Protocol of the Session on November 19, 2009

Herr Abgeordneter Reinhardt, für die Störung des Ablaufs der Sitzung erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

Bitte schön, Frau Dr. Seemann.

… wie zum Beispiel die Arbeit mit Gefahrstoffen, Mehrarbeit oder Fließbandarbeit.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Und schließlich ist die Frau jederzeit von der Arbeit freizustellen, wenn im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes nach ärztlichem Attest eine Gesundheitsgefährdung besteht. Während der gesamten Zeit des Mutterschutzes, also die 14 Wochen plus die individuellen Verlängerungen, erhält die Mutter durch das Mutterschaftsgeld 100 Prozent ihres vorangegangenen Nettoeinkommens.

(Harry Glawe, CDU: Das ist auch richtig so.)

Zusätzlich gibt es in Deutschland die Möglichkeit, sich für die Erziehung des Kindes von der Arbeit freistellen zu lassen. Dafür kann die sogenannte Elternzeit in Anspruch genommen werden, die bis zu 36 Monate umfassen kann. Für die ersten 12 Monate nach der Geburt des Kindes erhalten die Eltern als Ausgleich für den Verdienstausfall das Elterngeld, das mindestens 67 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens entspricht.

(Vincent Kokert, CDU: Das ist auch gut so.)

Zwei zusätzliche Monate Elterngeld werden gezahlt, wenn sich beide Elternteile an der Elternzeit beteiligen und jedes Elternteil mindestens zwei Monate das Kind betreut. Wenn also Eltern zusätzlich zur Mutterschutzzeit auch Zeit für die Erziehung des Kindes in Anspruch nehmen wollen, wird ihnen bis zu 66 Wochen Mutterschafts- und Elterngeld gezahlt.

In dem vorliegenden Antrag wird nun gefordert, den Mutterschutz auf 24 zusammenhängende Wochen bei Zahlung des vollen Arbeitsentgeltes anzuheben.

(Irene Müller, DIE LINKE: 18, mindestens 18.)

Dies wird damit begründet, dass dies für die Gesundheit der schwangeren Frau oder der jungen Mutter notwendig sei und dass andere Länder in der EU weitaus längere gesetzliche Babypausen – gemeint ist hier offensichtlich der gesetzliche Mutterschutz – gewähren würden. Doch es gibt keine Hinweise darauf, dass die bisher gewährten 14 Wochen Mutterschutz, also 6 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen danach, aus gesundheitlichen Gründen nicht ausreichend seien. Und auch der Vergleich zu anderen EU-Staaten hinkt. In vielen anderen Ländern der EU gibt es keine Trennung zwischen Mutterschutz und Erziehungs- beziehungsweise Elternzeit oder eine nur viel kürzere Elternzeit.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Beispiele: Schweiz insgesamt – alles insgesamt – 14 Wochen, Österreich 16 Wochen, Belgien 15 Wochen, Frankreich 16 Wochen, Dänemark 18 Wochen für die Mutter – 32 Wochen Mutter und Vater –, also 50 Wochen insgesamt, und Portugal 17 Wochen. Mit den insgesamt 66 Wochen des Mutterschafts- und Elterngeldes bietet Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern eine sehr weit abgesicherte Babypause, wie Sie es in Ihrem Antrag nennen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Bei vollem Lohnausgleich. – Vincent Kokert, CDU: Stichwort „von der Leyen“.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade die Frauenbewegung hat über Jahrzehnte für sinnvolle gesetzliche Regelungen zum Schutz von Mutter und Kind und zur Erziehung der Kinder gekämpft. Aber genauso thematisieren wir seit Jahren, dass Frauen, die aus familiären Gründen gerade nach der Geburt eines Kindes länger zu Hause bleiben und aus ihrer beruflichen Tätigkeit heraus sind, der Wiedereinstieg ins Berufsleben erschwert wird.

Es war, meine sehr geehrten Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, über Jahre unser gemeinsames Anliegen, dass Frauen so früh wie möglich die Gelegenheit gegeben werden muss, nach familienbedingten Unterbrechungen wieder ins Berufsleben zurückzukehren.

(Irene Müller, DIE LINKE: Das können sie nach wie vor.)

Deshalb haben wir ja vor etlichen Jahren gemeinsam solche Projekte ins Leben gerufen wie die „Modulare Qualifizierung in der Elternzeit“, das seit mehr als zehn Jahren erfolgreich –

(Irene Müller, DIE LINKE: Das können sie nach wie vor bei vollem Lohnausgleich.)

natürlich mit Anpassungen an jeweils aktuelle Bedingungen, Entwicklungen und Gesetzeslagen modifiziert – arbeitet.

Wir müssen Maßnahmen ergreifen, mit denen Arbeitgeber Frauen auf dem Arbeitsmarkt gerade in der Phase der Familiengründung oder des Aufwachsens der Kinder nicht mehr als „Gefahr“, sondern als Gewinn betrachten. Auch wenn ich das persönlich missbillige und wir gemeinsam uns dafür einsetzen müssen, dass sich diese Einstellung ändert, aber wir können doch nicht vor der Realität die Augen verschließen und durch weitere gesetzliche Regelungen, die wir meines Erachtens zudem in Deutschland gar nicht brauchen, dafür sorgen, dass Frauen weiter ausgegrenzt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die zweite Forderung im vorliegenden Antrag zielt auf mehr Flexibilisierung des Mutterschaftsurlaubs. Doch beim Mutterschutz, ich wiederhole es noch mal, geht es vor allem um die Gesundheit von Mutter und Kind. Es handelt sich dabei weder um frei verfügbare Urlaubszeit – von Urlaub kann man da sowieso nicht reden, glaube ich – für die Mutter noch um individuell festlegbare Zeiträume zur Betreuung und Erziehung des Kindes. Dafür gibt es in Deutschland die Elternzeit. Die größten gesundheitlichen Gefahren und Anpassungsprobleme für Mutter und Kind bestehen meines Erachtens in den ersten Wochen nach der Geburt. Ich halte daher eine Flexibilisierung des

Mutterschutzes für die gesundheitliche Stabilisierung des Mutter-Kind-Verhältnisses als nicht dienlich.

Im vorliegenden Antrag geht es weiterhin darum, das Mutterschaftsgeld auch Freiberuflerinnen, Selbstständigen und Frauen in Familienunternehmen zukommen zu lassen. Diese Frauen können leider in den seltensten Fällen Mutterschaftsgeld in Anspruch nehmen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Es gibt aber auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften.)

Grund hierfür ist die Art der Finanzierung des Mutterschaftsgeldes. Das Mutterschaftsgeld wird solidarisch von der gesetzlich versicherten Gemeinschaft und dem Arbeitgeber getragen. Dass viele private Krankenversicherungen eine solche Unterstützung nicht bieten, ist ein Manko. Hier sehe ich in der Tat Handlungsbedarf. Voraussetzung wäre jedoch, dass dieser Personenkreis Zugang zu den einschlägigen Sozialversicherungssystemen hat. Das ist nicht im Mutterschutzgesetz zu regeln. Es steht den meist privat versicherten Menschen frei,

(Irene Müller, DIE LINKE: Also viel Arbeit, richtig viel Arbeit.)

sich gesetzlich zu versichern. Da selbstständige Freiberuflerinnen und Frauen in Familienunternehmen keinen externen Arbeitgeber haben, erhalten sie allerdings keinen Arbeitgeberanteil. Obwohl ich in diesem Punkt Handlungsbedarf sehe, allerdings im Zusammenhang mit dem Zugang zu dem Sozialversicherungssystem, muss auch gesagt werden, dass auch dieser Personenkreis das Elterngeld in Anspruch nehmen kann.

Bei der letzten Forderung im vorliegenden Antrag geht es um die Einführung eines verbindlichen Vaterschaftsurlaubs. Dies wird damit begründet, dass die Väter stärker in die Erziehung mit eingebunden werden sollen, da diese häufig die Elternzeit nicht in Anspruch nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist leider die Realität. Wenn Sie mich allerdings fragen, geht hier die Elternzeitregelung nicht weit genug. Mir würden Regelungen bei der Elternzeit wie in einigen Ländern Skandinaviens vorschweben,

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

die Väter im Zusammenhang mit der Auszahlung des gesamten Elterngeldes zu einer längeren Inanspruchnahme der Elternzeit verpflichten, denn dann würde genau das Problem, dass allein die Frau wegen familienbedingter Unterbrechung der Erwerbstätigkeit als die „Gefahr“ auf dem Arbeitsmarkt gesehen wird,

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, mit vollem Lohnausgleich.)

nicht mehr in dem Maße bestehen und bei Einstellung und Aufstieg vielleicht wirklich die Qualifikation und nicht mehr primär das Geschlecht eine Rolle spielen. Außerdem halte ich es auch für die Entwicklung der Kinder besser.

Noch einmal: Der Mutterschutz dient der Sicherheit und Gesundheit von Mutter und Kind vor und nach der Geburt.

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, mit vollem Lohnausgleich, deshalb geht das nicht.)

Der Vater wird – es sei denn, ich werde hier eines Besseren belehrt – gesundheitlich nicht durch die Schwangerschaft und die Geburt belastet und braucht daher keinen Vaterschutz.

(Irene Müller, DIE LINKE: Das ist, glaube ich, ein Irrtum. Das ist ein sehr großer Irrtum. Da sollte mal der Vater zu Hause bleiben, ja.)

Zur Entlastung der Mutter in den ersten Wochen nach der Geburt und zur Betreuung des Kindes kann in Deutschland der Vater Elternzeit nehmen,

(Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Irene Müller, DIE LINKE)

und zwar von Anfang an. Darüber hinaus umfassen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen für die Zeit der Schwangerschaft und Mutterschaft auch häusliche Pflege und Haushaltshilfe.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Warum eigentlich nicht?)

Diese Forderung hat in Deutschland meines Erachtens nichts mit Regelungen zum Mutterschutz zu tun, sondern mit Regelungen zur Elternzeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte zusammenfassend noch einmal betonen, das mit Vorschlag der Europäischen Kommission verfolgte Ziel zur Reform der EU-Richtlinie 92/85/EWG, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen in allen EU-Staaten etwas zu vereinheitlichen und zu verbessern, begrüße ich.

Aber zweitens, im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern gibt es jedoch in Deutschland eine rechtliche Trennung zwischen Mutterschutz und Elternzeit beziehungsweise Elterngeldregelungen.

Drittens. Es macht für die Länder, in denen es keine Elternzeit gibt, auch Sinn, den Mutterschutz auszudehnen, auch auf Väterkomponenten, auch auf Flexibilisierung. Das hat aber nichts mit Mutterschutz zu tun, wie wir es hier in Deutschland verstehen, nämlich zur Gesunderhaltung der Frauen oder Wiederherstellung der Gesundheit, sondern das hat wirklich etwas mit der Erziehung der Kinder zu tun.

Viertens. Es macht jedoch keinen Sinn, die in Deutschland praktizierte Trennung zwischen Mutterschutz und Elternzeit aufzuheben, denn Mutterschutz- und Elterngeld werden bis zu 66 Wochen gezahlt, in individuellen Fällen länger. Elternzeit kann flexibel in Anspruch genommen werden, während es zum Schutz der Gesundheit der Mutter einer stärkeren Verbindlichkeit bedarf. In der Elternzeitregelung ist eine Väterkomponente enthalten. Diese muss aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht noch verbindlicher gestaltet werden. Und schließlich besteht Handlungsbedarf bezüglich des Zugangs zu den sozialen Sicherungssystemen für Frauen mit bestimmtem beruflichem Status.

Aus vorgenannten Gründen wird der Antrag von der SPD-Fraktion abgelehnt. Meines Erachtens würde es den Eltern mehr helfen, wenn alle Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Fraktionen sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Regelung zur Elternzeit und zum Elterngeld weiterentwickelt und von Ungereimtheiten, wie zum Beispiel für Eltern mit Hartz-IV-Bezug oder für Alleinerziehende, befreit oder die Vätermonate verbindlicher geregelt werden oder sich auch noch mal über die Höhe des Elterngeldes verständigt wird.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Lassen Sie uns auf Bundesebene gemeinsam dafür eintreten, dass die eingesetzten finanziellen Mittel wirklich den Kindern und Familien zugutekommen, statt sie versickern zu lassen. Armut von Kindern und Familien lässt sich nur bekämpfen, wenn wir den Eltern ermöglichen, einer existenzsichernden Beschäftigung nachzugehen, und dafür müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. – Vielen Dank.