Protocol of the Session on April 22, 2015

Freihändig kann die Kommission zu dem Ergebnis gelangen, dass das Aufenthaltsgesetz für eine bestimmte Person zu ignorieren sei. Dazu muss man lediglich übergeordnete humanitäre Gesichtspunkte oder unerträgliche Härten behaupten, die vom Gesetz nicht erfasst werden können, weil sie ja ach so speziell, so individuell und so aus dem Rahmen fallend seien. Dann wird an das Innenministerium ein entsprechendes Ersuchen gerichtet. Bei genügend Pressewirbel gibt selbiges in der Regel auch nach und geht in die Knie,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

auch wenn der betreffende Ausländer aus einem sicheren Herkunftsland kommt und es keinen Grund gäbe, ihn als Flüchtling anzuerkennen und eben Asyl zu gewähren. Sichere Herkunftsstaaten sind solche Länder, in denen weder politische Verfolgung noch sonstige menschenunwürdige Bestrafungen drohen (Legaldefinition). Wer aus einem solchen Staat kommt, dessen Asylantrag ist aus offensichtlichen Gründen abzulehnen, gemäß Para- graf 29a Asylverfahrensgesetz. Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Senegal und Ghana sind laut Gesetz solche sicheren Herkunftsländer. Asylbewerber aus diesen Staaten müssen aber nur das Zauberwort „Härtefall“ sagen beziehungsweise die üblichen Tricks zur Anwendung bringen und schon läuft das Härtefallverfahren, in dessen Verlauf gewöhnlich nicht abgeschoben wird. Das trauen sich die Behörden nicht.

Gleiches gilt für Leute, die über ein anderes europäisches Land nach Deutschland kommen und dorthin überstellt werden müssten, wenn das Dublin-III-Abkommen geachtet werden würde, was aber nicht der Fall ist, weil es nur auf dem Papier steht. Wie man einen Härtefall herbeizaubert, bringen die Schlepperorganisationen ihren Kunden gerne bei, das gehört zum All-inclusive-Leistungspaket. Zum Beispiel, einer aus dem Familienclan wird krank kurz vor der anstehenden Abschiebung oder es kommt zu einem Nervenzusammenbruch, weil es ja so schrecklich ist, nach Frankreich, die Niederlande oder nach Polen zurückzumüssen – alles furchtbare Horrorstaaten –, wo man zuerst Europa betreten hat, bis man bemerkte, dass es in Deutschland mehr Geld gibt. Ist der Härtefall dann anerkannt, tritt wie durch ein Wunder sofortige Gesundung ein.

Die in Anklam ansässigen Tschetschenen sind fast alle vollziehbar ausreisepflichtig, aber aus persönlichen Gründen, über die aus Datenschutzgründen nichts ge

sagt werden darf, sind sie alle noch da. Sie schinden so lange Zeit, bis sie das Ausländerrecht ausmanövriert haben, sei es als Härtefälle nach dem entsprechenden Verfahren oder einfach so, weil die zuständigen Behörden nichts unternehmen und sich lieber tot stellen.

Wenn all diese Tricks zum Erfolg führen, ist das aber kein Triumph der Humanität, sondern ein Sieg der Verbrechersyndikate,

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

die aus der Einschleusung von Ausländern nach Deutschland ein Millionengeschäft gemacht haben, und der Profiteure aus der BRD-Asylindustrie.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

Diese eingeschleusten Ausländer sind weder verfolgt noch arm, nur die Wohlhabenden können sich die Dienste der Kriminellen leisten. Sie sind keine Härtefälle. Die wahren Härtefälle sind die, die zu arm für Reisen nach Deutschland sind. Deshalb muss die Härtefallkommission in Mecklenburg-Vorpommern weg, samt der Verordnung, durch die sie eingerichtet wurde. Sie hilft den Falschen, die wir in Deutschland nicht brauchen können, und sie passt in ein Gesetz überhaupt nicht hinein, weil sie reine Willkür ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Kaselitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich gleich vorwegschicken: Die demokratischen Fraktionen dieses Landtages werden, und das wird niemanden verwundern, natürlich gegen diesen vorliegenden Antrag stimmen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und das ist auch richtig.)

Die Aufforderung der NPD an die Landesregierung, die Härtefallkommissionslandesverordnung aufzuheben und die Härtefallkommission aufzulösen, tragen wir ausdrücklich nicht mit.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Im Gegenteil, im Gegensatz zu der im Antrag geäußerten Geringschätzung der Härtefallkommission durch die NPD erachten wir Abgeordneten der demokratischen Fraktionen die Arbeit der Härtefallkommission als verantwortungsvolle Tätigkeit im Sinne der Humanität.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, gemäß Aufenthaltsgesetz darf die oberste Landesbehörde anordnen, dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den im Gesetz festgelegten Vorausset

zungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission

darum ersucht. Das Aufenthaltsgesetz ermächtigt die Landesregierung, eine Härtefallkommission einzurichten. Von dieser Möglichkeit hat Mecklenburg-Vorpommern Gebrauch gemacht und im Februar 2005 durch die Härtefallkommissionslandesverordnung die Voraussetzung geschaffen, die Härtefallkommission ins Leben zu rufen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei den Herren der NPD scheinen ganz offensichtlich ein gehöriges Maß an Unkenntnis, zumindest Unverständnis und der Wunsch nach propagandistischer Auslegung hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Aspekte der Tätigkeit der Härtefallkommission zu herrschen. Wahrscheinlich ist es aber eher bewusste Ignoranz, um Stimmungsmache zu betreiben und Unfrieden zu schüren.

(David Petereit, NPD: Zugehört haben Sie ja aber?)

Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, die Beteiligten, die Aufgabe und die Arbeitsweise der Härtefallkommission kurz darzustellen. Die Härtefallkommission ist ein von der Landesregierung eingerichtetes behördenunabhängiges achtköpfiges Gremium, welches jeweils aus einem Vertreter der Evangelisch-Lutherischen Kirche, der Katholischen Kirche, der Flüchtlingsorganisationen Mecklenburg-Vorpommern, der LIGA der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Mecklenburg-Vorpommern, der kreisfreien Städte, der Landkreise sowie des Sozialministeriums und dem Leiter der Geschäftsstelle als Vertreter des Innenministeriums besteht. Diese engagierten Menschen in der Begründung zum Antrag als „Lobbyisten“ zu bezeichnen und ihnen zu unterstellen, mit ihrer Arbeit dem Missbrauch Tür und Tor zu öffnen, ist eine persönliche Beleidigung, die wir scharf zurückweisen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Stefanie Drese, SPD: Genau.)

Aufgabe der Härtefallkommission ist es, den Fällen Rechnung zu tragen, in denen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aus unterschiedlichen, von ihnen nicht zu vertretenden Gründen die allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen beziehungsweise erfüllen können, aufgrund besonderer Umstände jedoch eine weitere Aufenthaltsgewährung geboten ist. Die Entscheidung für ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass nach den Feststellungen der Härtefallkommission dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen, die eine weitere Anwesenheit im Bundesgebiet rechtfertigen.

Das Aufenthaltsgesetz bestimmt, dass die Härtefallkommission ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig wird. Dritte können nicht verlangen, dass eine Härtefallkommission sich mit einem bestimmten Einzelfall befasst oder eine bestimmte Entscheidung trifft. Ein Fall kann von der Kommission nur beraten werden, wenn mindestens ein Mitglied der Kommission diesen als Vorschlag zur Beratung einbringt. Der Vorschlag zur Beratung ist kein förmlicher Rechtsbehelf und hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Ausländer oder eine von ihm bevollmächtigte dritte Person kann sich an die Geschäftsstelle der Härtefallkommission oder an eines der Mitglieder wenden. Der Ausländer darf nicht zur Fahn

dung ausgeschrieben sein, sein Rückführungstermin darf noch nicht feststehen.

In bestimmten Fällen wird die Härtefallkommission kein Härtefallersuchen an das Innenministerium stellen. Ein solcher Fall kann dann vorliegen, wenn für den Ausländer ein Aufenthaltsverbot besteht, er sich illegal aufhält oder ein gesetzlicher Versagungsgrund bezüglich eines Aufenthaltes besteht. Eine Aufenthaltsgewährung ist ebenfalls in der Regel ausgeschlossen, wenn der Ausländer ausgewiesen wurde oder Gründe vorliegen, die eine Abschiebungsanordnung rechtfertigen, wenn ausschließlich Gründe vorgetragen werden, die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu würdigen sind oder Straftaten von erheblichem Gewicht begangen wurden. Hat der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen, hat er auf andere Weise behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert oder hat er die Ausländerbehörden über aufenthaltsrechtlich bedeutsame Umstände getäuscht, wird die Härtefallkommission ebenfalls regelmäßig kein Ersuchen stellen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, die in der Antragsbegründung aufgestellte Behauptung, es sei möglich, politische Interessen über die Rechtsordnung zu stellen, ist abwegig. Die Härtefallkommission hat keine Endentscheidungsbefugnis. Ihre Aufgabe ist es, über einen Härtefallvorschlag zu befinden und gegebenenfalls ein Ersuchen zu stellen. Eine abschließende Entscheidung trifft allein das Innenministerium. Dabei ist die Härtefallkommission verpflichtet, hinsichtlich ihrer Entscheidungen gegenüber dem Innenministerium darzulegen, welche dringenden persönlichen oder humanitären Gründe ihrer Ansicht nach die weitere Anwesenheit des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch die in der Antragsbegründung getroffene Aussage, das Aufenthaltsgesetz werde unterlaufen, die Gewährung eines Aufenthaltstitels werde zu einer Entscheidung im rechtsfreien Raum, ist absurd. Wird ein Härtefallersuchen an das Innenministerium gestellt, so wird dort entschieden, ob eine Anordnung gegenüber der Ausländerbehörde zu treffen ist, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen oder zu verlängern. An diese Entscheidung ist die Ausländerbehörde dann gebunden. Stellt die Härtefallkommission kein Härtefallersuchen, kann sie beschließen, der Ausländerbehörde eine Empfehlung zur Ermessensausübung zu geben. Diese ist für die Ausländerbehörde nicht bindend.

Werte Abgeordnete, wenn der NPD tatsächlich an einer sachlichen Befassung mit dem Thema gelegen wäre – wodurch sich die NPD bekanntermaßen nicht besonders auszeichnet –,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

hätte ein Blick in den Tätigkeitsbericht der Härtefallkommission für das Geschäftsjahr 2014 genügt.

(Tino Müller, NPD: Und alles ist in Ordnung.)

Im Berichtszeitraum tagte die Härtefallkommission zweimal. Die Mitglieder der Härtefallkommission beraten dabei jeden Einzelfall sehr intensiv

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

und wiegen alle für und gegen eine Aufenthaltsgewährung sprechenden Aspekte ab. Da das Gesetz auf eine individuelle Härte abstellt, muss jeder Fall für sich betrachtet werden. Maßgeblich ist letztlich allein, dass eine Aufenthaltsbeendigung den betreffenden Ausländer ungleich härter treffen würde als alle anderen Ausreisepflichtigen.

Insgesamt gab es im letzten Jahr 14 neue Fälle, die sich auf 28 Personen bezogen. Hinzu kamen vier weitere Härtefallvorschläge, bezogen auf vier Personen, die aus dem Jahr 2013 stammten.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist ein ordent- licher Missbrauch, der da stattfindet, was?!)

Allein bei 13 Vorschlägen lagen zwingende Ausschlussgründe vor, die die Durchführung eines Härtefallverfahrens unzulässig machten. Lediglich in drei Fällen wurde für drei Personen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber der Ausländerbehörde angeordnet. Anders, als die NPD glauben machen will, handelt es sich also bei der Inanspruchnahme der Härtefallkommission mitnichten um ein Massenphänomen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie mich abschließend allen Mitgliedern der Härtefallkommission und den Mitarbeitern ihrer Geschäftsstelle im Namen aller demokratischen Fraktionen Dank für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit aussprechen, die wir sehr schätzen. Sie ist Ausdruck unseres Verständnisses von Menschlichkeit. Menschlichkeit gegenüber jedermann ist Ihnen, meine Herren, fremd.

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

Noch einmal: Die demokratischen Fraktionen lehnen den vorliegenden Antrag ab.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich aus gegebenem Anlass noch mal darauf hinweisen, dass ich, wie schon mehrfach bemerkt, wenn wir von unserem Bundesland reden, davon ausgehe, dass wir von Mecklenburg-Vorpommern reden. Und diese Bezeichnung bitte ich hier im Parlament auch so zu verwenden, damit wir dem, was wir hier sind, nämlich ein Parlament des Landes MecklenburgVorpommern, auch Rechnung tragen.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Ich rufe auf für die Fraktion der NPD den Abgeordneten Herrn Andrejewski.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Also ausnahmsweise bin ich mir mal keiner Schuld bewusst. Ich wüsste nicht, dass ich was anderes als Mecklenburg-Vorpommern gesagt habe.