Ausgangspunkt dafür war und bleibt der bereits erwähnte außerordentliche Parteitag der SED/PDS vor nunmehr 20 Jahren. Auf diesem Parteitag hat sich meine Partei gegenüber dem Volk der DDR für die Deformation der sozialistischen Gesellschaft, den Machtmissbrauch und die Verletzung von Menschenrechten entschuldigt.
Damit verbunden war die Erklärung des unwiderruflichen Bruchs mit dem Stalinismus als System. In einem für mich heute immer noch bemerkenswerten Referat formulierte damals Michael Schumann für den Arbeitsausschuss der Partei, ich zitiere: „Stalinismus bedeutete Demoralisierung und Entartung des geistigen Lebens sowie Zerstörung menschlicher Werte.“ Und Schumann forderte an meine Partei gerichtet: „Wenn wir den Stalinismus dauerhaft überwinden wollen, so dürfen wir nicht nur die Tatbestände benennen, wir haben vor allem nach den Ursachen zu fragen. Ursachen, die nicht nur zur Fortexistenz, sondern in jüngster Zeit auch zu besonderen Auswüchsen stalinistischer Herrschaft geführt haben.“ Zitatende.
Was sich heute hier so leicht zitieren lässt, das war 1989 der Beginn einer oft schmerzlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und mit der eigenen Verantwortung. Für mich als damals 30-Jährigen wog die Erkenntnis schwer,
Für die Generation meiner Großeltern und Eltern war dieser Auseinandersetzungsprozess noch viel schwieriger.
Für viele von ihnen blieb, nach Faschismus und Krieg eine andere Gesellschaftsordnung erträumt zu haben, eine andere, eine gerechtere Gesellschaftsordnung erträumt zu haben, nur ein Scherbenhaufen. Verbunden mit dieser Erkenntnis, dass auch sie dafür Verantwortung tragen.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesem Prozess heraus ist für mich nicht erst seit heute klar, eine linke, eine demokratisch-sozialistische Partei kann, darf und wird undemokratische, diktatorische, totalitäre Herrschaft nicht akzeptieren, verherrlichen oder verharmlosen.
Daraus ergibt sich für mich aber auch die Frage, ob die Aufarbeitung der Geschichte zwischen 1945 und 1989 eben allein mit der Bewertung der SED-Diktatur zu bewältigen ist. Ich bin der Auffassung, dass diese Herangehensweise, die Beschränkung auf die SED-Diktatur, die SED-Herrschaft, also auch deren Alleinverantwortung zu kurz greift.
In einem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU zum Tätigkeitsbericht der Enquetekommission „Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung“, Drucksache 2/3377 – das war die 2. Legislaturperiode, Kollege Timm –, heißt es, ich zitiere: „Vergangenheitsaufarbeitung in den Kategorien ,Täter‘ und ,Opfer‘ ist zu eng gefaßt und nicht der Realität angemessen. Die Lebenssituation der meisten Menschen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben, war mehrheitlich dazwischen angesiedelt und bewirkte, daß sie mit dem, was sie gelernt, geleistet und erfahren haben, durchaus Humanität und Menschenwürde im Alltag lebten … Diese Lebensleistung gilt es anzuerkennen.“ Zitatende.
Diese Enquetekommission, vom Kollegen Timm schon erwähnt, war für mich – damals Parlamentsneuling – ein wichtiger Punkt beim Versuch, eine objektive Geschichtsaufarbeitung zu wagen. In Erinnerung geblieben sind mir zum Beispiel die Debatten und die heftigen Dispute zwischen Herbert Helmrich und Arno Schoenenburg, Personen, deren Biografie nicht unterschiedlicher sein konnte.
Dass die Enquetekommission kein leichtes Unterfangen war, zeigt folgende Reflexion aus der „Berliner Zeitung“ vom 11. April 1996. Ich zitiere: „Auf Drängen der Sozialdemokraten haben sich SPD und CDU während der Koalitionsverhandlung 1994 auf die Einrichtung der Enquetekommission verständigt. Sie besteht aus neun Abgesandten der Parteien sowie neun Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Vertretern von Opferverbänden sowie der Kirchen. Aber nicht nur die PDS, auch die
CDU zeigte von Anfang an kein gesteigertes Interesse. Schließlich stand auch die Geschichte der DDR-Blockparteien auf dem Programm.“ Zitatende. Das ist, wie gesagt, keine Bewertung von mir, sondern eine Betrachtung von außen. Dennoch sollte sie uns auch heute noch nachdenklich stimmen.
Gestatten Sie mir deshalb noch eine weitere Betrachtung von außen. In einem Artikel im Spiegel Nummer 37 von 1994 heißt es, ich zitiere: „Der aufgewärmte Antikommunismus von CDU, CSU, aber auch FDP hat eine Schwachstelle. Deren Parteifreunde im Osten waren nun einmal nicht von Anfang an aufrechte Demokraten und im ,Widerstand‘ … gegen das DDR-Regime. Die bürgerlichen Parteien nahmen sich 1989/90, was sie kriegen konnten. Die CDU schluckte neben der Blockpartei OstCDU noch die Demokratische Bauernpartei...“,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb verstehe ich auch die Aufregung der CDU-Fraktion zur Äußerung des Chefs der Landesvertretung zur Vergangenheit der CDU nicht. Und mit der Bewertung der CDU als Blockpartei steht Staatssekretär Freund nicht alleine da. In einer Entschließung des Niedersächsischen Landtages, eingebracht von den Fraktionen von CDU und FDP zum 20. Jahrestag des Mauerfalls heißt es, ich zitiere: „Die demokratischen Parteien in der sowjetischen Besatzungszone (waren) bereits kurz nach ihrer Gründung schweren Repressalien ausgesetzt. Etliche Mitglieder mussten ihr Bekenntnis sogar mit dem Leben bezahlen. Die demokratischen Parteien wurden … als Blockparteien zwangsweise gleichgeschaltet. … Gleichwohl haben die Blockparteien in der DDR als Teil des totalitären Systems der SED mitgewirkt.“ Zitatende. Als geschichtsverdrehend empfinde ich das nicht, die Beschlusslage des Niedersächsischen Landtages, eingebracht von CDU und FDP.
Es macht mir jedoch deutlich, und das Thema ist mir zu sensibel, als dass ich hier auf Zwischenrufe antworten möchte,
es macht mir jedoch deutlich, dass Aufarbeitung der DDR-Geschichte eben nicht nur auf SED-Diktatur verkürzt werden kann.
Herr Kreher, Sie können nachher bitte Ihre Rede halten. Halten Sie sich an der Stelle wirklich mal zurück!
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Mir ist es völlig egal, ob heutige Verantwortungsträger der CDU FDJ-Propagandisten oder Mitglieder der SED waren, vielleicht aus Karrieregründen freiwillig bei der Grenzbrigade „Küste“ oder als Politoffizier gedient haben.
Das ist mir wirklich egal. Sie aber sollen bitte schön nicht so tun, als ob das alles nur Zwang, Kompromiss oder gar nicht vorhanden war.
Geschichtsaufarbeitung und -bewertung wirkt sonst wenig glaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Beginn meiner Rede habe ich auf die Debatten in meiner Partei vor 20 Jahren aufmerksam gemacht. Auch andere Parteien in der DDR befanden sich in dieser Zeit vor 20 Jahren in einem intensiven Diskussionsprozess. So ist in einem Artikel in der „Freien Erde“ vom 9. Dezember 1989 über die NDPD, eine der Quellparteien der FDP im Osten, Folgendes zu lesen. Ich zitiere: „Auf der Mitgliederversammlung der NDPD in Altentreptow haben die Parteifreunde klare Standpunkte für die Durchsetzung echter Demokratie bezogen. Die Partei ist für einen Sozialismus als Leistungsgesellschaft in Arbeit und Verteilung.“ Zitatende. Ein, wie ich finde, interessanter Gedankengang, eine Feststellung, die wiederum verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit DDRGeschichte eben nicht nur auf SED-Diktatur, auf SEDVerantwortung und ihre Verantwortungsträger reduziert werden kann.
Lassen Sie mich deshalb gern noch einmal einen Blick zurückwerfen in den schon zitierten „Spiegel“-Artikel. Ich zitiere wieder: „Ulrich Fickel war vor der Wende Chemiedozent an der Pädagogischen Hochschule Erfurt … und bewies – so seine Beurteilungen – ,täglich sein ganzes Engagement für unsere sozialistischen Arbeiterund-Bauern-Staat.‘ Auch die Staatssicherheit, so belegen Unterlagen, hatte viel Lob für ihn übrig. Als LDPDKreisvorsitzender sei Fickel“, so das Zitat aus diesen Unterlagen, „,von seiner politischen Wirksamkeit her weit höher einzuordnen als viele SED-Mitglieder‘ … Nach den geplanten Kommunalwahlen 1990 sollte ,Reservekader‘ Fickel eventuell LDPD-Chef und stellvertretender Vorsitzender des Rates des Bezirkes Erfurt werden. Dann kam die Wende, heute“ – also 1994 – „ist Fickel als FDP-Mann Wissenschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Thüringens.“
Wir brauchen aber nicht zurückzublicken. Auch Ihr Kollege Fraktionsvorsitzender im Brandenburgischen Landtag, Hans-Peter Goetz, war bis 1989 SED-Mitglied und Absolvent der Kaderschmiede der Hochschule für Staat und Recht in Potsdam, sehr geehrter Herr Roolf.
Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mir eigentlich egal. Aber bitte tun Sie nicht so, als ob das alles nur Zwang, Kompromiss oder gar nicht vorhanden gewesen war.
(Michael Roolf, FDP: Aber das war nicht freiwillig, Herr Ritter. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Zurufe von Birgit Schwebs, DIE LINKE, und Udo Pastörs, NPD)
Ein Studium an der Hochschule für Staat und Recht, wenn das nicht freiwillig war. Aber gut, dieser Zwischenruf beweist nur, dass Sie eben nicht in der Lage sind, anders wie in Ihrem Antrag formuliert, eine ehrliche Aufarbeitung auch Ihrer eigenen Geschichte vornehmen zu lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich eingangs in Punkt 4 festgestellt habe, dass wir im Umgang mit der Geschichte der DDR schon einmal weiter waren, will ich neben der bereits genannten Enquetekommission, über deren Einsetzung wir vielleicht mal wieder nachdenken sollten, auch an den Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS aus dem Jahre 1998 erinnern. Dort heißt es, ich zitiere: „SPD und PDS respektieren Unterschiedlichkeiten in ihren politischen Auffassungen und ihrer Programmatik sowie ihre unterschiedlichen Traditionen und ihre jeweilige Verantwortung für die Entwicklung in Deutschland. Sie treten gemeinsam dafür ein, daß sich Menschen in Deutschland versöhnen können. Dies kann nur durch eine wahrheitsgemäße Aufarbeitung der deutschen Geschichte seit 1945 geschehen und nicht durch Verdrängung. Die PDS bekennt sich dazu, daß die SED für politisches Unrecht in der DDR verantwortlich war. Ziel der Aufarbeitung muß es sein, Brücken zu bauen“
„und alle Menschen, die die Zukunft demokratisch und gerecht gestalten möchten, zur Mitarbeit am Aufbau Mecklenburg-Vorpommerns zu gewinnen.“ Zitatende.