Ausgangspunkt dieses Gesetzentwurfes ist ein Prozess aus Österreich, aus der Steiermark. Das österreichische Bundesland war ebenfalls durch eine sehr kleinteilige Siedlungsstruktur gekennzeichnet und hat durch einen ähnlichen Prozess auf der gemeindlichen Ebene zum Nachdenken angeregt. Das, was in der Steiermark als Unterstützungsleistung vorgesehen wurde, haben wir ebenfalls übernommen, denn das waren die Punkte, die im Nachgang für den Erfolg von besonderer Bedeutung waren.
Wie in der Steiermark soll es auch in Mecklenburg-Vor- pommern Koordinatoren geben. Den Gemeinden sollen insgesamt sechs Koordinatoren zur Verfügung stehen. Diese sollen jede einzelne Gemeinde begleiten und beraten und bereits an dem Analyseprozess mitwirken. Es sollte dann auf absolut freiwilliger Basis die Idee einer freiwilligen Fusion bei den Gemeinden wachsen. Dann werden die Fusionen durch entsprechende Geldmittel unterstützt. Jede Fusion muss natürlich für sich betrach
Dieser Gesetzentwurf wird zu vielen Diskussionen in den Gemeinden führen. Dies ist auch gut so, denn gerade durch die Diskussion vor Ort wird sich ganz aktiv mit der eigenen gemeindlichen Situation auseinandergesetzt. Diese Gespräche müssen geführt werden und vor Ort müssen sich Gedanken darüber gemacht werden, ob Fusionen möglicherweise zur Lösung einer finanziell schwierigen Situation beitragen können. Aber auch die Ablehnung eines Fusionsgedankens ist ein Ergebnis, welches ausdrücklich zugelassen ist. Wichtig ist uns, dass die Gemeinde alle wichtigen Parameter auf den Tisch legt, für sich selbst gewichtet und für sich selbst die Rückschlüsse daraus zieht. Bei diesem Prozess will das Land unterstützen, die letztendliche Entscheidung soll aber im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung fallen. Das neue Jahr wird für den Innenausschuss also mit einer sehr wichtigen Beratung beginnen.
Die Diskussionen auf der gemeindlichen Ebene beginnen bereits jetzt. Meine Fraktion wird das Gespräch suchen und ist offen für den Dialog, aber auch für Kritik. Dieser Gesetzentwurf kann in der gemeindlichen Ebene nur funktionieren, wenn wir Anregungen und Anmerkungen aus der gemeindlichen Ebene mit einfließen lassen. Ich denke, das werden spannende Beratungen und ein spannender Prozess. – Ich bitte um Zustimmung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion sind kommunale Strukturreformen kein Selbstzweck. Anstöße für diese Reformen dürfen sich nicht in der allgemeinen Finanzknappheit und im demografischen Wandel erschöpfen. Für meine Fraktion stehen die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, das Streben nach gleichwertigen Lebensverhältnissen sowie eine an den Bedürfnissen der Einwohnerinnen und Einwohner ausgerichtete Daseinsvorsorge im Vordergrund.
Aus diesen Prämissen ergeben sich dann auch die Fragestellungen, welche DIE LINKE an den vorliegenden Gesetzentwurf anlegt. Werden Selbstverwaltung und kommunale Demokratie gestärkt? Werden mit den neuen Strukturen eine höhere Dienstleistungsqualität sowie eine Verbesserung der Daseinsvorsorge erreicht? Werden der öffentliche Dienst gestärkt und Personalabbau vermieden? Führt die Strukturreform unter Berücksichtigung der Reformkosten zu einer solideren kommunalen Finanzausstattung und einer besseren sach- und fachgerechten Aufgabenerfüllung? Bleibt gewährleistet, dass die kommunalen Vertretungskörperschaften noch wirkungsvoll im Sinne des Ehrenamtes tätig sein können?
Meine Damen und Herren, auch wenn der vorliegende Gesetzentwurf diesbezüglich eher schmallippig daherkommt, ist er für mich insgesamt ein diskutables Ange
bot. In der heutigen Grundsatzdebatte lassen Sie mich meine Anmerkungen in drei Punkten zusammenfassen: Erstens orientiert sich der Gesetzentwurf sehr stark an den Empfehlungen der Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ aus dem Juni 2011. Das ist zunächst in Ordnung. Das Nebeneinander von amtsfreien Gemeinden, Ämtern und dem für unser Land neuen Modell der Verbandsgemeinde oder die Förderung freiwilliger Zusammenschlüsse sind allerdings nichts Neues. Dafür hätte es auch keiner Ämterbereisung durch den Innenminister bedurft.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf orientiert sich stattdessen an einer Gemeindereform in Österreich – das war ja schon von dem Kollegen zu hören –, konkret im Bundesland Steiermark. Dort gab es zuvor eine ähnlich kleinteilige Gemeindestruktur wie bei uns. Der Leser erfährt darüber hinaus, dass es in der Steiermark gelungen sei, die Zahl der Gemeinden in etwa zu halbieren.
Der Reformerfolg in der Steiermark, so ist weiter zu erfahren, gründet sich im Wesentlichen auf ein Zusammenspiel von finanzieller Förderung und vor Ort wirkender intensiver Beratung durch Landeskoordinatoren.
Beide Säulen dieses Modells sollen deshalb für das Gemeindeleitbildgesetz übernommen werden. Aber auch dafür hätte der Innenminister weder unsere Ämter bereisen noch die Steiermark besuchen müssen.
Auch hier hilft bereits ein Blick in die Empfehlungen von 2011, Stichpunkt „Überwindung finanzieller Hindernisse“ durch einen „zeitlich begrenzten Fonds“,
Stichpunkt „Überwindung administrativer Hindernisse“ durch eine moderierende Begleitung des „Diskussions- und Findungsprozesses der Gemeinden“ durch „die Landesregierung und die kommunalen Landesverbände“. So weit waren wir also bereits 2011, und man gewinnt den Eindruck, dass hier politisch auf Zeit gespielt wird.
(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nee, niemals! – Torsten Renz, CDU: Wie kommen Sie darauf? – Peter Ritter, DIE LINKE: Wurde! Wurde!)
Nimmt man aber die Begründung des Gesetzentwurfes ernst, dann haben unsere Gemeinden die Zeit nicht mehr. Wer auch unter den höchst komplizierten künftigen Rahmenbedingungen die kommunale Selbstverwaltung
bewahren, ja stärken will, der muss initiativ werden, der muss handeln. Die Alternativen sind bereits heute zu besichtigen, etwa in Gestalt nicht genehmigter Haushalte und den daraus folgenden starken Eingriffen von Kommunalaufsichten in kommunale Belange.
Meine Damen und Herren, eine zweite Anmerkung gilt dem Leitbild. Neben allem Gerede über Freiwilligkeit verpflichtet der Gesetzentwurf zunächst alle Gemeinden des Landes zu einer Selbsteinschätzung ihrer Zukunftsfähigkeit.
Auf die rechtlichen Fallstricke einer Gemeindegebietsreform brauche ich an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Einige Fragezeichen seien mir aber gestattet. Sind Prognosen der Bevölkerungsentwicklung hinreichend für die Gemeinden und Ämter belastbar, wenn sie lediglich bis zur Ebene der Landkreise angestellt werden? Oder: Welche Folgen hat die Festlegung, dass nur die Gemeinde finanzielle Förderung erhält, die sich mit einem zentralen Ort zusammenschließt? Davon haben wir zurzeit nur rund einhundert. Auch das Amtsmodell beziehungsweise die Verbandsgemeinde werden vom Gesetzentwurf nach meinem Geschmack zu wenig problematisiert, das betrifft etwa Fragen des Wahlverfahrens oder der Aufgaben- und Finanzzuweisungen.
Für äußerst strittig halte ich Aussagen des Leitbildes zur Wahlbeteiligung. Zukunftsfähig wäre demnach eine Gemeinde nur, verkürzt ausgedrückt, wenn sich an der letzten Wahl zur Gemeindevertretung die Mehrheit beteiligt hat. In der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion „20 Jahre Verfassung“ befindet sich zur Wahlbeteiligung eine andere Aussage. Ich zitiere: „Das Recht auf Wahlteilnahme schließt ein, dass es auch ein Recht auf Nichtbeteiligung an Wahlen gibt. Die Landesregierung respektiert die Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern, nicht zu wählen.“ Zitatende. Vor diesem Hintergrund erscheint das Leitbild allerdings etwas willkürlich.
Meine abschließende Bemerkung gilt dem bisherigen Gesetzgebungsverfahren und der Resolution des Landesausschusses des Städte- und Gemeindetages mit dem Titel „Kein Leitbildgesetz ohne umfassende Anhörung der Gemeinden“. Ich zitiere aus dieser einstimmig beschlossenen Resolution: „Der Landesausschuss kritisiert das Vorgehen der Landesregierung im Hinblick auf die Einbringung des ‚Leitbildgesetzes‘ für eine Gemeindegebietsreform. Wir fordern die Fraktionen des Landtages auf, dass eine ordnungsgemäße, den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügende Anhörung im Gesetzgebungsverfahren gewährleistet wird und ein so wichtiges Strukturreformvorhaben nicht angesichts der anstehenden Landtagswahl ‚auf die Schnelle‘ abgearbeitet wird.“ Zitatende.
Meine Damen und Herren, ich sehe in dem Umstand, dass der Gesetzentwurf von den Koalitionsfraktionen in den Landtag eingebracht wurde, keine rechtlichen Probleme.
Die Resolution verdeutlicht aber, dass Sie bei diesem für Land und Kommunen gleichermaßen wichtigen Thema auf dem besten Wege sind, politisches Porzellan zu zerschlagen.
Meine Fraktion wird auf ein gründliches Anhörungsverfahren drängen, denn der vorliegende Gesetzentwurf enthält trotz seiner langen Erarbeitungszeit und trotz seiner engen Anlehnung an die Empfehlungen von 2011 Fragen und Problemstellungen, deren Klärung für so manche Gemeinde im wahrsten Sinne des Wortes von existenzieller Bedeutung ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Torsten Renz, CDU – Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)
Zunächst erst einmal, Frau Rösler, auch ich gehe davon aus, dass der Ausschuss eine Anhörung macht. Wir haben gleichermaßen eine umfangreiche Bereisung gemacht, sodass wir schon im Vorfeld mit jeder Gemeinde eine Anhörung gemacht haben. Dass der Ausschuss sich bei so einem existenziellen Gesetz damit befasst, ist, glaube ich, schon ein Stück Selbstverständlichkeit. Um auch keine falschen Eindrücke zu erwecken, vielleicht reist ja der Ausschuss in die Steiermark, um sich zu überzeugen,
ich war jedenfalls nicht da. Es gibt umfangreiche Broschüren darüber, die waren ausreichend, auch für mein Haus, um da keine falschen Eindrücke zu erwecken.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, als die Regierungskoalition vor vier Jahren ein Leitbild für die „Gemeinde der Zukunft“ vereinbarte, hatte niemand von uns in irgendeiner Form eine Blaupause für den heutigen Gesetzentwurf im Kopf. Die Entstehung des Leitbildes, das ist richtig, da haben Sie vollkommen recht, war ein langer Prozess und er war auch ein Lernprozess. Er wurde von vielen Faktoren beeinflusst. Da ist zunächst einmal die ganz grundsätzliche Frage gewesen: Was macht eigentlich eine Gemeinde aus und was muss eine Gemeinde haben oder können, um sie als funktionsfähig oder zukunftsfähig zu bezeichnen? Das haben Sie in Ihren Ausführungen auch schon mit aufgebracht.
Eine mindestens ebenso starke Rolle wie diese Frage, die ja eine theoretische Grundsatzfrage ist, haben aber auch die praktischen Eindrücke der 76 Gemeindebereisungen oder Ämterbereisungen im Land bei Staatssekretär Lenz und mir gespielt, die in den letzten drei Jahren
stattgefunden haben. Hier wurde nämlich bestätigt, was viele kommunale Praktiker ohnehin schon lange als Bauchgefühl haben: Die Zukunftsfähigkeit von Gemeinden lässt sich nicht pauschal an einer Einwohnerzahl festmachen.