Der tägliche Planungsablauf an unseren Straßen sieht aber anders aus. Schnell ist man bereit, den gängigen technischen Standards zu folgen. Der Alleenschutz wird „abgewogen“ – so der verwaltungstechnische Begriff. Dies geschah auch im Fall der hier zur Rede stehenden Allee, dem 3 Kilometer kurzen Abschnitt der Bundesstraße 96 zwischen Strüssendorf und Ralswiek. 112 Spitzahornbäume sollen in diesem Abschnitt fallen. Der Zustand der Bäume ist ihrem Alter entsprechend gut. 80 Jahre haben sie bereits gelebt und der Witterung, den Verkehrsabga- sen und dem Tausalz getrotzt – eine reife Leistung, die Respekt verdient.
Der Ausbau der Straße zwischen Ralswiek und Strüssen- dorf wird nun ebenfalls damit begründet, dass die Straße Standardmaße brauche. Diese würden dann Tempo 100 ermöglichen. Die Fahrbahnbreiten von 6,5 bis 6,25 Metern, die an Engstellen gemessen wurden, sind angeblich für eine überregionale Straßenverbindung zu schmal. Sie würden für eine Verkehrsmenge von täglich 9.452 Kraftfahrzeugen gar nicht ausreichen. Die Richtlinien sagen allerdings etwas anderes. So sieht der Straßenquerschnitt RQ 9,5 mit einer Straßenbreite von 6,5 Metern, um die geht es ja hier, eine Fahrzeugbelastung von täglich bis zu 15.000 Pkw und 300 Lkw vor. Noch mal zur Erinnerung: Gemessen wurden dort unter 10.000 Kraftfahrzeuge.
Letztlich kommt der Planfeststellungsbeschluss zu dem Urteil, dass aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Ausbau der Bundesstraße 96 zwingend notwendig sei. Dieses öffentliche Interesse wäre so dominant, dass die Beseitigung der Alleebäume zu begründen sei. Doch ist der Ausbau der Bundesstraße B 96 aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs wirklich zwingend notwendig?
Gibt es nicht andere Möglichkeiten, die Unfallgefahr auf einem 3 Kilometer langen Straßenabschnitt zu reduzieren? In diesem Punkt sollten wir auf das alleenreichste Bundesland Brandenburg schauen. Mit einem Erlass forderte das dortige Infrastrukturministerium die Landkreise auf, auf besonders gefährdeten Alleen oder baumbestandenen Straßen Tempo 70 anzuordnen.
Natürlich kamen daraufhin die üblichen Einwände. An Tempo 70 hält sich doch keiner, wurde gesagt. Auch würde es zu nicht hinnehmbaren Verlängerungen von Fahrzeiten kommen. Man konnte diese Einwände jedoch mit Fakten entkräften. 24.000 Messungen der Polizei hatten zuvor ergeben, dass sich die Leute doch an Tempo 70 halten, und zwar strikter, als eine Tempo-100Beschilderung das ausweist. Nur 3 Prozent der Fahrzeuge hatten Tempo 70 überschritten, Tempo 100 wurde hingegen von 23 Prozent der Fahrzeuge überschritten. Tempo 70 wird also ganz gut eingehalten.
Auch sind längere Fahrzeiten ökonomisch vertretbar, denn sie sind minimal. Auf einem 3,8 Kilometer langen Abschnitt, so die Brandenburger Erkenntnisse, fährt man mit Tempo 100 2,3 Minuten lang und mit Tempo 70
3,3 Minuten, also höchstens eine Minute mehr. Schon eine einzige Ampel mit einer Umlaufzeit von 3 Minuten kann diesen minimalen Zeitvorteil zunichtemachen. Messungen auf Bundesstraßen in Brandenburg ergaben außerdem, dass werktags die Durchschnittsgeschwin- digkeit für Pkw ohnehin nur 74 km/h und für den Schwerverkehr 63 km/h beträgt.
Diese Temporeduzierung ist dann in Brandenburg nicht nur auf Nebenstraßen angewendet worden, auch die stark befahrene B 96 – um die geht es ja auch hier –
kann im Havelland, wo sie noch über wertvolle Alleenabschnitte verfügt, nur mit Tempo 70 befahren werden. Warum wurde diese Lösung auf Rügen nicht übernommen, sehr geehrte Damen und Herren?
Eine weitere Alternative zur Fällung der Bäume an der B 96 besteht auch mit der Nutzung der Landstraße 293. Im „Integrierten Verkehrsentwicklungskonzept für die Insel Rügen“ aus dem Jahr 2008 heißt es dazu, Zitat: „Die L 293 ist“ – eine Auslassung – „eine gut ausgebau- te Verkehrsstraße zwischen der B 196 in Karow und Sassnitz/Mukran. Sie bietet sich zwischen Bergen und Sassnitz als Ausweichroute zur B 96, die in Höhe von Ralswiek eingeengt ist, an.“ Zitatende.
Warum wird also nicht der Lkw-Verkehr zum Fährhafen Sassnitz über diesen Abschnitt geführt? Warum insgesamt bei den Planungen diese Eile? Warum wird trotz der inzwischen prekären Finanzsituation eine Variante favorisiert, bei deren Vorbereitung offenbar nicht ausreichend Raum für Diskussionen – zum Beispiel mit den Umweltverbänden – gelassen wurde?
Inzwischen sind die Kosten für den Bau der B 96neu, für deren Bau bereits 200 Alleebäume gefällt wurden, um 50 Prozent gestiegen, und zwar auf 125 Millionen Euro. Trotz dieses finanziellen Desasters und der Bauverzögerung hat das Landesamt für Straßenbau und Verkehr die Erarbeitung des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt Ralswiek–Strüssendorf bereits im April 2012 veröffentlicht und damit quasi das Fällbeil an die Bäume gelegt. Es gibt hingegen immer noch Zeit, die Planungen zu verändern und Alternativlösungen zu wählen – Lösungen, die jetzt schon auf dem Tisch liegen. Beauftragen Sie heute die Landesregierung, den Planfeststellungsbeschluss auszusetzen und die letzte Allee der B 96 auf Rügen zu erhalten!
Ja, sehr geehrte Damen und Herren, gönnen wir uns den Luxus, Geld zu sparen! Gönnen wir uns, auf den Ausbau von Straßen auf Regelbreiten zu verzichten! Und gönnen wir uns den Erhalt unserer Altalleen, die durch keine Neupflanzungen im Hier und Jetzt zu ersetzen sind. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Und ich eröffne die Aussprache.
Liebe Kollegin Karlowski! Wenn wir hier über Alleen diskutieren – und das ist eine wichtige und gute Sache, Sie haben es ja selber auch gesagt und konstatiert, das steht bei uns in der Landesverfassung, und das ist auch gut und richtig so, dass es da drinsteht –, dann reden wir aber hier auch über Menschen, und die werden, das will ich Ihnen nicht ersparen, aus meiner Sicht bei Ihnen manchmal etwas ausgeblendet.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genauso ist es. Sie müssen gut zusammenpassen. Und wenn Sie jetzt reagieren, indem Sie mir Unterstellungen vorwerfen, also Sie unterstellen mir ja sozusagen, ich wäre der große Baumkiller oder so und mir würde es Spaß machen, Bäume umzuhauen – wenn, dann ist das eine Unterstellung, meine Damen und Herren.
Frau Dr. Karlowski, na ja, wir hören ja auch zwischen den Zeilen, haben Sie doch gerade bei mir auch. Also wenn, dann gleiches Recht für alle. Das ist nämlich immer Ihr Problem. Nun gut, sei es drum.
Und ich will versuchen, das sachlich – das kann man sehr strittig diskutieren, gar keine Frage – einfach mal darzustellen, damit wir wirklich wissen, worüber wir reden und wer hier was gemacht hat. Und im Übrigen empfehle ich Ihnen als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie haben ja zu einem großen Teil hier über das Thema Alleen allgemein gesprochen und 70 km/h in Alleen, stellen Sie dazu mal einen Antrag, dann können wir darüber hier eine Debatte machen, aber das jetzt explizit wieder nur auf diesen einen Fall zu beziehen, ist vielleicht auch nicht ganz so prickelnd.
Meine Damen und Herren, der Ausbau der B 96 im Abschnitt Strüssendorf–Ralswiek ist insbesondere wegen der starken Freizeitverkehre und der Wirtschaftsverkehre zum Fährhafen Sassnitz erforderlich. Das kann man anders sehen, wir sehen es als erforderlich an. Und die vorhandene Straße, meine Damen und Herren, ist mit einer Breite von maximal 6,25 Meter der Verkehrsbelastung von circa 9.500 Kfz innerhalb von 24 Stunden nicht gewachsen. Das ist unsere Auffassung.
Und genau aus diesem Grunde fordert die Verwaltung, aber auch die Wirtschaft bereits seit 2001 einen Ausbau der Straße – also von wegen Schweinsgalopp und ganz schnell durchziehen, ist nicht. Darüber wird seit 2001 diskutiert, hier im Land und auf Rügen. Und zum letzten Mal wurden wir auch noch mal aufgefordert, dass der Ausbau der B 96n sehr schnell stattfinden sollte, am 08.11. dieses Jahres auf der Regionalkonferenz der Industrie- und Handelskammer Rostock.
Aber, und das ist mir eigentlich noch viel wichtiger, darüber hinaus ist auch aus Gründen der Verkehrssicherheit der Ausbau notwendig. Meine Damen und Herren, wir reden immer über das Schutzgut Allee/Schutzgut Baum. Für mich, sage ich an dieser Stelle noch mal, ist das Schutzgut Mensch, weil er auch zur Natur gehört, wichtiger, definitiv wichtiger als ein Baum. Ich will Ihnen sagen, warum. Die Zahlen sprechen da für sich.
Im Jahr 2010 haben wir auf diesem kurzen Stück 26 Ver- kehrsunfälle mit 11 Verletzten, darunter einem Schwerverletzten gehabt. In 2011 waren ebenfalls 21 Verkehrsunfälle zu verzeichnen. Und, meine Damen und Herren, Sachverständige haben es nachgewiesen, die Ursachen liegen in der eingeschränkten Sicht auf diesem Streckenabschnitt und der schmalen Fahrbahn.
(Vincent Kokert, CDU: Sie könnten ausgesperrt werden aus den Wäldern. Da dürften die gar nicht mehr reingehen.)
kann einfach nicht wegdiskutiert werden. Der ist schlicht und einfach real. Der ist real. Und, meine Damen und Herren, seit dem 25. April 2012 liegt ein Planfeststellungsbeschluss, und zwar mit Bestandskraft vom 07.08.2012, und somit auch Baurecht vor. Und auch das kann man nicht wegdiskutieren, mit diesem – für alle, die sich damit sonst nicht beschäftigen –, mit diesem unanfechtbaren Planfeststellungsbeschluss sind Ansprüche Dritter auf Unterlassung, Beseitigung oder Änderung des Bauvorhabens schlicht und einfach ausgeschlossen. Die gehen nicht mehr. Das ist geplant.
Geplant ist der grundhafte Ausbau auf dieser Länge von 2.800 Metern mit einer Optimierung der Kurvenradi
en, von wegen Sicht, und der Herstellung eines Querschnitts mit 10,5 Metern Fahrbahnbreite. Ich erinnere an eine Aussage von mir, ich glaube, in der letzten Landtagssitzung, wie viele Schwertransporte wir auf dieser Strecke Richtung Hafen Sassnitz-Mukran unterwegs haben, die immer mit Polizeibegleitung fahren müssen, weil die Straße schlicht und einfach zu schmal ist mit ihren 6,25 Metern. Ferner sieht die Planung neue Busbuchten für die Haltestellen des Regionalverkehrs vor.
Ich sage aber deutlich, und das habe ich auch der Bürgerinitiative und den Naturschutzverbänden gesagt, die dem Ministerpräsidenten und mir Unterschriftenlisten übergeben haben, die Umsetzung dieser Baumaßnahme wird zurzeit zurückgestellt, da die Finanzierung eng mit der B 96n verbunden ist. Und nach Aussagen des Bundesministeriums für Verkehr ist deren Umsetzung im Nordabschnitt hinter Samtens nicht vor 2016 zu erwarten. Und ich sage das hier auch noch mal öffentlich und deutlich: Bis dahin werden Bäume grundsätzlich nicht abgenommen. In absehbarer Zeit ist die Straßenbauverwaltung jedoch gezwungen, aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht Bäume zu fällen, die drohen, den Verkehr zu gefährden.
Meine Damen und Herren, es gibt ein Gutachten zum Zustand der Bäume aus dem Jahr 2007 von UmweltPlan, das ist eine Nachfolge der Baumgutachten aus 2001 und 2004. Darin – auch mal zur Information für Sie, damit sind wir immer konfrontiert bei solchen Maßnahmen – ist jeder, jeder einzelne Baum einzeln aufgelistet und einzeln fotografiert und bewertet worden.