Protocol of the Session on January 28, 2015

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache nicht vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/3612 zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Agrarausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes, Drucksache 6/3616.

Gesetzentwurf der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 6/3616 –

Das Wort zur Einbringung hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Fraktion DIE LINKE legen Ihnen erneut einen Änderungsantrag zur Änderung des Gerichtsstrukturreformgesetzes vor. Wir begehren damit und schlagen Ihnen vor, die derzeit noch anstehenden Schließungen und Degradierungen von Amtsgerichten um einen Zeitraum von jeweils zwei Jahren hinauszuschieben, also ein faktisches Moratorium.

Sie wissen, wir haben in der Vergangenheit, in den vergangenen Monaten, schon an unterschiedlichen Stellen über derartige Moratorien gesprochen und wir tun dies heute vor dem Hintergrund, dass wir erstmalig in der Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern ein Volksbegehren haben, welches offensichtlich erfolgreich durchgeführt worden ist. Der Richterbund MecklenburgVorpommern und der Verein Pro Justiz e. V. haben der Landtagspräsidentin am 9. Dezember 2014 eine Sammlung mit fast 150.000 Unterschriften vorgelegt. Es waren 150.000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern, die sich gegen die von SPD und CDU durchgeboxte Gerichtsstrukturreform gewandt haben.

(Heinz Müller, SPD: Beschlossene!)

Das waren fast 150.000 Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Stimme deutlich gemacht haben, dass sie sich ge

gen den Rückzug von Polizei, Verwaltung und Justiz – und das war, glaube ich, ein exemplarisches Beispiel für das Gerichtsstrukturreformgesetz – aus dem ländlichen Raum wehren.

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Das waren fast 150.000 Menschen, die sich im besten demokratischen Sinne eingemischt haben, die ihr in der Verfassung verankertes Recht wahrgenommen haben und sich mit ihrer Unterschrift gegen ein von SPD und CDU beschlossenes Gesetz gewandt haben.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Volksbegehren gegen die Gerichtsstrukturreform ist ein besonderer Vorgang, ein bisher einmaliges Ereignis, denn erstmals in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns hat ein Volksbegehren die erforderliche Anzahl von 120.000 gül- tigen Unterschriften nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten, um knapp 30.000 Unterschriften überschritten. Diese Einmischung im besten demokratischen Sinne ist etwas, was meine Fraktion und was die Fraktion DIE LINKE ausdrücklich begrüßen. Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben schlicht und ergreifend ihr demokratisches Grundrecht wahrgenommen. Sie haben sich eingebracht, sich eine Meinung gebildet, sich positioniert, also genau das getan, was wir Demokraten uns eigentlich immer wünschen.

Dieses erfolgreiche Volksbegehren ist ein deutliches Zeichen gegen die Politikverdrossenheit, weil Menschen haben sich beteiligt und eingemischt und gleichzeitig dafür gestimmt, dass Bürgerinnen und Bürger ihren politischen Willen zum Ausdruck bringen wollen, dass sie in unserer freiheitlich und demokratisch verfassten Gesellschaft mitbestimmen wollen, dass sie die ihnen über die Landesverfassung zur Verfügung stehenden Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten nutzen wollen und dies im besten demokratischen Sinne auch tun. Ich halte das für vorbildlich.

Sehr geehrte Damen und Herren, die fast 150.000 Bürgerinnen und Bürger haben nichts anderes getan, als ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, und sie erwarten mit großer Selbstverständlichkeit, dass ihr demokratisch zum Ausdruck gebrachter Wille ernst genommen und gehört wird. Und genau das steht derzeit auf dem Spiel, das Ernstnehmen dieses demokratischen Willens, weil wenn vonseiten der CDU und der SPD heute dem Antrag von LINKEN und GRÜNEN nicht gefolgt wird, dann droht der weitere Vollzug des beschlossenen Gesetzes, gegen das sich fast 150.000 Menschen gewandt haben. Dann heißt das, dass über die bereits geschlossenen beiden Gerichtsstandorte weitere Schließungen realisiert werden. Und dann heißt das, dass wir irgendwann an einem Punkt sind, an dem schlicht und ergreifend vollendete Tatsachen geschaffen worden sind. Dies wird keinesfalls auf das Verständnis derjenigen stoßen, die sich eingebracht haben.

Vielleicht ist es an dieser Stelle einmal sinnvoll, das Szenario aufzuzeigen, was wir jetzt in den nächsten Wochen und Monaten zu erwarten haben: Derzeit prüft die Landeswahlleiterin die Rechtsgültigkeit der knapp 150.000 Un- terschriften. Ich bin sehr sicher, dass deutlich mehr als 120.000 Unterschriften gültig sein werden, und ich finde, das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen!

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Und dann werden die beiden Fristen eintreten, in denen sich der Landtag mit dem Volksbegehren beschäftigen kann.

(Heinz Müller, SPD: Muss, muss!)

Also nach Einbringung – vermutlich im März – haben wir dann ein halbes Jahr Zeit, uns damit zu befassen. Für den Fall, dass wir dem Anliegen des Volksbegehrens nicht folgen, wird es noch mal die Möglichkeit geben, zwischen drei bis sechs Monate ins Land gehen zu lassen, um dann tatsächlich zu einem Volksentscheid zu kommen. Das ist der Zeitraum, wenn man das jetzt hochrechnet.

Ich habe große Bedenken, dass die Koalition, dass die Landesregierung die Fristen ausschöpfen wird. Dann landen wir beim etwaigen Volksentscheid im ersten Quartal 2016. Zu diesem Zeitpunkt werden alle Gerichtsstandorte mit Ausnahme des Amtsgerichts in RibnitzDamgarten, deren Schließung oder Degradierung im Gesetz vorgesehen ist, geschlossen oder zurückgestuft sein. Zu diesem Zeitpunkt macht es in der Tat keinen Sinn mehr, über Dinge abzustimmen, die dann schon vollzogen sind.

Und vor dem Hintergrund ist die Befassung des von der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute eingebrachten Gesetzentwurfs gar nicht prioritär die Auseinandersetzung um die Gerichtsstrukturreform. Es ist schlicht und ergreifend die Auseinandersetzung mit der Frage, wie ernst der Landtag den Bürgerwillen nimmt, der in 150.000 Unterschriften zum Ausdruck gekommen ist, denn wir fordern mit dem Gesetzentwurf ja nichts anderes, als die Umsetzung auszusetzen. Und wir fordern nichts anderes, als den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, für den Fall, dass der Landtag dem Volksbegehren nicht zustimmt, seine Zustimmung verweigert, über eine so wesentliche Frage im Rahmen einer Volksabstimmung abzustimmen. Das ist ein direktdemokratisches Element, was wir ernst nehmen sollten, zumal wir in diesem Bundesland aktuell immer noch Hürdenquoren haben, die es den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern sehr schwer machen, ihren politischen Willen im Rahmen von direktdemokratischen Elementen einzubringen.

Ich kann also an dieser Stelle nur ausdrücklich an Sie appellieren: Nehmen Sie ernst, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre demokratischen Rechte wahrgenommen haben! Nehmen Sie den Willen der Bürgerinnen und Bürger ernst! Stimmen Sie zu, dass wir den weiteren Vollzug um zwei Jahre aussetzen, damit das, was viele Menschen in diesem Land wollen, nämlich eine Abstimmung über ein Gesetz, das, was wir ihnen selbstverständlich über die Verfassung eingeräumt haben, damit die Menschen dieses Recht auch wahrnehmen können! Alles andere würde grunddemokratische Rechte konterkarieren. Ich werbe sehr um Zustimmung zum Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Justizministerin Frau Kuder.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Erst im Oktober, jetzt ein weiteres Mal.

(Heinz Müller, SPD: The same procedure as last year.)

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen uns und den Menschen im Land ein weiteres Mal weismachen, dass die Umsetzung der Gerichtsstrukturreform mal eben so um zwei Jahre verzögert werden könnte. Ich bleibe bei meinem Urteil vom Oktober: Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, ist weder geboten noch sinnvoll, mit heißer Nadel gestrickt und er ist nicht durchdacht.

Nehmen Sie nur mal den einen Punkt, den ich hier herausgreife, die Umwandlung des Amtsgerichtes Neustrelitz in eine Zweigstelle des Amtsgerichts Waren. Das soll am 2. Februar dieses Jahres passieren. Wir haben heute den 28. Januar dieses Jahres, also in fünf Tagen. Ich frage mich, wie Sie sich das vorstellen. Wie wollen Sie bis kommenden Montag 0.00 Uhr eine zweite Beratung des Gesetzentwurfes plus Veröffentlichung hinbekommen?

(Egbert Liskow, CDU: Zauberstab.)

Nach Artikel 3 Ihres Gesetzentwurfes soll das Gesetz am Tag nach seiner Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft treten. Das Gesetz- und Verordnungsblatt ist keine Sonntagszeitung, die Sie in Ihrem Briefkasten finden. Sie schlagen hier etwas vor, was schlichtweg unmöglich ist.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Es geht doch hier nicht mehr um die Realität.)

Der nächste Schritt unserer Reform ist für den 2. März geplant, das ist der Umzug des Landessozialgerichts nach Neustrelitz. Selbst hier wäre der Zeitplan höchst ambitioniert. Reformen werden nicht von heute auf morgen umgesetzt, darum erfolgen alle Umstellungen zeitlich gestaffelt nacheinander nach einem ausgeklügelten Zeitplan. Personell, baulich und auch IT-technisch musste bisher und muss weiter viel vorbereitet werden. Selbst wenn Sie eine Maßnahme rückgängig machen wollten, ginge das nicht von jetzt auf gleich.

Mit der Umsetzung der Gerichtsstrukturreform kommen wir planmäßig voran. Wir liegen in der Zeit und das ist auch gut so, denn wir müssen handeln – heute und nicht morgen. Für ein Hinausschieben der notwendigen Reformschritte gibt es keine tragfähigen Gründe. Vielmehr ist es auch weiterhin sinnvoll und geboten, die bereits weitgehend vorbereiteten Maßnahmen wie vorgesehen zum Abschluss zu bringen. Erkennen Sie doch bitte endlich die Realität! Die Justiz braucht eine Reform! Die Justiz braucht diese Reform! Und die Justiz braucht diese Reform jetzt!

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das geht auch anders.)

Nur wenn die Justiz in Mecklenburg-Vorpommern zukunftsfähig ist, bleibt sie handlungsfähig.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Richtig.)

Und nur wenn sie handlungsfähig ist, ist sie auch bürgerfreundlich.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Nur wenn wir dieses Feld heute bestellen, können wir morgen ernten. Einen Aufschub können wir uns nicht leisten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Gegner unserer Reform sprechen immer davon, sie wollen eine bessere Reform, doch Vorschläge liegen bis heute nicht vor.

Und noch einen weiteren Punkt aus Ihrem Entwurf greife ich gern auf. Schon wieder behaupten Sie, das Gesetz würde keine Kosten verursachen, sondern erhebliche Kosten vermeiden. Meine Damen und Herren von der Opposition, wie kommen Sie darauf? Ich nenne das schlicht unredlich, und das glauben Sie doch auch selbst nicht. Richtig ist, Ihr Vorhaben würde in erheblichem Maße unnötige zusätzliche Kosten produzieren. Zum Beispiel müssten über zwei Jahre weitere Anmietungen erfolgen.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Was ist mit laufenden Baumaßnahmen? Unterbrechen, zwei Jahre die Baustellen ruhen lassen?! Das verursacht zusätzliche Kosten. Hören Sie endlich auf, die Menschen im Land für dumm zu verkaufen! Ich finde, Sie haben genug Schaden damit angerichtet, mit Ihren falschen Behauptungen, die Sie permanent auf der Straße wiederholt haben. Die Justiz im Land zieht sich nicht zurück. Im Gegenteil, die Justiz wird gestärkt, sie wird gestärkt durch größere Strukturen. Und auch der Rechtsstaat ist nicht in Gefahr. Er wäre dann in Gefahr, wenn durch die Verzögerungen der Stillstand der Rechtspflege zu erleben sein würde.

Meine Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Justiz auch in Zukunft effizient und mit hoher Qualität arbeiten kann, eine Justiz, die allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes jederzeit effektiven Rechtsschutz gewähren kann. Das stärkt den Rechtsstaat.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wir schauen nach vorn und tun, Sie dagegen blocken und bocken. So kann man Zukunft nicht gestalten. Den Menschen in unserem Land und der Justiz tun Sie damit keinen Gefallen. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück! – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig, Frau Ministerin. Gute Rede.)

Das Wort hat nun für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Drese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Opposition legt uns heute quasi ihren alten, inzwischen zurückgezogenen Gesetzentwurf in neuem, wenn auch deutlich dünnerem Gewand erneut vor.