Protocol of the Session on August 29, 2012

Zweitens. Der Niedriglohn ist unwürdig, weil er Armut und soziale Benachteiligung produziert und den Wert der Arbeit von Menschen in unzumutbarer Weise niedrig hält.

Und drittens. Niedriglohn ist schädlich für die Wirtschaft und für die Gesellschaft, weil er die Binnenkaufkraft schwächt und weil er das Wertesystem der Gesellschaft aus den Angeln hebt.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes vom 5. Juli dieses Jahres betrugen die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitsstunde in unserem Bundesland 72,3 Prozent des Bundesdurchschnitts, ich wiederhole: des Bundesdurch

schnitts. Und die Landesregierung weist in ihrem Tarifregister fast 70 Prozent der in unserem Land gültigen Tarifverträge mit Niedriglöhnen unter 8,50 Euro aus. Würden wir 10 Euro einsetzen, wären das sicherlich weitaus mehr.

Meine Damen und Herren, ja, die Aushandlung von Löhnen und Gehältern ist Sache der Tarifpartner. Das ist politischer und gesellschaftlicher Konsens. Aber wenn dann kein Partner da ist, muss es doch Regeln geben, mit denen die Einhaltung des Grundgesetzes und gesetzlicher Bestimmungen sichergestellt werden kann. Durch die Politik der CDU und SPD auf Bundesebene wurden in den letzten 20 Jahren der Tarifflucht Tür und Tor geöffnet, wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslose unter Druck gesetzt, jede Arbeit anzunehmen, wurden Niedriglohnbeschäftigung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse millionenfach ausgeweitet

und nicht selten sogar von Unternehmen zum Geschäftsmodell erhoben. Seit 1996 ist die Zahl der Beschäftigten, die einer Tarifbindung unterliegen, auch bundesweit rückläufig. Die Tarifbindung in unserem Land liegt weit unter 50 Prozent. Mit dieser Politik wurden Tausende seriöse tarifgebundene Unternehmen, Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich einer humanen Unternehmensethik verpflichtet sehen, unter Druck gesetzt und im Wettbewerb benachteiligt.

Meine Damen und Herren, die jüngste OECD-Beschäftigungsstudie kritisiert neben der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland auch die wachsende Einkommensungleichheit, wozu Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse beitragen. Und wie Sie wissen, meine Damen und Herren, die OECD ist nun nicht eine der Linkspartei nahestehende Organisation, sondern eine, die sich der Demokratie und der Marktwirtschaft verschrieben hat.

In der Aussprache in der schon erwähnten Landtagssitzung am 1. Februar hat Wirtschaftsminister Glawe als „vorrangiges Ziel der Landesregierung“ formuliert, ich darf zitieren „… Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern nachhaltige Arbeitsplätze mit attraktiven Löhnen in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen“. Ende des Zitats.

Meine Damen und Herren, ein Stundenlohn von 10 Euro ist kein attraktiver Lohn, aber für Zehntausende Beschäftigte im Land bis heute nicht erreicht. Ein Stundenlohn von 10 Euro ist kein ausgesprochen attraktiver Lohn, aber zumindest der Einstieg in einen armutsfesten Lohn und damit eine spätere armutsfeste Rente. Ein Mindeststundenlohn von 10 Euro würde die private Kaufkraft um mehr als 10 Milliarden Euro stärken und den Staat um circa 2,5 Milliarden Euro bei den Sozialleistungen entlasten sowie die Einnahmen der Sozialkassen und bei den Steuern um mehr als 10 Milliarden Euro erhöhen. Gleichzeitig würde ein Mindestlohn von 10 Euro nach 45 Beitragsjahren eine Rente oberhalb der Grundsicherung im Alter ermöglichen.

(Marc Reinhardt, CDU: Und die 20 Milliarden fallen vom Himmel.)

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat sich trotz Kenntnis dieser Fakten erst dieser Tage in einem Bericht gegen einen Mindestlohn ausgesprochen und vor der Gefahr einer Politisierung der Lohnfindung und weiteren ökonomi

schen Gefahren, die angeblich mit einem Mindestlohn verbunden seien, gewarnt. Solche Warnungen haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gehört. Aber das Dumme, meine Damen und Herren, an dem vorgelegten Bericht ist nur, dass der Beirat selbst einräumt, dass es kaum Belege für negative Beschäftigungswirkungen durch die Einführung von Mindestlöhnen gibt. Im Gegenteil, Studien im Auftrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Studien in Großbritannien und auch in den USA kommen zu dem Ergebnis, dass es keine negativen Beschäftigungseffekte gibt.

Die ökonomischen und gesellschaftlichen Gefahren und die damit verbundenen aktuellen Kosten, die mit Niedriglöhnen, Armut und Langzeitarbeitslosigkeit schon jetzt verbunden sind, die können wir jedoch ganz genau beziffern. Sie verbergen sich hinter den hohen Ausgaben für die Grundsicherung und für einen aufwendigen Reparaturbetrieb in der Jugendhilfe sowie in den steigenden Kosten für die Grundsicherung im Alter.

Was ist von der Warnung des Beirates vor der Gefahr der Politisierung der Lohnfindung zu halten? Meine Damen und Herren, meinen Sie, dass die Unternehmen in Großbritannien und weiteren 19 Staaten der Europäischen Union und circa 80 Staaten weltweit, darunter die USA, Japan und Australien, ihre gesetzlichen Mindestlöhne als Gefahr betrachten? Meinen Sie, dass die EUKommission die Einführung eines Mindestlohnes in Deutschland unterstützt, weil sie eine Gefahr der Politisierung der Lohnfindung damit verbindet?

Solange es in unserem Land, meine Damen und Herren, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die 40 oder noch mehr Stunden in der Woche arbeiten und trotzdem auf Existenzsicherungsleistungen vom Staat angewiesen sind, solange können Sie sich nicht hinter der Ausrede verstecken, dass Sie Maßnahmen im Koalitionsvertrag festgelegt haben, an deren Umsetzung Sie gerade arbeiten.

Dass es auch in der CDU Politikerinnen und Politiker gibt, die einen gesetzlichen Mindestlohn nicht verteufeln, hat sich inzwischen rumgesprochen, und dass sich diese Politikerinnen und Politiker der Christdemokraten da nicht hinterm Baum verstecken, wissen wir auch. Das zeigt die Initiative der Landesregierung Thüringen. Die thüringische Landesregierung hat im Januar 2012 eine Arbeitsgruppe berufen, die bereits nach sieben Monaten einen Abschlussbericht vorgelegt hat. Die dortige Landesregierung will auf der Grundlage des Berichtes eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines allgemeinverbindlichen bundeseinheitlichen und damit für alle Branchen und Regionen gültigen gesetzlichen Mindestlohn starten.

Bei der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern heißt es da ganz kleinlaut und hasenfüßig in der Koalitionsvereinbarung, mögliche Initiativen anderer Bundesländer unterstützen zu wollen. Ich bin da mal ganz gespannt, wie es denn aussehen wird, wenn die thüringische Landesregierung ihre Initiative tatsächlich ergreift. Noch ist offen, ob und wann die Initiative aus Thüringen den Bundesrat erreicht. Noch ist offen, welchen Mindestlohn denn Frau Lieberknecht dann ganz konkret im Bundesrat einfordern wird. Aber spannend wäre ja, zu erfahren, wie sich die Regierung dieses Landes und namentlich auch die Minister der CDU, Glawe und Caffier, dann zu dieser Initiative aus dem CDU-geführten Thüringen verhalten.

Bereits 1977 hatte sich die EU auf 68 Prozent des Durchschnittslohnes als Mindestlohngrenze verständigt. Diese ist dann auf 60 Prozent gesenkt worden. Die Bundesrepublik hat diese Empfehlung bis heute – ich wiederhole, 1977 war es –, die Bundesregierung und damit die Bundesrepublik Deutschland hat diese Empfehlung bis heute ignoriert und sich damit ins europäische Abseits begeben. Stattdessen wirtschaftet Deutschland auf Kosten der anderen europäischen Staaten.

Wie sieht es denn konkret aus? Immer wieder haben wir auch hier im Landtag über die Fragen der negativen Auswirkungen eines gesetzlichen Mindestlohnes gesprochen. Diese negativen Auswirkungen sind nicht belegt. In Luxemburg liegt der Mindestlohn bei 10,41 Euro pro Stunde, in Australien bei 11,50 Euro, in Frankreich bei 9,22 Euro, in den Niederlanden bei 8,88 Euro, in Belgien bei 8,75 Euro, Irland 8,65 Euro. Die Bundesrepublik Deutschland ist die führende Industrienation in Europa und da soll ein gesetzlicher Mindestlohn unmöglich sein? Ja, wir brauchen einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro, um Armut und Altersarmut zu vermeiden.

(Vincent Kokert, CDU: Wahrscheinlich sind wir deswegen die führende Industrienation.)

Jede und jeder Beschäftigte hat unabhängig von der Branche und von der Region das Recht auf einen angemessenen armutsfesten Lohn.

Wir, meine Fraktion DIE LINKE hier im Landtag, und viele andere mit uns sind der Überzeugung, und das ist auch belegt: Wir brauchen einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro. Was die Beschäftigten in unserem Land auf keinen Fall brauchen, das sind Vertröstungen, Stundenlöhne von 3, 5 oder 6 Euro, mit denen sie weder heute noch morgen auskommen können.

Den Überweisungsvorschlägen des Kollegen Schulte stimmen wir zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Danke.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Renz von der CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erneut debattieren wir heute hier im Landtag einen Antrag der LINKEN zum Thema Mindestlohn,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir diskutieren eine Volksinitiative!)

meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Helmut Holter, DIE LINKE: Wir diskutieren eine Volksinitiative, Herr Renz. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Volksinitiative, so, wie ich sie verstehe, geht von unten nach oben, vom Volk initiiert.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Ja, ja. – Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig. – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Das, was wir hier, glaube ich, thematisieren und debattieren, ist nichts anderes als eine Parteiinitiative der LINKEN.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Vincent Kokert, CDU: Richtig. – Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wo bleibt denn Ihr Blick auf die Bürgerbeteiligung? – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich hätte es mir auch einfach machen können, mich hier hinstellen können und sagen: Das Volk, und wir nehmen die Sache ernst, und die 15.000 Unterschriften,

(Peter Ritter, DIE LINKE: 17.000! 17.000, Herr Renz.)

wir werden das inhaltlich, sachlich und selbstverständlich mit größter Sorgfalt in den Ausschüssen debattieren und dann eine entsprechende weise Entscheidung treffen. Aber ich glaube, zu einer Debatte hier im Landtag gehört auch mal dazu, ein paar Wahrheiten auszusprechen, vielleicht auch unbequeme Wahrheiten.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Und insofern ist meine Auffassung, dass das hier nichts anderes ist als eine Parteiinitiative und dass hier zum wiederholten Mal ein Antrag zum Thema Mindestlohn kommt, mit dem Unterschied, wir haben ihn sonst – nachdem wir ihn inhaltlich seziert haben, auseinandergenommen haben – als Koalition abgelehnt und hier haben wir ein Gesetz, das uns das gar nicht ermöglicht, sondern wir werden logischerweise aus diesem Grunde dann auch den Antrag in die Ausschüsse überweisen.

Und ich will Ihnen an dieser Stelle auch ganz klar sagen, das Ganze geht für mich sogar fast noch einen Schritt weiter, dass es nicht nur eine Parteiinitiative ist, sondern sogar eine Fraktionsinitiative.

(Zurufe von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE, und Jeannine Rösler, DIE LINKE)

Jetzt haben wir hier, wenn wir uns das in MecklenburgVorpommern mal anschauen, ich habe das recherchiert, 19 Volksinitiativen gehabt mit unterschiedlichen Themen. Davon hatten wir – Sie können mich gerne verbessern, aber meine Recherchen haben das zumindest ergeben – 4 reine Parteiinitiativen, alle von den LINKEN.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Manchmal fällt das ja dann nicht gleich so auf. Wenn ich sehe,

1990/94, reine Initiative: Herr Holter, Frau Gramkow,

Frau Sembritzki, Herr Scheringer – eine klare linke Volksinitiative,

dann 98: Muth, Frenzel, Holter – Initiative der LIN

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

dann in der Wahlperiode 2006 bis 2011: Methling,

Schmidt, Gramkow, Rösler – alles immer Parteivertreter, Mitglieder der LINKEN.