Protocol of the Session on November 19, 2015

dass Sigmar Gabriel nicht für Mecklenburg-Vorpommern gesprochen hat, sondern für die Bundesrepublik Deutschland,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und wir gehören nicht dazu, oder was?)

und dass es in Deutschland sehr wohl Länder gibt, die alleingelassen werden von ihren Regierungen, wo es an vielen Ecken und Kanten klemmt. Aber Sie haben bei der Gelegenheit eben nicht das unterstrichen, was der MP bereits gesagt hatte, dass wir trotz der schweren Zeiten nach wie vor eine 100-Prozent-Ausstattung für unsere Kommunen gewähren und wir sie nicht im Regen stehen lassen werden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das haben wir mehrfach gewürdigt. – Vincent Kokert, CDU: Heute nicht.)

Das hätten Sie vielleicht an der Stelle noch mal unterstreichen sollen.

(Zurufe von Heinz Müller, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Und wenn Sie dann solche Themen wie Dolmetscherpool und Gesundheitskarte rauspicken, dann sollten Sie auch einfach den Kontext bringen. Warum haben wir die Ge

sundheitskarte abgelehnt? Weil sie zu dem Zeitpunkt, als Sie diese Forderung aufgemacht haben, hier im Land ganz einfach zu wesentlich höheren Kosten geführt hätte, als das heute der Fall ist.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war aber nicht das Argument.)

Aber heute, vor dem Hintergrund des Flüchtlingszustromes, schlägt das Pendel eben in eine andere Richtung aus. Nennen Sie doch einfach mal das Kind beim Namen! Und wenn Sie bei der Kommunikation sind, dann sollten Sie Ross und Reiter nennen. Sie sollten sagen, worum es bei der Kommunikation geht und wo es bei der Kommunikation klemmt. Wenn es solche Forderungen der Landräte und Bürgermeister sind, die zum Beispiel Hinweise auf die Religion der Asylbewerber haben wollen,

(Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

damit sie religionsgerecht untergebracht werden können, dann wissen Sie selber, dass das der deutsche Datenschutz verbietet. Bitte stellen Sie einfach in dieser Situation auch etwas Sachlichkeit in den Vordergrund!

(Heiterkeit bei Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

Ich finde es richtig und ich finde es auch wichtig, dass wir uns regelmäßig mit diesem Thema „Flüchtlings- und Asylpolitik“ auseinandersetzen und, Herr Holter, dass wir sehr wohl auch immer wieder unsere Position überprüfen. Daraus mache ich auch überhaupt keinen Hehl.

Ich denke, wenn wir heute über die Beschlüsse des 24.09. reden, dann ist es allemal auch angezeigt, den 05.11. in diese Überlegungen einzubeziehen, schon alleine deshalb, weil gestern der Gesetzentwurf für eine neue Asylrechtsänderung zur Stellungnahme an die Länder gegangen ist. Ich will nur ganz kurz daran erinnern, dort geht es auch um die Lastenteilung in Europa, um Frontex, um die Unterstützung der Türkei, um Medienarbeit in Afghanistan und um die Integration. Bei der Vielzahl der Gipfel auf Landes- und Bundesebene und ihren weitreichenden Inhalten drängt sich meines Erachtens für mich regelmäßiges Innehalten und regelmäßige Reflexion des Gesagten und des Getanen, Herr Holter – denn wir tun etwas –, auf.

Die Beschlüsse des 24.09. haben und die Beschlüsse des 05.11. werden dem Bund und den Ländern eine Vielzahl von Möglichkeiten geben, den Flüchtlingszustrom zu organisieren und zu strukturieren, um letztendlich den Übergang vom Krisenmodus zum normalen Modus zu ermöglichen. Bei den bisherigen Flüchtlingspaketen reicht die Palette von der Beschleunigung der Asylverfahren über die Beseitigung von Fehlanreizen bis zu vielfältigen Möglichkeiten der Integration in unsere Gesellschaft.

Ich habe ganz bewusst den Bogen von der einen Seite der Medaille zur anderen gespannt. Auf der einen Seite stehen rechtsstaatliche Regularien und die Einhaltung und Umsetzung unserer Gesetzlichkeiten, die auch das Versagen des Aufenthaltes mit der letzten Konsequenz der Abschiebung beinhalten. Auf der anderen Seite stehen aber auch klare Aussagen zur Integration. Dazu gehören unter anderem die Einführung der Gesundheitskarte, die Öffnung von Integrationskursen oder die Ausweitung des Bestands der Sozialwohnungen. Da hätte

durchaus auch das 4-mal-500-Millionen-Paket der Bundesregierung, das übrigens die volle Zustimmung des Städte- und Gemeindetages in Deutschland gefunden hat, an dieser Stelle von Ihnen erwähnt werden dürfen.

Aber die Vielzahl der Maßnahmen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eben nur erste Schritte – erste Schritte – in die richtige Richtung sind. Sowohl die Reduzierung des Flüchtlingsstroms, dessen Organisation und letztlich die Integration werden erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und haben heute schon Prozesscharakter. Es gibt keine einfachen und es gibt keine kurzfristigen Lösungen für die gegenwärtige Krise. Wer das erzählt, haut den Menschen nur die Taschen voll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Lösungen müssen sich direkt proportional zu den Ursachen der Migrationsbewegung auf der Welt verhalten. So vielfältig wie die Ursachen jeglicher menschlicher Bewegung sind, so vielfältig werden auch die Lösungsansätze sein müssen. Wer beispielsweise glaubt, dass das Wort von Angela Merkel Hunderttausende Menschen in Bewegung setzte – der Eindruck wird ja gelegentlich erzeugt –, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Solche Aussagen sind schlichtweg Unsinn

(Michael Andrejewski, NPD: Das ist wahr.)

und resultieren häufig aus Unkenntnis. Ich habe in der Türkei, im Libanon,

(Stefan Köster, NPD: Sie versuchen jetzt nur, die Bundespolitik zu retten.)

aber auch in Flüchtlingsunterkünften in Mecklenburg-Vor- pommern feststellen dürfen, dass Flüchtlinge häufig hervorragend informiert sind.

(Michael Andrejewski, NPD: Ja, eben! Auch über das, was die Kanzlerin gesagt hat.)

Dort liegt auch eines unserer Hauptprobleme. Wir reden bei jeder sich bietenden Gelegenheit über Globalisierung, internationale Vernetzung und blenden dabei gedanklich große Regionen dieser Welt aus. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber ein Trugschluss. Auch Flüchtlinge im Libanon, in der Türkei oder wo auch immer in der Welt sind häufig mittels Internet oder elektronischer Medien hervorragend über das Weltgeschehen informiert. Das war übrigens auch so auf der Bekaa-Hochebene im Libanon, dort, wo wir eigentlich die ärmsten Flüchtlings- lager angetroffen haben. Das waren einfache Stoffzelte, aus Folien, aus Teppichen zusammengebaut, aber auch dort waren regelmäßig Satellitenschüsseln zu sehen. Natürlich, das ist doch normal, dass die Menschen aus ihrer Heimat Informationen haben wollen, und ein Satellit überträgt eben nicht nur Informationen aus der Heimat, sondern auch aus der Welt.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Ach?!)

So darf es dann auch niemanden verwundern, dass beispielsweise das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Runde in der arabischen Welt machte. Aber ich sage es deutlich, die Reduktion der Fluchtursachen weltweit aus rein materiellen Interessen ist populistisch, einseitig

und falsch. Noch immer sind unsinnige Kriege der Hauptfluchtgrund. Um den Zustrom syrischer Kriegsflüchtlinge nach Europa zu begrenzen, muss letztendlich der Krieg in Syrien beendet werden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Das hört sich einfach an, wird aber unendlich schwer, denn es geht nicht nur um unterschiedliche syrische Interessen. Es gibt in diesem Konflikt viele Mitspieler aus der Region oder des internationalen Terrorismus und, was eben nicht vergessen werden darf, es gibt auch noch Interessenlagen der Großmächte. Dass Deutschland in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zukommen wird, ist unstrittig. Eines gilt allerdings heute auch schon als sicher: Es wird eine Sisyphusarbeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder fand am 24.09. statt. An dem Tag hatten wir in Mecklenburg-Vorpommern 11.266 registrierte Flüchtlinge per 1. Januar. Jetzt sind es 7.000 Menschen mehr. Ich habe gerade in die Statistik geguckt, wir liegen jetzt bei knapp 19.000 seit dem 1. Januar. Daran kann man erkennen, dass diese Thematik nach wie vor eine Dynamik entwickelt. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir wieder zu geordneten Verfahren zurückkehren. Die Vereinbarungen vom 24.09. und auch die vom 05.11. sind dafür überaus wichtig, aber wir dürfen uns nichts vormachen, allein diese Vereinbarungen und das gegenseitige Auf-dieSchulter-Klopfen werden für die Bevölkerung und für die Flüchtlinge keine zufriedenstellende Lösung darstellen.

Wir brauchen unser Licht allerdings auch nicht unter den Scheffel zu stellen. Ich habe es gesagt, nach wie vor gehört Mecklenburg-Vorpommern zu den drei Bundesländern in Deutschland, die ihre Kommunen nicht im Regen stehen lassen und 100 Prozent von deren Aufwendungen tragen, selbst dort, wo das Land es nicht machen müsste. Ich nenne nur das Beispiel Rostock und die Flüchtlinge, die weiterreisen wollen nach Skandinavien und somit nicht unter das Asylrecht fallen. Damit hat zwar der eine oder andere Landrat oder Bürgermeister sein Problem, weil es schlussendlich 110 Prozent mehr sind, aber niemand dürfte sich eine Rückkehr zu den Verfahren der uns umgebenden Bundesländer wünschen. Ich darf daran erinnern, dort erfolgt eine Lastenteilung im Bereich 60/40, 70/30. Das, denke ich mal, wird hier in diesem Land keiner verantworten wollen.

Ich hebe diesen Aspekt ganz bewusst hervor, weil in der öffentlichen Diskussion, Sie haben es vorhin mitbekommen, häufig der Eindruck erweckt wird, wir ließen unsere Kommunen mit den Problemen allein. Das entspricht aber definitiv nicht der Realität und resultiert vermutlich aus der unkritischen Übernahme von Informationen aus anderen Bundesländern.

Bei meiner positiven Bilanz will ich aber auch unseren Innenminister nicht vergessen. Sein Krisenmanagement sucht in vielen Bereichen seinesgleichen und setzt da auch Maßstäbe für andere Bundesländer. Und, Helmut Holter, darüber habe ich mich sehr gefreut, dass Sie ihm wenigstens in dieser Beziehung Respekt und Anerkennung bezeugt haben, auch das zeugt von Stil.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Hört, hört!)

Umso mehr bedauere ich es, …

Ja, das muss ja legitim sein. Man darf auch loben, man darf nicht nur kritisieren, Torsten Koplin.

… umso mehr bedauere ich es, dass überall in der Gesellschaft ein Mehrbedarf, …

Ach, Frau Gajek ist auch wieder da.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was heißt das jetzt? – allgemeine Heiterkeit)

dass überall in der Gesellschaft ein Mehrbedarf gesehen, die Polizei aber regelmäßig ausgeblendet wird. Die Landespolizei stößt schon seit Jahren an ihre Belastungsgrenzen, hat diese zwischenzeitlich, bedingt durch die Flüchtlingskrise, überschritten, und was durch die Terrorismusbekämpfung noch zu erwarten steht, vermag selbst ich heute nicht zu prognostizieren. Ich gehe zwar davon aus, dass es zeitnah Nachverhandlungen zugunsten der Polizei geben wird, aber dessen ungeachtet möchte ich das heute auch nicht unerwähnt lassen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Pensionäre nur eine temporäre Lösung sein können. Sie können vielleicht mal für sechs oder zwölf Monate zum Einsatz kommen. Letztendlich geht es um normale, für die Alltagsorganisation funktionierende Strukturen. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass dies natürlich auch für andere Ressorts gilt. Es geht nicht nur um die Polizei, sondern es geht einfach darum, dass auch andere Bereiche dieses Landes zukünftig mit dem Problem umgehen können, und da ist eine BAO, also eine Besondere Aufbauorganisation, die in einem Krisenmodus läuft, nicht die Lösung. Wir müssen also hier auch die Verfahren, die Strukturen verstetigen. – Schade, jetzt ist die Finanzministerin nicht da.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Lorenz Caffier hat große Fußabdrücke hinterlassen. Jetzt schlägt die Stunde der Integration. Jetzt wird unsere Integrationsministerin zeigen müssen, was ihr Ministerium zu leisten vermag und, liebe Frau Gajek, dabei wird die sprachliche Integration das kleine, das kleinste, das allerkleinste zu backende Brötchen sein.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Warum sprechen Sie mich jetzt die ganze Zeit an?)

Sie wurden vorhin auch angesprochen, ich halte mich da nur an die Regel.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber wir dürfen hier jeden von uns ansprechen.)

Unser Innenminister musste schnell und kurzfristig Lösungen finden. Unsere Integrationsministerin muss langfristige Strategien und Lösungen erarbeiten.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)