Protocol of the Session on November 19, 2015

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Während wir jetzt die ersten Hürden der Integration für Flüchtlinge nehmen, während wir das tun, strömen quasi immer wieder Menschen nach. Deshalb müssen wir, wie der Ministerpräsident gestern und auch heute feststellte, den Flüchtlingsstrom reduzieren und den Flüchtlingsstrom organisieren. Die Lösung für eine Begrenzung des Zustroms finden wir nicht, wie bereits festgestellt, in einer einzigen Maßnahme. Es ist ein Bündel verschiedenster Maßnahmen auf verschiedensten Ebenen. Dazu gehören

auch die Anwendung von Dublin III oder die Einzelfallprüfung für syrische Flüchtlinge. Aber ich könnte mir auch ein Einwanderungsgesetz vorstellen, das nach dem Asyl-, nach dem Grundgesetz, der Menschenrechts- oder der Genfer Flüchtlingskonvention das Interesse des Staates an geeigneten Fachkräften artikuliert.

(allgemeine Unruhe)

Das, Helmut Holter, war ja vorhin eine Ihrer Forderungen, dass der Staat auch Rahmenbedingungen dafür schafft, wie sollen Fachkräfte nach Deutschland kommen, wie sollen sie angeworben werden. Also lassen Sie uns möglicherweise auch in diese Richtung einmal diskutieren.

Ich sage es auch noch mal: Ich habe diese Diskussion „Subsidiärer Schutz zwei Prozent“, ich habe diese Diskussion mitverfolgt. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Ich sagte vorhin, wir werden eine Vielzahl von Lösungen suchen müssen, wir müssen eine Vielzahl von Schritten gehen, um letztendlich zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wenn Sie zwei Prozent auf die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland einfach hochrechnen, dann kommen Sie schon auf eine Größenordnung, die sehr wohl volkswirtschaftlich etwas beeinflussen kann. Ich denke, andere Maßnahmen werden ähnliche Ergebnisse bringen. Am Schluss steht ein vernünftiges Modell. Da habe ich Vertrauen und davon gehe ich ganz einfach aus.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir dann schon bei der Arbeitskräftediskussion angekommen sind, muss es auch legitim sein, über Mindeststandards zu diskutieren. Ich wurde in den letzten Wochen häufig von Unternehmern angesprochen, die durchaus bereit sind, Flüchtlinge zu beschäftigen, und ihnen sogar den Deutschunterricht finanzieren wollen, aber immer noch an die Hürde des Mindestlohns stoßen. Ich denke, auch in dieser Richtung darf es keine Denkverbote geben.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aber ja! – Zuruf von Stefanie Drese, SPD)

Wir sollten es uns abgewöhnen,

(Heiterkeit bei Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aber ja, Kollege!)

wir sollten es uns abgewöhnen, Kollege Nieszery,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Beim Mindest- lohn beißt du dir bei uns die Zähne aus. Das kannst du vergessen. – Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

regelmäßig Wellen der öffentlichen Erregung loszutreten, nur weil jemand mal vermeintlich auch nur gedanklich vom Kurs abweicht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh, du armes Opfer! Du armes Opfer! Du siehst auch so aus! – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU und Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, ja, ja, ja.)

Diese Art der öffentlichen Correctness, denke ich, sollten wir zur Verfahrenserleichterung ganz einfach mal beerdigen.

Und, lieber Kollege Nieszery,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

wer wenn nicht Sie versteht den nachfolgenden Satz am allerbesten:

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)

Mir sind diejenigen, die querdenken, und die, die Ideen haben,

(Zuruf von Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

hundertmal lieber als diejenigen, deren Beitrag nur aus Meckern besteht. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Lieber Kollege Silkeit, wie das so wechselt, von der Speerspitze des Mindestlohns in der letzten Sitzung hin zum „Jetzt machen wir das Fass wieder auf“ –

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Querdenken! – Vincent Kokert, CDU: Das hat er alles bei den Sozis gelernt! – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU)

querdenkend, wandlungsfähig, opportunistisch,

(Zuruf von Michael Silkeit, CDU)

mir fällt da gar kein Wort mehr ein, was ich dazu sagen soll. Aber, sehr geehrte Damen und Herren, möglicherweise,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist der einzige Denker da drüben!)

möglicherweise – ich greife das gerne auf – ist Herr Silkeit in der Tat der einzige Denker und das intellektuelle Potenzial der CDU.

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Das weiß ich nicht zu beurteilen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das würde ich lieber nicht beurteilen! – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

aber das werden Sie sicherlich in internen Prozessen dann noch mal klären können.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Nun ist es aber gut! Nun ist aber Schluss! – Vincent Kokert, CDU: So eine Rede passt gar nicht zu ihm. – Torsten Renz, CDU: Redeverbot! – Wolfgang Waldmüller, CDU: Setzen, Sechs!)

Sehr geehrte Damen und Herren, als wir wenige Tage vor dem 24. September zufälligerweise eine Konferenz der Fraktionsvorsitzenden der Länder und des Bundes hatten, uns in Stuttgart trafen – anwesend war auch der baden-württembergische Ministerpräsident, der ist in der Sitzung noch gar nicht genannt worden,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das würde mir zu denken geben. – Stefanie Drese, SPD: Kommt noch!)

das machen Sie doch sonst hier immer, also will ich das mal tun –, war natürlich der bevorstehende sogenannte Asylkompromiss im Mittelpunkt unserer Gespräche. Das, was ich mitnehme – ich werde diese Sitzung nie vergessen –, waren zwei zentrale Leitlinien, Leitgedanken, die die Diskussion sehr geprägt haben.

Der erste Gedanke, in der schwierigen Situation, in der die grünen Landesregierungen waren, vor dem Hintergrund ihrer Möglichkeiten, auf den Bundesrat Einfluss zu nehmen, war: Übernehmen wir Verantwortung angesichts der immensen humanitären Herausforderungen, vor denen das ganze Land stand, oder zeigen wir klare Kante und tragen dann dazu bei, dass es einen langen Auseinandersetzungsprozess im Bundesrat gibt?

Auf der anderen Seite – das war ganz klar und völlig unmissverständlich, und das trägt bis heute auch die Position der GRÜNEN-Fraktion

(Vincent Kokert, CDU: Aber nur die hier im Land.)

hier im Lande – das Thema Flüchtlinge. Das Thema Flüchtlinge ist völlig ungeeignet im Spiel der Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung, sondern das Thema Flüchtlinge ist eines derjenigen Themen, von denen ich glaube, dass Opposition und Regierung da eng zusammenstehen und möglichst viel gemeinsam tun müssen. In diese Richtung hat auch der Kollege Holter vorhin insistiert.

Aber es ist wichtig, hier noch mal zu reflektieren, in welcher Situation wir seinerzeit – Ende September – eigentlich standen. Ich will zumindest hier daran erinnern, dass die Bundesregierung in der Tat wochen- und monatelang versäumt hatte, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen: Das Problem ist uns ja nicht in den Schoß gefallen. Es fehlte an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, es fehlte an der dringend notwendigen Finanzhilfe für Länder und Kommunen und es fehlte an der notwendigen Unterstützung bei den dringend erforderlichen Integrationsmaßnahmen.

Wir haben uns seinerzeit in den Verhandlungen mit der Bundesregierung, teilweise an der Seite der SPD, dafür eingesetzt, echte Verbesserungen für die Flüchtlinge und die Kommunen durchzusetzen. Wir haben alles unterstützt, was den Flüchtlingen hilft, alles, was Verfahren verkürzt, und alles, was haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern hilft oder sie entlastet. Gleichwohl ist für uns ein schwieriger Kompromiss herausgekommen, ein schwieriger Kompromiss, wenn ich an die Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer denke. Ich bin da emotional, Helmut Holter, was die Sinti und Roma angeht, absolut bei Ihnen. Es ist ein schwieriger Kompromiss, weil es nach wie vor um Verschärfungen und Leistungskürzungen geht, die wir zwar stark haben abmildern können, die aber natürlich weit von dem ent

fernt sind, was wir uns in der Tat vorstellen. Aber ich will auch daran erinnern, dass durch die Zustimmung zum Kompromiss Transitzonen, die damals schon in den Gesetzentwürfen der Union standen, abgewendet werden konnten und dass insbesondere der Eingriff ins Grundrecht auf Asyl abgewendet werden konnte. Das hat uns dazu veranlasst, letztendlich in dem schwierigen Prozess zuzustimmen.

Und, sehr geehrte Damen und Herren, der Kompromiss enthält – darauf haben wir gesetzt und damit sind wir dann hier im Landtag – zahlreiche Punkte, bei denen die Länder Spielräume haben. Ich habe mich, Herr Sellering, sehr gefreut, dass Sie vorhin an zentralen wesentlichen Punkten richtige Schritte benannt haben, von denen ich glaube – so habe ich auch DIE LINKE verstanden und das kann ich für die Fraktion der GRÜNEN hier ebenfalls eindeutig bestätigen –, dass Sie die Unterstützung unserer Fraktion haben. Ich will als Beispiel nennen die Frage, die Verfahren jetzt schnell zu machen. Verwaltungsstrecken aufzubauen und das Gleiche für den Bereich Integration zu machen, ist ein dringend erforderlicher Schritt und es ist ein richtiger Schritt auch im Sinne der Geflüchteten, die zu uns gekommen sind.

Die Gesundheitskarte ist ein wichtiger Schritt gewesen, aber da bin ich wie der Kollege Holter an dem Punkt, wo die Wandlungsfähigkeit insbesondere der CDU-Fraktion doch einmal sehr deutlich wird.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gut Ding will Weile haben.)

Herr Suhr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schubert?