Protocol of the Session on March 11, 2010

(Irene Müller, DIE LINKE: Sie haben das zusammengeschrumpft. Das ist die Wahrheit! – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Die müssen dann auch damit leben, dass man ihnen widerspricht.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Insofern will ich noch einmal sagen, die Anlage dieses Gesetzes ist richtig und zeigt auch eine positive Wirkung. Wir müssen sicherlich, und dazu hat das Bundesverfassungsgericht klare Aufgaben gegeben, in wesentlichen Punkten nachbessern. Das wird auch geschehen, da bin ich ganz sicher. Das wird aber nicht den Grundcharakter dieses Gesetzes verändern. Das glaube ich nicht. Und das wird auch vernünftig sein, dieses so anzulegen, wenn es um die Änderungen geht.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das ist das Problem. Das ist das Problem.)

Darf ich noch einmal eine Nachfrage stellen?

Gestatten Sie eine weitere Frage der Abgeordneten?

Ja.

Bitte schön.

Herr Seidel, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eigentlich schon eine Begründung dafür gegeben, dass es doch notwendig ist, noch einmal in das Land Mecklenburg-Vorpommern zu kommen. Sie sagen selber, die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich und Sie tragen das nicht mit. Wenn es denn Unterschiede gibt, warum macht die Bundesregierung keine Untersuchung ganz spezifisch in den einzelnen Ländern? Dann könnte ich mit Ihrer Auffassung mitgehen. Wenn es aber so nicht ist – und Sie selbst sagen, es gibt spezifische Besonderheiten in den einzelnen Ländern –, dann muss man dem doch durch eine eigene Untersuchung gerecht werden.

Noch einmal: Was ich gesagt habe, ist Folgendes: Sie hatten mich gefragt, wie der Ausstieg aus Langzeitarbeitslosigkeit ist. Da habe ich gesagt: Das ist natürlich unterschiedlich in den Ländern. Aber dazu brauche ich keine Untersuchungen zu machen. Das weiß ich.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das weiß ich.)

Das ist völlig klar.

(Irene Müller, DIE LINKE: Aber dann muss man das doch auch entsprechend politisch begleiten.)

Das ist doch logisch, Frau Borchardt, das wissen Sie auch, dass da, wo wirklich viele Arbeitskräfte nachgefragt werden, die Chance größer ist. Und nun wird es

so kommen, dass durch die demografische Entwicklung jetzt auch bei uns die Chance für Langzeitarbeitslose erheblich steigen wird, aus dieser Situation herauszukommen. Aber man muss eben passgerecht qualifizieren. Da gibt es sicherlich Defizite, aber die habe ich angesprochen.

Vielen Dank.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schulte für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde hier in diesem Haus zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE „Hartz IV überwinden – grundlegende Änderungen auf den Weg bringen“ debattiert. Die Debatte damals fand vor dem Hintergrund der noch nicht getroffenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts statt. Nun habe ich darauf verzichtet, nachzulesen, wer in diesem Parlament damals in der Debatte etwas gesagt hat und was gegebenenfalls nicht gesagt wurde. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir dann doch gestattet, zumindest meinen eigenen Redetext durchzusuchen oder durchzusehen, um nachzuschauen, ob das, was ich damals für meine Fraktion gesagt habe, und die Auffassung, die ich damals vertreten habe, aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hätte revidiert werden müssen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an dieser Stelle die damaligen Kernaussagen noch einmal aufgreifen:

Erstens. Hartz IV war – das habe ich damals deutlich gesagt – und ist derzeit noch die finanziell unzureichende Absicherung einer Vielzahl von Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen.

Zweitens. Hartz IV ist der Anspruch an den Einzelnen, aber doch vor allem auch an die Gesellschaft, den Einzelnen schnellstmöglich wieder in Arbeit zu bringen.

Drittens. Hartz IV ist durchaus der richtige Ansatz gewesen, die zu Betreuenden aus dem Dschungel verschiedener Zuständigkeiten oder Unzuständigkeiten zu befreien, um ihnen zumindest die Chance auf eine erfolgsorientierte Vermittlung in den Arbeitsmarkt zu geben.

Vor dem Hintergrund, was ich hier in diesem Haus wiederholt für meine Fraktion erklärt habe, und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, zu dem ich auch heute noch ohne Einschränkung stehe, lassen Sie mich an dieser Stelle dann zwei Dinge klarstellen:

Es gibt erstens keinen Grund, die damaligen Aussagen vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu revidieren – im Gegenteil, meine Fraktion und ich sehen uns vielmehr in unserer bisherigen Auffassung bestätigt.

Und zweitens, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, weder meine Fraktion noch die SPD in diesem Land braucht einen Antrag der Fraktion DIE LINKE, um deutlich zu machen, dass wir eine bedarfsgerechte Ermittlung gerade der Regelsätze für Kinder und Jugendliche begrüßen, um an dieser Stelle das vielleicht auch noch einmal klarzustellen, dass wir ausdrücklich damit auch die Erwartung verbinden, dass gerade die Regelsätze für Kinder und Jugendliche erhöht werden, und zwar so erhöht werden, dass sie Kindern und

Jugendlichen dann auch eine echte Chance auf Zugang und Teilhabe an Bildung eröffnen, so, wie das Bundesverfassungsgericht das auch gefordert hat.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, an dieser Stelle möchte ich mir noch einen weiteren dezenten Hinweis an Sie erlauben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil kritisiert, dass die konkrete Ermittlung der Regelleistung nicht verfassungskonform sei. Bei der Ermittlung der Regelleistung seien in nicht nachvollziehbarer und nicht transparenter Weise Wertungen vorgenommen worden, die beispielsweise zu willkürlichen Abschlägen bei der Regelsatzbestimmung geführt hätten. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht auch kritisiert, dass nicht die tatsächlichen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen ermittelt würden. Was aber das Bundesverfassungsgericht gerade nicht getan hat, auch wenn meine Fraktion und ich persönlich durchaus eine Erhöhung der Regelsätze begrüßen und für sinnvoll halten, ist, das Gesetz insgesamt als verfassungswidrig zu verwerfen.

Wenn Ihnen das dann noch nicht klar sein sollte, empfehle ich Ihnen dazu ein Flugblatt der Fraktion DIE LINKE im Bundestag „Hartz IV und Karlsruhe: Was nun?“ Dort heißt es unter Ziffer 1 wörtlich: „Nein. Das Gesetz ist durch das Gericht nicht verworfen worden.“

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, wenn wir schon dabei sind, festzustellen, was das Bundesverfassungsgericht gesagt und was es nicht gesagt hat, dann noch eine folgende Anmerkung: Auch wenn zwischen den Fraktionen der Linkspartei und der SPD sicherlich Einigkeit besteht, dass die bisherigen Regelsätze einer Annäherung bedürfen – ich habe es für meine Fraktion eben schon einmal verdeutlicht –, das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Aussage ausdrücklich nicht getroffen. Im Gegenteil, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht die nicht verfassungskonforme Art der Ermittlung, nicht aber eine verfassungskonforme Höhe der Regelsätze festgestellt habe.

Auch hierzu, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, erlaube ich mir noch einmal, auf das eben schon genannte Flugblatt zu verweisen. Da heißt es dann nämlich auch: „Das Gericht hat aber darauf verzichtet, ausdrücklich festzustellen, dass die aktuellen Regelsätze zu gering sind, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu garantieren“. Das kann man anders sehen. Ich sehe das anders, ob das Existenzminimum tatsächlich menschenwürdig ist, aber zumindest das Bundesverfassungsgericht hat das so nie festgestellt.

Und damit, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, um auf Ihren Antrag zu kommen, beantwortet sich auch bereits die Frage nach dem Handlungsbedarf, der sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil weder die absolute Höhe der Regelsätze infrage gestellt noch das Verfahren zur Bemessung der Regelsätze anhand der Verbrauchsausgaben unter Einkommensgruppen als grundsätzlich ungeeignet bezeichnet. Kritisiert wurde durch das Bundesverfassungsgericht vielmehr, dass einzelne Verbrauchsausgaben ohne nähere Begründung als regelsatzrelevant und andere eben nicht als regelsatzrelevant anerkannt wurden. Dieses gilt es entsprechend zu ändern.

Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht weiter klargestellt, dass die Leistungen des SGB II der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins dienen müssen. Das beinhaltet neben der rein physikalischen Existenz auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Ein zukünftiger verfassungskonformer Regelsatz insbesondere bei Kindern und Jugendlichen muss daher gerade auch Aufwendungen für Bildung, Freizeit, Unterhaltung und Kultur beinhalten.

Dies, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die Position der Bundes-SPD, der hiesigen SPD-Landtagsfraktion, und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es diesbezüglich einen Dissens zwischen der SPD-Fraktion und dem von ihr gestellten und dem diese Landesregierung führenden Ministerpräsidenten gibt. Auch damit hat sich dieser Teil des Antrages von Ihnen erledigt.

Was Äußerungen Dritter im Hinblick auf eine Nichtanhebung der Regelsätze angeht, gleich, ob dieses durch den Bundesfinanzminister oder andere getätigt wurde, sind diese aus Sicht der SPD-Fraktion weder für unser Handeln in diesem Land noch für eine Bemessung der zukünftigen Regelsätze maßgeblich. Maßgeblich ist für uns allein die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wer das Bundesverfassungsgericht ernst nimmt, der ist verpflichtet, die Regelsätze verfassungskonform zu ermitteln, auch wenn dieses aus Sicht meiner Fraktion aller Voraussicht nach mit einer Erhöhung verbunden sein wird.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wer das Bundesverfassungsgericht und seine Entscheidungen ernst nimmt, der sollte im Ergebnis auch endlich auf Bundesebene seinen Widerstand gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aufgeben. Wenn heutzutage eine Vielzahl von Vollzeitbeschäftigten so wenig verdient, dass der Abstand zwischen ihrem Arbeitseinkommen und den Einkünften von Leistungsbeziehern im Regelkreis des SGB II immer geringer wird, dann ist nicht die Kürzung der Regelsätze die Antwort, sondern die Erhöhung und Sicherung der Arbeitseinkommen durch gesetzliche Mindestlöhne.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung auf den Schutz der Menschenwürde abstellt, dann ist eines klarzustellen: Zur Menschenwürde gehört auch die finanzielle Anerkennung für die geleistete Erwerbsarbeit.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich dann noch abschließend einige kurze Anmerkungen zu fünf Jahren Hartz IV machen. Hartz IV ist trotz aller Mängel und Umsetzungsdefizite, und das hat Herr Minister Seidel eben zutreffend ausgeführt, der richtige Ansatz gewesen.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das sehen wir ganz anders.)

Wer heute die Hartz-IV-Gesetze kritisiert, sollte sich nur daran erinnern, wie denn die Situation für eine Vielzahl von Betroffenen zuvor war. Sozialhilfeempfänger standen häufig am Rande der Gesellschaft. Sie mussten für eine Vielzahl von Bedürfnissen des alltäglichen Lebens bei den zuständigen Ämtern quasi als Bittsteller Anträge stellen.

(Michael Andrejewski, NPD: Und heute nicht?! – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Sie waren in weiten Teilen ausgegrenzt von jeglichen Anstrengungen, sie wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern.

(Michael Andrejewski, NPD: Probieren Sie Hartz IV doch mal aus!)

Und eine Vielzahl von Menschen verzichtete von vornherein auf die ihnen zustehende finanzielle Unterstützung, nur um eine mögliche Stigmatisierung als Sozialhilfeempfänger zu vermeiden,

(Udo Pastörs, NPD: Wo leben Sie eigentlich, Herr Schulte?)

eine Gefahr übrigens, die mit mutwilligen Diskussionen um angeblich spätrömische Dekadenz zulasten der betroffenen Menschen fahrlässig wieder heraufbeschworen wird. Stattdessen ist seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze auch in Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II kontinuierlich gesunken.

Wir müssen aber auch feststellen, und darauf hat der Minister Seidel eben schon hingewiesen, dass beispielsweise der Wegfall der einmaligen Leistung durch die Pauschalisierung die Realität in vielen Haushalten ignoriert, indem entgegen der gesetzlichen Intention ein Ansparen für längerfristig geplante Anschaffungen kaum möglich ist. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Fördern, das zwingend mit dem Fordern verbunden sein muss, in vielen Fällen zu kurz kommt und sich so der Frust schnell steigert, wenn der Arbeitsmarkt trotz ernsthafter Bemühungen der Betroffenen keinen Job hergibt.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Denn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit der Arbeitssuchenden will, auch wenn das offensichtlich in den Köpfen manch eines Bundespolitikers noch nicht angekommen ist, arbeiten und sich und die Familie ohne Unterstützung durch die Solidargemeinschaft unterhalten können.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, diese Defizite, das haben Sie in den Redebeiträgen deutlich gemacht, sind Ihnen auch bekannt. Diese Defizite, das hat Herr Minister Seidel eben dargestellt, müssen zweifelsohne abgearbeitet werden, aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht durch Berichte, sondern dadurch, dass zum Beispiel konkret die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden, um auch denen, die bei uns im Land bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, tatsächlich eine Chance auf eine Arbeit mit angemessener Bezahlung zu geben.