Protocol of the Session on March 9, 2016

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD – Michael Andrejewski, NPD: Jaja.)

Sie haben Situationen miterlebt, die sich von uns keiner vorstellen kann.

(Heiterkeit bei David Petereit, NPD: Manchmal haben sie auch ihren 18. Geburtstag hinter sich.)

Wir hier leben in einer friedlichen Welt. In Syrien, Afghanistan und Eritrea herrschen Terror und Krieg. Diese Kinder haben Angst um ihr Leben und um das ihrer Familien. Die Landesregierung erklärte in der Antwort auf meine Kleine Anfrage zu unbegleiteten minderjährigen Ausländern – und dem kann ich nur zustimmen –: „Unbegleitete minderjährige Ausländer, die aus ihren Herkunftsländern allein nach Deutschland kommen und ihre Familien verlassen, gehören zu den schutzbedürftigsten Personengruppen überhaupt. Es sind junge Menschen, die häufig Schreckliches erlebt haben, zum großen Teil psychisch oder physisch stark belastet und möglicherweise auch hochtraumatisiert sind.“

(Udo Pastörs, NPD: Ja, wir sind auch traumatisiert.)

Im Achten Sozialgesetzbuch ist klar normiert, unter welchen Voraussetzungen ausländische Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus sämtliche Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch nehmen beziehungsweise erhalten können. Sie werden als Kinder gesehen, etwas, was Ihnen, meine Damen und Herren, eigentlich nur von den Herren, von der NPD völlig abhanden geht.

(Udo Pastörs, NPD: Abhanden geht!)

Diese Kinder können auf verschiedene Weise von ihren Eltern getrennt worden sein,

(Udo Pastörs, NPD: Oder geschickt worden sein.)

möglicherweise bereits im Herkunftsland, durch Tod, Verwundung oder Inhaftierung, auf dem Weg über das Mittelmeer, auf dem Landweg oder in einem der Lager unterwegs. Ich beispielsweise traf in einem Ort in meinem Wahlkreis einen Sechsjährigen, dessen Vater inhaftiert und zu Tode gefoltert wurde.

(Michael Andrejewski, NPD: Jaja. Erzählen kann man viel. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Die Mutter gab das Kind in eine sichere Umgebung mit. Das hat nichts mit einem Geschäftsmodell zu tun.

(Udo Pastörs, NPD: Gucken Sie mal nach Damaskus, da sehen Sie, da braucht keiner abzuhauen. Da ist absolute Sicherheit gegeben.)

Ich denke, für jede Mutter bringt die Trennung von ihrem Kind die größte Angst mit sich, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Jede Mutter, egal welcher Nationalität, will ihr Kind schützen. Unter was für einem wahnsinnigen Druck müssen die Mütter stehen, die ihre Kinder auf einen solch unsicheren Weg in eine unsichere Zukunft schicken? Doch ich denke, diese Angst ist angesichts der Angst vor dem, was vor Ort mit dem Kind geschieht, wenn es in dem Land bleiben würde, das geringere Übel.

Was bedeutet das für die Kinder und Jugendlichen? Es ist in jedem Fall eine tragische Situation, denn ein 9jähriger Flüchtling aus Afghanistan braucht seine Eltern genauso wie ein 14-Jähriger oder 17-Jähriger aus Syrien

(Michael Andrejewski, NPD: Der schlägt sich alleine durch.)

oder wie ein 13-Jähriger aus Deutschland. Kein Kind verlässt freiwillig seine Eltern oder seine Familie.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Wenn ein Kind auf der Flucht allein und oftmals traumatisiert in einem fremden Land ankommt, ist der Wunsch, wieder mit den Eltern zusammenzukommen, wohl das Elementarste und für uns das Nachvollziehbarste, was man sich vorstellen kann. Das kann ich angesichts Ihres Antrages bei Ihnen leider nicht erkennen, diesen Wunsch nach Familie, nach Mutter, nach Vater –

(Udo Pastörs, NPD: Nach Liebe.)

Sie, die kein Verständnis für diese Menschen aufbringen, Sie, denen das Schicksal anderer egal ist, solange sie nicht in Ihr Weltbild passen.

(Zuruf vonseiten der NPD: Oooh! – Udo Pastörs, NPD: Die empathielose NPD.)

Festzuhalten bleibt: Beim Kindeswohl darf es keine Abstriche geben und derartige Unterstellungen, wie in Ihrem Antrag geschehen, weise ich aufs Energischste zurück. Tatsächlich widerspricht eine Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Ausländer der UN-Kinderrechtskonfession.

(Udo Pastörs, NPD: Konvention.)

Deshalb muss es mindestens für Minderjährige grundsätzlich eine Ausnahme geben. Flüchtlingskinder sind besonders schutzwürdig und haben nach Artikel 22 der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf angemessenen Schutz, auf humanitäre Hilfe und Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Rechte.

Die Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, verpflichten sich zur Umsetzung der Konvention. Den Wortlaut des Artikels 22 der UN-Kinderrechtskonvention für die Flüchtlingskinder möchte ich Ihnen gern noch einmal vorlesen, Herr Andrejewski, damit Sie hier nachher vielleicht dazu noch einmal Stellung nehmen können.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Scheinbar nicht.

Es heißt in Absatz 1: „Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält.“

Ich komme zum Absatz 2: „Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessen erscheinenden Weise bei allen Bemühungen mit, … um ein solches Kind zu schützen, um ihm zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen mit dem Ziel, die für eine Familienzusammenführung notwendigen Informationen zu erlangen.“ So heißt es in der Kinderrechtskonvention.

Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention 1992 zunächst unter Vorbehalt unterschrieben. Der Vorbehalt

bezog sich genau auf diesen Artikel zum Schutz der Flüchtlingskinder. Allerdings wurde im Jahr 2010 dieser Vorbehalt von Deutschland zurückgenommen. Damit gilt die UN-Kinderrechtskonvention uneingeschränkt auch für Flüchtlingskinder in Deutschland.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Deshalb haben wir in Deutschland alles zu unternehmen, um diese Kinder zu schützen und das Ziel der Familienzusammenführung zu erreichen.

Die Konvention verpflichtet dazu, Kinder nicht von ihren Eltern zu trennen, egal unter welchen Bedingungen. Deshalb muss es mindestens für Minderjährige grundsätzlich eine Ausnahme geben. Darüber wurde auf Bundesebene im Rahmen des sogenannten Asylpaketes II heftig diskutiert. Das Ergebnis, die Aussetzung des Familiennachzuges für zwei Jahre, ist enttäuschend und entspricht nicht den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention, zumal es noch im vergangenen Sommer zu Gesetzesänderungen zugunsten eines erleichterten Nachzugs zu den minderjährigen Ausländern kam.

So wurden beispielsweise im Juli 2015 die Änderung des Aufenthaltsgesetzes zum erleichterten Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten mit Aufenthaltserlaub- nis gemäß Paragraf 25 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sowie die Niederlassungserlaubnis gemäß Paragraf 26 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes beschlossen. Eltern unbegleiteter Minderjähriger, die subsidiären Schutz erhalten, konnten seit dem 1. August 2015 nicht nur ohne Nach- weis der Lebensunterhaltssicherung oder ausreichenden Wohnraums nachziehen, wenn die Minderjährigen eine Aufenthaltserlaubnis besaßen,

(Udo Pastörs, NPD: Schön.)

sondern auch, wenn Minderjährige bereits eine Niederlassungserlaubnis besitzen.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist ja noch toller!)

Der Nachzug zu einem anerkannten Flüchtling nach Paragraf 36 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes war und ist zunächst nur für die biologischen Eltern eines Kindes bis zu deren Volljährigkeit möglich,

(Udo Pastörs, NPD: Gibts denn so was?!)

sofern keine Betreuung mindestens eines Elternteils im Aufnahmeland stattfindet. Für Geschwister und sonstige Verwandte ist ein Nachzug zu unbegleiteten minderjährigen Ausländern nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte möglich beziehungsweise erst dann, wenn die Eltern im Aufnahmeland eine Aufenthaltserlaubnis besitzen.

Mit dem im Februar 2016 verabschiedeten Asylpaket II kam es zu weiteren massiven Einschränkungen. Der Flüchtlingsnachzug für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist nun generell zunächst für mindestens zwei Jahre ausgesetzt. Ausnahmen gibt es für minderjährige Ausländer mit eingeschränktem Schutz lediglich bei Vorliegen besonderer humanitärer Gründe. Der Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Ausländern wird in Einzelfallentscheidungen geprüft und nur noch in Einzelfällen bei schweren Krankheiten, Misshandlungen oder Todesfällen vor Ablauf der Zweijahresfrist genehmigt. Das ist ein gro

ßer Rückschritt. Kindeswohlgefährdung wird damit billigend in Kauf genommen.

Nach Ablauf der Aussetzungsfrist kommt für die Familien das zeitlich aufwendige Beantragungsverfahren für die Visaerteilung hinzu. Die zuständige Ausländerbehörde am zukünftigen Wohnsitz in Deutschland muss grundsätzlich dem Visumantrag zum Nachzug der Eltern zustimmen. Das Antragsverfahren einer deutschen Botschaft im Heimatland kann wiederum mehrere Monate dauern und erfordert die Vorlage weiterer Dokumente, Anträge und Begründungen – zumeist in deutscher Sprache.

Sie sehen schon anhand dieser formalen Abläufe, dass es ein sehr langwieriges Unternehmen ist, bevor ein Familiennachzug überhaupt in Betracht käme. Keinesfalls kann schnelles Geld damit verdient werden, so, wie uns die NPD das gerne weismachen möchte.

In der Praxis ist davon auszugehen, dass Familienzusammenführungen wegen langer Verfahren ohnehin erst nach vier Jahren stattfinden können. Das bedeutet, dass ein heute 14-Jähriger nur geringe Chancen hat, noch seine Eltern tatsächlich nachzuholen, da er vor einer Genehmigung des Zuzugs womöglich schon die Volljährigkeit erreicht hat. Ihre Vorstellungen und Forderungen sind also völlig abstrus.

(Udo Pastörs, NPD: Abstrus?)

Selbst wenn jemand Absichten unter dem von Ihnen fantasierten Vorsatz verfolgen würde, hier ein Geschäftsmodell anzustreben, so würde es nicht funktionieren, zum einen nicht aus zeitlicher Sicht, zum anderen sprechen die Fälle, über die wir hier reden, dagegen.

(Udo Pastörs, NPD: Schlepperbanden machen gute Geschäfte.)

Dann: Über wie viele Fälle des Familiennachzugs reden wir überhaupt in Deutschland? Vielleicht können Sie mir das nachher mal sagen. Ich sage es Ihnen aber schon vorher: