wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung des Europa- und Rechtsausschusses auf Drucksache 6/275 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Gegenstimmen der Fraktion der NPD angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 13.00 Uhr fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Opfer des Nationalsozialismus gedenken – Rechtsextremistisches Gedankengut überwinden – Demokratie stärken, Drucksache 6/283.
Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Opfer des Nationalsozialismus gedenken – Rechtsextremistisches Gedankengut überwinden – Demokratie stärken – Drucksache 6/283 –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat unseres Landesrabbiners William Wolff beginnen: „Vergessen ist die letzte Grausamkeit, die wir den Opfern antun können.“
Am 20. Januar 1942 trafen sich ranghohe Partei- und SSFunktionäre des Naziregimes in Berlin zu einer, wie es in der Einladung hieß, „Besprechung mit anschließendem Frühstück“. Dieses Treffen – inzwischen als Wannseekonferenz in die Geschichte eingegangen – löste unmenschliches Leid für die jüdische Bevölkerung in Europa aus. Auf dieser Tagesordnung der erwähnten Wannseekonferenz stand der Plan zur Vernichtung der europäischen Juden. Was von den Funktionären des NS-Regimes geplant wurde, war nichts anderes als die planmäßige, systematische und koordinierte Ermordung von ethnischen, religiösen und nationalen Minderheiten. Das Protokoll der Konferenz ist heute historisches Zeugnis für das verbrecherische nationalsozialistische Terrorregime.
Bis Januar 1942 wurden bereits eine halbe Million ost- europäischer Juden durch die Nationalsozialisten erschossen oder qualvoll vergast. In den darauffolgenden Jahren wurden Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Angehörige weiterer Nationalitäten sowie ethnischer und religiöser Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Kommunistinnen und Kommunisten,
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Andersdenkende – Kinder, Frauen und Männer – in den Vernichtungslagern der Nazis gequält, gefoltert und ermordet. Es waren unzählige, es waren Millionen von Menschen.
Das größte Vernichtungslager war das Lager AuschwitzBirkenau. Allein hier kamen bis zu anderthalb Millionen Menschen ums Leben. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die noch verbliebenen Gefangenen dieses Konzentrationslagers. Es waren nur noch wenige Tausend Menschen – halb tot vor Hunger, Kälte und Misshandlungen.
Ein Teil der KZ-Häftlinge befand sich seit Herbst 1944 bereits auf den Todesmärschen, auf dem Weg gen Westen. Im Januar 1945, mit der beginnenden Räumung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau folgten Hunderttausende weitere Häftlinge. Die SS-Schergen trieben sie mitten hinein in Gebiete, die noch von den Nazis beherrscht wurden. Sie trieben sie oft von einem Lager zum nächsten, wenn sie denn überhaupt ankamen. Die Nazis wollten verhindern, dass die Alliierten Zugriff auf
die Gefangenen bekommen – ein Vertuschungsmanöver mit grausamen Folgen. Auf den Todesmärschen, in den Todeszügen und den völlig überfüllten Lagern wie Bergen-Belsen, Ravensbrück oder Ebensee kamen weitere Hunderttausende Menschen ums Leben.
Anfang des Jahres 1945 lebten noch circa 714.000 Ausch- witzhäftlinge, vier Monate später, am Tag der Befreiung am 8. Mai 1945, wurden nur noch etwa 60.000 Überlebende dieses Konzentrationslagers gezählt. Auf den HimmlerBefehl vom 14. April 1945 hin, die Häftlinge dürften keinesfalls lebend in die Hände des Feindes fallen, wurden nochmals massenhaft Menschen ermordet. Sie wurden erschossen, bis zur völligen Erschöpfung drangsaliert oder starben vor Hunger und Auszehrung, so, wie man das hier auch in dem Lager Wöbbelin nachvollziehen kann.
Am Freitag vergangener Woche, am 27. Januar, fand zum 67. Mal der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Im Jahre 2005 wurde der 27. Januar durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum internationalen Gedenktag erklärt. Die Gräueltaten der Nazis dürfen in ihrer Brutalität und ihrem ganzen Ausmaß nicht vergessen, verdrängt, verharmlost, verdreht oder gar verleugnet werden.
Ja, es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen unter uns, die berichten können, welche Grausamkeiten der Faschismus hervorbrachte. In der vergangenen Woche konnten wir einen Zeitzeugen auf der Gedenkveranstaltung hier im Schloss begrüßen. Der Ehrengast der Veranstaltung, der heute 87-jährige Erich Kary, überlebte die Lager Auschwitz, Mittelbau-Dora, Ravensbrück und Wöbbelin. Er berichtet seit den 70er-Jahren über die Schrecken, die er als Kind und als Jugendlicher unter dem NS-Regime erlebt und erlitten hat. Wir, die anwesend waren, konnten sehr eindrucksvoll erleben, wie Erich Kary seinen Lebensbericht vorgetragen hat. Erich Kary weinte und immer wieder zog er sein Taschentuch, um sich die Tränen abzuwischen, weil – wir saßen vorne und konnten es hören, Herr Nieszery, Herr Kokert und Herr Suhr – er sagte, es sind die Bilder. Er hatte immer die Bilder vor Augen.
Angesichts der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund wird uns allen erneut klar, wie präsent die Gefahr des Rechtsextremismus in der Gegenwart ist, zeigt doch das Aufdecken der Terrorzelle, wie gefährlich der braune Schoß nach wie vor ist. Unentdeckt wurden jahrelang Menschen ermordet, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind. Wie wir heute über die Medien erfahren konnten, ist ein weiterer Unterstützer verhaftet worden.
Im Jahre 2010 wurden nach Auskunft der Opferberatungsstelle LOBBI e. V. 96 rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern begangen. Im Jahre zuvor waren es 79 Straftaten. Die Taten richteten sich vor allem gegen Andersdenkende, Zuwanderer und Zuwanderinnen und sozial Benachteiligte.
Auch, dass die NPD mit ihrem demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Gedankengut hier im Landtag vertreten ist, muss allen Demokratinnen und Demokraten Ansporn sein,
sich noch stärker für Demokratie und Toleranz einzusetzen. Es ist Aufgabe der jetzigen Generationen, unserer Generation, dafür zu sorgen, dass wir nie vergessen, was uns die Zeitzeugen zu sagen hatten und noch zu sagen haben. Wir müssen es unseren Kindern und Enkelkindern weitersagen, denn sie werden diese Zeitzeugen nicht mehr befragen können.
Notwendig ist eine kontinuierliche politische und geschichtliche Bildungsarbeit. Bereits die Elternhäuser und die Kindertagesstätten müssen Orte der Demokratie sein.
Die Schulen funktionieren nur mit Demokratinnen und Demokraten als Vorbilder für Toleranz und Menschlichkeit. Mütter und Väter, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, wir alle müssen für die Demokratie begeistern, um sie zu leben, damit diese Begeisterung fest in der Gesellschaft verankert wird.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Udo Pastörs, NPD: Das ist wie der Sozialismus.)
die Geschehnisse rund um den Zweiten Weltkrieg, die Ursachen, Ausmaße und Folgen der Barbarei des Nationalsozialismus müssen fester Bestandteil des Lehrplanes in allen Schulen sein, unabhängig vom Schultyp. Auschwitz, meine Damen und Herren, darf sich nicht wiederholen.
Deswegen ist meine Fraktion davon überzeugt, dass bestehende Strukturen im Land für Demokratie und Toleranz weiter gestärkt werden müssen, und wir sind ferner davon überzeugt, dass die Landeszentrale für politische Bildung unterstützt, personell und finanziell gestärkt werden muss.
Auch mit Blick auf die Ergebnisse einer in der vergangenen Woche erschienenen Studie wird deutlich, dass wir in der politischen Bildungsarbeit nicht nachlassen dürfen.
Denn heute weiß jeder fünfte junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren nicht mehr, was der Begriff „Auschwitz“ bedeutet.
43 Prozent der Deutschen haben noch nie eine Gedenkstätte besucht und 40 Prozent wollen sich überhaupt nicht mehr mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen.
Der Auschwitzüberlebende Erich Kary hat seine Rede auf der Gedenkveranstaltung am vergangenen Freitag
mit einem Zitat des österreichischen Schriftstellers Jean Améry beendet. Ich will das Zitat kurz vortragen: „Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht ,auf sich beruhen lassen‘, weil sie sonst aufstehen und zu neuer Gegenwart werden könnte.“
Ich möchte im Namen meiner Fraktion – ich denke, die anderen demokratischen Fraktionen schließen sich dem an – all denen meinen Dank aussprechen und den Respekt zollen, die sich dafür engagieren, dass die Verbrechen des Naziregimes nicht vergessen werden, und die sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sich all das, worüber ich jetzt kurz gesprochen habe, nicht wiederholt.