Protocol of the Session on March 12, 2014

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Kokert von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, bei uns wird auch Gleichstellung groß geschrieben. Ich darf nämlich, obwohl ich zwei Mütter in der Fraktion habe, auch zu diesem wichtigen Thema für meine Fraktion sprechen.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Alles andere hätte uns auch gewundert, Herr Kollege.)

Aber Spaß beiseite.

(Martina Tegtmeier, SPD: Familienbande wirken.)

Da wir hier einen gemeinsamen Antrag zuwege gebracht haben,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Immerhin, Sie haben zwei Mütter in der Fraktion.)

für den ich nach wie vor der Kollegin Gajek –

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Hier bin ich.)

jetzt ist der Kollege Suhr leider nicht da –

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der ist unten bei der Demo.)

sehr dankbar bin, dass Sie quasi die Initialzündung dazu geliefert hat, und wir als Koalitionsfraktionen sehr gern diesem Antrag mit ein paar kleinen Veränderungen beigetreten sind, und auch die LINKEN sich haben dazu hinreißen lassen, diesen Antrag mitzutragen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das war schon wieder eine dümmliche Formulierung, eine so dümmliche Formulierung.)

sind wir doch in der guten Situation, dass wir jetzt nach außen geschlossen auftreten können bei diesem wichtigen Thema.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, uns eint alle, dass wir die Arbeitsbedingungen für die Hebammen in diesem Land verbessern wollen. Und was heißt „Verbessern der Arbeitsbedingungen“? Sie wissen, dass sich die Diskussion im Augenblick im Prinzip darum dreht, wird es eine flächendeckende Versorgung mit Hebammen auch in diesem Bundesland weiter geben oder wird es sie nicht geben. Das haben Sie auch mehrfach süffisant gesagt. Ich bin da nicht direkt persönlich betroffen, aber jedenfalls mittelbar.

Wenn Sie die Haftpflichtprämien sehen, dann muss man sich natürlich schon die Frage stellen, wie die einfache freiberufliche Hebamme diese Summe von 5.500 Euro aufbringen soll und vor allem, was passiert eigentlich im nächsten Jahr,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn dann die letzte Versicherung, nämlich die NÜRNBERGER Versicherung sagt, wir sind jetzt aufgrund der Schadenshäufigkeit auch raus aus dem Rennen. Was tun wir dann eigentlich mit den Müttern, die ihre Kinder zur Welt bringen wollen? Und damit man da gar keinen falschen Zungenschlag reinbringt, es sind halt nicht nur die freiberuflichen Hebammen betroffen, es sind leider auch die Hebammen betroffen, die angestellt sind in den großen Häusern, auch diejenigen, die als Beleghebammen arbeiten, weil sie zum allergrößten Teil eben nicht durch eine umfangreiche und ausreichende Haftpflichtversicherung von ihren Arbeitgebern abgesichert sind. Zum großen Teil wissen sie das selbst noch nicht einmal.

Von den Freiberuflichen fordert man mittlerweile eine Deckungssumme von 6 Millionen Euro. Aber der große Teil von ihnen weiß, dass auch im Krankenhaus die allermeisten Geburten hebammengeleitet sind, das heißt, die Hebamme trägt dort das alleinige Risiko. Und wenn es um Menschenleben und um die Gesundheit von Kindern geht, gibt es sehr, sehr hohe Schadenssummen. Da ist bei 1 Million lange nicht Schluss,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern sie werden zum Teil, und diese Klagen hat es leider gegeben in Deutschland – es klagen übrigens fast nie die betroffenen Eltern, es klagen immer die Krankenkassen –, dann dafür geradestehen,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für die eventuell behinderten oder schwerstbehinderten Kinder die Kosten zu übernehmen. Das hat vermehrt dazu geführt, dass es diverse Hebammen in Deutschland gab, die Privatinsolvenz anmelden mussten, weil die Deckungssumme nicht ausgereicht hat. Das gehört zur Wahrheit bei diesem Problem dazu.

Die Kollegin Gajek hat es schon gesagt – in unabgestimmter Weise muss man sagen –, ich habe mich seit

mehreren Wochen bemüht, bei Herrn Gröhe einen Termin zu bekommen. Er hat mir immer wieder bedeutet, dass das bald klappen wird.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat aber auch andere wichtige Baustellen. Nächste Woche wird das also stattfinden. Und ich fahre ausdrücklich nur aus diesem Grund dahin. Ich war im Übrigen auch schon bei seinem Vorgänger, der mir damals versprochen hat, dass das Problem kurz davor steht, dass es gelöst wird. Jetzt ist der Vorgänger weg.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tja, und das Problem ist noch da.)

Ich werde etwas nachdenklich, wenn mir Herr Gröhe auch sagt, innerhalb der nächsten 14 Tage soll das Problem geklärt sein. Ich hoffe schon, dass die Bundesregierung zu dem steht, was im Koalitionsvertrag aufgeführt ist – daran waren wir auch nicht ganz unbeteiligt –, da haben die Hebammen ja auch ihren Niederschlag gefunden. Insofern kann man da jetzt schnell anfangen zu arbeiten und eine Lösung auf den Tisch legen.

Da gibt es im Prinzip nur zwei Varianten. Ich will die jetzt nicht rechtlich bewerten und in allen Einzelheiten hier ausführen. Ich finde nur, man muss nach wie vor sagen: Ist es nicht sogar ein Grundrecht für eine werdende Mutter, entscheiden zu dürfen, wie, wann und wo sie ihr Kind gebärt? Wenn Sie diese Frage von jungen werdenden Müttern gestellt bekommen und als Politiker in der Verantwortung stehen, diese auch zu beantworten, dann kommen Sie schnell ins Stottern, weil sie als junge Mutter heute de facto diese Möglichkeit eigentlich nicht mehr haben.

Ich will den großen Klinikträgern da gar keine Absicht unterstellen. Die sind mir nur in den letzten Monaten sehr leise geworden, weil es anscheinend eine gewisse Zufriedenheit damit gibt, dass wir einen eigentlich natürlichen Prozess immer weiter maschinisieren, technisieren und den Frauen im Prinzip von vornherein einreden, Mensch, hast du nicht eine schwere Krankheit, müssen wir dich nicht ärztlich betreuen, musst du nicht eigentlich gleich auf die Intensivstation, weil du schwanger bist. Ich habe das jetzt bewusst überspitzt, aber diese Diskussion spielt natürlich da mit rein.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Entfremdung, ne?)

Wir haben in der letzten Legislaturperiode noch mit der Kollegin Schwesig eine lange Anhörung über das Hebammenwesen in Deutschland gemacht – erstaunliche Sachen, die da so zutage getreten sind. Ich bin auch heute immer noch überrascht davon, dass man beim Verband der Gynäkologinnen und Gynäkologen so steinzeitliche Argumentationen hervorgebracht hat.

Aber es liegt halt daran, dass man sich auch heute noch in der Fläche darüber streitet, ist denn die Vorsorge bei der Hebamme gut aufgehoben oder muss das nicht die Gynäkologin machen. Und wenn die Gynäkologen ihren werdenden Müttern nach wie vor erzählen, du bist nur eine gute Mutter, wenn du jeden Stempel in deinem Mutterpass hast, und zwar vom Gynäkologen, da muss man sich schon mal die Frage stellen, ob wir da auf dem

richtigen Weg sind oder ob es nicht auch darum geht, dass der eine sagt, es wäre ganz gut, wenn du mir das Geld in meine Kasse spülst und nicht in die der Hebamme.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass diese Auffassung nicht jedem gefallen wird, es ist aber die tatsächliche Wahrheit. Dann muss man auch so weit gehen und sagen: Liebe Gynäkologen, gebt doch bitte den werdenden Müttern auch eure Handynummern, denn wenn es am Wochenende dazu kommt, dass die junge Mutter vielleicht einen Milchstau hat, dann will ich auch, dass um 22.30 Uhr der Gynäkologe zu Hause angerufen wird. Hoffentlich hilft er dann auch und dann muss man sehen, wie man damit in der Praxis weiter verfahren kann.

Und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist natürlich auch so, dass wir als Politik von den Hebammen in der Vergangenheit immer mehr erwartet haben. Wir haben ihnen immer mehr aufs Auge gedrückt. Da waren wir nicht die Einzigen, das hat man übrigens schon in vielen Gesellschaftssystemen versucht, auch manchmal mit nicht so gutem Ausgang. Aber Fakt ist doch: Wir haben ihnen immer mehr auf die Schultern gelegt – ich nehme nur mal das Stichwort „Familienhebamme“ – und haben sie hinterher mit dieser Situation alleingelassen.

Ich könnte jetzt aus dem Tagebuch einer Landhebamme sprechen, weil ich das aus eigenem Erleben kenne. Da müssen Sie sich schon manche haarsträubenden Geschichten anhören, was man in den Familien so erlebt. Auch damit stehen die Hebammen völlig allein da. Es kommt keiner vom Jugendamt vorbei und sagt, sagen Sie, wie gehen Sie jetzt eigentlich mit der Situation in der Familie um, sondern das sollen sie ganz allein klären und für sich auch verantworten.

Insofern finde ich es mehr als notwendig, dass man in dieser Legislatur – und da sind wir als Land gar nicht so richtig gefordert, wir können das mit unterstützen –, aber dass man in dieser Legislatur schnellstmöglich zu einer Lösung dieses Problems kommt. Es kann doch nicht wahr sein, dass eine der reichsten Industrienationen der Erde, die ansonsten für jede Lebenslage eine Lösung hat, sagt, bei der Geburt sind wir aus der Verantwortung raus, das geht die Gesellschaft nichts an.

Ich glaube, das ist der springende Punkt, über den man sich immer wieder unterhalten muss. Wir decken ganz viele Geschichten im Leben eines Menschen damit ab, dass wir als Solidargemeinschaft dafür eintreten. Nur beim Beginn des Lebens sagen wir, das überlassen wir privaten Haftpflichtversicherungen, wir schieben die Verantwortung einfach zu den Hebammen rüber und sagen, werdet damit glücklich und seht mal zu, wie ihr damit zurechtkommt.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, auch wenn wir in Berlin Mitverantwortung tragen, mit dieser Sache bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Das kann ich auch mal hier in der Öffentlichkeit sagen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist mal ein Beifall.)

Das habe ich auch nicht erwartet, dass mir DIE GRÜNEN mal applaudieren.

(allgemeine Unruhe)

Aber es ist auch nett von Ihnen, dass Sie das wenigstens tun.

(Stefan Köster, NPD: Wenn das die eigene Fraktion schon nicht macht. – Zuruf von Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern bin ich froh, dass wir bei dieser Frage mit einer Stimme sprechen. Sie kennen das ja, was derzeit in Berlin darüber gesprochen wird. Und ich glaube, wir sind es nicht nur dem Beruf der Hebammen schuldig, dass wir sie da unterstützen, sondern denken Sie auch an die werdenden Eltern! Denken Sie auch an die Mütter! Denken Sie vor allem an die Kinder, die wir alle wollen und wo wir jeder jungen Familie sagen, warum bekommt ihr kein Kind, wir unterstützen euch staatlicherseits dabei. Wenn das bei der Geburt schon nicht klappt, haben die von uns wahrscheinlich nicht den besten Eindruck.

Ich finde, hier ist es höchste Zeit, dass wir als Politik eingreifen und denjenigen dabei helfen müssen, die dafür verantwortlich sind, dass unsere Kinder, die wir alle haben wollen, vernünftig und gesund zur Welt kommen. Und dafür – das kann ich Ihnen jedenfalls zusagen – wird sich die CDU-Fraktion weiter einsetzen. Das werde ich in aller Deutlichkeit auch nächste Woche im Gespräch mit dem Gesundheitsminister so sagen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)