Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Deutschen Vereinigung und dem damit verbundenen Prozess, gerade in Ostdeutschland, aber auch in den alten Bundesländern, hat die Agenda 2010 eine gesellschaftspolitische Veränderung auf den Weg gebracht, die ihresgleichen sucht.
Bereits im Sommer 1998 erblickte das Schröder-BlairPapier das Licht, in dem klar wurde, dass es jetzt, wenn es eine rot-grüne Regierung geben wird, zu einem Sozialabbau und zu einer Umverteilung von unten nach oben kommen wird, die ihresgleichen in der Bundesrepublik und sogar in Europa sucht. Das führte dann zu Hartz IV und Hartz IV hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Menschen – hier wurden heute viele Zahlen genannt, deswegen will ich das jetzt nicht tun – in wirkliche Armut geführt wurde.
Und, Herr Renz, Ihre Argumentation in Bezug auf die Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger ist genau der Beweis dafür, dass viele derer, die die Arbeitslosenhilfe bezogen haben, in Armut gelandet sind und nicht aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausgekommen sind.
Aber im Zusammenhang mit Hartz IV muss man auch die Steuerreform sehen und die Absenkung des Spitzensteuersatzes, denn das hat auch etwas mit der Umverteilung von unten nach oben zu tun. Und wenn Sie darüber sprechen, dass die Arbeitsmarktinstrumente reformiert wurden, gehört zu diesem großen Reformvorhaben auch, dass die Arbeitsämter umfirmiert und reformiert wurden zur Bundesagentur für Arbeit. Herr Foerster hat darüber gesprochen, dass es jetzt nicht mehr um Arbeitslose geht, sondern auf einmal um Kunden. So wurden und werden sie auch nach wie vor behandelt.
Die Frage nach der entwürdigenden Art und Weise, wie Menschen im Jobcenter beziehungsweise auch in der Agentur für Arbeit oftmals behandelt werden, hat zum Anfang der Reform eine Rolle gespielt und spielt heute noch eine Rolle. Und, Herr Renz, wenn Sie sagen, es gibt auch negative Seiten, wie es von Frau Tegtmeier hier angesprochen wurde, dann beschäftigen Sie sich doch mal mit den Einzelschicksalen!
Wie viele Menschen hatten denn Angst um ihren Hof? Wie viele Menschen mussten ihren Wald verkaufen hier
in Mecklenburg-Vorpommern? Wie viele Menschen kommen nicht aus der Langzeitarbeitslosigkeit, weil kein Bus mehr fährt, weil keine Bahn mehr fährt, weil Mobilität nicht mehr gesichert ist? Das sind doch die Wahrheiten. Wie viele Kinder aus armen Familien können nicht zum Gymnasium gehen? Wie viele Kinder aus armen Familien können nicht studieren, weil die Eltern diese Ausbildung nicht finanzieren können?
Das sind alles Wirkungen von Hartz IV und von der Armut in dieser Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Und wenn wir 2003, 2004 und auch davor – das wissen Sie genauso gut wie ich, Herr Renz, Herr Heydorn und Frau Tegtmeier – noch über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen gesprochen haben und dort auch vernünftige und gute Löhne gezahlt wurden, Entschädigungen gezahlt wurden, dann sind doch mit Hartz IV systematisch die Arbeitsmarktinstrumente abgebaut worden.
Erkundigen Sie sich doch mal heute, wie groß der Eingliederungstitel in den Jobcentern ist! Erkundigen Sie sich doch mal danach, wie viele Ein-Euro-Jobs – und wir reden heute über Ein-Euro-Jobs – noch ermöglicht werden können! Die kommunalen Leistungen, Kommunalkombi und auch die Bürgerarbeit sind ausgelaufen. Vereine und Träger können ihre Arbeit nicht mehr erfüllen, weil eine Zuwendung aus der Arbeitsmarktpolitik nicht erfolgt.
Und Frau Hesse – da sitzt sie jetzt –, Frau Hesse, die Ministerin spricht hier über die Familiencoaches. Das höre ich jetzt schon viele, viele Jahre, schon von ihrer Vorgängerin.
Aber eines unterscheidet uns, Frau Hesse, das ist nämlich eine Antwort auf Hartz IV. Ja, wir haben Hartz IV als erstes Bundesland umgesetzt mit einem Landesausführungsgesetz. Das war auch richtig so, weil es notwendig war, die Kommunen in die Lage zu versetzen, ihre Leistung zu erbringen. Aber wir haben gleichermaßen eine aktive Arbeitsmarktpolitik auf den Weg gebracht. Wir haben eine Politik gemacht, gerade aus meinem damaligen Ministerium, die nicht nur darin bestand, öffentlich geförderte Beschäftigung zu ermöglichen, sondern die darin bestand, Unternehmensgründungen, Existenzgründungen zu unterstützen, die darin bestand, Unternehmensansiedlungen zu ermöglichen, die darin bestand,
das alles aus den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik, Frau Tegtmeier. Schauen Sie sich mal die Arbeitsmarktprogramme von 1998 bis 2006 im Einzelnen an!
All das – und das werfe ich Ihnen vor – haben Sie in Ihrer Großen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern kaputtgemacht.
Und wenn es um gute Arbeit geht – zehn Jahre nach Hartz IV führen Sie den Mindestlohn ein. Wo ist denn nun der konsequente nächste Schritt? Wann erfolgt denn nun die Rentenerhöhung? Wann erfolgt die Angleichung der Rentner in Ost und West?
Wo kommt denn nun der nächste konsequente Schritt, dass Regelsätze angehoben werden und dass Sie das System von Hartz IV überwinden
und erklären, dass eine bedarfsorientierte Grundsicherung in Deutschland eingeführt wird, damit es die Menschen nicht entwürdigt, Hartz IV beantragen zu müssen?
Und dann höre ich immer, meine Damen und Herren, etwas vom sozialen Arbeitsmarkt. Das höre ich aus der SPD, das höre ich inzwischen in vielen Programmen, aber niemand beschreibt den sozialen Arbeitsmarkt. Wir haben hier oft, sehr oft, darüber gesprochen. Sie kommen doch auch zum Erwerbslosenparlament. Das Erwerbslosenparlament in Mecklenburg-Vorpommern hat erneut den sozialen Arbeitsmarkt eingefordert, und zwar zum Mindestlohn und zu tariflichen Bedingungen und nicht zu dem, was Sie sagen, eine Verlängerung von drei Monaten auf sechs Monate beziehungsweise sogar bis zu zwei Jahren. Das ändert an dem System von Hartz IV überhaupt nichts.
Am Ende bleibt doch Folgendes: Hartz IV ist Armut per Gesetz, Hartz IV hat die Lebensperspektiven für viele in Mecklenburg-Vorpommern und in Deutschland genommen, übrigens auch denen, die arbeitslos geworden sind nach den Insolvenzen der Werften in Wismar,
Warnemünde und Stralsund, auch denen, die in Dassow damals arbeitslos geworden sind, die Angst hatten, nach einem Jahr, oder nach eineinhalb Jahren damals noch, in Hartz IV zu sein. Haben Sie das alles vergessen? Das sind doch die Realitäten, mit denen wir es hier in Mecklenburg-Vorpommern zu tun haben.
Hartz IV hat den Druck auf die Gesellschaft, auf die Beschäftigten – ich komme zum Schluss – und die Langzeitarbeitslosen erhöht. Hartz IV hat die Spaltung in der Gesellschaft vertieft und deswegen sind wir der Überzeugung, Hartz IV muss überwunden werden. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Herr Holter hat ja gerade noch mal mit Entschiedenheit die Sichtweise der LINKEN vorgetragen. Ich denke, ein paar Sachen muss man noch mal rekurrieren.
Wir haben hier Herrn Foerster vorne stehen gehabt, der sagt, wir wollen das Thema Sozialleistungen im Bereich der Grundsicherung unter Aufgabe des Sanktionsprinzips. Das heißt, jeder bleibt so lange im Leistungsbereich, wie er Spaß daran hat.
(Unruhe vonseiten der Fraktion der CDU – Helmut Holter, DIE LINKE: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)
Niemand muss sich mehr selbst helfen. Eltern tragen keine Verantwortung mehr für ihre Kinder, die kriegen ihre Leistungen vom Staat, und so weiter und so fort.
Wenn Sie solche Lösungen haben, dann müssen Sie die schon zu Ende bringen. Die müssen Sie bis zu Ende durchdeklinieren und letztendlich sagen, was das bedeutet.
Das heißt, wir sind doch bisher davon ausgegangen, dass das Thema Subsidiaritätsprinzip hier nicht infrage gestellt wird. Das heißt also, erst mal ist jeder selbst verpflichtet, für seinen eigenen Lebensunterhalt und für den Lebensunterhalt seiner Kinder und seiner Angehörigen Sorge zu tragen. Dann spielt das Thema Vermögen dabei eine Rolle und so weiter und so fort.
Und wenn man das letztendlich so will, wie Sie das hier vorschlagen, dann möchte ich mal erleben, ob das wirklich bei uns in der Bundesrepublik Deutschland konform ist.