Artikel 35 Absatz 1: „In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur – trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland – eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation.“
„Sie leisten im Prozess der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag.“
Artikel 35 Absatz 2, hört, hört: „Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3“, also im Beitrittsgebiet, „genannten Gebiet darf keinen Schaden nehmen.“
„Die Erfüllung der kulturellen Aufgaben einschließlich ihrer Finanzierung ist zu sichern, wobei Schutz und Förderung von Kultur und Kunst den neuen Ländern und Kommunen entsprechend der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes obliegen.“
Warum brauchen wir Soforthilfe? Wir brauchen sie wegen mehr als anderthalb Jahrzehnten Unterfinanzierung und wegen eines völlig untauglichen Konzeptes aus den Jahren 2008 bis 2011. Die akuten Fehlbeträge, da geht es nicht nur um Schwerin mit 1 Million Euro,
sind 1,45 Millionen Euro in Rostock, 0,742 Millionen Euro in Neubrandenburg/Neustrelitz, 150.000 Euro in Anklam, und ganz zu schweigen – wir kommen dann auf etwas über 3 Millionen Euro Soforthilfe, die notwendig ist, weil wichtige Entwicklungen ganz einfach verschlafen wurden –,
Aber selbstverständlich beim Land, denn Anklam und Stralsund/Greifswald sind eine Kooperation eingegangen. Im Erlass, der auch Rechtsgrundlage ist, steht, im Grunde genommen ist diese Kooperation de facto eine Blaupause von Parchim und Rostock. Im Erlass steht, wer kooperiert, kriegt den fusionsbedingten Mehraufwand ersetzt. Jetzt wird der Vertrag den Anklamern nicht ausgezahlt und den Stralsundern und Greifswaldern blüht, dass ihnen über den Haustarifvertrag sogar 2,1 Prozent
der Gage gestrichen wird, um die Summe zu kompensieren, die ihnen eigentlich recht- und gesetzmäßig zustehen würde. Was sind das für Verhältnisse, frage ich mich.
Und nun kommen einige um die Ecke – am vorvergangenen Sonnabend muss das im Landesmusikrat eine Rolle gespielt haben –, da kommen dann einige um die Ecke und sagen als Einwand, also die Kommunen sollen sich stärker engagieren. Das ist ein völlig absurder Appell, denn die Kommunen engagieren sich sehr stark und mit wachsender Tendenz. Wenn man sich die Theaterstatistik 2009 und 2010 im Vergleich anschaut, haben alle Kommunen, die Theater und Orchester in ihrem Gebiet haben, ihre Beteiligung oder ihre Beiträge zur Förderung erhöht
und verstetigt, insgesamt auf 26,5 Millionen Euro. Lediglich Rostock hat abgesenkt von 2009 auf 2010, weil sie es auf Geheiß der Rechtsaufsicht machen mussten, um 10 Prozent. Alle anderen haben erhöht.
Nun könnte der Einwand gelten, die Häuser sollen ihre Einnahmen erhöhen, aber das tun sie bereits. Von 2009 auf 2010 von 10,5 Millionen Euro auf 11,4 Millionen Euro. Und dann könnte man nun noch sagen, die Belegschaften sollen etwas beisteuern. Die Belegschaften sind aber schon ausgeblutet worden, in den letzten 10 Jahren zwischen 20 und 30 Prozent Personalabbau und Haustarife allenthalben, das brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu erklären.
Und dann, weil wir gestern so eine muntere Debatte über Mindestlöhne oder Lohnuntergrenzen hatten, da frage ich Sie mal, Herr Reinhardt: Warum sollen Künstlerinnen und Künstler nicht an der allgemeinen Lohnentwicklung teilnehmen? Womit ist das gerechtfertigt? 1.400 Euro Brutto als Einstieg, ist das Fettlebe? Ist das nicht gerechtfertigt angesichts der wichtigen Bedeutung?
Und da bin ich bei inhaltlichen Fragen, denn wenn wir über Theater und Orchester sprechen und deren Zukunft, darf die Rolle und Bedeutung von Theatern und Orchestern – und sie stehen für alle Kunst- und Kultureinrichtungen des Landes – nicht verkannt werden. Sie sind Stätten der Wertevermittlung. Sie sind Stätten der Demokratieerziehung, sind Orte des kulturellen Erbes, in denen kulturelles Erbe präsentiert wird. Hier geschieht kulturelle Bildung, hier wird die Arbeit von Musikschulen, von Soziokultur und Literaturhäu- sern flankiert und befördert. Theater und Orchester beleben die Gastronomie und den Tourismus und sind insofern Wirtschaftsfaktor und sorgen für Arbeit in der Region.
Ihr Slogan, sehr geehrte Damen und Herren, über dem Koalitionsvertrag heißt: „Zukunft aus eigener Kraft“
und ich muss Ihnen ehrlich sagen, solange Sie das Zukunftspotenzial unseres Landes, wie in den Theatern und Orchestern zum Beispiel präsentiert, brachliegen
Widerstand kündigt sich an, sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist eine Volksinitiative auf den Weg gebracht worden zum Erhalt der Theater und Orchester in unserem Land in ihrer Vielfalt, was nicht heißt, das möchte ich ausdrücklich betonen, dass es nicht Veränderungen auch in den Strukturen geben wird. Das ist ja gar nicht die Frage. Aber sie zu erhalten, ist Rechtsgrundlage und ist unsere kulturpolitische Verpflichtung. Wir als Linksfraktion unterstützen dieses Anliegen, befördern dieses Anliegen, namhafte Persönlichkeiten haben unterschrieben. Wenn ich ganz kurz mal auf die Erstunterzeichner/-innenliste schaue, so der Direktor für Zahnheilkunde der Uniklinik Greifswald, so Professor Modeß, der künstlerische Leiter der Greifswalder Bachwochen,
ein DJ ist dabei als Freiberufler, der Verkaufsleiter der Weißen Flotte ist dabei, eine Kreativwirtschaftlerin …
und hier ist auch ein Ausschnitt dessen in der Bandbreite der Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner.
Die Linksfraktion wird ab kommenden Montag mit einem Infomobil auf Tour gehen, an alle Theaterstandorte dieses Landes, und für dieses Thema sensibilisieren und Unterschriften einwerben.
Wir fordern von der Landesregierung, ihrer rechtlichen und kulturpolitischen Verantwortung gerecht zu werden. Wir fordern, Theater und Orchester nachhaltig zu sichern. Theater und Orchester, meine Damen und Herren, sind unverzichtbar. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Theater und Orchester sind unverzichtbar. Damit hat Herr Koplin seine Rede geschlossen und ich denke, das ist ein Satz, mit dem ich gerne meine Rede eröffnen würde, weil dieser Satz sicherlich unbestreitbar wahr ist. Darüber, was das konkret
heißt und heißen muss, bestehen die Differenzen, nicht darüber, dass wir Kultur in unserem Land brauchen.
Die Linksfraktion hat einen Antrag vorgelegt, in dem sie, jedenfalls wenn man das Wohlwollen ergänzt um den Änderungsantrag, insbesondere zwei Dinge fordert: Das eine sind Soforthilfen.
Ich gehe davon aus, dass Sie der Zeitung entnommen haben, dass es die gibt, die muss man nicht mehr fordern. Das Staatstheater Schwerin beziehungsweise die Stadt Schwerin hat sich an das Bildungsministerium gewandt, hat eine bestimmte Finanzlage deutlich gemacht, und das Ministerium hat sich umgehend dieser Sache angenommen, Verhandlungen angeboten, und der Aufsichtsrat hat dem Angebot der Landesregierung zugestimmt. Das ist Ihnen alles aus der Presse bekannt. Aber es geht in dieser Formulierung ja nicht nur um Soforthilfen, es geht um Soforthilfen ohne Bedingung. Und dies ist in der Tat etwas, was wir inhaltlich nicht teilen.
Ein wenig erinnert mich der Text und auch das, was Kollege Koplin vorgetragen hat, an den Slogan, ich darf zitieren: „Es ist alles zu wenig – Es muss mehr!“ Zitat- ende. Dies war der zentrale Wahlkampfslogan von Horst Schlämmer anlässlich des Bundestagswahlkampfes des Jahres 2009.
Die Linksfraktion bleibt natürlich ihrer Linie treu, auch aus der letzten Legislaturperiode. Dies ist insofern eine ehrliche Position. Ich glaube, niemand spricht Herrn Koplin ab, dass es ihm ernsthaft um die Substanz von Kultur in diesem Lande geht, und auch natürlich der Fraktion. Ich bitte nur, umgekehrt mal in Erwägung zu ziehen, dass es hier vermutlich fast jedem Abgeordneten in diesem Hause so geht, und nicht nur der Linksfraktion.
Ich darf, weil Sie die Verantwortung des Landes in der finanziellen Unterhaltung von Kultur angesprochen haben, vielleicht ein paar Vergleichsdaten nennen. Es wird ja in der Öffentlichkeit immer wieder darauf hingewiesen, dass die Landesmittel seit geraumer Zeit eingefroren sind. Das ist ein empirisch unbestreitbares Faktum. Wozu hat denn das geführt bis zum Jahre 2009? BadenWürttemberg investiert in Theater und Orchester, ich spreche jetzt die Länder an, pro Einwohner 10 Euro im Jahr, Bayern 12 Euro, Niedersachsen 14 Euro, Rheinland-Pfalz 7 Euro, Schleswig-Holstein 13 Euro, Mecklenburg-Vorpommern 20 Euro.
Mecklenburg-Vorpommern befindet sich heute als Land deutlich im vorderen Feld bei der Theaterfinanzierung. Ganz ähnlich geht es unseren Kommunen. Auch die sind im Vergleich zu westdeutschen Kommunen sehr gut mit dabei. Das ist bekannt. Bekannt ist allerdings auch, dass sich die Finanzlage des Landes – wie auch die demografische Lage des Landes – langfristig nicht gerade einfach gestaltet und dass die Theater vor erheblichen Schwierigkeiten stehen.
Und ich muss Ihnen sagen, im Wesentlichen diese Theaterreform auf die Frage zu reduzieren, wo man mehr Geld herbekommt, kann man auch umgekehrt als eine Flucht vor der konzeptionellen Debatte interpretieren. Sie haben es zwar ein Stück weit angedeutet, dass man
auch das braucht, aber das ist mein Eindruck in der Öffentlichkeit. Man wird in dieser Diskussion die Frage beantworten müssen, warum ist es denn so, dass es Theater in diesem Lande gibt, die überregional bedeutsam sind, die Einspielquoten erreichen, die bundesweit im Spitzenfeld liegen, und warum es Theater gibt, die eigentlich die gleichen Voraussetzungen mitbringen, aber Einspielquoten aufweisen, die sich eher im unteren Feld der Bundesrepublik bewegen. Und vor dieser Frage, die sich auch mit Qualität von Theatern, mit Konzepten, mit Strategien der Entwicklung auseinandersetzt, vor dieser Frage kann auch die Gelddebatte nicht retten. Auch kein Geldregen würde an diesen Qualitätsunterschieden etwas ändern. Deswegen glaube ich, dass die wesentliche Konzentration der Debatte auf Soforthilfen oder Finanzen nicht der richtige Weg ist.