Protocol of the Session on September 24, 2015

Postzustellern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Servicecentern dieses Landes waren bereits im Juni Thema der Aktuellen Stunde hier im Landtag. Dabei haben wir LINKEN deutlich gemacht, dass wir jegliche Einschränkung des grundgesetzlich geschützten Streikrechts ablehnen. Streiks sind kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, kollektive Interessen notfalls mittels Arbeitskampf durchzusetzen. Dabei geht es, wie im Grundgesetz nachzulesen ist, um die Wahrung und die Förderung von Arbeitsbedingungen.

(Vizepräsidentin Beate Schlupp übernimmt den Vorsitz.)

Niemand begibt sich übrigens leichtfertig in einen Arbeitskampf. Streiks sind immer die Ultima Ratio, wenn auf dem Verhandlungsweg keine Einigung erzielt werden kann. Nicht umsonst gibt es hohe Quoren, und nicht umsonst müssen sich 75 Prozent der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder im Rahmen einer Urabstimmung für einen Arbeitskampf aussprechen, bevor Betriebe tat- sächlich bestreikt werden dürfen. Zudem bedeutet Streik für die beteiligten Kolleginnen und Kollegen auch immer vorübergehende finanzielle Einbußen, denn das sogenannte Streikgeld, welches die Gewerkschaften als solidarische Unterstützungsleistung für den entgangenen Lohn auszahlen, gleicht diesen in der Regel nicht in Gänze aus.

Werte Kolleginnen und Kollegen, Streiks müssen wehtun, sonst nützen sie nichts. Dennoch dürfen Sie sicher sein, dass Gewerkschaften sehr genau abwägen und ihre Streikstrategie auch ein Stück weit daran ausrichten, wie die Bevölkerung diese aufnimmt. Die Mehrzahl der Menschen und damit die öffentliche Meinung hinter sich zu wissen, erhöht natürlich die Aussichten auf einen erfolgreichen Ausgang von Arbeitskämpfen.

Studierte man die Medien im Laufe dieses Jahres, wurde man trotz der von mir geschilderten Umstände den Eindruck nicht los, als befände sich Deutschland im Ausnahmezustand. Richtig ist natürlich, dass die Auswirkungen der Bahn- und Poststreiks ebenso wie die Streiks in den Kindertagesstätten bezüglich der konkreten Auswirkungen deutlich spürbarer sind als in anderen Branchen. Rein zahlenmäßig gehört die Bundesrepublik aber nach wie vor zu den streikärmsten Ländern Europas. Deshalb will ich in dem Zusammenhang noch einmal die Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung für den Zeitraum von 2005 bis 2013 in Europa nennen. Auf 1.000 Beschäftigte entfielen hierzulande im Jahresdurchschnitt 16 Ausfalltage, in Großbritannien 23, in Belgien 77, in Dänemark 135 und in Frankreich gar 139 Tage.

Dennoch wurde zwischenzeitlich das umstrittene Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Es zielt nach Inhalt und Begründung darauf ab, die Aktivität streikfähiger und streikbereiter Berufsverbände einzuschränken. Gesagt wird das so freilich oftmals nicht. Tatsächlich wird aber bei mehreren im Betrieb existierenden Gewerkschaften nur der Tarifvertrag der größeren, mitgliederstärkeren Gewerkschaft anerkannt. Streiks sind folglich für die kleinere Gewerkschaft nicht mehr zulässig, denn in den Arbeitskampf darf sie eigentlich nur dann treten, wenn dieser letztlich der Erzielung eines Tarifvertrages dient. Da die kleinere Gewerkschaft aber faktisch dazu gar nicht mehr fähig ist, wäre der Arbeitskampf automatisch unzulässig.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

So kann es auch nicht verwundern, dass gegen das Tarifeinheitsgesetz bereits am 10. Juli 2015, wo es in Kraft trat, auch Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde. „Die meisten Juristen seien von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt“,

(Torsten Renz, CDU: Aber das Thema haben wir doch schon behandelt, Herr Foerster.)

wird Olaf Deinert von der Universität Göttingen im „Deutschlandfunk“ zitiert. Dennoch wurde das Gesetz von der Bundesregierung auf den Weg gebracht.

Zu den Gründen äußerte sich Deinert in besagtem Beitrag wie folgt, Zitat: „Möglicherweise hat man das Gesetz sogar gemacht in der Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht die Kohlen wieder aus dem Feuer holt und sagt, das ist alles verfassungswidrig. Dann habe ich … mir als Gesetzgeber nichts zuschulden kommen lassen, ich habe das gewünschte Gesetz gemacht und dann hat’s das Bundesverfassungsgericht wieder kassiert. Wenn das so wäre, fände ich es skandalös, wenn man den Schwarzen Peter zum Bundesverfassungsgericht schiebt.“ Zitatende. So weit, so schlecht.

Wer nun gedacht hat, damit wäre das Thema bis zur abschließenden Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht vom Tisch, hat sich getäuscht, denn offenbar reicht manchem in der CDU und CSU die Regelung noch nicht aus.

(Torsten Renz, CDU: Oh, nee!)

Schon in der Aktuellen Stunde hier im Landtag, Herr Renz, verwies mein Fraktionsvorsitzender Helmut Holter auf ein Papier des CDU-Wirtschaftsflügels. In diesem Eckpunktepapier wurde die Einschränkung des Streikrechts in den Bereichen der Daseinsvorsorge – und darum geht es hier heute – gefordert.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Viele der Inhalte, die man dort lesen konnte, fanden Eingang in die Bundesratsinitiative des Landes Bayern, zu deren Ablehnung wir Sie heute mit diesem Antrag auffordern. Wieder einmal wird erklärt, dass man nicht vorhabe, das Streikrecht einzuschränken, sondern lediglich die Bürger vor den Auswirkungen von Streiks in den besonders sensiblen Bereichen der Daseinsvorsorge zu schützen. Aber was bedeuten nun die von Bayern angeregten weitergehenden Änderungen wirklich?

Zunächst einmal wären Schlichtungsverfahren verbindlich. Übersetzt bedeutet das: Für den Fall, dass Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis kommen, dürfte durch die Beschäftigten kein Druck mehr durch Streikaktionen ausgeübt werden, denn während solcher Schlichtungsverfahren herrscht Friedenspflicht, in der die Beschäftigten die Arbeit nicht zur Durchsetzung ihrer Interessen niederlegen dürfen. Der bayrische Vorschlag, Streiks vier Tage vorher ankündigen zu müssen, nimmt dem Instrument seine Wirkung, denn binnen vier Tagen bliebe natürlich genügend Zeit, die Auswirkungen eines solchen Streiks aufzufangen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Wie das unter den heutigen Bedingungen funktioniert, hat der Poststreik gezeigt, bei dem kurzfristig Beamte

und Leiharbeiter zur Abmilderung der Streikfolgen zum Einsatz kamen.

Vollends paradox wird es dann, wenn es heißt, ein Streikfahrplan ist offenzulegen. Da fehlt eigentlich nur noch die freundliche Einladung an den Arbeitgeber zum Grillen an der Feuertonne vor dem Werkstor. Arbeitskämpfe zielen doch letztlich darauf ab, öffentlich wahrnehmbaren und wirtschaftlich spürbaren Druck zu entfalten. Folglich sind sie dann effektiv, wenn einzelne Bereiche sehr flexibel zu Streiks aufrufen und diese auch jederzeit wieder beenden können. Dadurch wird der Einsatz von Streikbrechern erschwert, da die Beschäftigten jederzeit ihre Arbeit wieder aufnehmen könnten, um Lohnkosten zu verursachen.

Nicht zuletzt sollen Notdienstvereinbarungen gesetzlich vorgeschrieben werden. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Streiks immer die Ultima Ratio sind und es auch darum geht, die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben. Deshalb verhandeln Gewerkschaften in sensiblen Bereichen natürlich in der Regel Notdienstvereinbarungen. Stellen Sie sich doch mal einen Moment vor, was in der Öffentlichkeit los wäre, wenn in der Konsequenz einer fehlenden Notdienstvereinbarung im Rahmen eines Streiks, beispielsweise an einem Klinikum, ein schwerkranker Mensch nachweislich zu Schaden käme!

Der Antrag aus Bayern verlangt allerdings, dass Notdienstvereinbarungen zwingend im Vorfeld vereinbart werden müssen. Das schränkt das Streikrecht erneut ein, denn Verhandlungen lassen den Gewerkschaften auch die klare Möglichkeit abzuwägen, inwieweit eine zu umfassende Regelung den Streik an sich verhindern könnte. Gäbe es also künftig die gesetzliche Pflicht zum Abschluss von Notdienstvereinbarungen vor Streikbeginn, stünde zu befürchten, dass die Arbeitgeberseite dies nutzt, um deren Ausgestaltung so komfortabel zu fordern, dass die Wirkung des Streiks verpufft.

Anders als beim Tarifeinheitsgesetz, wo der Riss – leider, muss man sagen – quer durch den DGB geht, ist man sich bei der Bewertung der neuen bayerischen Vorschläge gewerkschaftsseitig einig. So bezeichnete der DGBVorsitzende in Bayern, Matthias Jena, die Initiative der CSU-Staatsregierung als, Zitat, „plumpe Lobbypolitik für Konzerne“, bei der die Freiheit und die Interessen der Beschäftigten verkauft würden. Anders als beim Tarifeinheitsgesetz äußern sich hier auch SPD-Abgeordnete klar und eindeutig dagegen. So sagte beispielsweise der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bayerischen Landtag, Markus Rinderspacher, Zitat: „‚Die CSU reitet eine Attacke auf die Tarifautonomie.‘“

(Torsten Renz, CDU: Die hat ja auch Minderheitenschutz da, die SPD.)

„‚Sie will sie zugunsten der Arbeitgeber und zu Lasten der Arbeitnehmer beschneiden. Das ist vollkommen inakzeptabel.̒ Was als vermeintliches Entgegenkommen an den streikgeplagten Bürger daherkomme sei in Wahrheit populistische Augenwischerei.“ Zitatende.

Man möchte in Richtung SPD sagen, mein Gott, jetzt hat sie es! Stimmen Sie unserem Antrag also zu! Mit dem Tarifeinheitsgesetz liegt bereits ein umstrittenes Gesetz beim Bundesverfassungsgericht. Bescheren wir den Richtern nicht noch mehr Arbeit und lehnen wir gemein

sam die Schaffung eines Zweiklassenstreikrechts in der Bundesrepublik Deutschland ab! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Torsten Renz, CDU: Steht die Beschluss- fassung im Bundestag unmittelbar bevor?)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Vertretung für die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales. Bitte schön, Herr Brodkorb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Wiederholung ist ja ein probates Mittel der Pädagogik. Die Sozialministerin hatte schon einige Male gesagt – und erst kürzlich hat sie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Foerster auch noch niedergeschrieben –,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wie agieren Sie denn im Bundesrat?)

sie sieht gegenwärtig keinen Bedarf, das Streikrecht im Bereich der Daseinsvorsorge zu reformieren, zu novellieren, oder wie Sie es auch immer nennen wollen. In Bayern sieht man das offensichtlich anders, deshalb dieser Entschließungsantrag, den Herr Foerster eben skizziert hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Haltung des Sozialministeriums kennen Sie. Unabhängig davon, wie die Landesregierung als Ganzes sich zu dem Antrag aus Bayern verhalten wird, ist schon jetzt absehbar, dass er keine Mehrheit finden wird. Auch wenn die Abstimmung im Innenausschuss des Bundesrates noch aussteht – sowohl der Ausschuss für Arbeit, Integration und Soziales im Bundesrat als auch der Wirtschaftsausschuss im Bundesrat haben mehrheitlich gegen die Bayern votiert.

Eine Mehrheit im Bundesratsplenum wird sich also kaum finden lassen, sicherlich auch, weil der Bundestag gerade das Tarifeinheitsgesetz beschlossen hat, dessen Auswirkungen erst einmal in der Realität der Tarifauseinandersetzung ankommen müssen. Ich danke Ihnen also für die Argumentationshilfe, sie ist gar nicht mehr nötig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Burkhard Lenz, CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Renz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war schon recht interessant für mich, wie Herr Foerster für DIE LINKE seinen Redebeitrag eingeführt hat, sinngemäß so: Jegliche Einschränkungen werden von der Fraktion DIE LINKE abgelehnt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja.)

Das zeigt, man ist nicht bereit, überhaupt in den Dialog zu treten. Man zurrt Positionen fest in der Politik.

(Heiterkeit bei Henning Foerster, DIE LINKE: Herr Renz!)

Sich festzulegen und etwas für alternativlos zu erklären, für nicht verhandelbar,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wir sind nicht so beliebig wie Sie.)

das kann man sicherlich in der Opposition machen, Herr Foerster,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie steht ihr denn dazu?)

aber mit Blick auf die Realität, dass sich die Welt ändert, dass sich Gegebenheiten verändern, dass man Prozesse beobachtet und in den Dialog tritt beziehungsweise in die Diskussion, ist das vielleicht den politischen Kräften vorbehalten, die auch anstreben, in Regierungsverantwortung zu arbeiten, und nicht einfach sagen, so ist es und mit uns ist es nicht zu machen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Insofern sollten Sie mal andere Ambitionen im Bereich der Politik haben.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Streikrecht!)

Als Fraktion DIE LINKE sollten Sie vielleicht mal über Strategie und Taktik