Und weiter heißt es in diesem Bürgerbegehrensbericht, dass von 86 zwischen 1994 und 2014 in MecklenburgVorpommern eingeleiteten Bürgerbegehren 47 für unzulässig erklärt worden sind. Das sind 55 Prozent. 55 Prozent aller Bürgerbegehren wurden in unserem Land in den letzten 20 Jahren für unzulässig erklärt. Das ist der zweithöchste Wert in Deutschland. Ganz so das rote Schlusslicht sind wir nicht, aber ich glaube, auch mit dem zweitletzten Platz von hinten kann man sich nicht zufriedengeben.
Meine Fraktion teilt die Einschätzung des Vereins Mehr Demokratie e. V., dass dies ein deutliches Indiz dafür ist, dass die Verfahrensanforderungen für ein Bürgerbegehren und für Bürgerentscheide im Allgemeinen in Mecklenburg-Vorpommern zu restriktiv sind. Und diese Missstände, die dieser Bürgerbegehrensbericht ja hervorgearbeitet hat, verwundern nicht, denn die Regelungen zu direktdemokratischen Verfahren auf kommunaler Ebene stammen aus welchem Jahr? Schätzen Sie? Seit wann ist das nicht mehr angefasst worden?
Nein, so lange müssen wir nicht zurück, aber seit 1994 wurden die nicht mehr angefasst und wurden nicht mehr weiterentwickelt. Und ich glaube, dass diese Regelungen nicht mehr den Anforderungen unserer heutigen Zeit entsprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dieser Gesetzeslage werden den engagierten Bürgerinnen und Bürgern in unserer Gesellschaft der Glaube und die Überzeugung an die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie systematisch genommen. Ich will das an einem Beispiel ganz konkret festmachen.
Vielleicht wissen Sie es, wenn man ein Bürgerbegehren anschiebt, muss man erst mal ein bestimmtes Unterschriftenquorum hier in Mecklenburg-Vorpommern erreichen, und dann prüft die Verwaltung, ob dieses Bürgerbegehren dementsprechenden Anforderungen genügt, also ob es richtig formuliert wurde, ob die Themen überhaupt zulässig sind, ob es unter die Themenausschlüsse der Kommunalverfassung fällt und, und, und.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt Bundesländer in dieser Bundesrepublik Deutschland, in denen das genau andersherum gemacht wird. Da geht man erst zur Verwaltung, es wird geprüft, ob das ein zulässiges Bürgerbegehren wäre, dann wird da ein Bescheid ausgestellt und anschließend begeben sich die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg und sammeln die Unterschriften.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt nichts Frustrierenderes für engagierte Bürgerinnen und Bürger, wenn sie das Quorum erreicht haben, mit leuchtenden Augen in die Stadtverwaltung rennen, diesen Stapel an Unterschriften abgeben und dann sagt die Stadtverwaltung: Pustekuchen, das war alles für den Papierkorb. Das können Sie noch mal machen, weil es eben hier oder da den entsprechenden Voraussetzungen nicht standhält beziehungsweise nicht entspricht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was hier in unserem Bundesland passiert, ist eine Frustrationsmaschinerie, der wir besser heute als morgen Einhalt gebieten müssen.
wir GRÜNE haben ja in den vergangenen Jahren immer wieder entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt, um diese Missstände abzustellen.
Sie erinnern sich sicherlich an diverse Kommunalverfassungsänderungen, und da schallte uns – vielleicht hören wir das heute wieder – entgegen, das seien nur zu kleine Änderungen, dafür fasse man die Kommunalverfassung nicht an. Nun, Herr Müller, drei Jahre, fast vier Jahre später stehen wir immer noch hier im Parlament.
(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und die Kommunalverfassung hat sich immer noch nicht geändert.)
Es hat sich immer noch nichts bewegt. Die Kommunalverfassung hat sich immer noch nicht geändert. Und wir müssen feststellen, in dieser Legislatur wird die Kommunalverfassung vermutlich nicht mehr angefasst.
Nicht nur bei uns hat sich eine Reihe von Änderungsvorschlägen und Änderungsbedarfen angesammelt, auch beim Städte- und Gemeindetag und beim Landkreistag liegen diverse Änderungsvorschläge. Und diese Koalition hat fünf Jahre lang an diesem Zustand nichts geändert. Das finde ich sehr schade.
Wir könnten uns heute noch auf den Weg machen, dann schaffen wir es vielleicht noch in dieser Legislatur. Aber die großen vollmundigen Versprechungen, dass sich diese Koalition auf den Weg machen wird, um das mit einem großen Aufwasch, mit einer großen Änderung und einer großen Novelle der Kommunalverfassung abzuar
So, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte allerdings jetzt noch mal auf inhaltliche Änderungspunkte eingehen, die können Sie auch unserem Antrag entnehmen. Der Antrag ist übrigens dem Umstand geschuldet, dass wir es nicht mehr für nötig gehalten haben, entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen. Wir haben das bereits erfüllt, wir haben das schon mehrfach gemacht in dieser Legislatur, und jetzt spielen wir einfach mal den Ball an Sie, an die Landesregierung, mit diesem Antrag, um auszuarbeiten, um zu sehen, was Sie denn für Änderungsbedarfe bei diesem direktdemokratischen Verfahren sehen. Also werfen Sie es uns bitte nicht vor, wir haben die Arbeit geleistet, wir haben da bereits bewiesen, dass wir entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt haben.
Also, Herr Müller, ich weiß, dass es wieder kommen wird. Schauen Sie in die Vergangenheit! Wir können sofort diese Änderungen der Kommunalverfassung aus der Schublade holen. Aber es geht mir heute darum – deswegen haben wir einen Antrag daraus gemacht –, in die politische Diskussion zu kommen, was in dieser Legislaturperiode gemacht wurde oder eben nicht gemacht wurde.
Es geht uns GRÜNEN und auch dem Verein Mehr Demokratie e. V. vor allem um folgende Regelungen: Gemäß Paragraf 20 Absatz 2 der Kommunalverfassung findet hier ein Bürgerentscheid nicht statt über die innere Organisation der Verwaltung, die Rechtsverhältnisse der für die Gemeinde haupt- oder ehrenamtlich tätigen Personen, Entscheidungen im Rahmen des gemeindlichen Haushalts-, Rechnungsprüfungs- und Abgabenwesens und in diesem Rahmen auch Entscheidungen über Entgelte und kommunale Betriebe, Entscheidungen nach Paragraf 36 des Baugesetzbuches, die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen sowie sonstige Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen, wasserrechtlichen oder vergleichbaren Zulassungsverfahrens zu entscheiden sind, die Beteiligung an kommunaler Zusammenarbeit, Satzungen – also ich könnte das jetzt noch weiter ausführen –, …
… durch die ein Anschluss- oder Benutzungszwang geregelt wird, sowie Anträge, die ein gesetzeswidriges Ziel verfolgen.
Also das war der Negativkatalog aus der Kommunalverfassung. Herr Müller hat ihn bestätigt. Sie merken, der ist verdammt lang,
und auch im bundesdeutschen Vergleich ist er verdammt lang, denn wir haben andere Bundesländer, wo dieser Negativkatalog, wie er so schön heißt, sehr viel kürzer ist.
In dem Bürgerbegehrensbericht von Mehr Demokratie e. V. heißt es dazu, ich zitiere: „In Mecklenburg-Vorpommern findet man mit zehn Prozent aller Verfahren deutlich weniger Verkehrsprojekte als im Bundesdurchschnitt“. Der liegt dort etwa bei 16 Prozent. „Hier dürfte sich auswirken, dass die Bauleitplanung und die Flächennutzungsplanung keine zulässigen Themen sind. Aus diesem Grund waren … fast alle Bürgerbegehren unzulässig, die … Müllverbrennungsanlagen oder das Fällen von Bäumen zum Gegenstand hatten. Gerade dies sind jedoch Themen, bei denen der Wunsch nach Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung besonders ausgeprägt ist.“
Ein Beispiel für einen kurzen Negativkatalog, Herr Müller, ist der Artikel 18a Absatz 3 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern. Da spreche ich gar nicht Sie an, da spreche ich mal die CDU an. Das schwarz-regierte Bayern von Herrn Seehofer führe ich jetzt mal hier als Vorbild an. Also ich zitiere aus dem Artikel der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern, Zitat: „Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über Angelegenheiten, die kraft Gesetz dem ersten Bürgermeister obliegen, über Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung, über die Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder, der Bürgermeister und der Gemeindebediensteten und über die Haushaltssatzung.“ Zitatende.
Das sind immer noch weitreichende Ausschlüsse. Aber Sie sehen, das sind weitaus weniger Ausschlüsse als hier in Mecklenburg-Vorpommern, und ich weiß nicht, warum das, was für Bayern gelten kann, nicht auch für Mecklenburg-Vorpommern recht und billig sein kann.
Also, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ja nicht so, dass wir GRÜNE hier wieder etwas total Weltfremdes fordern. Das tun wir übrigens nie, aber auch in diesem Fall nicht. Es gibt einfach Bundesländer, die ganz andere Regelungen haben, die sehr viel bürgerfreundlichere Regelungen haben und die uns hier eben als Beispiel dienen können. Deswegen fordern wir GRÜNE eine bürgerfreundliche Reform der Kommunalverfassung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit will ich es erst einmal sein lassen. Ich habe den Antrag eingebracht. Wir werden nachher noch auf einige Beispiele in der Aussprache eingehen, wo gerade aktuell in Mecklenburg-Vorpommern, ich sage mal, Begehren der Bürger aus verfahrenstechnischen Gründen Steine in den Weg gelegt wurden, und ich danke Ihnen zunächst für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Herr Saalfeld, Ihre Fraktion muss sich auch mal entscheiden: Gestern haben Sie sich beschwert, dass zu viele Gesetzentwürfe geliefert werden, jetzt sagen Sie, die Landesregierung muss liefern.
Mit dem vorliegenden Antrag stützen sich die GRÜNEN auf die Thesen des Vereins Mehr Demokratie e. V. und die Haltung dieses Vereins ist eindeutig: Aus seiner Sicht ist die direkte Demokratie eine bessere Demokratie als die repräsentative Demokratie.