Protocol of the Session on October 22, 2009

Es ist sehr wohl, Frau Schlupp, Sache des Landes, zu entscheiden, dass man bestimmte Dinge anders regelt als andere Länder. Das ist ja gerade das Besondere, wenn es um die Landesverantwortung geht. Wir haben mit unserem Antrag das Ziel, die Landesbedarfsplanung für Erzieherinnen und Erzieher im Kindertagesbereich aus der kommunalen Ebene in die Landesebene zu heben. So weit zur Eigenverantwortung und zu dem, was man an Orientierung von der KMK hier aufnehmen muss.

Kurz nach Inkrafttreten des KiföG im Jahr 2004, also genau vor fünf Jahren, wurde ja, wie bekannt ist, Hartz IV eingeführt und die ersten Steuergesetze, die 2000 und dann in den Folgejahren verabschiedet wurden, zeigten ihre Wirkung.

(Harry Glawe, CDU: 15 Millionen Euro Entlastung.)

Die Zahl der in Armut lebenden Menschen hat sich seit dem Inkrafttreten von Hartz IV oder eben dem Sozialgesetzbuch II sowie dem Sozialgesetzbuch XII verdoppelt. Die Taschen der Kommunen sind leer. Wir hatten gestern die Debatte zum Finanzausgleichsgesetz.

Wir wissen, alltägliche Kinderarmut ist in Deutschland und somit auch in Mecklenburg-Vorpommern wieder präsent. In unserem Land leben etwa 35 Prozent der unter 15-jährigen Kinder in Familien, deren Eltern Hartz-IVLeistungsempfänger sind. Weitere 15 Prozent der Kinder leben in Familien, deren Eltern ein so geringes Einkommen haben, dass sie ergänzende Sozialleis

tungen in Anspruch nehmen müssen. Das heißt also: 50 Prozent der Kinder unseres Landes unter 15 Jahren leben in Armut, ein Fakt, der sich auch darin ausdrückt, dass unser sehr gutes Netz der Kindertagesbetreuung, worüber wir ja heute hier sprechen, seit Einführung des KiföG im Jahr 2004 von etwa gegenwärtig 98 Prozent aller drei- bis sechsjährigen Kinder in Anspruch genommen wird, im Landesdurchschnitt aber eben etwa nur von 50 Prozent der Kinder ganztags genutzt wird, weil die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit der Übernahme der Elternbeiträge schlichtweg überfordert sind.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Angesichts der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht, die wir ja vor zwei Tagen alle mitverfolgen konnten, möchte ich noch einmal wiederholen: Armut steht für wenig Geld, Armut steht auch für persönliche Demütigung, Armut ist vor allem ein Synonym für eingeschränkte Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und schränkt die Selbstverwirklichung der Kinder und Jugendlichen ein. Armut bedeutet auch, den unzureichenden Zugang zu anregungsreichen impulsgebenden Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Tiergärten, Musikschulen, Theater oder Sportvereine.

Meine Fraktion hat durch zahlreiche Anträge hier im Landtag zu dieser Situation Stellung genommen und natürlich immer auch Gegenstrategien zur Armutsbekämpfung entwickelt. Wir wissen natürlich, der wichtigste Faktor gegen Armut oder, anders ausgedrückt, die wirksamste Maßnahme gegen Kinderarmut ist die Bereitstellung von gut bezahlten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für die Eltern, also eine Veränderung der sozialen Situation der Eltern.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Ist die Situation aber so, wie sie ist, und gerade am vergangenen Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht wurde das deutlich, dann gehört es auch zur Armutsbekämpfung, die Rechte der Kinder zu stärken, die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe immer wieder bedarfsgerecht auszustatten und bezüglich ihrer pädagogischen Leistungskraft zu vervollkommnen, also die veränderte gesellschaftliche Realität zur Kenntnis zu nehmen. Und, meine sehr verehrten Abgeordneten der Koalitionsparteien, gerade das ist doch die Stärke der Linksfraktion,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Harry Glawe, CDU: Na, na, na! Ach nee! Ach nee!)

dass wir uns der gesellschaftlichen Realität stellen und nicht,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Harry Glawe, CDU: Donnerwetter! Donnerwetter! Sie sind ja richtig mutig heute, richtig mutig. – Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Marc Reinhardt, CDU – Glocke der Vizepräsidentin)

dass Sie uns unser einmal vor fünf Jahren hier verabschiedetes Gesetz – Herr Glawe, gegen Ihre Zustimmung übrigens – vorhalten und wir es wie einen Heiligenschein hier vor uns hertragen,

(Harry Glawe, CDU: Jetzt haben wir eine Viertelstunde etwas über Armut gehört. Und jetzt hören wir was zur Bedarfszuweisung.)

sondern dass wir sagen, es ist erforderlich, wir brauchen Fachkräfte, wir brauchen Erzieherinnen und Erzieher, und zwar dauerhaft und gut motiviert, gut qualifiziert im Land. Und deshalb wollen wir eine Landesbedarfsplanung.

(Harry Glawe, CDU: Ich könnte ja auch mal nach vorne kommen, aber ich darf ja nicht.)

2004, als das Kindertagesförderungsgesetz verabschiedet wurde, Herr Glawe, und Sie genauso flammend wie heute hier zu mir gesprochen haben, lautete unsere Losung: „Kindertagesstätten sind Bildungsstätten für unsere Kinder.“ Mittlerweile haben wir vielerorts eine Situation, wo Kindergartenkinder die einzigen Familienmitglieder sind, die einen geregelten Tagesablauf haben, und die Kindergartenkinder die einzigen Familienmitglieder sind, die …

(Harry Glawe, CDU: Ja, und woran liegt das?)

Herr Glawe, Sie machen mich jetzt direkt ein bisschen nervös.

(allgemeine Unruhe – Harry Glawe, CDU: Also der Staat bietet das doch an. Sie müssen nur wahrgenommen werden. – Glocke der Vizepräsidentin – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Wir müssen konstatieren, dass die Kindergärten die einzige tägliche Anlaufstelle für Kinder sind und die Kitas zunehmend auch zu einer Kontakt- und darüber hinaus zu einer Bildungsstätte für die Eltern werden. Was bedeutet das für die Beziehung Eltern/Kita, Eltern/Erzieherin? Das bedeutet doch in erster Linie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, sehr gut ausgebildete, gut bezahlte, hoch motivierte Erzieherinnen und Erzieher.

(Marc Reinhardt, CDU: Vor allem auch Erzieher, ne?!)

Unsere Erzieherinnen und Erzieher sind motiviert.

(Harry Glawe, CDU: Das stimmt.)

Das möchte ich noch mal sagen. Aber sie sind ein Stück weit überfordert, wenn es uns nicht gelingt, geeigneten Nachwuchs für unser Land zu gewinnen. Und deshalb plädieren wir für die Landesbedarfsplanung.

Die Early-Education-Ausbildung in Neubrandenburg – der Herr Bildungsminister ist leider nicht mehr zugegen –,

(Udo Pastörs, NPD: Was ist das denn?)

die haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Hier müssen Sie uns heute nicht belehren. Aber Sie sollten uns die Fragen beantworten: Wo sind denn die Absolventen vorrangig im Einsatz? Wie bewähren sie sich in den Kindertageseinrichtungen? Ich denke, wir wollen auch in Zukunft hoch motivierte Erzieherinnen und Erzieher in ausreichender Zahl in unseren Kindertagesstätten haben. Wir wollen hier die kommunale Selbstverwaltung dadurch unterstützen, dass wir zu einer Landesplanung übergehen.

Die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher, das wurde hier gesagt, stand in den letzten drei Jahren mehrfach hier zur Debatte. Inzwischen gab es eine Ligakampagne, bundesweite Streiks der Erzieherinnen und Erzie

her, ohne dass sich an der Ausbildungssituation in den letzten drei Jahren irgendetwas geändert hätte.

Meine Fraktion fordert also, die aus gesellschaftlicher Sicht und aus Sicht der Betroffenen unbefriedigende fünfjährige Erzieher/-innenausbildung in eine dreijährige nach internationalen Standards theoretisch und praktisch vollkommen neu ausgerichtete Ausbildung umzugestalten. Und ich sage einfach mal: In fünf Jahren kann man studieren und promovieren, aber nach unserer Ausbildung kann man dann gerade mal einen Facharbeiterberuf ausüben. Das kann nicht der Maßstab für eine zukunftsfähige Kindertagesbetreuung bleiben.

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Ich darf mich hier einfach auf Finnland oder Frankreich beziehen und will noch einmal betonen, dass die veränderte soziale Situation in unserem Land in den letzten 10, 20 Jahren auch an die Kommunikation der Erzieherinnen und Erzieher mit den Eltern veränderte Anforderungen stellt. 75 Prozent unserer pädagogischen Fachkräfte in den Kitas wurden noch vor 1990 ausgebildet. Sie haben zu DDR-Zeiten eine Ausbildung erhalten, die in OECD-Studien als sehr gut beurteilt wurde. Aber die vergangenen 20 Jahre haben eben eine völlig neue Situation mit vielfach Langzeitarbeitslosen oder eben durch eine hohe Intensität im Arbeitsprozess stark geforderten Eltern geschaffen. Alle Eltern haben ihre Kinder gern, davon gehen wir aus,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist leider nicht so.)

sind aber mit bestimmten Erscheinungen im Erziehungsprozess überfordert und bedürfen des Rates der Erzieherinnen und Erzieher, heute ganz anders als vor 20, 30 Jahren. Auf diese Elternkommunikation muss künftig auch die Erzieher/-innenausbildung abstellen.

(Vincent Kokert, CDU: Hervorragend!)

Das KiföG hat mit dem Fachkräftegebot im Paragrafen 10 und der abschließenden Aufzählung im Paragrafen 11 einen hohen Maßstab für die pädagogische Arbeit in den Kitas vorgegeben, den wir beibehalten wollen, Herr Glawe. Das Gesetz erlaubt aber nach Paragraf 10 Absatz 4 auch den ergänzenden Einsatz von Personen mit anderer Qualifikation. Das ist vernünftig, praktisch aber bedeutungslos, denn mit den Leistungsverträgen nach Paragraf 16 wird über den Umfang dieser Personen nicht verhandelt. Es sei daran erinnert, bei den Verhandlungen nach Paragraf 16 stehen sich Kita und örtlicher Träger der Jugendhilfe gegenüber. Sie unterbreiten ihre Angebote. Die pädagogischen Fachkräfte werden dann auch in den Verhandlungen behandelt, aber die genannten Personengruppen nicht.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist beendet. Kommen Sie zum Ende.

Unsere Forderung lautet deshalb: Beibehaltung des Fachkräftegebotes, aber Finanzierung der tatsächlichen Personalkosten in der Kita. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/2860. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um

das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/2860 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP sowie Stimmenthaltung der Fraktion der NPD abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen, Drucksache 5/2852.

Antrag der Fraktion der NPD: Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen – Drucksache 5/2852 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Köster von der Fraktion der NPD.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Die Rede haben wir doch schon mal gehabt.)

Ja, das ist die Fortsetzung.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der NPD-Fraktion „Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ reiht sich in die Reihe der Antikorruptionsanträge der NPD-Fraktion ein, um einer Bananenrepublik auf deutschem Boden zu begegnen.