Protocol of the Session on October 22, 2015

Sie müssen sich das genau ansehen, Frau Borchardt, dann können Sie auch mitreden und die Sache nicht so raushauen!

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Nee, das weiß ich zufällig genau.)

Das ist natürlich sehr verallgemeinernd, weil es letztendlich nur Einkommen in den Blick nimmt. Also wenn man sich beispielsweise mal ansieht, wie das Thema Mieten in Mecklenburg-Vorpommern aussieht: Die Mieten in Mecklenburg-Vorpommern sind viel, viel geringer als in anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Na, überall.)

die spielen aber bei dieser Betrachtung keine Rolle.

(Regine Lück, DIE LINKE: Wir haben einen differenzierten Wohnungsmarkt.)

Bildungsarmut wird ausgeblendet, kulturelle Armut wird ausgeblendet und so weiter und so fort. Das heißt also, hier soll ein Sachbericht politisch instrumentalisiert werden, der inhaltlich sehr differenziert betrachtet werden muss. Ich bin sehr froh und danke meinem Kollegen Rudi Borchert in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt, dass man sich des Themas angenommen hat. Und ich finde, damit muss man auch adäquat umgehen.

Herr Koplin hat auf die über 300 Seiten hingewiesen, die von der AWO formuliert worden sind und die sehr, sehr, sehr umfassend auf bestimmte Bereiche von Armutsaspekten eingehen. Im Antrag steht dann, bis zum 31. März 2016 soll die Landesregierung letztendlich etwas vorlegen, wie man damit umgeht, wobei die Landesregierung, wenn man sich den Bericht richtig ansieht, ja gar nicht der einzige Adressat ist. Ich will an der Stelle mal ganz klar sagen: Ich bin ein großer Freund von Sozialberichterstattungen, weil Sozialberichte als Steuerungsinstrument notwendig sind.

(Zurufe von Torsten Koplin, DIE LINKE, und Regine Lück, DIE LINKE)

Ansonsten agiert man immer so ein bisschen nach dem Motto „Ohne Ziel stimmt jede Richtung“. Und natürlich ist ein Großteil der Daten, die zum Thema „Armut und Reichtum“ erhoben werden, bei uns im Land verfügbar. Darauf hat die Ministerin aufmerksam gemacht. Aber es gibt natürlich auch noch ganz andere Mechanismen, die man sich kleinräumig ansehen muss.

Ich will auf ein Beispiel aufmerksam machen. In vielen Bereichen unseres Landes passiert Folgendes: Empfänger von Transferleistungen werden in bestimmte Wohnquartiere gesteuert, also diese Form von sozialer Segregation. Das sind in der Regel Wohnquartiere, die niedrige Mieten haben. Die Absicht dahinter ist, letzt

endlich nicht so viele Sozialleistungen ausgeben zu müssen, sondern das Ganze möglichst sparsam zu betrachten.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Das bedeutet, dass man im Ergebnis Zustände hat, dass sich Transferleistungsempfänger in gewissen Quartieren konzentrieren. Dann haben wir das Thema der sozialen Randständigkeit mit der Konzentration von Sozialhilfeempfängern auf der einen Seite

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Sozialer Brennpunkt“ nennt man das.)

und auf der anderen Seite mit einem hohen Anteil an Ausländern und so weiter und so fort. Das sind Dinge, die durch die Landesregierung eigentlich so gut wie gar nicht beeinflusst werden können, sondern die auf der kommunalen Ebene betrieben werden.

Und genauso ist es richtig, wenn man auf die Entwicklung von Vollzeitbeschäftigung aufmerksam macht. Das heißt, der Arbeitsmarkt boomt bei uns. Natürlich haben wir auf der einen Seite das Problem, dass es schon heute eine ganze Reihe von Berufen gibt, wo uns die Arbeitskräfte fehlen, und auf der anderen Seite haben wir einen nicht unerheblichen Sockel von Langzeitarbeitslosen, die scheinbar keine Möglichkeiten am Arbeitsmarkt haben, einen geeigneten Job zu finden. Und natürlich ist es richtig, dass man sich den Leuten zuwendet, das muss man dann aber kleinräumig tun.

Wir als SPD-Fraktion sind der Meinung, dass man sich dies sehr differenziert angucken muss und dass es keine Art und Weise ist, damit so umzugehen, wie es DIE LINKE hier fordert, nämlich mal wieder in Richtung Landesregierung zu gucken und die aufzufordern, innerhalb eines unangemessenen Zeitraums zu sagen, wie sie damit umgehen will. Ich kann Ihnen sagen, wir als SPD-Fraktion werden im Sozialausschuss darauf hinwirken, dass wir uns im Rahmen der Selbstbefassung mit diesem Bericht auseinandersetzen, um dann einen sehr sachgerechten Umgang mit dem, was da vorliegt und vorgelegt wurde, zu finden und daraus die notwendigen Ableitungen zu treffen.

Es kann nicht sein, dass wir das im Rahmen eines Schnellschusses machen und sagen, jetzt alles in Richtung Feuer frei auf die Landesregierung und bis zum 31.03. soll da was vorgelegt werden, wobei ich gerade klar und deutlich gemacht habe, dass die Landesregierung nur ein Ansprechpartner in dem Bereich ist und dass das Thema Sozialberichterstattung ein Thema ist, was in erheblichem Umfang die kommunale Ebene betrifft, und auch da muss dann geliefert werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren. Den Antrag werden wir ablehnen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD, und Marc Reinhardt, CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Gajek.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Herr Heydorn, ich wusste gar nicht, dass ein Antrag auf Konsequenzen so ein Frontalangriff ist. Also ich finde, wenn es so einen Bericht gibt, dann sollte man sich den holen. Wofür ist dann dieser Landtag da? Der Ausschuss tagt nicht öffentlich und ich denke, wir stehen hier für Transparenz und dafür, die Leute mitzunehmen. Dann sind es das Recht und die Pflicht der Opposition zu fragen, wie gehen wir damit um.

(Beifall Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, warum Sie da so reingegangen sind. Ich schätze Herrn Borchert sehr als AWO-Landesvorsitzenden und ich weiß, wie er sich immer wieder bemüht hat, gerade den Mindestlohn umzusetzen. Er hat es ja auch nicht immer so einfach bei seinen Kreisverbänden. Ich denke, das ist hier etwas, wo es Ergebnisse gibt, und eins wird doch auch deutlich: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Die Erkenntnisse haben wir schon lange, aber das Problem ist nach wie vor die Umsetzung.

Auch ich möchte im Namen meiner Fraktion natürlich allen Menschen danken, die in dem Bereich tätig sind. Ich möchte aber noch auf einen Punkt hinweisen: Es gibt eben nicht nur die Träger der freien Wohlfahrtspflege. Ich hoffe, dass uns das auch erhalten bleibt. Wir brauchen eine Trägervielfalt in Mecklenburg-Vorpommern, damit eine Vernetzung passiert und damit es Kreativität gibt. Ich denke und hoffe, dass die Landesregierung das unterstützt.

Wir alle kennen die Zahlen der Arbeitslosigkeit und ich möchte noch mal auf zwei Punkte zu sprechen kommen, weil ich hier manchmal wirklich das Gefühl habe, als wenn täglich das Murmeltier grüßt. Es wird in dem Forschungsbericht eindeutig gesagt, den sozialen Arbeitsmarkt zu befördern. Wir hatten vor zwei Wochen eine Anhörung im Sozialausschuss, da ging es auch wieder darum, inwiefern man den sozialen Arbeitsmarkt hier im Land umsetzen kann. Es gibt immer wieder keine konkreten Ansätze. Wir hatten zusammen mit der LINKEN vor, ich glaube, anderthalb Jahren einen Antrag gestellt, ein Modellprojekt auf den Weg zu bringen. Der ist hier im Landtag negativ beschieden worden und ich finde das sehr bedauerlich.

Wenn ich noch mal an die Regierungserklärung von gestern erinnern darf, da ging es in dem 10-Punkte-Plan in Punkt 1 und 2 um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Aber das haben wir gestern ja schon kritisiert: Es gibt nicht wirklich die Ergebnisse daraus. Und, Frau Hesse, klar haben Sie den Familiencoach und meinen, eine weitere Berichterstattung ist nicht notwendig, wir sollten die Energie für etwas anderes einsetzen, aber möglicherweise ist es zurzeit die einzige Chance der Opposition, hier Gehör zu finden und um zu sagen, das brauchen wir für unser Land.

Jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Ich denke, darüber sind wir uns einig. Aber wir brauchen den Blick auf die Langzeitarbeitslosen und in dem Kontext muss insbesondere noch mal geguckt werden, ob es wirklich realistisch ist, dass alle Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt kommen. Oder haben wir mittlerweile eine Unterscheidung in erster und zweiter Klasse? Ich finde, das ist eine Debatte, die wir im Sozialausschuss ernsthaft führen müssen, denn wir müssen die Menschen mit den multiplen Vermittlungs

hemmnissen durchaus in den Fokus nehmen. Wir müssen die Menschen in den Fokus nehmen, die durch Langzeitarbeitslosigkeit zermürbt sind, die krank geworden sind, die sich vielleicht auch ausgegrenzt fühlen.

Ich denke, da müssen wir eine ernsthafte Diskussion führen, und ich würde es gut finden, wenn wir heute irgendwie ein Signal setzen könnten, das wir diesen Armutsbericht oder den Forschungsbericht der Arbeiterwohlfahrt sehr ernst nehmen. Es wird im Antrag gefordert, eine Unterrichtung darzustellen. Ich weiß nicht, inwiefern das möglich ist, sich den Antrag in den Ausschuss zu ziehen. Herr Koplin, da würde ich Sie bitten, das noch mal zu prüfen, weil wir das dann unterstützen würden.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Denn ich denke, wir müssen uns hier als Landtag ernst nehmen, um gerade solche Berichte, wenn sie aus unserem Land kommen, ernst zu nehmen und dann wieder hier im Landtag, nachdem wir im Sozialausschuss darüber diskutiert haben, noch mal die Ergebnisse vorzustellen. Ich denke, das ist nicht mit einer Unterrichtung getan, sondern es gibt Handlungsanweisungen und die müssen für uns gesichert werden.

Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich nach wie vor für die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes ein. Da werden wir auch nicht lockerlassen. Ich denke, das wird DIE LINKE mit uns zusammen tun, und ich hoffe, dass der zukünftige Doppelhaushalt dem auch Rechnung trägt. Was nützt es denn, wenn wir Anhörungen haben und bestimmte Punkte immer wieder genannt, aber dann ignoriert werden? Das frustriert auf Dauer.

Und, Frau Hesse, niemand,...

(Torsten Renz, CDU: Haben Sie denn Anträge gestellt, muss man dann mal fragen?)

Wir haben Anträge gestellt, es gibt ganz konkret welche, und, Herr Renz, Sie waren in dem Ausschuss und Sie wissen, wie die Diskussion geführt wurde.

(Torsten Renz, CDU: Da haben Sie eine Entschließung beantragt. Da stand drin, wir sind für den Weltfrieden.)

… niemand wird dieses Land schlechtreden, aber es nützt auch nichts, Dinge immer wieder schönzureden, wenn die Realität eine andere ist. Wir werden uns in der Opposition immer wieder dafür einsetzen, dass die Gesichter der Armut, wie sie in dem Forschungsbericht benannt werden, keine Schicksale sind, die man niemandem wünscht oder gönnt. Denn es ist wirklich schlimm zu lesen – und ich hoffe, das hat jeder getan –, dass, wenn Menschen über ihr Leben der letzten 20 bis 25 Jahre berichten, sie in vielen Punkten keine Perspektive sehen. Lassen Sie uns diesen Forschungsbericht nehmen, damit wir hier gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit kämpfen! – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Rudolf Borchert, SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau FriemannJennert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dem Dank an die Sozialverbände, die für Hilfsangebote vieler Art stehen, schließe ich mich an dieser Stelle selbstverständlich sehr gern an.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Sehr geehrte Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, wenn ich mich recht entsinne, haben Sie am 23.04. das letzte Mal einen Antrag zum Thema Armutsberichterstattung gestellt. Damals war es der Bericht der Paritäter für das Jahr 2013 und zwischendurch versuchten Sie noch einmal, der Regierung Ignoranz von Kinderarmut zu unterstellen. Dieses Mal geht es um den Forschungsbericht „Aspekte der Armut in Mecklenburg-Vorpommern“, den die AWO in Auftrag gegeben hat. Dieser wurde auf der Landespressekonferenz im September vorgestellt und auch in der Presse diskutiert. Uns war natürlich klar, dass Sie das Thema aufgreifen werden.

Ich erkläre Ihnen also immer wieder gern, dass wir als CDU-Fraktion im Landtag um die verschiedenen Armutsaspekte wissen und dass die Koalition sehr wohl ihre Konsequenzen aus den Berichterstattungen, Forschungen und allen möglichen Sozialraumanalysen zieht. Außerdem haben wir einige Aspekte Ihrer Intention auch in der Enquetekommission auf dem Zettel. Ich glaube, Sie wissen, dass uns auffällt, dass sich einige Forschungsergebnisse aus der Kommission und aus dem AWO-Bericht sehr ähneln.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Zumindest wird klar, dass es in dieselbe Richtung geht.

Armut, meine Damen und Herren, trifft viele verschiedene soziale Gruppen. Wir haben Ihnen schon mehrfach gezeigt, was wir in unserem Bundesland gegen die Armut tun und auch was die Bundesregierung diesbezüglich tut. Daher ist es nicht notwendig, Konsequenzen aus einem einzigen Forschungsbericht zu ziehen. Wie wir es gerade lernen, ändern sich Situationen manchmal in kurzer Zeit und vermeintlich in Beton gegossene Annahmen sind Schnee von gestern.

Der Bericht empfiehlt eine regelmäßige Sozial- und Armutsberichterstattung für Mecklenburg-Vorpommern, die die Ursachen und Auswirkungen von Armut untersucht und beschreibt. Was aber bringt uns das letztendlich? Ich glaube, dass es uns eher hilft, den Blick konsequent auf das zu richten, was in Arbeit mündet und was zu einem Auskommen führt und damit auch zu einer gewissen Zufriedenheit.

Ich möchte allerdings auch sagen, dass mir an dem Forschungsbericht gefällt, dass in ihm von „Armut in einem reichen Land“ gesprochen wird und die geführten Interviews uns vor Augen führen, wie die einzelnen Gesprächspartner in ihre Lage gekommen sind beziehungsweise auch wieder heraus. Daran wird deutlich, wie individuell sich Lebensläufe entwickeln, egal was letztendlich den Ausschlag dazu gegeben hat. Repräsentativ ist das sicherlich nicht, aber tendenziell spielen tatsächlich Alleinerziehende und gering Qualifizierte, Frauen, Arbeitslose und Rentner die größte Rolle.

Gewundert hat mich ein bisschen, dass nur halb hingeschaut wurde bei der Armutsgefährdungsquote. Da wird