Protocol of the Session on November 14, 2013

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/2379 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/2379 mit den Stimmen von SPD und CDU abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und NPD.

Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und SPD auf Drucksache 6/2348 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der CDU und SPD auf Drucksache 6/2348 mit den Stimmen von SPD, CDU, NPD, bei einigen Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen, bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE und einigen Stimmenthaltungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich rufe nun auf den Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jugendliche durch flexible Ausbildungsoptionen besser in den Arbeitsmarkt integrieren, Drucksache 6/2352. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/2377 vor.

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendliche durch flexible Ausbildungsoptionen besser in den Arbeitsmarkt integrieren – Drucksache 6/2352 –

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 6/2377 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Gajek.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 30. Oktober liegen uns die Ausbildungsmarkt

zahlen 2013 vor. Der statistische Abschluss des Berufsbildungsjahres zeigt ganz deutlich: Die Situation am Ausbildungsmarkt hat sich gewandelt. Überstieg bis vor wenigen Jahren noch die Zahl der ausbildungssuchenden Jugendlichen deutlich die der betrieblichen Ausbildungsstellen, so ist es jetzt umgekehrt. Statistisch gesehen sind das hervorragende Chancen für unsere Jugendlichen.

Ist also alles in Butter im Ausbildungsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern? Das wäre dann doch eine sehr oberflächliche Betrachtung aus der Kategorie Wunschdenken, meine sehr geehrten Damen und Herren. Der genauere Blick auf die Zahlen zeigt, wo der Hase im Pfeffer liegt: Insgesamt verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit 8.839 Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz in Mecklenburg-Vorpommern. In vielen Fäl- len war die Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolgreich. Aber trotz günstiger Rahmenbedingungen gehen 312 Jugendliche in unserem Bundesland in diesem Jahr leer aus.

312 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, das mag in der Summe wenig wirken, aber das sind 312 enttäuschte Hoffnungen. Einige der Jugendlichen werden die Suche frustriert aufgeben und sich statt auf eine Ausbildung direkt für ein Jobangebot interessieren. Das sind dann die Ungelernten von morgen mit massivem Erwerbslosigkeitsrisiko. Das Gros der jetzt leer ausgegangenen Bewerberinnen und Bewerber wird im nächsten Jahr erneut auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz gehen. Das Einzige, was wir mit Gewissheit wissen und sagen können, ist schon heute: Sie werden dann ein Jahr älter sein. Besser qualifiziert sind sie in den seltensten Fällen.

Und obwohl die Zahl der sogenannten Altbewerberinnen und Altbewerber gesunken ist, liegt sie in MecklenburgVorpommern noch immer über dem Bundesdurchschnitt. Ausweislich der aktuellen Daten haben 51 Prozent der Jugendlichen, die sich in diesem Jahr bei der Berufsberatung gemeldet haben, schon im Vor- oder im Vorvorjahr die Schule abgeschlossen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zahlen dokumentieren eine geradezu absurde Situation: Auf der einen Seite bleiben Ausbildungsstellen bei Betrieben unbesetzt, auf der anderen Seite stehen Jugendliche mit leeren Händen da und werden schon am Start in den Beruf zurückgelassen. Angesichts dieser Schieflage kann es doch nicht damit getan sein, sich auf bloße, im Verlauf des Ausbildungsjahres gebetsmühlenartig wiederholte Appelle an die Ausbildungsbetriebe zu beschränken, auch leistungsschwächeren Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance zu geben. Das ist zwar nett, aber es ist zahnlos. Hier braucht es mehr als warme Worte, hier ist politisches Handeln gefragt.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Wir Bündnisgrünen schätzen das Engagement derjenigen Betriebe, die ausbilden und viel für die Perspektiven unserer Jugendlichen tun. Unsere besondere Anerkennung gebührt den Betrieben, die schon heute auch Jugendlichen mit schlechten Startvoraussetzungen eine Chance geben. Dafür möchte ich mich im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle auch einmal ausdrücklich bedanken.

Aber lassen Sie mich an dieser Stelle eben auch sagen: Wir brauchen noch mehr aufgeschlossene und mutige

Betriebe, die diesen Weg gehen, und wir wollen dafür bessere Rahmenbedingungen und innovative Möglichkeiten schaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus der Tatsache, dass sich die Bedingungen am Arbeitsmarkt grundlegend gewandelt haben, ergeben sich veränderte Handlungsbedarfe. Die Frage lautet: Wie können wir die Lücke zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der Jugendlichen schließen und mehr direkte Brücken in die duale Ausbildung bauen?

Wir Bündnisgrünen haben einen ganz konkreten Vorschlag, wie wir Jugendliche, die mehr Unterstützung benötigen, besser als bisher in betriebliche Ausbildung integrieren. Wir schlagen die modellhafte Erprobung einer verlängerten Ausbildungsoption vor. Ich spreche hier nicht von den üblichen sechs Monaten zur Wiederholung der nicht bestandenen Abschlussprüfung, ich spreche von einer flexiblen Verlängerungsoption von bis zu zwei Jahren, die es erlaubt, den Lernstoff entsprechend zu entzerren und zu vertiefen. So lassen sich Erfolge in der dualen Ausbildung auch für diejenigen leichter erzielen, die sonst womöglich abgehängt würden.

Dass eine Flexibilisierung der Bedingungen und Laufzeiten beim Erwerb von Abschlüssen unterstützend wirken kann, beweisen hier bei uns im Land die positiven Erfahrungen mit der flexiblen Schulausgangsphase. Weshalb also nicht an solchen guten Praxisbeispielen andocken und eine Erprobung auch für den Bereich der betrieblichen Ausbildung wagen? Wie vertiefte Lernangebote im Zuge einer flexibilisierten Ausbildung organisiert werden könnten, auch dazu gibt es ja im Land schon einschlägige Erfahrungen. Da ist das Stichwort überbetriebliche Lehrlingsunterweisung.

Die Verbesserung des Übergangs Schule/Beruf und die Chancenoptimierung für Jugendliche am Ausbildungsmarkt ist ein zentrales Handlungsfeld des Bündnisses für Arbeit. Das Landeskonzept zum Übergang Schule und Beruf befindet sich seit Längerem in Erarbeitung und soll planmäßig im ersten Quartal 2014 vorgelegt werden. Wir Bündnisgrünen werden genau hinschauen, welchen Nutzen die dort vorgelegten Vorschläge den Jugendlichen in unserem Bundesland in der Umsetzung wirklich bringen, denn klar ist, wir haben aktuell ein Problem im Bereich des Übergangs, und zwar ein Qualitätsproblem. Immer noch befinden sich zu viele Jugendliche in berufsvorbereitenden oder anderen Maßnahmen, die sie nicht weiterqualifizieren. Die meisten dieser Angebote stellen keine verbindlichen Schritte in Richtung Berufsabschluss dar. Im besten Fall sind sie Umwege in die Arbeitswelt, im schlechtesten Fall sind sie Holzwege.

Und wir haben ein weiteres Problem im Bereich des Übergangs, und zwar ein Übersichtlichkeitsproblem. In freundlichen Umschreibungen ist da von Wildblumenwiesen die Rede, in weniger freundlichen vom Maßnahmendschungel, den es zu lichten gilt. Die Angebote des Übergangssystems sind kaum oder gar nicht aufeinander abgestimmt.

(Torsten Renz, CDU: Es wird aber daran gearbeitet.)

So mutieren auch gut gemeinte Angebote leicht zu Warteschleifen, anstatt systematische Übergänge zu schaffen.

(Torsten Renz, CDU: Heute Morgen in den Nachrichten haben sie gerade gebracht, die Bundesregierung hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt.)

Für die Jugendlichen bedeutet das Frust und Zeitverlust. Neben einer Straffung der Maßnahmen geht es mir und meiner Fraktion deshalb auch um qualitative Verbesserungen. Wir wollen mehr Übersichtlichkeit und wir wollen eine systematische Ausrichtung auf abschlussorientierte Qualifikationen. Nur so macht ein Übergangssystem überhaupt Sinn.

Das Konzept der dualen Berufsausbildung hat sich bewährt. Aber erstens gibt es nichts Gutes, das nicht noch besser gemacht werden könnte, und zweitens ist das Ausbildungssystem ein lebendiges Konstrukt, das auf Veränderungen in einer sich wandelnden Arbeitswelt reagieren kann und muss. In keinem anderen Bundesland brechen so viele Jugendliche die Ausbildung vorzeitig ab wie in Mecklenburg-Vorpommern. Und gleichzeitig ist in keinem anderen Bundesland der Prozentsatz der bestandenen Abschlussprüfungen so niedrig wie in unserem Bundesland.

Das hat vielfältige Gründe. Selbstverständlich bedeutet nicht jede Auflösung eines Ausbildungsvertrages ein Ende der Ausbildungskarriere. Unbestritten aber ist: Neben passenden Rahmenbedingungen und fachlichem Interesse sind es Erfolgserlebnisse, die Jugendliche motivieren, bei der Stange zu bleiben. Eine Modularisierung der Ausbildung bietet die Möglichkeit, Erlerntes kleinschrittig und zeitnah zu überprüfen. Sowohl für den Jugendlichen als auch für den Betrieb sind Erfolge so klar nachvollziehbar und dokumentiert.

Zaghafte Ansätze zur Modularisierung gab und gibt es auf Bundesebene mit dem Modellprojekt JOBSTARTER CONNECT. Das Programm läuft noch bis 2014. Eine Gesamtauswertung liegt noch nicht vor, aber schon jetzt zeigen Zwischenbilanzen, dass Ausbildungsbausteine flexibel an unterschiedlichen Lernorten umgesetzt werden können und sich nicht nur für ausbildungsreife Jugendliche eignen. Ich will sagen: Ein modularisiertes Ausbildungskonzept kann ein Angebot auch für diejenigen sein, die sich nach Verlassen der Schule erst gar nicht auf Ausbildungsplatzsuche begeben, weil sie keinen Schulabschluss haben. In Mecklenburg-Vorpommern sind das überdurchschnittlich viele, sind immer noch zwölf Prozent, die sich nicht …

Jetzt habe ich gerade meinen Faden verloren.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

… und die sich deshalb oder aus anderen Gründen a priori für chancenlos halten. Die Umsetzung eines modularisierten Ausbildungskonzepts nach der Devise „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist überfällig. Wir fordern die Landesregierung deshalb auf, sich auf Bundesebene für eine durchgängige Modularisierung der dualen Ausbildung einzusetzen und den Reformstau in der beruflichen Bildung endlich zu beenden.

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen:

Erstens. Knapp 7.900 arbeitslose Jugendliche unter 25 in Mecklenburg-Vorpommern sind aus unserer Sicht 7.900 zu viel.

Zweitens. Zwölf Prozent Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen, sind aus unserer Sicht zwölf Prozent zu viel.

Und abschließend: 312 ausbildungssuchende Jugendliche, die keine Chance auf betriebliche Ausbildung erhalten, sind aus unserer Sicht 312 Jugendliche zu viel.

Ich freue mich auf die Debatte.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten zu vereinbaren und vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Vertretung für die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales. Bitte, Herr Minister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Um es gleich vorwegzuschicken, unser duales Ausbildungssystem hat sich über Jahrzehnte bewährt.

(Beifall Andreas Butzki, SPD – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage in einigen EU-Ländern diskutieren Fachleute sogar darüber, ob eine Übertragung des deutschen dualen Systems der beruflichen Ausbildung nicht geeignet sein könnte, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Griechenland und anderen Ländern besser in den Griff zu bekommen.

Die Forderung nach einer flexibilisierten Ausbildung darf auf gar keinen Fall dazu führen, dass das anerkannt hohe Niveau beruflicher Abschlüsse in Deutschland abgesenkt

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Modellprojekt, da.)

oder der Einsatzbereich junger Facharbeiter eingeschränkt wird. In Zeiten drohenden Fachkräftemangels wäre genau dies der falsche Weg.

Wir haben deshalb einen anderen Ansatz gewählt. Die Frage lautet: Was müssen wir tun, damit auch die jungen Frauen und Männer, die Schwierigkeiten haben, das geforderte Leistungsniveau zu erreichen, einen Berufsabschluss schaffen? Dieser Ansatz ist wichtig, um die Herausforderungen einer Wissensgesellschaft zu meistern. Danach kommt dann die Frage: Wie helfen wir jenen, die diese Anforderung leider nicht geschafft haben? Wir reden dann über eine überschaubare Zielgruppe.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit darf aber nicht das gesamte duale Ausbildungssystem infrage gestellt oder völlig reformiert werden. Dass es bei der Gestaltung der Übergänge von der

Schule in die Berufsausbildung noch Handlungsbedarf gibt, ist keine Frage. Es werden bei uns im Land noch zu viele Ausbildungsverhältnisse vorzeitig gelöst. 2011 waren es 33,9 Prozent. Die Vertragslösungsquote in Mecklenburg-Vorpommern liegt damit deutlich über der Quote für Deutschland insgesamt von 23,2 Prozent.

Vertragslösung ist aber nicht gleichzusetzen mit Ausbildungsabbruch. Die Gründe für eine Vertragslösung sind sehr vielfältig. So gibt es Berufe mit generell hoher Auflösungsquote wie im Hotel- und Gaststättenbereich. Das ist bei uns als Tourismusland eine sehr starke Branche. Oder aber es gibt einen Ausbildungsplatzwechsel. Vertiefte Analysen haben gezeigt, dass sich hinter den Vertragsauflösungen deutlich mehr Ausbildungsplatzwechsel als wirkliche Ausbildungsabbrüche verbergen.

Die Zahl der eigentlichen Ausbildungsabbrüche ist damit auch bei uns im Land sehr viel kleiner, als in der öffentlichen Debatte bisher angenommen wird. Und, meine Damen und Herren, ich darf vielleicht hinzufügen, diese Wechsel werden wahrscheinlich auch nicht zurückgehen, und zwar deshalb, weil wir inzwischen mehr Ausbildungsplätze haben als junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen,