Protocol of the Session on January 29, 2015

Er hat nämlich ausgeführt – dem kann ich mich nur anschließen –, das Interesse am Versagen der Sicherheitsbehörden schwindet langsam, je mehr Zeit ins Land geht. Er hat auch recht mit seiner Feststellung, dass kein grundlegender Wandel der Mentalität der Sicherheitsbehörden erkennbar ist.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die einzelnen Bundesländer gehen unterschiedlich damit um. Die einen – Herr Silkeit hat darauf hingewiesen – nehmen das zum Anlass, um aufzustocken. Es gibt andere Bundesländer, die sich kritisch damit auseinandersetzen, welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind.

Das Berliner Abgeordnetenhaus folgte den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses über die Parteigrenzen hinweg. Heute müssen Polizei und Staatsschutz regelmäßig im Abgeordnetenhaus berichten. Beim Staatsschutz wurde ein Rotationsprinzip eingeführt, beim Führen von V-Männern gilt nun das Vieraugenprinzip. Interkulturelle Kompetenzen werden bei der Polizeiausbildung deutlich gestärkt.

In Thüringen soll der Verfassungsschutz – Sie wissen das und kennen das – grundsätzlich reformiert werden. Rot-Rot-Grün richtet dort eine Kommission für den Umgang mit Rassismus und Diskriminierung ein.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Im Koalitionsvertrag sind eine grundsätzliche Überprüfung einer möglichen Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden sowie eine Reform des Landesamtes für Verfassungsschutz vereinbart. Das bisherige System der V-Leute in Thüringen – und das ist auch hier kein Tabu, sehr geehrte Damen und Herren – wird nicht fortgeführt. Ausnahmen in begründeten Einzelfällen sollen nur noch vorbehaltlich der Zustimmung des Ministerpräsidenten sowie des für Inneres zuständigen Kabinettsmitglieds möglich sein. Zudem wird die dortige Landesregierung eine Expertenkommission einberufen, die die Notwendigkeit des Amtes für Verfassungsschutz überprüfen und dem Landtag danach einen Reformvorschlag vorlegen soll. Das zumindest ist eine konsequente Auseinandersetzung mit diesem Thema, die die SPD, LINKE und DIE GRÜNEN in Thüringen jetzt angeschoben haben. Und auch die parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit des Verfassungsschutzes soll ausgebaut werden. Rot-Rot-Grün plant die Einrichtung einer zentralen Informationsstelle, die unter anderem neonazistische Aktivitäten dokumentieren soll.

Alles das sind Beispiele, die aufzeigen sollen, welche Möglichkeiten wir hätten, um darüber nachzudenken, welche Schlussfolgerungen wir aus dem Versagen der Behörden im Zusammenhang mit der NSU-Terrorgruppe ziehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, man kann sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Im Bericht des Innenministeriums ist – vorsichtig formuliert – davon gar nicht oder nur unzureichend die Rede. Es wird allzu oft darauf hingewiesen, dass man auf die Entscheidungen des Bundes warten müsse, dass man nicht zuständig sei oder dass man keinen Anlass zur Änderung sehe, weil ja alles in Ordnung sei, so, wie es bisher war.

Auf andere Empfehlungen des Untersuchungsausschusses geht der Bericht erst gar nicht ein. „Weiter so!“ – das ist das Credo in weiten Teilen des Berichtes. „Kein Reformbedarf“ – das ist die rote Linie, die sich durch weite Teile des Berichtes zieht.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Schwarze Linie.)

Sehr geehrter Herr Innenminister, das reicht nicht ansatzweise. Wenn wir jetzt alle 47 Empfehlungen durchgehen würden, und das hat die Linksfraktion ja getan, wir haben das auch getan – wir sind über eine, ich sage es vorsichtig, extrem übersichtliche Zahl von tatsächlichen Änderungsvorhaben gestoßen. Ich glaube, dass es eine gute Empfehlung ist, die Peter Ritter gemacht hat, sich die Mühe zu machen, bei den Beratungen im Innenausschuss tatsächlich mal jede der einzelnen 47 Empfehlungen durchzugehen und zu gucken, welche Konsequenzen denn das Land nach Empfehlungen des Innenministers aus dem Versagen der Behörden jetzt zieht.

Ich will mich auf einen Punkt konzentrieren, den ich für besonders wichtig halte, weil er uns alle betrifft. Das ist der Bereich der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes. „Nach den Feststellungen“ des NSUUntersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, Zitat, „fehlte es im Untersuchungszeitraum weitgehend an einer parlamentarischen Kontrolle der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden zum Untersuchungsgegenstand.“ Sie finden das auf Seite 865.

Nach den Empfehlungen des NSU-Untersuchungs- ausschusses des Deutschen Bundestages bedarf es der Stärkung einer systematischen und strukturellen Kontrolle. Einzelne Tätigkeitsbereiche der Nachrichtendienste, so beispielsweise auch der in der Arbeit des Untersuchungsausschusses als höchst problematisch erkannte Bereich des Einsatzes der V-Leute, müssen gezielt untersucht werden. Die parlamentarischen Kontrollgremien müssen schlagkräftiger werden und eine dauerhafte Kontrolltätigkeit ausüben können. Dafür bedarf es einer ausreichenden professionellen Personal- und Sachausstattung.

Wenn ich das mal herunterbreche, auch aus meiner persönlichen Erfahrung in der Parlamentarischen Kontrollkommission, ich nenne nur ein paar Beispiele: Es gibt keinen einzigen Mitarbeiter, mit dem sich Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission zurücksprechen können, weil ihnen auferlegt wird, über das, was sie erfahren, keine Auskunft geben zu dürfen. Es gibt noch nicht mal Kollegen in den einzelnen Fraktionen, mit denen ich mich zurücksprechen kann, weil mir auferlegt wird, dass ich über bestimmte Dinge nicht reden darf.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, aber vielleicht auch, weil es Daten gibt, die schützenswert sind.)

Es gibt keine Antwort, Herr Kollege Ringguth, auf Anfragen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU:

Mit wem wollen Sie sich denn darüber

unterhalten, wenn es um Geheimdienst geht?

Also das ist doch nicht zu glauben! –

Zurufe von Peter Ritter, DIE LINKE,

und Johann-Georg Jaeger,

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, im Augenblick ist die Situation so, dass Sie keine Möglichkeit haben, auch nur schriftliche Notizen mit hinauszunehmen,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Am besten, Sie sagen noch den Klarnamen. Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

und nur auf sich selbst gestellt sind, nur auf sich selbst setzen können.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Das ist doch albern, was Sie da erzählen! Das wissen Sie doch. – Stefan Köster, NPD: Können Sie sich das nicht merken? – Zuruf von David Petereit, NPD)

Nein, das ist nicht albern, sondern da geht es, Herr Kollege Ringguth, um die ernsthafte Frage, welche Wege und Möglichkeiten es gibt. Und albern ist nicht das, was im Bericht des Untersuchungsausschusses steht,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ist irgendwann irgendwo jemand Ihnen gegenüber einmal eine Frage schuldig geblieben?!)

welche Möglichkeiten es gibt, die Personal…

Einen Moment, Herr Suhr! Einen kleinen Moment, Herr Suhr!

Herr Ringguth, die Fraktion der CDU hat noch Redezeit, ansonsten haben Sie auch ein Saalmikrofon, von wo aus Sie Fragen stellen können. Allerdings sollten wir hier auf Dialoge und gegenseitige Fragestellungen verzichten. Sie haben die beiden Möglichkeiten, aber weitere derartige Dispute werde ich hier nicht zulassen.

Jetzt können Sie weitermachen, Herr Suhr.

Herr Ringguth, ich will auf das Wort „albern“ eingehen.

Wenn der Parlamentarische Untersuchungsausschuss die Feststellung trifft, dass die Kontrollorgane, die PKK, ausgestattet werden müssen, personell ausgestattet werden müssen, dann ist das schon ein Teil der Antwort, wie man parlamentarische Kontrolle qualifizieren kann. Und dann ist das keine alberne Feststellung, sondern dann ist das ein ernsthafter Ansatz, über den wir hier auch in diesem Landtag ernsthaft nachdenken müssen. Das kann man nicht so pauschal abtun, sondern es geht darum, wie man die parlamentarische Kontrolle stärken kann.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Wie viel Personal brauchen Sie denn da?)

Und wir wollen mit Ihnen darüber reden im Innenausschuss, wie man sie stärken kann, und nicht über ein „Weiter so!“, wo jeder Einzelne nur auf sich eingestellt ist und begrenzte Möglichkeiten der Kontrolle des Verfassungsschutzes hat.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Warum?)

Wenn man hier das Wort führt oder hier ausführt, man will den Verfassungsschutz stärken, dann kann man sicherlich auch darüber reden,

(David Petereit, NPD: Einfach abschaffen!)

wenn man der politischen Auffassung ist, aber dann muss man doch gleichzeitig darüber reden, wie man in einem gestärkten Verfassungsschutz die parlamentarische Kontrolle stärken kann. Das ist doch der Kernpunkt. Wenn Sie nur die eine Seite betrachten, dann hebeln Sie die andere aus.

Unsere Position ist, die richtige Schlussfolgerung aus den Geschehnissen um den NSU ist die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, und darüber muss im Innenausschuss geredet werden.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe dazu eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gerichtet zur „Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses“. Sie finden die Beantwortung auf Drucksache 6/2657. Auch da wird deutlich, mit welcher Mentalität das beantwortet wird. Ich hatte die Landesregierung gefragt, wie sie die Forderungen der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bewertet, dass die in dem parlamentarischen Kontrollgremium vertretenen Fraktionen Anhörungen, Akteneinsicht und die Beauftragung von Ermittlungsbeauftragten unabhängig von der Regierungsmehrheit durchsetzen können müssen. Da geht es um Minderheitenrechte. Die Antwort lautete:

„Den umfassenden Kontrollrechten der Parlamentarischen Kontrollkommission, die insbesondere in § 29 … Landesverfassungsschutzgesetz normiert sind, steht das Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes gegenüber. Die Funktionsfähigkeit bedingt, dass von den parlamentarischen Befugnissen mit fachlichem Augenmaß Gebrauch gemacht wird und nicht vorrangig tagespolitische Auseinandersetzungen den Kontrollprozess bestimmen. Die Anwendung des Mehrheitsprinzips in der Parlamentarischen Kontrollkommission sichert insoweit bei Wahrung der sachbezogenen und fachlichkeitsorientierten Kontrolle die gesetzlich vorgegebene Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes.“

Genau das ist die Abwägung. Und da ist die Entscheidung, die in der Antwort der Landesregierung auf diese Anfrage deutlich wird, die Mentalität, die darin deutlich wird, dass man der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden deutlichen Vorrang gibt und die Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission nachrangig ist. Das ist eine Position, von der ich glaube, dass wir ernsthaft darüber nachdenken müssen, auch in diesem Hohen Hause, ob wir das verändern.

Verfassungsschutzbehörden, wenn man sie denn will, müssen arbeiten können, müssen dann auch mit Vertrauen ausgestattet werden können, aber sie müssen auch kontrolliert werden können. Wer das bisher nicht geglaubt hat, der ist allerspätestens durch die Geschehnisse um den NSU und die NSU-Terrortruppe widerlegt. Und das erwarte ich von diesem Haus, vom Landtag, vom Innenausschuss, dass genau das, sehr geehrte Damen und Herren, ernstgenommen wird.

Ich, sehr geehrte Damen und Herren, hoffe sehr, dass der Verweis in den Innenausschuss, den wir hier vermutlich mehrheitlich vornehmen werden, dazu beiträgt, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir die parlamenta

rische Kontrolle stärken, aber auch, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, wie wir eine Reform der Sicherheitsbehörden auf Landesebene durchsetzen können. Und ich hoffe sehr, dass wir daran auch gemeinsam ernsthaft arbeiten. Es ist deutlich Kritik laut geworden am Bericht des Innenministers. Ich glaube, dass dies dazu führen sollte, konstruktiv darüber nachzudenken, inwieweit kriegt man hier eine gemeinsame Linie im Sinne von richtigen, notwendigen Schlüssen aus der katastrophalen Arbeit der Sicherheitsbehörden um den NSU herum. – Ich danke Ihnen herzlich.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)