Protocol of the Session on December 6, 2012

Bitte schön, Herr Al-Sabty, fahren Sie fort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Der NSU ist eine Organisation, deren Wirken und Existenz bis November 2011 für nicht möglich gehalten wurde, und auch heute beschäftigt sie die Politik und die Gesellschaft, auch in Mecklenburg-Vorpommern.

Die größte rechtsradikal motivierte Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wirft viele Fragen auf. Und der Aufklärungsprozess selbst ist bereits mit Pannen und Skandalen verbunden. Es wird noch viel Arbeit zu leisten sein, um die richtigen Lehren aus den NSU-Morden zu ziehen.

Fest steht, liebe Kolleginnen und Kollegen, der NSU ist nicht vom Himmel gefallen. Auf den Tag genau vor 20 Jahren, am 6. Dezember 1992, endete die Debatte um das Asylrecht mit dem sogenannten Asylkompromiss. Das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch abgeschafft, zumindest drastisch eingeschränkt.

Aus einem Zusammenspiel von realer Überforderung, bürokratischem Chaos und fremdenfeindlichen Ressentiments war Anfang der 90er-Jahre, kurz nach der Wiedervereinigung, ein explosives Gemisch entstanden. Hoyerswerda und Lichtenhagen sind bleibende und warnende Symbole für ein bizarres Zusammenspiel von Politik und gewalttätigem Mob. Genau in dieser Zeit fallen die beiden späteren Mörder Böhnhardt und Mundlos erstmals in der neofaschistischen Szene, der Neonazi- szene in Jena auf. Und genau aus diesem Grund sind wir den Opfern der Nazimorde, ihren Angehörigen und uns selbst eine Verpflichtung schuldig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann und darf nicht sein, dass einfach alles so weitergeht, wie es vor 20 Jahren begonnen hat. Hiervon sind wir allerdings noch weit entfernt. Ein Dreivierteljahr nachdem der Deutsche Bundestag unter dem Eindruck der Nazimorde eine Resolution verabschiedet hatte, um die Arbeit demokratischer Gruppen zu stärken, kommt eine vom Bundesfami

lienministerium finanzierte Stiftung zu der Erkenntnis: Es ist nichts passiert. Eine entsprechende Untersuchung, wie deutsche Sicherheitsbehörden rechtsextreme Taten vor Ort aufklären, zieht eine erschreckende Bilanz. Sie scheitern auf der ganzen Linie. Opfer wurden systematisch im Stich gelassen. Der rechtsextreme Hintergrund vieler Taten wurde negiert oder auch von Kommunen verharmlost, weil die Gemeinden nicht in Verruf geraten wollten.

Die Untersuchung nennt auch Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern. Gedenken und Solidarität müssen auch für uns die Frage einschließen: Haben die NSUMorde bei den Behörden unseres Landes eine neue Sensibilität ausgelöst? Wie steht es um die interkulturelle Kompetenz unserer Beamtinnen und Beamten?

Am 25. Februar 2004 wird Mehmet Turgut, den ich auch flüchtig kannte, in Rostock-Toitenwinkel in seinem Dönerstand von der NSU-Bande ermordet. Es ist der fünfte von insgesamt zehn NSU-Morden …

(Udo Pastörs, NPD: Gibt es da schon eine rechtskräftige Verurteilung?)

Aber der Führer der Fraktion ist heute selber da.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Es ist der fünfte von insgesamt zehn NSU-Morden, aber der einzige in unserem Bundesland, in MecklenburgVorpommern.

Ohne den damaligen Ermittlungsverlauf oder das öffentlich kritisierte Zusammenwirken von Polizei und Verfassungsschutz hier thematisieren zu müssen, stellt uns der Fall Mehmet Turgut doch auch heute vor Fragen.

Frage 1: Wie kann bei Ermittlungsmaßnahmen Leid für die Angehörigen künftig wirksamer vermieden werden?

Frage 2: Haben nach dem Auffliegen des NSU Sicherheitsbehörden unseres Landes das Gespräch mit Verwandten und Freunden von Mehmet Turgut gesucht?

Frage 3: Kam es zu einer Entschuldigung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir im Zusammenhang mit den NSU-Taten, den 10 Mordfällen, 2 Sprengstoffanschlägen, 14 Banküberfällen und Brandstiftung, eine weitere Sensibilisierung der verantwortlichen Stellen anmahnen, wenn wir weiterhin Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gegen Fremdenfeindlichkeit und Alltagsrassismus einfordern, schließt dies Politik und Verwaltung notwendigerweise mit ein.

Abschließend lassen Sie mich, liebe Kollegen, den Vorfall von gestern, von Dienstag zu Mittwoch, nennen. In der Nacht zu Mittwoch haben Rechtsextreme in Rostock die Gedenktafel Lichtenhagen, die am Rostocker Rathaus angebracht wurde, entfernt.

(Udo Pastörs, NPD: Woher wissen Sie, dass das keine Linksradikalen waren?)

An die Stelle klebten sie ein weißes Schild mit der Aufschrift „Für immer Deutschland“. Gerade jetzt passiert das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo die IMK in War- nemünde tagt. Gerade das passiert, wo es um das NPD

Verbot geht. Das zeigt natürlich, wie frech sie geworden sind, wie aggressiv und brutal sie geworden sind.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Die Einzelheiten überlasse ich dem hochgeschätzten Ralf Mucha, der kann über diesen Vorfall noch reden.

Ich betone es noch mal, liebe Kolleginnen und Kollegen: …

(Udo Pastörs, NPD: Blühende Fantasie eines aus dem Orient Zugereisten.)

Einen Moment, Herr Al-Sabty.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE: Sofort raus!)

Herr Pastörs, ich finde Ihren Einwurf, den Sie eben gemacht haben, unglaublich. Ich erteile Ihnen nicht nur einen Ordnungsruf, ich verweise Sie des Saales. Bitte nehmen Sie Ihre Sachen und verlassen Sie die Sitzung.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Ich betone noch mal den Satz.

(Heinz Müller, SPD, und Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wir warten, bis er raus ist.)

Sie warten bitte einen Moment. Ich werde Ihnen nicht zumuten, dass Sie in Gegenwart dieses Mannes hier weiterreden, Herr AlSabty.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der hat offensichtlich was mit den Ohren. – Udo Pastörs, NPD: Au, au!)

Warten Sie bitte einen Moment.

(Michael Andrejewski, NPD: Bloß nicht weiterreden! – Udo Pastörs, NPD: Singen Sie Ihre Messe weiter! – Peter Ritter, DIE LINKE, singt: „Du kannst nach Hause gehn“.)

Herr Pastörs, ich behalte mir vor, auch aufgrund dieser Äußerung zu prüfen, inwieweit weitere Ordnungsmaßnahmen erforderlich sind.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der NPD – Der Abgeordnete Udo Pastörs verlässt den Plenarsaal.)

Bitte, Herr Al-Sabty, fahren Sie fort.

Ja. Vielen Dank noch mal, Frau Präsidentin.

Ich betone noch mal: Engagement der Bürgerinnen und Bürger, der Politik und Verwaltung gegen Fremdenfeind

lichkeit und gegen Alltagsrassismus in MecklenburgVorpommern ist notwendiger denn je. – Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Al-Sabty.

Das Wort hat jetzt in Vertretung des Innenministers der Wirtschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpom- mern Herr Glawe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Im November 2011 wurde bekannt, dass der Nationalsozialistische Untergrund, NSU, für eine Mordserie an Menschen mit Migrationshintergrund und einer Polizistin verantwortlich ist. Das Entsetzen über das unfassbare Geschehen sitzt auch nach einem Jahr sehr tief. Die Grundwerte unserer Gesellschaft wurden in ihrem Wesenskern angegriffen.

Meine Damen und Herren, daher ist es aus meiner Sicht besonders wichtig, den Opfern von rechtsextremistischer Gewalt und deren Angehörigen Mitgefühl und unsere Solidarität zu zeigen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die in unserem Lande durchgeführten Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen. So wichtig das Geschehen als sichtbares Zeichen der gesellschaftlichen Änderung und Ächtung rechtsextremistischer Gewalten ist, umso unverzichtbarer ist es, stets und ständig allen Formen des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Dies gilt für die Politik, die Sicherheitsbehörden und für die gesamte Gesellschaft. Deshalb unterstütze ich die Initiative der Oberbürgermeister der sieben Tatortstädte, Gedenktafeln anzu- bringen.

Auch in unserem Bundesland ist ein Mord geschehen. Im Februar 2004 wurde Mehmet Turgut in Rostock ermordet. Daher ist es richtig, wenn auch die Hansestadt Rostock sich dieser Initiative angeschlossen hat.

In Mecklenburg-Vorpommern hat sich ein breites Spektrum von Initiativen und engagierten Bürgern und Bürgerinnen dem Kampf gegen Extremismus und Intoleranz gestellt, ja, es hat sich dem verschrieben. Viele von diesen Initiativen werden vom Land Mecklenburg-Vorpom- mern unterstützt. Dieses Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist sehr wichtig und muss massiv weiter unterstützt werden.