Nichtsdestotrotz ist die Frage der Pflichtaufgabe immer eine schwierige mit unseren Gesetzen, wenn nämlich ein Einzelfallanspruch existiert.
Ein ganz wichtiger Punkt – das ist der, den man in so einem Rahmenplan oder Landesaktionsplan gerne umschifft – sind die verbindlichen Rahmenbedingungen. Seit Jahren kämpfen die Frauen von Frauenhäusern in den Beratungsstellen um Verbindlichkeit. Jedes Jahr muss man sich hinstellen und den Bedarf nachweisen: Dann steht man oft als Bittstellerin da, und wir wissen, dass die Abrechnungen, seitdem sie zum LAGuS gekommen sind, noch mehr bürokratisiert wurden. Ich denke, perspektivisch wird es eine Aufgabe sein zu gucken, inwiefern man – da wir ja die Petition und den Opferschutz nicht als Pflichtaufgabe bekommen – nicht mit einem Gesetz rechnen kann, sondern es ist die Frage, inwiefern eine Institutionalisierung auf den Weg gebracht werden kann, denn das, was die Frauen in den Einrichtungen nicht
brauchen, sind Projektitis und eine projektbezogene Finanzierung. Wir reden seit 25 Jahren drüber und ich kann das so sagen, weil ich 1990 hier in Schwerin ein autonomes Frauenhaus aufgebaut habe
und wir bereits 1990 angefangen haben, für Rahmenbedingungen zu kämpfen. Und jetzt stehe ich im Jahre 2016 hier und kämpfe eigentlich für die Ziele, die wir damals auch hervorgebracht haben. Klar sind wir weiter und wir haben in vielen Bereichen etwas erreicht. Das, was wir nicht erreicht haben, ist eine Verlässlichkeit, das sind Rahmenbedingungen. In anderen Bereichen klappt das auch, ich erinnere an die Diskussion heute Morgen. Da waren mit einem Mal 480.000 Euro da. Man braucht nie wieder einen Antrag zu stellen. Es ist drin im Haushalt. Das sagt mir, wenn ich etwas möchte, dann wird es funktionieren und ich kann vielleicht auch eine Finanzministerin davon überzeugen.
Auf die Kinder- und Jugendarbeit wird, denke ich, Jacqueline Bernhardt nachher noch eingehen, weil das ein Bereich ist, der häufig unterschätzt wird. Will ich die Kette der Gewalt durchbrechen, muss ich in die Kinder- und Jugendarbeit investieren.
Die Fragen sind aber perspektivisch: Wie kriege ich das implementiert? Wie bekomme ich die Übergänge, wenn beispielsweise Frauen aus dem Frauenhaus kommen und dann in die eigene Häuslichkeit gehen? Ich denke, das sind Aufgaben, die man im Fokus haben sollte, Frau Hesse.
Ob man die jetzt unbedingt im Landesaktionsplan festschreibt, kann man noch mal diskutieren. Aber ich denke, gerade diese Aspekte sind wichtig.
Ich denke – Frau Hesse hat den Appell gemacht, Herr Ritter und Frau Tegtmeier auch –, wir dürfen der Gewalt nicht zusehen, egal ob sie häuslicher Natur ist, ob auf der Straße oder sexualisierte Gewalt. Nein heißt Nein und das heißt es. Ich hoffe, dass wir beim Paragrafen 177 auch weiterkommen und dass sich unsere Landesregierung dafür starkmacht, dass ein Nein nein heißt und ein Nein bleibt. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Udo Pastörs, NPD: Das war ja eine tolle Rede.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 1.585 Polizeieinsätze in Fällen von häuslicher Gewalt wurden 2014 in Mecklenburg-Vorpommern gezählt.
Das bedeutet, dass häusliche und sexualisierte Gewalt keine Bagatellen sind. Das erkennt man auch an der zunehmenden Anzahl von Maßnahmen bei Einsätzen der Landespolizei in Fällen häuslicher Gewalt wie Wegweisung beispielsweise. Die aktuelle Dunkelfeldstudie der Polizei zeigt deutlich, dass sich Ausprägungen von Gewalt gern unserer Aufmerksamkeit entziehen. Es ist auch bekannt, dass sich Opfer beziehungsweise Betroffene vielleicht nicht einmal trauen, ihren Peiniger anzuzeigen aus Angst, man könne ihnen keinen Glauben schenken. Die Stigmatisierung ist die eine, das Herauskommen aus der Gewaltspirale beziehungsweise die Wiedererlangung von eigener Handlungsmacht und Kontrolle ist die andere Seite.
Mittlerweile – man will es kaum glauben – ist fast jeder sechste Verursacher von Straftaten in der Häuslichkeit weiblich. Das weiß der NDR im März dieses Jahres aus einer internen Polizeistudie zu berichten. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir uns heute über das Thema austauschen. Die Bekämpfung von häuslicher und sexualisierter Gewalt geht uns alle an. Auch für meine Fraktion und mich hat der Schutz der Bürgerinnen und Bürger hohe Priorität. Wir nehmen den Schutz der von Gewalt Betroffenen sehr ernst. Es geht darum, das Hilfesystem so zu gestalten, dass es den speziellen individuellen Hilfebedarfen gerechter wird. Das ist ein hoher Anspruch, meine Damen und Herren, um den man uns vielleicht auch weltweit beneiden kann.
Die Evaluierung des Zweiten Landesaktionsplans machte deutlich, auf welchen Gebieten die Handlungsschwerpunkte und Herausforderungen liegen müssen. Die Kehrseite der Medaille ist dann aber konsequenterweise die stärkere Inanspruchnahme der Gewaltverursachenden. Das heißt, Täter und Täterinnen rücken als Zielgruppe stärker in den Fokus. Es gibt auch Zielgruppen, die bislang selten erfasst wurden, einige sind schon genannt worden: Frauen mit eigenen finanziellen Ressourcen zum Beispiel, Frauen im ländlichen Raum oder ältere Frauen, Betroffene digitaler Angriffe. Menschen mit Behinderungen und Migrantinnen müssen stärker in das Thema einbezogen werden, darüber haben wir im Plenum auch schon häufiger diskutiert.
Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Frauen Verursacher von Gewalttaten sind beziehungsweise Jungen und Männer Opfer sind, wurde der Titel des Dritten Landesaktionsplans angepasst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die verschiedenen Ressorts und die Nichtregierungsmitglieder thematisieren die Bekämpfung von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Eine enge und abgestimmte Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen ist in dem sensiblen Bereich besonders wichtig. Die Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt benötigen eine gute Beratung und Betreuung. Uns ist wichtig, dass die Betroffenen mit ihren Problemen nicht alleingelassen werden. Und so dünn, wie es manchmal dargestellt wird, ist unser Hilfenetz gar nicht. Es ist „flächendeckend aus
differenziert“, so formuliert es der Bericht. Man kann sich mehr wünschen und man kann mehr fordern. Vielleicht ist manche Forderung auch überzogen. Mit den Angeboten zur psychosozialen Prozessbegleitung und dem Hilfs- und Beratungsnetz bei häuslicher und sexualisierter Gewalt gibt es in Mecklenburg-Vorpommern Angebote, auf die aufgebaut werden kann.
Die Beratungs- und Hilfestellen für Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt leisten bereits hervorragende Hilfe. Wir verfügen in unserem Land unter anderem über neun Frauenhäuser, fünf Beratungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt und acht Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt, eine Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsverheiratung, fünf Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking, fünf Kinder- und Jugendberatungsstellen bei den Interventionsstellen und drei Männer- und Gewaltberatungsstellen. Das können Sie auch alles im Bericht nachlesen.
Sicherlich besteht an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf. Es gibt immer noch Betroffene, die die Angebote nicht in Anspruch nehmen. Das liegt vielleicht daran, dass Betroffene sich gar nicht als Opfer sehen oder sich ihrem vermeintlichen Schicksal fügen. Daher ist gesellschaftliche Aufklärung so enorm wichtig. Bisweilen liegt es aber auch an einer schlechteren Erreichbarkeit der Einrichtungen, an fehlender Barrierefreiheit oder bei Migrantinnen auch an sprachlichen Hindernissen – alles Dinge, an denen künftig weiter gearbeitet werden soll.
Meine Damen und Herren, unter anderem wurde durch die initiative unserer Justizministerin Uta-Maria Kuder in einer Justizministerkonferenz beschlossen, die psychosoziale Prozessbegleitung auf Bundesebene verpflichtend einzuführen. Die Bundesregierung hat das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren am 21. Dezember 2015 beschlossen. Das Gesetz sieht gemäß Paragraf 406g Strafprozessordnung erstmals den Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung für Verletzte von schweren Gewaltstraftaten vor.
Meine Damen und Herren, viele Fakten der Unterrichtung, die ich hier nicht noch einmal aufzählen will – jede Fraktion hat entsprechende Beispiele in den Vordergrund gestellt –, verdeutlichen, dass sowohl im Bund als auch im Land daran gearbeitet wird, die Situation der Betroffenen zu verbessern. Deshalb wurden auch die Förderungen beziehungsweise Zuwendungen für ein flächendeckendes Beratungs- und Hilfenetz erhöht. Auf Seite 11 ist im Bericht nachzulesen: Waren es 2010 noch 1,9 Millionen Euro, sind es aktuell 2,1 Millionen Euro jährlich, mit denen das Land die Einrichtungen fördert.
Neue Beratungssysteme wurden in das bestehende Netz integriert, andere inhaltlich ergänzt. Es gibt neue Interventionsmöglichkeiten und Angebote für die rechtliche, gesundheitliche und psychosoziale Unterstützung für Betroffene und auch für Kinder.
Da das Thema, meine Damen und Herren, aber immer noch tabuisiert und schambelastet ist, ist aus meiner
Sicht die Öffentlichkeitsarbeit ein sehr wichtiger Aspekt, der zur Aufklärung beiträgt und auch dazu, dass mehr Betroffene den Weg aus der Gewaltspirale finden. In den vergangenen Jahren sind vielfältige Maßnahmen ergriffen worden: Antigewaltwochen, Hilfetelefon, Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen, Flyer und Broschüren wurden entwickelt, eine Internetplattform mit dem Namen „gewaltfrei-zuhause-in-mv.de“ ging 2013 online.
Wir wissen, dass Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit auf niedrigschwelligem Niveau nötig sind, um mehr Betroffene zu erreichen. Wer Verantwortung für den Betroffenenschutz übernommen hat, wird sich im Klaren darüber sein, dass es immer mehr um Verzahnung von Maßnahmenbündeln, um Synchronisation verschiedener Professionen und angrenzender Bereiche geht, wie zum Beispiel Suchthilfe, Behindertenhilfe, Migrationsdienste, Altenhilfe, Gesundheitswesen, Kinderschutz, Arbeitgeber et cetera. Das alles ist eine große Aufgabe und dieser Aufgabe stellen wir uns. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Senator! Die staatlichen Institutionen haben sicherlich die Pflicht, die körperliche Unversehrtheit der Bürger weitgehend sicherzustellen. Doch es drängt sich mir der Eindruck auf, dass die staatlichen Stellen hierzu gar nicht mehr in der Lage sind oder es auch gar nicht wollen. Die jüngst bekannt gewordenen Gewaltexzesse gegen Mädchen und Frauen sind nämlich die direkte Folge Ihrer Politik, meine Damen und Herren. Um den Tätern aber wirklich habhaft werden zu können – und das Beispiel Köln zeigt es ja – …