Ich stelle also fest: Wir sind uns einig, dass die Förderpläne sinnvoll sind, und wir sind uns einig, dass die Leh
rerinnen und Lehrer entlastet werden müssen. Die Lösung wäre vor drei Jahren die gleiche gewesen wie heute: eine tatsächliche Entlastung der Lehrer durch die Absenkung der viel zu hohen Deputatstunden.
Stattdessen wartet der Bildungsminister mit – das muss hier so offen gesagt werden – absolut unseriösen Zahlenkonstruktionen auf.
So würde der Verzicht auf die Förderpläne eine rechnerische Einsparung von circa 41 Lehrerstellen und knapp 3 Millionen Euro erbringen. Das ist natürlich völlig unzutreffend, denn die Mehrarbeit der Lehrerinnen und Lehrer wurde ja eben bisher nicht berücksichtigt. Durch eine Streichung ergeben sich somit weder rechnerische noch tatsächliche Einsparungen. Die Zahlen sagen höchstens eines aus, nämlich welche Vergütung den Pädagogen für zusätzliche Arbeit in den letzten Jahren vorenthalten wurde. Dies darf man ruhig mal berechnen. Aber der Bildungsminister teilt mit, dass die niemals bezahlten, aber trotzdem angeblich eingesparten Stellen und Finanzmittel dem Schulsystem zugutekommen sollen. Das ist schon ein Etikettenschwindel, den man selten erlebt.
Die Landesregierung will laut Entwurf künftig nur noch verpflichtende Förderpläne für Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsschwächen oder sonderpädagogischem Förderbedarf. Individuelle Förderung, wie wir sie verstehen, ist aber keine ausschließlich defizitorientierte Förderung. Es geht dabei nicht nur darum, Schwächen eines Schülers abzubauen, sondern eben auch die Stärken zu fördern. Auch die Förderung von Hoch- beziehungsweise Teilbegabten suchen wir in diesem Gesetzentwurf vergebens.
Überdies ist der Landesregierung bei der Kürzung der individuellen Förderung offenbar ein Fehler unterlaufen. Und auch deswegen ist es wichtig, den Landtag recht- zeitig einzubeziehen. Denn der Gesetzentwurf sieht in Punkt 13 vor, auch die obligatorischen Förderpläne für versetzungsgefährdete Schülerinnen und Schüler abzuschaffen. Dies ist erst recht völlig unverständlich. Warum sollte ausgerechnet jenen Schülern die Hilfe vorenthalten werden,
(Vincent Kokert, CDU: Das haben Sie nicht richtig gelesen, das steht da doch gar nicht drin. Wo haben Sie denn das her?)
deren unmittelbarer Unterstützungsbedarf offenkundig ist? Nur ein Teil dieser Schüler gehört in die Gruppe,
Dabei betont das Gesetz sogar ausdrücklich, dass es sich hier um besondere Förderpläne handelt, die über die individuellen Pläne noch hinausgehen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Hilfe für versetzungsgefährdete Schülerinnen und Schüler erhalten bleibt.
Und noch ein Wort zum Schluss: Wir befinden uns zur- zeit bekanntlich in einem Prozess, in dem wir versuchen, gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen die Inklusion an Schulen zu verwirklichen. Dass parallel zu dieser aufwendigen Arbeit nun die individuelle För- derung gekappt werden soll, die doch unbestritten ein wesentliches Element der Inklusion ist, ist doch bes- tenfalls unverständlich. Der Gesetzentwurf ist daher für uns in wesentlichen Punkten enttäuschend und wir werden versuchen, im Bildungsausschuss Verbesserungen durchzusetzen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vincent Kokert, CDU: Das war doch mal ein Wort.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige übereifrige Bildungspolitiker würden am liebsten jeden einzelnen Schüler zum Spezialförderfall erklären.
… sonst würden verborgene Begabungen oder Defizite unentdeckt bleiben und ganze Lebensläufe wären zum Scheitern verurteilt. Zum Glück ist die überwiegende Mehrzahl der Schüler wesentlich robuster und selbstständiger, als sich das mancher Vertreter einer von jeder Realität abgehobenen Extrempädagogik vorstellen könnte oder auch wünschte. Die normalen Angebote einer Schule genügen den meisten Schülern, um in den einzelnen Fächern das zu erreichen, was den jeweiligen Begabungen entspricht.
Wenn ein Schüler, der beispielsweise auf einer Drei in Mathematik steht, nach Auffassung des Lehrers eine Zwei erreichen könnte, dann müsste ein halbwegs befähigter Pädagoge das sehen und imstande sein, entsprechend auf den Schüler einzuwirken, und zwar innerhalb des normalen Unterrichts und ohne großartige Sonderförderungskonzepte, als völlig selbstverständlichen Teil des Schulalltags, der für die Pädagogen ja nicht nur aus Herunterrattern von Lehrstoff bestehen sollte, sondern auch darin, sich einen Eindruck von den einzelnen Schülern zu machen und dem einen oder anderen, bei dem das nötig erscheint, auf die Sprünge zu helfen. In einer normal großen Klasse sollte das jeder ausgebildete Lehrer beherrschen.
Alles zwischen Note Zwei und Note Vier ist undramatisch, kein Grund für Panik oder Euphorie. Und Feinjustierungen in diesem Notenfeld sind Gegenstand der
Alltagsstandardpädagogik. Bei Gut entspricht die Leistung den Anforderungen voll, bei Befriedigend im Allgemeinen, bei Ausreichend im Großen und Ganzen. Wenn ein Schüler sich in diesem Bereich bewegt und vom Lehrer nicht weitergebracht werden kann – kommt vor, nicht jeder ist für alles begabt –, muss nicht gleich Alarm geschlagen werden und es müssen nicht gleich großartige Sonderförderungspläne losgelassen werden. Und wenn der betreffende Schüler eine bessere Note schaffen könnte, wird ein Lehrer ihn auch dahin bringen können, falls er nicht eine völlige Niete in seinem Job oder total überfordert ist, weil es zu wenig Lehrer in der Schule gibt.
Individuelle Förderpläne machen nur Sinn bei Hochbegabten einerseits – man muss sich überlegen, ob man die in eine spezielle Ausbildung steckt – und andererseits solchen Schülern, bei denen der Schulerfolg ernsthaft gefährdet ist, auffällige Schüler also. Das sind in der Regel wenige. Bilden sie die Mehrheit, die Auffälligen, und zwar in negativer Weise Auffälligen, dann nützen individuelle Förderpläne auch nichts mehr, dann stimmt etwas generell nicht mit dieser Schule oder mit der ganzen Schulpolitik.
Kopfnoten lehnen wir ab. Die laufen auf die Beurteilung der Persönlichkeit der Schüler hinaus, was unserer Meinung nach der Schule nicht zusteht und, anders als die Benotung in den einzelnen Fächern, nichts mit objektiv festgestellter Leistung zu tun hat, dafür aber umso mehr mit persönlicher Sympathie oder Antipathie, und das öffnet der Willkür Tür und Tor. Wer in destruktiver Weise verhaltensauffällig ist an der Schule, für den kann ein Förderplan erstellt werden, der dann sicherlich auch eine psychologische Beurteilung enthalten dürfte. Verhaltensunauffällige Schüler, die für sich selber sorgen können, die soll man mit so was in Ruhe lassen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu früheren Zeiten waren Schuldebatten immer sehr emotional. Ich muss feststellen, in dieser Legislaturperiode hält sich das etwas in Grenzen.
Das ist vielleicht auch gut so. Vielleicht hängt das auch mit der Regierungskoalition zusammen, dass sie so sachlich hier arbeitet.
Insofern möchte ich jetzt einfach mal so ein bisschen erstaunt feststellen, wir kommen heute eben zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes und vom Grundansatz her wäre es so gewesen, wir hätten so eine ganz, ganz kleine Novellierung nur zu machen brauchen, indem wir die dauerhafte Einführung der Schulwahlfreiheit aufgrund der Tatsache, dass wir dazu mehr oder
weniger gezwungen sind, hier vollziehen können, aber nein, die Koalition macht sich so ein bisschen zumindest auf den Weg
und sagt unter dem Schlagwort „Entbürokratisierung“ beziehungsweise „Attraktivität des Lehrerberufs“ werden doch schon mal die ersten Maßnahmen mit auf den Weg gebracht. Ich denke auch, das ist gut und richtig. Warum sollten wir mit solchen Dingen unnötig lange warten, wenn wir die großen Novellen,
die Novellierungen, die wir noch vor uns haben – im Bereich Inklusion zum Beispiel –, dann hier bewerkstelligen müssen. Insofern, denke ich, machen wir den ersten richtigen Schritt.
Ich möchte positiv feststellen in Richtung von Frau Berger, dass sie sich hier vorne starkmacht für die Rechte der Parlamentarier, dass sie kämpft für ein entsprechendes Verfahren, dass wir uns hier einbringen sollen als Gesetzgeber. Das will ich positiv vermerken, Frau Berger.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Bloß umsetzen können Sie es nicht. – Zuruf von Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Zusammenhang macht es mich dann aber doch sehr stutzig, dass eine Kollegin von uns hier, nämlich Frau Oldenburg, ich sage mal, mehr oder weniger dann zum Rechtsbruch aufruft. Und, Frau Oldenburg, Sie sind auch Mitglied des Landtages und damit Gesetzgeber und ich glaube nicht, dass das die Arbeitsweise sein sollte, die man dann auch noch draußen artikulieren sollte. Vielleicht kann man diese Passage aus dem Wortprotokoll hier entfernen, das weiß ich nicht.