Protocol of the Session on January 30, 2013

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 31: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Funktionsstellen an den Schulen dauerhaft besetzen – Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Schulleitungen anforderungsgerecht gestalten, Drucksache 6/1497.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Funktionsstellen an den Schulen dauerhaft besetzen – Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Schul- leitungen anforderungsgerecht gestalten – Drucksache 6/1497 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Oldenburg von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor wenigen Wochen titelte die „Schweriner Volkszeitung“ aufgrund meiner Kleinen Anfrage: „Schulleiter werden in MV? Lieber nicht!“ Die Anfrage ergab, dass momentan 82 Stellen von Schulleiterinnen und Schulleitern sowie ihren Stellvertretern nur amtierend besetzt sind. Das heißt, dass diese Funktionsstellen von Kolleginnen und Kollegen teilweise bereits seit dem Schuljahr 2003/2004 amtierend ausgeübt werden, und dies ohne zusätzliche Vergütung.

Warum möchten nun die Lehrerinnen und Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern keine Schulleiterinnen und Schulleiter werden? Was ist es, was sie davon abhält? Ist es die Aufgabenfülle, die sich vor allem mit der Einführung der Selbstständigen Schule vor drei Jahren um circa 20 Aufgabengebiete erhöht hat, aber die Rahmenbedingungen nicht angepasst wurden? Oder ist es die Resignation davor, irgendwie alles sein zu sollen, alles können zu müssen, für alles verantwortlich zu sein und dann auch noch für alles zur Verantwortung gezogen zu werden?

Sie sind Lehrkräfte, sie sind sämtliche Schulräte in einer Person, sie sind Manager und leiten eine Werbeagentur, sie sind Kämmerer und Verwaltungsfachangestellte, sie sind Sachbearbeiter – da die Schulsekretärin ja nur noch Teilzeit arbeiten darf, weil den Kommunen das Geld fehlt –, sie sind Schulentwickler und Entertainer, sie sind Planer, Therapeuten und Psychologen. Und zu guter Letzt mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes sind sie auch noch Außenstellenleiter der Sozialagenturen und Jobcenter.

Vielleicht liegt es aber auch an dem achtlosen Umgang der Schulaufsicht mit Kolleginnen und Kollegen auf diesem Gebiet, die bereit sind, diese Stelle amtierend zu übernehmen, um sich um die Kinder zu kümmern. Aber diese Kollegen werden dann bei den Ausschreibungen …

(Unruhe bei Torsten Renz, CDU)

Herr Renz, immer schön zuhören! Dann können Sie nachher auch reagieren.

(Manfred Dachner, SPD: Wir sind hier ja nicht in der Schule.)

Liegt es an den Ausschreibungen, dass die Stellen nicht bedacht werden, weil zum Beispiel die Ausschreibungs- und Besetzungsmodalitäten eine dauerhafte Bestellung nicht zulassen? Als Lückenfüller werden sie gebraucht, aber für eine ständige Übernahme der Funktion reicht die Qualifikation nicht.

Ich möchte es Ihnen am folgenden Fall beschreiben, der belegt, dass sich schnell und dringend hier etwas ändern muss: An einer Schule mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ sind seit 2007 beide Schulleitungsstellen nur amtierend besetzt. Seit 2007!

(Torsten Renz, CDU: Unmöglich.)

Die Leitung einer Schule, an der die Kolleginnen und Kollegen Kinder mit schweren Beeinträchtigungen unterrichten und fördern, ist seit sechs Jahren unbesetzt. Allerdings endet hier die Verantwortungslosigkeit im staatlichen Handeln leider noch nicht. Der amtierende Schulleiter befindet sich in diesem Schuljahr im Sabbatjahr. Nun wird die Stelle weiterhin amtierend besetzt, und zwar von der vormals amtierenden Stellvertreterin. Und für die frei gewordene Stellvertreterstelle wird ein Kollege eingesetzt, der diese Position wieder nur amtierend übernimmt.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Nun könnte man glauben, dass vonseiten der Schulämter so reagiert werden würde, dass die Stellen ausgeschrieben werden und den regionalen Besonderheiten angepasst werden – aber weit gefehlt. Die Ausschreibung sieht vor, dass sich nur ausgebildete Sonderpädagogen bewerben können, und das ist eine Ausschreibung vom Dezember letzten Jahres. Die amtierenden Leiter arbeiten seit genau 20 Jahren an den Förderschulen, sind aber ausgebildete Grundschullehrer. Somit können sie sich trotz der praktischen Erfahrungen nicht bewerben.

Sehr geehrte Damen und Herren, unstrittig ist, dass das Bildungsministerium inzwischen auch als Reaktion zu meiner Kleinen Anfrage begonnen hat, sich der Ursachenforschung für die Verfahrens- und Planungsfehler und für das absurde, unkoordinierte Vorgehen zu widmen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das haben sie doch schon eher gemacht.)

Und genau diese Tatsache wird jetzt wieder als Begründung dafür herhalten müssen, warum Sie unseren Antrag überhaupt nicht benötigen. Nein, das darf für Sie keinen Grund darstellen, denn wenn man nur durch fremde fachärztliche Hilfe zur Diagnose gelangt, dann sollte man auch bei der Therapie nicht auf unsere Unterstützung verzichten. Da diese Ungerechtigkeiten – wie man den Antworten auf die Kleine Anfrage entnehmen kann – seit über einem Jahrzehnt bestehen, bezweifle ich, dass Sie auf Selbstheilungskräfte vertrauen können.

Dass das „Wir machen schon“ der Koalition allein keine Früchte trägt, beweise ich Ihnen weiterhin am Beispiel der Förderschule, denn anstatt nun die Schulleitungsstellen dort so auszuschreiben, dass sich die dort tätigen Kollegen bewerben können, erreichte den Schulträger in der vergangenen Woche folgendes Schreiben des Staatlichen Schulamtes. Ich zitiere:

„… die Stellen des Schulleiters und stellvertretenden Schulleiters an der Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung … sind seit mehreren Schuljahren kommissarisch besetzt. Trotz mehrmaliger Ausschreibung bzw. Veröffentlichung der Stellen … hat sich keine Lehrkraft beworben. Die endgültige Besetzung der Schulleiterstellen konnte somit nicht vorgenommen werden. Sowohl aus meiner Sicht als auch aus Sicht der zuständigen Schulrätin … ist eine nochmalige Ausschreibung nicht Erfolg versprechend. Alle bisher unternommenen Versuche, diese Stellen auf Dauer zu besetzen, sind gescheitert.“ Ende des Zitats.

Spätestens hier sagt doch der normale Menschenverstand: Ausschreibungsbedingungen ändern! Doch weit gefehlt.

Ich zitiere weiter aus dem Schreiben: „Es sollte vielmehr an der zurzeit kommissarischen Besetzung der beiden Schulleiterstellen festgehalten werden … Ich bitte Sie, mir bis zum 8. Februar 2013 mitzuteilen, ob die kommissarische Besetzung der Schulleiterstellen auch in Ihrem Interesse ist.“ Ende des Zitats.

Sehr geehrte Damen und Herren, das schlägt dem Fass den Boden aus!

(Egbert Liskow, CDU: Welchen?)

Glauben Sie mir nun, dass die begonnenen Änderungen nicht genügen, um sich dieser Problematik so anzunähern, dass Lösungen im Sinne der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte gefunden werden?

Deshalb können Sie unserem Antrag nur zustimmen, denn der sieht vor, die Einstellungsvoraussetzungen den Gegebenheiten anzupassen. Bei diesen derartigen Schwächen und Unverantwortlichkeiten im Umgang mit den Schulen wird sich niemand von Ihnen jetzt mehr wundern, dass gegenwärtig an fast jeder sechsten Schule eine Funktionsstelle nur amtierend besetzt ist.

(Torsten Renz, CDU: Unhaltbarer Zustand!)

Ein weiteres Indiz, dass Ihrerseits auf diesem Gebiet derzeit zu geringe Anstrengungen unternommen werden, ist die Tatsache, dass trotz Einwendungen seitens der Lehrerverbände sowie der Schulleitervereinigungen der Stundenumfang der Schulleitungen für Verwaltungsaufgaben nicht erhöht wird. Einer Schulleiterin, einem Schulleiter steht ungefähr die Hälfte seiner messbaren Arbeitszeit für die Organisation, Leitung und Kontrolle sämtlicher pädagogischer und verwaltungstechnischer Prozesse zur Verfügung, die andere Hälfte unterrichten sie. Das ist Schulleitung in Teilzeit.

An dieser Stelle werden Sie nun versuchen, unseren Antrag mit der Begründung abzulehnen, dass die Anrechnungsstunden vor mehreren Jahren, also vor der Einführung der Selbstständigen Schule, im Zuge der Anwendung des Lehrerpersonalkonzeptes erhöht worden

sind, um den Schulleitungsmitgliedern Vollbeschäftigung zu sichern.

(Torsten Renz, CDU: Nein, machen wir nicht.)

Sie werden in Ihren Reden betonen, dass nichts eine weitere Entlastung rechtfertigt, dass circa die Hälfte der Arbeitszeit für die Verwaltungsaufgaben angemessen ist. Und damit Sie diese Begründung dann auch gleich vergessen können, möchte ich dieses vorgeschobene Argument umgehend entkräften.

Seit der Einführung der Selbstständigen Schule haben sich die Aufgaben der Schulleitungen enorm erhöht. Ganz schnell wird vonseiten des Landes reagiert, wenn die Schülerzahl sinkt. Dann wird nämlich sofort der Schulleiter in seinem Gehalt zurückgruppiert. Aber wenn sich die Aufgaben erhöhen, wird mit Ignoranz über diese Mehrbelastung hinweggesehen.

Kein Schulrat, keine Ministerin, kein Minister arbeitet bei sinkenden Schülerzahlen oder sinkenden Einwohnerzahlen in Teilzeit. Schulleitern hingegen wird das Gehalt gekürzt und ihre Arbeitszeit dahin gehend gerechtfertigt, dass sie durch eine geringere Schülerzahl auch weniger zu tun hätten. Mit standardisierten Richtwerten allein lässt sich keine erfolgreiche und am Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ausgerichtete Bildungspolitik gestalten. Professionalisierung von Schulleitungen funktioniert nur, wenn man sie ernst nimmt, achtet und nicht an den Rand stellt.

Schulleiterinnen und Schulleiter sind diejenigen, die sämtliche Änderungen im Bildungswesen vor Ort realisieren müssen, die dafür einstehen und Überzeugungsarbeit leisten, was nicht immer ganz so einfach ist. So sind für die Schulleitungen in den vergangenen drei Jahren die gesamte Personalführung der Kolleginnen und Kollegen, die Durchführung der Bewerbungsverfahren für Neueinstellungen, verbunden mit der Vertragsgestaltung und der Eingruppierung in die notwendige Entgeltgruppe, die Erarbeitung und Umsetzung eines Fortbildungskonzeptes für die Kollegien und eines Förderkonzeptes für die Schülerinnen und Schüler, die Führung des Schulberichtssystems – zumal das seit September in einem katastrophalen Zustand ist und dadurch die Arbeit an den Schulen zusätzlich erschwert –, die Gestaltung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung, die Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts, die Ausgestaltung der Ganztagsschule sowie die Umsetzung der regionalen Besonderheiten

(Vincent Kokert, CDU: Haben Sie unser 50-Millionen-Euro-Paket zur Kenntnis genommen? Dann hätten wir das auch weglassen können.)

für die Ausgestaltung der freien Schulwahl hinzugekommen. Auf diese Veränderungen muss die Leitung einer Schule reagieren, aber auch die Leitung der Leitung. Und das sind in diesem Fall die unteren und die oberen Schulbehörden des Landes. Es ist also zwingend erforderlich, dass die Leitungszeit mit steigenden Aufgaben ebenfalls erhöht wird, so, wie in allen anderen Bereichen dies auch der Fall ist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, reagieren auch Sie und erhöhen Sie die Anrechnungsstunden für die

Arbeit der Schulleitungen! Entkoppeln Sie die Vergütung von rein demografischen Faktoren! Passen Sie, wie es unser Antrag vorsieht, die Funktionsbeschreibungen der Schulleitungen den neuen Bedingungen an! Denn ansonsten steht die Welt der Schulleitungen weiterhin auf dem Kopf. Und rechtfertigen Sie bitte diese Benachteiligung nicht dadurch, dass Sie einen Kopfstand hinlegen, um sich dann auf Augenhöhe zu befinden, sondern handeln Sie, und zwar mit uns gemeinsam!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Brodkorb.

(Vincent Kokert, CDU: Sie müssen jetzt sagen: „Ich bekenne mich schuldig“, und setzen sich wieder hin.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Oldenburg, erlauben Sie mir vielleicht zu Beginn eine persönliche Bemerkung, bevor ich inhaltlich einsteige.

Es scheint sich ja hin und wieder hier zum – haben wir ja schon öfter gehabt – Dauerspiel „Mein Schippchen – dein Schippchen, dein Förmchen – mein Förmchen“ zu entwickeln. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich daran nicht beteiligen möchte. Wenn Sie möchten, können Sie gern bei mir im Ministerium ins Archiv gehen. Die Kollegen zeigen Ihnen dann die Unterlagen und seit wann an diesen Themen gearbeitet wird.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Da hat sich noch nichts geändert.)

Und dann, glaube ich, können wir uns solche Spielchen auch schenken.

Aber nun zur Sache: Schulleiterinnen und Schulleiter und deren Stellvertreterinnen und Stellvertreter waren und sind nicht nur die Hauptverantwortlichen im schulischen Alltag, sondern gemeinsam mit den Lehrerkollegien sowie den Eltern und Schülerinnen beziehungsweise Schülern die Motoren gelingender Schulentwicklung. Frau Oldenburg hat es in der Tat präzise dargestellt.

Schule wird nicht allein durch Vorschriften der Schulbehörden gesteuert, sondern ein großer Teil der Ergebnisverantwortung liegt bei den Schulleitungen und Kollegien. Ihre Arbeit ist für die Qualität der Schulen in Mecklenburg-Vorpommern daher von großer Bedeutung.