Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 76. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 76., 77. und 78. Sitzung liegt Ihnen vor. Im Benehmen mit den Fraktionen ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 33 am Donnerstag nach der Mittagspause sowie den Tagesordnungspunkt 37 nach Tagesordnungspunkt 26 und den Tagesordnungspunkt 27 nach Tagesordnungspunkt 36 aufzurufen. Der Tagesordnungspunkt 17 entfällt.
Wird der so geänderten vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall, damit gilt die Tagesordnung der 76., 77. und 78. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Nach Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 76., 77. und 78. Sitzung den Abgeordneten Udo Timm zum stellvertretenden Schriftführer.
Bevor wir nun in die heutige Tagesordnung eintreten, muss ich noch einmal auf die 75. Sitzung des Landtages zurückkommen. Die Abgeordneten Peter Ritter und Jörg Heydorn haben im Rahmen der Abstimmungen über die Erweiterung der Tagesordnung in der 75. Sitzung des Landtages die Amtsführung der amtierenden Präsidentin kommentiert und damit gegen die Ordnung des Hauses verstoßen. Gemäß Paragraf 97 Absatz 2 der Geschäftsordnung unseres Landtages erteile ich den beiden genannten Abgeordneten jeweils einen Ordnungsruf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nichtsdestotrotz möchte ich unserem Kollegen Jörg Heydorn heute zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Gratulationen – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Einen Blumenstrauß für den Rüpel hier?)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion DIE LINKE hat einen Dringlichkeitsantrag zum Thema Entschließung zu der Unterrichtung der Landesregierung „Stellungnahme der Landesregierung zu den Empfehlungen der Expertenkommission ,Zur Entwicklung eines zukunftsfähigen Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern‘“, Drucksache 5/2528, vorgelegt, der auf Drucksache 5/2817 verteilt wird. Wir werden diese Vorlage, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach Prüfung der Zulässigkeit und Verteilung an die Mitglieder des Landtages sowie einer angemessenen Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen. Ich werde das Wort zur Begründung dieses Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über deren Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum Thema „Mecklenburg-Vorpommern und die Krise“ beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Es geht wieder aufwärts“ oder „das schlimme Ende kommt erst noch.“ Welche dieser Schlagzeilen sollen die Menschen nun glauben? Hat die Politik den Mut zur Wahrheit oder ist es mehr das Pfeifen im Wald? Fakt ist, dass das Stillhalteabkommen zwischen Frau Merkel und Herrn Ackermann am Sonntag ausläuft. Fakt ist auch, dass SPD, CDU und FDP den neoliberalen Kurs der vergangenen Jahre fortsetzen wollen. Niemand von Ihnen ist zu einer Kurskorrektur bereit. Im Gegenteil, schon heute wird laut über eine Mehrwertsteuererhöhung nachgedacht. Die Umverteilung von unten nach oben soll munter weitergehen. Wen wundert’s? Den Menschen ist es nicht egal, aber Ihnen sind die Menschen im Land egal.
Reden wir, meine Damen und Herren, über die mecklenburg-vorpommerische Wirklichkeit: Der Tourismus boomt, die Investitionen auf der Insel Riems und an den Universitäten, wohlgemerkt ohne Konjunkturpakete, bringen lebhafte Baustellen, die Konjunkturpakete tun das Ihre. Andere Beispiele werden sicherlich vom Ministerpräsidenten und vom Wirtschaftsminister heute noch genannt werden.
Aber die Krise hat Mecklenburg-Vorpommern erreicht. Insolvenzen, Kurzarbeitergeld, Umsatzrückgänge, Kredit klemme und leere Auftragsbücher gehören zur Wahrheit in unserem Land. Die Amtsgerichte werden von Klagen überflutet. Das ver.di-Niedriglohn-Barometer bringt täglich neue Fälle von Dumpinglöhnen ans Licht. Verzweiflung und Wut breiten sich aus bei den Milchbauern, die hektoliterweise Milch verschütten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, oder bei den Werftarbeitern, die weiter Schiffe bauen wollen, aber nicht zu den schlechteren tariflichen Bedingungen als vor dem Wechsel in die Transfergesellschaften. Die Hoffnung auf Arbeit auf der Werft war immer mit der Zuversicht auf den IG-Metall-Flächentarif verbunden.
Haben Sie, Herr Sellering, Ihre Zustimmung zum Verkauf der Wadan Yards auch von den tariflichen Bedingungen abhängig gemacht? Heute haben Sie, Herr Ministerpräsident, die Gelegenheit, den Werftarbeitern und ganz Mecklenburg-Vorpommern die Wahrheit zu sagen. Was sollen denn die Landwirte, die Werftarbeiter, die Zulieferer und die vielen Arbeitslosen denken, wenn das Kasino des Finanzmarktkapitalismus bereits wieder auf vollen Touren läuft? Wieder ist kein Risiko zu groß, um höchstmögliche Rendite zu erreichen. Die gegenwärtige Krise ist noch gar nicht überstanden, da bildet sich schon die nächste Blase.
Aber, meine Damen und Herren, die Risikosensibilität, wie aus den Banken zu hören ist, wächst. Würden wir sonst am laufenden Band über Bürgschaften reden und entscheiden? Wer ruft denn da nach dem Staat? Jetzt in der Krise, meine Damen und Herren von CDU und SPD, ist der Staat offenbar der bessere Banker und der geschicktere Unternehmer. Aber nur so lange, bis die Gewinne wieder privatisiert werden können.
„Schiffe sind unsere Autos“, sagte Ministerpräsident Sellering auf den Kundgebungen der Werftarbeiter zu Recht. Die Werften sind für Mecklenburg-Vorpommern so wichtig wie Opel für andere Bundesländer.
Damals hat er wahrscheinlich noch nicht einmal geahnt, wie richtig das war. Denn genauso wie beim Deal mit Magna gibt es zum Fortbestand der Werften viele offene Fragen. Ein neuer Eigentümer ist zwar da, aber wie viele der Beschäftigten letztlich wann weiterarbeiten können, weiß bis heute niemand. Oder sind etwa neue Aufträge in Sicht?
Natürlich ist es besser, Stena Line kauft die Fähren für 24 Millionen Euro weniger als gar nicht. Natürlich ist es besser, 600 Werftarbeiter können bald weiterarbeiten, als dass alle 2.400 einzig auf das Prinzip Hoffnung vertrauen müssen.
Nordic Yards ist bislang nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes Nordmetall geworden. Es fehlt aber nicht nur das Bekenntnis zum Flächentarifvertrag. Die Arbeitsverträge, die jetzt öffentlich wurden, müssen doch die Werftfarbeiter enttäuschen und wütend machen. Und wer fragt eigentlich nach den 1.200 ehemals Beschäftigten der Werften, die kaum eine Chance zur Wiedereinstellung haben?
Werden die Transfergesellschaften zeitlich verlängert, solange noch keine neuen Aufträge vorhanden sind? Wir, DIE LINKE, haben eine klare Forderung, und die heißt: Verlängerung der Transfergesellschaften bis Ende 2010!
Wie viele der Kolleginnen und Kollegen, die keine berufliche Zukunft auf den Nordic Yards haben werden, werden wie viele aus anderen Branchen in das große Heer der prekär oder gar nicht Beschäftigten fallen? Gleiches gilt für viele Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter. Leider – ich betone, leider – werden die Arbeitslosenzahlen auch in Mecklenburg-Vorpommern steigen. Selbst dann, wenn das wie durch ein Wunder nicht eintrifft, sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Selbstständigkeit längst keine Garanten der Existenzsicherung mehr.
Die Ironie der Geschichte besteht doch im Folgenden: Schuld daran ist nicht erst die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise. Hartz IV und Ihr Slogan, meine Damen und Herren von der CDU: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, haben dafür gesorgt, dass sich schon zu Zeiten der Konjunktur gerade in Mecklenburg-Vorpommern der Niedriglohnsektor beispiellos ausgeweitet hat.
In der Folge hat Armut, insbesondere die Kinderarmut, dramatische Ausmaße angenommen. Der gestrige Bericht über die Kinderarmut in Mecklenburg-Vorpommern spricht doch Bände.
Sie von der Großen Koalition sind nicht einmal bereit, als öffentliche Hand Vorbild zu sein. Wo ist denn das lang angekündigte Vergabegesetz? Ich betone es immer wieder: Wo ist das lang angekündigte …
damit wir darüber entscheiden können. Ich habe Herrn Sellering bei einer Veranstaltung gesagt, ich möchte endlich mal einem Gesetz der Koalition zustimmen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie haben acht Jahre regiert und haben das nicht geschafft, Herr Holter.)
Ja, an Ihrem Widerstand lag das. An Ihrem Widerstand lag es, dass das Vergabegesetz nicht auf den Tisch gekommen ist.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Regine Lück, DIE LINKE: Genau. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)
Umso wichtiger, weil eben dieses Vergabegesetz nicht kommt, ist die Einführung eines gesetzlichen branchenübergreifenden flächendeckenden Mindestlohns.
Und ich bin ja froh, dass der Ministerpräsident sich auf einer Veranstaltung, die wir gemeinsam besucht haben, zu diesem flächendeckenden branchenübergreifenden Mindestlohn letztendlich bekannt hat.
Und davon muss man die CDU überzeugen. Sie müssen die CDU überzeugen, Herr Nieszery und Herr Sellering, und natürlich muss auch die FDP davon überzeugt werden.
Ich bin ja gespannt, was Sie uns heute hier bei dem Antrag „Konjunktur hat Vorrang“ noch erzählen werden.