leider, zum Glück – dafür, dass sich die Schulen von Mecklenburg-Vor- pommern gut im Mittelfeld Deutschlands platzieren und alles andere als Schlusslicht sind.