Protocol of the Session on December 18, 2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Möglichkeit, sich mit Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu versorgen, ist grundlegender Bestandteil der Lebensqualität. In vielen ländlichen Räumen, nicht nur bei uns in Mecklenburg-Vorpommern, besteht seit geraumer Zeit keine Gelegenheit mehr, sich vor Ort mit Lebensmitteln, Briefmarken oder auch Bargeld zu versorgen. Oftmals waren und sind die Dorfläden auch Orte der Begegnung und des Dorfklatsches im besten Sinne. Wo sie verschwinden, geht ein wichtiges Stück Identifikation mit dem Dorf verloren.

Diese Entwicklung ist nicht neu. Die Diskussion um die wohnortnahe Grundversorgung in den ländlichen Räumen erhält vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zusätzliche Brisanz und wird sich insgesamt weiterhin verschärfen. Gleichzeitig verzeichnen wir in vielen Regionen Deutschlands auch eine Gegenbewegung, die ich als Renaissance der „Tante-Emma-Läden“ bezeichnen würde. Genossenschaftliche Initiativen wie „Unser Dorfladen“ in Baden-Württemberg, bürgerschaftliche Initiativen wie das DORV-Zentrum in NordrheinWestfalen, die CAP-Märkte als Kooperation von Caritas und EDEKA,

(Ralf Grabow, FDP: Nicht nur! Nicht nur!)

aber auch die Nahversorgeroffensive des mittelständischen Lebensmitteleinzelhandels, beispielsweise beliefert durch die Firma BeLa aus Wittenhagen bei Greifswald, ist nur eine kleine Auswahl dessen, was sich im Moment entwickelt.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Verehrte Kollegen der FDP, Sie können sicher sein, die Landesregierung weiß um die Probleme und die Heraus

forderungen, vor denen die Menschen in den ländlichen Räumen stehen. Die Landesregierung lässt auch nichts unversucht, um gute und für unser Land tragfähige Ideen aufzunehmen und zu realisieren.

Ich will Ihnen sagen: Ihr Antrag, ein Programm MarktTreff in Mecklenburg-Vorpommern aufzulegen, ist sicher gut gemeint, aber wie das Sprichwort sagt: „Gut gemeint“ heißt noch nicht „gut gemacht“.

Bereits im März 2006 hat sich das Landwirtschaftsministerium intensiv mit der Frage beschäftigt, ob und wie die Initiative unseres Nachbarlandes in Mecklenburg-Vorpommern übertragen werden könnte. Mit anderen Worten, Herr Roolf, auch die Landesregierung hatte überlegt, ob sie gute Initiativen abkupfert. Ich finde, das ist ja auch nichts Sträfliches, wenn man mal guckt.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Da war die FDP noch gar nicht im Landtag.)

So ist es.

Es wurden die Planer der MarktTreffs in SchleswigHolstein eingeladen und das Konzept sowie die Rahmenbedingungen intensiv mit den zuständigen Behörden vor Ort diskutiert. Das Fazit lautet leider: Der bundesweit bisher einzigartige Ansatz von Einzelhandel, Dienstleistung und Treffpunkt in einem Gebäude, der bei unseren Nachbarn sehr erfolgreich ist, passt nicht auf die Bedingungen in Mecklenburg-Vorpommern. Auch andere ostdeutsche Länder haben das MarktTreff-Konzept geprüft und sind zum gleichen Resultat gekommen. Dafür gibt es objektive und subjektive Gründe. Zunächst ist objektiv festzustellen, dass die MarktTreffs hoch subventioniert sind.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Aha?!)

Eine 50-prozentige öffentliche Förderung der baulichen Investition

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

inklusive Inneneinrichtung und Erstausstattung sowie Planung und Beratung stellt eine erhebliche Subventionierung dar,

(Michael Roolf, FDP: Falsch! Falsch! Alles falsch!)

die man gegenüber anderen Gewerbetreibenden erst einmal begründen muss. Ich denke, die FDP-Fraktion weiß das auch. Es erstaunt mich schon, in welcher Windeseile sie vom Gralshüter der freien Marktwirtschaft zum Subventionsbefürworter avanciert.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Schaut, schaut!)

Zweitens ist festzustellen, dass jeder MarktTreff die Akzeptanz, die Frequenz und das Engagement der Bürger in den jeweiligen Gemeinden braucht. Letztendlich entscheidet das Kaufverhalten über Erfolg und Misserfolg. Um die Existenzfähigkeit zu sichern, muss jeder Haushalt durchschnittlich ein- bis zweimal die Woche für 7 bis 11 Euro einkaufen. Dabei rechnen sich die kleinsten MarktTreffs ab 1.000 Einwohner am Ort. Ich denke, das haben Sie auch so herausgefunden. Ich habe es jedenfalls Ihrer Rede entnommen.

Die Bevölkerungsdichte in Schleswig-Holstein liegt mit 180 Einwohnern je Quadratkilometer zweieinhalbfach über der Mecklenburg-Vorpommerns. Wir haben 72 Einwohner pro Quadratkilometer. In Mecklenburg

Vorpommern haben 71 Prozent aller Gemeinden weniger als 1.000 Einwohner, 37,2 Prozent sogar weniger als 500. Die notwendige Kaufkraft, damit sich ein Laden ökonomisch dauerhaft trägt, ist in kleinen Gemeinden objektiv nicht vorhanden.

Im Übrigen gibt es in Orten mit mehr als 1.000 Einwohnern auch in unserem Land meist noch eine oder mehrere Einkaufseinrichtungen. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner liegt in unserem Land bei durchschnittlich 14.610 Euro, in Schleswig-Holstein sind es 17.779 Euro. Damit ist klar, wo die meisten Menschen vorrangig einkaufen, nämlich bei Discountern.

Damit komme ich zur dritten Rahmenbedingung. Laut aktuellem Lebensmitteleinzelhandelatlas Deutschlands 2009 hat Mecklenburg-Vorpommern mit 500 Quadratmetern Verkaufsfläche je 1.000 Einwohner den dritthöchsten Wert in Deutschland. Der Anteil der Discounter liegt bei 44,4 Prozent und ist damit der zweithöchste nach Sachsen-Anhalt. In den kleinen Städten und größeren Gemeinden im ländlichen Raum liegt der Anteil der Discounter an der Einzelhandelsfläche sogar bei weit über 70 Prozent. Im Zuge des demografischen Wandels wird bis zum Jahr 2025 die Verkaufsfläche je 1.000 Einwohner auf 567 Quadratmeter ansteigen.

Damit sind bei aller Notwendigkeit der Dorfläden als ländliche Nahversorgungs- und Gemeinschaftszen tren deren Wettbewerbschancen mehr als ungünstig. Als Partei, die für sich reklamiert, sie kenne sich aus in der Marktwirtschaft, müssten Sie spätestens jetzt über Ihren Antrag nachdenken.

Vierte und wichtigste Bedingung ist der Faktor Mensch.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Augen zu und durch!)

Das Land hat sehr wohl im Wirtschafts- und im Landwirtschaftsressort über den EFRE und ELER Instrumente, um Kleinstunternehmer in diesem Bereich zu fördern. Und das tun wir auch. Leider gibt es sehr wenige Menschen im Land, die das persönliche Risiko auf sich nehmen wollen, einen solchen Dorfladen ohne dauerhafte Subvention zu betreiben.

(Michael Roolf, FDP: Falsch!)

Hinzu kommt, dass in der Regel die Bereitschaft der Bürgerschaft im Ort fehlt, dann in ihrem Laden auch einzukaufen.

(Michael Roolf, FDP: Auch falsch! – Zuruf von Ute Schildt, SPD)

Das ist genau der Grund, weshalb sie nacheinander alle eingegangen sind, weil die Leute ein Stück weiter gefahren sind, wo sie eben günstigere Preise haben als in den kleinen Einrichtungen. Wir haben das zur Kenntnis nehmen müssen. Ich fand es schlimm, aber das hat natürlich auch seine Hintergründe, wie ich sie vorher am Einkommen auch schon ausgewiesen habe.

In der vergangenen Woche haben wir den Abschlussbericht einer durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz in Auftrag gegebenen Studie der wohnortnahen Grundversorgung und Bürgerpartizipation an einem Praxisbeispiel der Uni Rostock auf unserer Internetseite veröffentlicht. Sie macht zum einen deutlich, dass das Kopieren eines Programms eines anderen Bundeslandes nicht hilfreich ist, sie macht außerdem deutlich, dass die Diskussion um eine

nachhaltige Nahversorgung für entlegene ländliche Räume immer dringlicher wird. Keine Frage – wenn es aber stimmt, dass ländliche Räume vielfältig sind, dann braucht es auch vielfältige Lösungen.

Der ELER gibt uns bis 2013 die Möglichkeit, Initiativen umfangreich zu unterstützen. Mit dem Fördergrundsatz zur Unterstützung von dorfgemäßen Gemeinschaftseinrichtungen können wir bauliche Investitionen sogar bis zu 65 Prozent fördern. Aber auch über das Zukunftsinvestitionsprogramm des Landes werden derzeit solche dörflichen Projekte realisiert.

(Ute Schildt, SPD: Das wird gut angenommen.)

Aktuelle Beispiele, wo das geschieht, sind das Multifunktionszentrum in Groß Laasch – ich hoffe, da liege ich mit dem Kreis nicht falsch, das ist Ludwigslust – und das Dorfzentrum Altefähr auf Rügen. In beiden Vorhaben sind Einkaufsmöglichkeiten für Waren des täglichen Bedarfs integriert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung kennt die Probleme und nimmt sie ernst. Die Unterstützung von verschiedensten ortsangepassten Initiativen und Projekten im Bereich der dörflichen Grundversorgung und von Gemeinschaftseinrichtungen ist ein wichtiges Element unserer Strategie zur Entwicklung der ländlichen Räume. Wir werden keine Gemeinde, keinen Verein und keine Einzelperson abweisen, die mit einem tragfähigen nachhaltigen Konzept um Förderung bitten. Doch die Landesregierung wird kein Programm auflegen, bei dem wir aufgrund unserer spezifischen Bedingung von vornherein wissen, dass es aufgrund unserer spezifischen Situation scheitern wird. Insoweit empfehle ich dem Landtag, diesen Antrag der FDP-Fraktion in der Sache abzulehnen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Tack für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Landtag und die Regierung schulden den Bürgern, die in den ländlichen Räumen unseres Landes wohnen, eine Antwort. Und das ist die Antwort auf die Frage, wie das Grundrecht auf gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land unter Beachtung der sehr differenzierten Möglichkeiten und Voraussetzungen im jeweiligen ländlichen Raum definiert und gesichert werden kann. Genau das ist, wie Sie wissen, das Anliegen unseres Antrages gewesen, die Entwicklung ländlicher Räume zu sichern. Sie wissen auch, dass dieser Antrag zurzeit in den Ausschüssen bearbeitet wird und wir hier an dieser Stelle ausführlich darüber gesprochen haben.

Den hier nun vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion halte ich von der Thematik her für geeignet, ihn in die Diskussion über die Entwicklung der ländlichen Räume mit einzubeziehen, obwohl er mir insgesamt etwas lieblos und oberflächlich gemacht erscheint.

(Ute Schildt, SPD: Das stimmt.)

Der Zugang zur Nahversorgung mit Waren des täglichen Bedarfes, und das ist der Kern dieses Antrages, ist auf jeden Fall ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftli

chen Teilhabe, ohne Frage. Seine Sicherstellung ist erforderlich, um die im Grundgesetz geforderte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. In welcher Form jedoch diese Grundversorgung unter den Bedingungen der sich sehr differenziert entwickelnden ländlichen Räume gesichert werden kann, ist mit einem Satz ganz sicher nicht zu beantworten. Dazu ist neben einer Betrachtung der jeweiligen demografischen Entwicklung, die ich hier nicht vornehmen will, vor allem ein Blick auf den Lebensmitteleinzelhandel und die Verbrauchergewohnheiten zu werfen.

Die Entwicklungstendenzen im Lebensmitteleinzelhandel, das ist eben schon mit angeführt worden, sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass ein deutlicher Strukturwandel vom selbstständigen Einzelhändler zu Supermärkten und Discountern erfolgte – die Zahlen sind eben genannt worden – und dass damit die Zahl der kleineren nahversorgungsorientierten Verkaufsstellen stark zurückgegangen ist. Der Lebensmitteleinzelhandel befindet sich in einem intensiven Preiswettbewerb oder, besser ausgedrückt, in einem Preiskrieg.

Die typischen Standorte haben heute einen Einzugsbereich von mehr als 6.000 Menschen und Verkaufsflächen von mindestens 700 Quadratmetern. Die Tendenzen der Kunden lassen sich etwa so zusammenfassen: Der Preis entscheidet alles. Die Fokussierung liegt deshalb auf dem Billigsegment oder bei denen, die es sich leisten können, auch im sogenannten Qualitätssegment. Das mittlere Segment jedoch wird immer weiter ausgedünnt.

(Ute Schildt, SPD: Nein.)

Verbraucher entwickeln immer mehr ein Bedürfnis zum Erlebniseinkauf und eine zunehmende Einkaufsmobilität. Auch darüber ist hier schon gesprochen worden. Dies sind einige Gründe und Ursachen, warum kleine Einkaufsmöglichkeiten auf dem Lande in den letzten Jahrzehnten weggestorben sind beziehungsweise es sehr schwer haben, noch zu überleben.