(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE und Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Europabildung an Schulen praxisorientiert gestalten und umsetzen, Drucksache 6/4645.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Europabildung an Schulen praxis- orientiert gestalten und umsetzen – Drucksache 6/4645 –
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nur 18 Schulpartnerschaften bei fast 600 Schulen in Mecklenburg-Vorpommern, nur 20 Anträge in diesem Jahr für Fahrten im Rahmen des Schüleraustausches, nur eine Schule von über 300 Grundschulen, in der ab der ersten Klasse bilingualer Unterricht stattfindet, und nur zwei Schulen, an denen die Abiturientinnen und Abiturienten mehrsprachige europäische und internationale Kompetenzen europaweit einheitlich erlernen.
Kurzum: Wir haben einen enormen Nachholbedarf in der Europabildung. Und das ist besonders unverständlich, da sich vor sechs Jahren die Koalition die Behebung dieses Missstandes auf die Fahnen geschrieben hat, denn vor sechs Jahren forderte die Koalition, die bestehenden Europaschulen beim Ausbau ihres Europaprofils zu unterstützen und weitere Schulen zu ermutigen, Europaschule zu werden.
2009 hatten wir 28 Europaschulen und heute – sechs Jahre später – sind es sage und schreibe 28 Europaschulen.
Es konnte auch nicht klappen, denn das Bildungsministerium hat selbst die Zahl der Europaschulen auf 30 begrenzt. Nur 30 Schulen dürfen Europaschulen sein. Warum? Warum hat man nicht wenigstens diese Begrenzung aus dem Jahre 2001 nach dem Koalitionsantrag aufgehoben? Das wäre ja mal ein erster Schritt. Aber Sie
wollten eine Erweiterung und begrenzen gleichzeitig. Vielleicht ist das auch der Zwiespalt in der Koalition?! Der eine will voran, der andere nicht, und somit bremst man dann auch die Schulen aus.
Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Antrag forderten Sie 2009 weiterhin, den bilingualen Unterricht an den weiterführenden Schulen zu stärken. Wie sich dieses Angebot entwickelt hat, konnte die Landesregierung auf meine Anfrage nicht beantworten, da der zweisprachige Unterricht gar nicht erhoben wird, und dies sicherlich, weil es ihn wahrscheinlich gar nicht gibt. Das bedeutet doch, dass das Bildungsministerium überhaupt nicht weiß, wer wann wo bilingual arbeitet.
Ebenso bekam ich keine konkrete Antwort auf meine Nachfrage zum vierten Punkt Ihres damaligen Antrages. Hier sollte die Einführung einer anerkannten Zertifizierung für den zweisprachigen Unterricht geprüft werden. Diese Prüfung hat anscheinend nichts ergeben, denn, ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung: „Im Grundmodell kann die Teilnahme am bilingualen Unterricht auf dem Zeugnis vermerkt werden.“ Ende des Zitats. Nichts mit Zertifizierung, nicht mal ein Zertifikat. Unter „Vermerke“ soll nun aufgeführt werden, dass der Schüler oder die Schülerin nicht nur eine anerkannte LRS hat, sondern auch am bilingualen Unterricht teilnimmt. Prima Idee und auch so aussagekräftig!
Im letzten Punkt forderten Sie vor sechs Jahren, dass die europäische Geschichte und die Funktions- und Arbeitsweise der Europäischen Union stärker in den Lehrplänen verankert werden sollen. Neben den beiden gerade für die Geschichte und Funktionsweise der Europäischen Union ausschlaggebenden Fächern Deutsch und Englisch wurden im Bereich der Klassen 5 bis 10 keine Rahmenpläne geändert. Die Landesregierung antwortete, eine Überarbeitung der anderen Lehrpläne war nicht erforderlich, weil in ihnen Themen wie „Europa in der Schule“ bereits vor dem Jahr 2009 eingearbeitet worden sind, nämlich im Jahre 2002. Da verfügt die Regierung also über hellseherische Fähigkeiten: Sie weiß bereits 2002, wann sich Europa in welcher Form erweitern wird.
Bedeutet es gleichzeitig, dass das Bildungsministerium die europäische Entwicklung einschließlich ihrer Erweiterung und der damit zusammenhängenden inhaltlichen und politischen Fragen für nicht erwähnenswert hält? Denn die meisten Erprobungsfassungen der Rahmenpläne, beispielsweise für die Fächer Sozialkunde, Geografie sowie Geschichte und Politische Bildung, stammen aus dem Jahre 2002. Diese veralteten und überholten Pläne können gar nicht die Entwicklung Europas abbilden. Weil das nun bei Ihnen alles nicht geklappt hat, Sie aber ähnliche Änderungsbedarfe sehen, werden Sie selbstverständlich dem Antrag meiner Fraktion, den wir um wesentliche Punkte gegenüber Ihrem Antrag erweitert haben, zustimmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Grenzen, die es innerhalb Europas nicht mehr gibt, werden im Schulwesen Mecklenburg-Vorpommerns durch bürokratische Hürden ersetzt. Dies bedeutet für die unermüdlich arbeitenden Lehrkräfte an den Europaschulen und für die Schulen, die in der deutsch-polnischen Bildungszusammenarbeit zu Hause sind, Folgendes: Eine Schule, die im Grenzraum, in Sichtweite zu ihrer polnischen Partnerschule liegt, muss einen Antrag gemäß der Verwaltungsvorschrift „Lernen am anderen Ort“ stellen, um zum Beispiel
den gängigen gemeinsamen Unterricht in Polen zu ermöglichen. Dieser Antrag muss, weil es eben im Ausland ist, spätestens einen Monat vor dem Termin vom Schulamt genehmigt sein. Es werden dann auch noch Schülerinnen und Schüler bis zur 8. Jahrgangsstufe von derartigen Partnerschaften ausgeschlossen.
Es ist der Regierung nicht einmal gelungen, das Naheliegende zu regeln, nämlich den kleinen Grenzverkehr für Schulpartnerschaften vor Ort. Dass für andere Schulfahrten ins Ausland diese Fristsetzung notwendig ist, bestreiten wir nicht, aber doch nicht für eine Fahrt ins zehn Kilometer entfernte Nachbarland zu der Schule, mit der man eng zusammenarbeitet.
Ziel muss es doch sein, dass diese Partnerschaft zum Alltag gemacht wird und nicht zu vergleichen ist mit der Fahrt nach Rom oder Sankt Petersburg.
Auch das Ausschließen von Fünft-, Sechst- oder Siebtklässlern von Schulpartnerschaften im Allgemeinen und den Besuchen in der Grenzregion im Besonderen sind weder zeitgemäß noch europafreundlich. Unabhängig davon, dass ich die Angabe von Klassenstufen für widersinnig halte, denn auch Sechstklässler können 14 oder 15 Jahre alt sein oder Achtklässler erst 12 Jahre, müssen hier wesentlich praxisorientiertere Regelungen gefunden werden. Denn warum gibt es nur 18 Schulen – 18 von fast 600 Schulen –, die eine Schulpartnerschaft haben? Um den Kindern und Jugendlichen eine tatsächliche Europabildung zu ermöglichen, müssen derartige Hürden umgehend überwunden werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, gerade im Grenzgebiet zu Polen muss die Bildungszusammenarbeit wesentlich unbürokratischer und dennoch verlässlich organisiert werden, so, wie wir es mit unserem Antrag fordern. Aber anstatt der notwendigen Erleichterung gibt es nicht einmal den notwendigen Inhalt, denn es gibt weder einen Rahmenplan zum Erlernen der polnischen Sprache für die Grundschulen noch für die Orientierungsstufe, die Regionalen Schulen und die Berufsschulen. Das Einzige, womit das Erlernen dieser Fremdsprache unterlegt ist, ist ein Lehrplan für Gymnasien und integrierte Gesamtschulen – eine Erprobungsfassung aus dem Jahr 2002.
Mecklenburg-Vorpommern hat also keine Rahmenpläne und keine zugelassenen Lehrbücher für dieses Fach. Dennoch lernen 537 Schülerinnen und Schüler polnisch. Auf welcher Grundlage überhaupt? Wir stecken doch hier nicht mehr in den Kinderschuhen. Wir hatten Jahrzehnte Zeit, die Grundlagen zu erarbeiten. Wo sind die Rahmenpläne? Wo sind die Lehrbücher? Und das alles, obwohl auch hier die SPD/CDU im Frühjahr 2014 in einem Antrag unter anderem forderten, dass die deutschpolnische Bildungszusammenarbeit durch die Landesregierung fachlich begleitet und ausgebaut werden soll.
In Brandenburg und Sachsen gibt es nicht nur Lehrpläne und Lehrbücher, da gibt es auch nicht nur jeweils 2.000 Schülerinnen und Schüler, die Polnisch als Fremd
Deshalb fordern wir mit unserem Antrag auch, den Schulen im Grenzgebiet endlich ihre unverzichtbare und beispielgebende Arbeit zu erleichtern und sie mit den notwendigen unbürokratischen gesetzlichen Regelungen und den inhaltlichen Vorgaben auszustatten, damit sie diese Arbeit fortführen können und tatsächlich weitere Schulen gewonnen werden.
Zur Europabildung gehört aber noch mehr, zum Beispiel das Erlernen von Fremdsprachen, damit die Völker eben nicht mehr fremd sind, sondern wir ihre Sprachen erlernen, um sie zu verstehen und verstanden zu werden. Dafür benötigen die Gymnasien in Mecklenburg-Vorpommern eine bessere Stundenausstattung, damit in diesem Bereich nicht geknausert werden muss. Wenn wir die sprachlichen Kompetenzen erhöhen wollen, wenn wir wollen, dass die Jugendlichen Mecklenburg-Vorpommerns weltoffen sind und sich anderen Völkern zuwenden, dann benötigen sie Fremdsprachenkenntnisse, die nicht an der Stundenausstattung scheitern dürfen.
Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Ihnen ebenfalls daran gelegen ist, dass mehr als 18 Schulen unseres Landes Schulpartnerschaften eingehen, wenn Sie möchten, dass wir die Arbeit der Schulen – gerade in der Grenzregion – stärken, wenn auch Sie sagen, dass man nicht früh genug mit einer aktuellen Europabildung beginnen kann, und wenn Sie Ihren eigenen Antrag vielleicht doch noch realisieren wollen, dann stimmen Sie für den Antrag meiner Fraktion!
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kommt bisweilen vor, dass hier Anträge über Probleme vorliegen, die nicht bestehen.
(Peter Ritter, DIE LINKE: Deswegen ist die Regierung nicht anwesend. Ah! – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)