Wir brauchen wirklich kein neues Modellprojekt. Wir lehnen Ihren Antrag und den Änderungsantrag aus wirtschaftlichen und denklogischen Gründen ab. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Sie sind ja ein ganz Kluger, Herr Lindner. – Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE)
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich, dass die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unsere parlamentarischen Aktivitäten offenbar genauestens verfolgen.
Ich darf auch meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass hier heute die Finanzministerin gesprochen hat und nicht die Gleichstellungs- und Arbeitsministerin,
Meine Fraktion befasst sich seit längerer Zeit mit dem Thema des anonymisierten Bewerbungsverfahrens
und hatte folgerichtig am 16. April eine Kleine Anfrage zur Situation in Mecklenburg-Vorpommern gestellt. Die Beantwortung liegt seit dem 17. Mai auf Drucksache 6/1775 vor. Sie, verehrte Kollegin Gajek, sind uns mit Ihrer Antragstellung zuvorgekommen, was natürlich nichts daran ändert, dass wir das Anliegen inhaltlich für richtig halten
und auch unterstützen. Dies gilt erst recht, wenn man die zögerliche und aus meiner Sicht wenig überzeugende Haltung der Landesregierung zur Kenntnis nimmt, ob nun in den Antworten auf besagte Kleine Anfrage oder im Rahmen der heutigen Debatte. Die Landesregierung sieht zwar die Möglichkeit, mittels anonymisiertem Bewerbungsverfahren Diskriminierungen bezüglich des Geschlechtes, des Alters, des Familienstandes, der Nationalität oder einer Behinderung im ersten Schritt der Bewerberauswahl zu verhindern, und hat, das haben wir ja hier auch noch mal gehört, das Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Interesse verfolgt. Auch das steht alles in der Antwort der Landesregierung auf diese Kleine Anfrage.
Ich darf allerdings noch ein Zitat anfügen, was kennzeichnend ist für die Haltung der Landesregierung: „Für die Einstellungsverfahren in der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern ergeben sich keine zwingenden Schlussfolgerungen“. Die Landesregierung begründet anschließend den aus ihrer Sicht fehlenden Handlungsbedarf mit Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz und dass man ohnehin so verfahren würde, dass sich keinerlei Benachteiligungen weder im Sinne des Grundgesetzes noch im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ergeben würden.
Da muss man sagen: Was für eine tolle und wegweisende Feststellung! Dieser folgend müsste man sich ernsthaft fragen, warum die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die dringende Notwendigkeit gesehen hat, ein Pilotprojekt zu initiieren, mit dem die Erfolge der Anonymisierung, die man in den USA, in Kanada, in Großbritannien oder Belgien – Frau Gajek hatte das im Detail ausgeführt – bereits erzielt hat,
auch auf Deutschland übertragen werden könnten. Die Antwort, Frau Ministerin, ist ziemlich simpel: Der gleichberechtigte Zugang zum Arbeitsmarkt ist trotz Grund- gesetz und Gleichbehandlungsgesetz auch in Deutschland – und ich füge hinzu, auch in der öffentlichen Verwaltung – noch längst nicht für alle Bewerberinnen und Bewerber gewährleistet. Zumindest schätzen das offensichtlich die zuständige Bundesbehörde und auch acht Bundesländer sowie aktuell gerade die SPD-geführte Landesregierung von Berlin so ein. Nur in MecklenburgVorpommern ist die Welt mal wieder so schön heil.
Frau Ministerin, Herr Ministerpräsident, es steht jedem frei, sich die Welt schönzumalen oder schönzureden, verantwortliches Handeln erfordert nach meiner Auffassung aber auch, Anregungen und Erfahrungen anderer Länder, Bundesländer oder mal der Opposition aufzunehmen, denn es geht um die Sache und hier verweigern Sie sich einem vernünftigen Ansatz.
Werte Kolleginnen und Kollegen, die erste Phase der Bewerbung, der Schritt zur Einladung ins Vorstellungsgespräch erweist sich für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Menschen mit Migrationshintergrund und für Frauen allzu oft als zu große Hürde. Deshalb empfiehlt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Persönlichkeitsmerkmale zunächst unkenntlich zu machen, um Vorurteile zu vermeiden und die Personalauswahl für die Einladung zum Vorstellungsgespräch aufgrund der Qualifikationen und der fachlichen Kompetenz zu treffen.
Und ich darf auch mal darauf hinweisen, dass das Vorteile für beide Seiten hat, denn den potenziellen Beschäftigten von morgen wird der Zugang zum Bewerbungsgespräch erleichtert und die Unternehmen können eine objektive Auswahl treffen, mit mehr Vielfalt durch Chancengleichheit werben und sich gerade international auch als attraktiver Arbeitgeber darstellen. Zudem erwächst aus diesem Verfahren eine größere Sicherheit bezüglich möglicher Rechtsverstöße im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
Das Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, an dem private Unternehmen, ehemals öffentliche Unternehmen wie die Post und öffentliche Unternehmen wie das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in NRW und die Stadtverwaltung Celle teilgenommen haben, hat genau das überzeugend nachgewiesen. Persönliche Daten wurden frühestens während des ersten Bewerbungsgespräches preisgegeben, die gleichzeitige Einhaltung anderer gesetzlich vorgeschriebener Verfahren, wie die Bevorzugung von Menschen mit Behinderung bei gleicher Eignung oder freiwillige Maßnahmen wie die aktuell wieder stark diskutierte Bevorzugung von Ehrenamtlichen im Bereich der Gefahrenabwehr, sind problemlos möglich. Zudem ist die Maßnahme weitgehend kostenneutral und wenig aufwendig.
Es gibt unterschiedlichste Verfahren. Dazu hat die Kollegin Gajek schon einiges gesagt, deswegen will ich mir das an der Stelle sparen. Ich will noch sagen, dass es trotz des Diskriminierungsverbotes im Grundgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz immer noch Benachteiligungen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion oder Behinderung gibt, und das ist nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftspolitisch bedenklich.
Aus der Sicht meiner Fraktion machen es das Ziel eines gleichberechtigten Zugangs zum Arbeitsmarkt für alle Erwerbsfähigen, die demografische Entwicklung sowie der sich in einzelnen Branchen unseres Landes abzeichnende steigende Bedarf an Fachkräften erforderlich, die Bemühungen zur Aktivierung des Erwerbspotenzials von Frauen, Migranten sowie älteren Erwerbsfähigen zu verstärken, und dazu sind gemeinsame Anstrengungen von Politik, Bundesagentur für Arbeit und Unternehmen notwendig. Denn worum geht es? Wer alle Erwerbspotenziale erschließen will, darf eben nicht nur Sonntagsreden halten, sondern muss die Unternehmen ernsthaft dafür sensibilisieren, diesem Personenkreis eine Chance zu geben. Und wer es ernst damit meint, der muss eben als öffentlicher Auftraggeber oder Arbeitgeber vielmehr diesem Anspruch auch gerecht werden.
Die Personalentwicklung spielt diesbezüglich die herausragende Rolle, denn es geht darum, Einstellungsvorbehalte gegenüber diesen genannten Zielgruppen abzubauen. Und dass dieses Problem sogar hier im Land erkannt und beschrieben wird, zum Beispiel in den Zielstellungen des Fachkräftebündnisses M-V, will ich dann an der Stelle auch noch mal sagen. Dort heißt es unter anderem, dass die Unternehmen sich mit zukunfts- und lebensphasenorientierten, personalpolitischen und arbeitsorganisatorischen Maßnahmen auf die demografische Entwicklung einstellen sollen, und dabei wird insbesondere eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angestrebt.
Das Ziel ist genau richtig, aber viele der offiziell knapp 50.000 arbeitslosen Frauen in unserem Land kommen
gar nicht erst bis zum Bewerbungsgespräch, und das hat auch was mit ihrem Alter zu tun. Die Landesregierung hat sich zudem im Koalitionsvertrag dem Leitbild des aktiven Alterns verpflichtet. Demnach sind die Kompetenzen und Erfahrungen älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Wirtschaft des Landes unverzichtbar. Da kann man nur sagen, ein richtiger Ansatz, doch auch die Älteren schaffen es eben häufig gar nicht erst bis zum Bewerbungsgespräch. Und dass diese Gruppen es besonders schwerhaben, belegt auch jüngst eine Studie des Institutes zur Zukunft der Arbeit, denn neben den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, neben den Frauen ist auch die Gruppe der Migranten besonders betroffen. In dieser Zielgruppe senkt allein ein türkischer Name die Chance auf eine Einladung zum Bewerbungsgespräch um mehr als 14 Prozent.
Deswegen, wenn Sie, Frau Ministerin, und meine Damen und Herren Abgeordnete der Koalitionsfraktionen, Ihre eigenen Ansprüche ernst nehmen würden, dann hätten Sie sich heute hier einem Pilotprojekt im eigenen Verantwortungsbereich nicht verweigert. Sie hätten mindestens einmal einen Informationsaustausch im Ausschuss befürworten können. Nach Auffassung meiner Fraktion gibt es an dieser Stelle zuerst für die Landesregierung und ihre nachgeordneten Behörden eine Vorbildfunktion. In anderen Zusammenhängen wird nämlich auch gern argumentiert, dass, wer selbst nicht für eine Sache brennt, kaum andere dafür entflammen kann. Nicht wahr, Herr Kollege Caffier? Meine Fraktion sieht das bei diesem Thema so und wird das anonymisierte Bewerbungsverfahren daher künftig auch selbst in Anwendung bringen.
Bei Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen, werbe ich nochmals um Zustimmung für unseren Änderungsantrag. Wir haben ihn deshalb gestellt, weil er eine Präzisierung enthält und konkreter an die Verantwortung der Landesregierung appelliert. Inhaltlich verfolgt er das gleiche Ziel wie der Ausgangsantrag der Bündnisgrünen. Deswegen beantrage ich, beide in den Sozialausschuss zu überweisen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Foerster, Sie erwecken hier die ganze Zeit den Eindruck oder versuchen das zumindest, dass, wenn die Landesregierung ein Modellprojekt einführt – zu welchen Ergebnissen sie auch immer kommt, gehen wir mal davon aus, dass sie zu denselben Ergebnissen kommen würde wie das Bundesmodellprojekt –, dass das dann unvermittelt auf die Wirtschaft abfärben würde.
(Henning Foerster, DIE LINKE: Das wäre ein gutes Vorbild, mit dem wir dann nach draußen gehen könnten.)
Das gute Vorbild – ich erinnere nur an das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, auf das wir bis heute warten und das nicht kommt – und alle guten Vorbilder aus Verwaltungsebene, aus Regierungsebene haben nicht dazu geführt,
(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir warten auf das Gesetz, das nicht kommt. Wer ist denn dafür zuständig, für die Gesetze?)
dass sich die Wirtschaft davon irgendwie eine Scheibe abgeschnitten hätte und mehr Frauenförderung in den Betrieben vornehmen würde.
So viel noch mal zum Einstieg zu diesem ständigen Verwischen von öffentlicher Verwaltung, Vorbildfunktion und zu dem, was dies für eine Auswirkung auf die Wirtschaft hätte.
mit acht Verwaltungen und Betrieben. Also das war ja relativ begrenzt und wenn ich mich recht erinnere, sind da über 8.000 Verfahren zur Stellenbesetzung von 245 oder um den Dreh.
(Henning Foerster, DIE LINKE: Laden Sie die Kollegen doch ein in den Sozialausschuss, da tauschen wir uns noch mal aus.)