Protocol of the Session on February 1, 2008

„Dies gilt auch in Zeiten, in denen der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität es immer schwerer macht, den richtigen Ausgleich zwischen den Erfordernissen der Sicherheit und dem Schutz der individuellen Rechte zu fi nden. Ein gläserner Bürger wird niemals mit der Menschenwürde zu vereinbaren sein.“ Zitatende.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hält es für angezeigt, dass auch dieses Hohe Haus die Entschließung der europäischen Datenschützer uneingeschränkt unterstützt. Wir dürfen die Augen vor der besorgniserregenden Entwicklung nicht verschließen. Deswegen haben wir in unserem Antrag die Befürchtungen der nationalen Datenschützer hervorgehoben, welche ein immer stärker werdendes Verlangen der Strafverfolgungsbehörden feststellen, Daten von Bürgerinnen und Bürgern auf Vorrat zu sammeln und zu speichern. Dies ist dabei nur ein Beispiel. Ich könnte auch andere, wie die verdeckte Onlinedurchsuchung oder die einheitliche Steuer- und Identifi kationsnummer, genauso gut nennen.

Aber am Beispiel der von den europäischen Datenschützern kritisierten Vorratsdatenspeicherung werden die Verletzungen des Datenschutzes und vor allem dessen Auswirkungen besonders deutlich. Was heißt das eigentlich für uns? Seit dem 1. Januar des Jahres werden alle Kommunikationsdaten eines Jeden erfasst. Wer spricht wann wie lange mit wem? Telefoniert er mit dem Handy, weiß man auch, wann und wo. Das Ziel des Gesetzes, Kommunikationsnetzwerke von Kriminellen offenzulegen, wird teuer erkauft. Der Preis ist der Verlust des Rechtes der Bürgerinnen und Bürger auf informelle Selbstbestimmung. Es werden grundlos personenbezogene Daten gespeichert. Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff. Bürgerinnen und Bürger, die keiner Straftat verdächtigt sind, werden einem Generalverdacht ausgesetzt.

Obwohl breite Teile der Bevölkerung dieses Gesetz ablehnen, wurde es von der Bundesregierung und dem Bundestag beschlossen. Datenschutzbelange werden einfach ignoriert. Dabei muss man doch die einschlägigen Berichte der Datenschützer kennen. Nehmen wir zum Beispiel den 7. Tätigkeitsbericht des hiesigen Landesdatenschutzbeauftragten.

In diesem Zusammenhang kann ich mir nicht die Bemerkung verkneifen, dass wir die Berichte zukünftig nicht

nur einfach zur Kenntnis nehmen sollten, sondern sie vor allem auch ernst nehmen sollten. Leider, und das gilt im Übrigen auch allzu oft für die Berichte des Petitionsausschusses oder des Bürgerbeauftragten, kommt es doch selten zu inhaltlichen Auseinandersetzungen. Da vergeben wir uns selbst vieles, da müssen wir besser werden. Aber das nur als Einschub.

Ich zitiere aus dem 7. Tätigkeitsbericht: „Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil eine Speicherung von Daten zu noch unbestimmten Zwecken generell für verfassungswidrig erklärt... Insbesondere ist die Verpfl ichtung zur Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Verkehrsdaten mit Artikel 10 Grundgesetz (Fern- meldegeheimnis) unvereinbar, weil sie alle Teilnehmer der elektronischen Kommunikation in Anspruch nimmt und damit unter Generalverdacht stellt. Zwar dürfen für die Speicherung und Verwendung von Verbindungsdaten für die Bekämpfung schwerer Straftaten Auskünfte nach §§ 100 a und 100 b Strafprozessordnung eingeholt werden. Das Strafverfolgungsinteresse unter Berücksichtigung der Schwere und Bedeutung der aufzuklärenden Straftat muss jedoch überwiegen, das heißt, es muss ein konkreter Tatverdacht für eine Straftat mit erheblicher Bedeutung vorliegen. Eine Datenspeicherung auf Vorrat, wie sie im Entwurf der Richtlinie vorgesehen ist, würde diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhalten.“ Zitatende.

Meine Damen und Herren, nun muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, denn Tausende Bürgerinnen und Bürger haben Klage erhoben. An dem Beispiel der Vorratsdatenspeicherung kann man ferner auch verdeutlichen, wie sehr ganze Berufsgruppen betroffen sind. Nehmen wir die sogenannte Vierte Gewalt. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union lehnt diese generelle Überwachung und Speicherung ab, weil diese Daten beispielsweise für Ermittlungen wegen Geheimnisverrates gegen die Kolleginnen und Kollegen genutzt werden könnten. Anonyme Recherchen wären dann nahezu unmöglich, wenn man potenziellen Quellen keine Sicherheit mehr zusichern könnte. Ist das alles Panikmache oder Kaffeesatzleserei? Nein, dies zeigen auch Erfahrungen aus Belgien, wo die Vorratsdatenspeicherung schon länger in Kraft ist.

(Vizepräsident Andreas Bluhm übernimmt den Vorsitz.)

So berichtet ein deutscher Journalist, der seit 2004 in Brüssel als Korrespondent für verschiedene deutsche Zeitungen arbeitet, davon, dass er mehrere Informanten in der rechtsextremistischen Partei in Flandern gehabt hat, nachzulesen in der medienpolitischen ver.di-Zeitschrift „M“, Nummer 10/07. Regelmäßig habe er Informationen über alle Querverbindungen zu rechtsextremistischen Parteien in Deutschland erhalten, was zu einer Reihe von enthüllenden Artikeln geführt hat. Seitdem die Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist, bekomme er keine Informationen mehr. Mit ähnlichen Auswirkungen müssen auch andere Berufsgruppen in Deutschland rechnen, etwa Ärzte, Pfarrer oder auch Nothilfeeinrichtungen, die auf Anonymität angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Auswirkungen derartiger, das Freiheitsrecht der Bürgerinnen und Bürger einschränkender Maßnahmen sind vielfältig. Gegen die Nutzung der technischen Möglichkeiten zur Aufdeckung beziehungsweise Bekämpfung von schwerer Kriminalität kann niemand ernsthaft etwas haben. Auch die

Datenschützer erkennen personenbezogene Informationen als nützliches Hilfsmittel in diesem Kampf an. Wir müssen aber wachsam sein, nicht das Augenmaß zu verlieren. Ziel muss es nach dem Willen der Datenschützer sein, weniger entscheidende und datenschutzfreundlichere Alternativen zu entwickeln. Die Forderung der Artikel 29-Datenschutzgruppe nach verstärktem Einsatz datenschutzfreundlicher Technologien sollte der Landtag daher vollumfänglich unterstützen.

Meine Damen und Herren, auch im E-Government-Verfahren gibt es Verbesserungsbedarf, daher der Punkt 2 unseres Antrages. Wir alle wissen, dass sowohl die öffentliche Verwaltung als auch die Wirtschaft zunehmend Dienstleistungen in elektronischer Form erbringen wollen. Daher wird die elektronische Signatur als Ersatz für die eigenhändige Unterschrift unabdingbar sein. Im E-Government-Verfahren des Landes und der Kommunen spielt die qualifi zierte elektronische Signatur praktisch keine Rolle. Zwar werden Verschlüsselung und Signatur als Basiskomponenten für viele Projekte vorgesehen, die Voraussetzungen aber, die zur Verwaltung der Schlüssel für Verschlüsselung und Signatur erforderlich sind, gibt es immer noch nicht. Da sehen wir Nachholbedarf. Die Landesregierung ist aufgefordert, die Voraussetzungen für die fl ächendeckende Verfügbarkeit qualifi zierter Signaturen zu schaffen.

Meine Damen und Herren, zum Punkt 3 unseres Antrages werde ich keine inhaltlichen Ausführungen machen, das wird in der Aussprache meine Kollegin Měšťan näher ausführen. Eines muss ich jedoch mit Blick ins Gesetz und in aller Deutlichkeit sagen: Zum Thema Datenschutzgütesiegel müsste der Landtag mit dem vorliegenden Antrag eigentlich Eulen nach Athen tragen. Denn seit Inkrafttreten des Landesdatenschutzgesetzes, also seit nunmehr fast sechs Jahren, ist die Landesregierung aufgefordert, eine Verordnung zu erlassen, damit die Auditierungsverfahren für informationstechnische Produkte und Dienstleistungen durchgeführt werden können. Ziel dieser Regelung ist es, ein Datenschutzsiegel ausstellen zu können, sozusagen den Datenschutz-TÜV. Aber wie gesagt, eigentlich müsste meine Fraktion mit dieser Aufforderung Eulen nach Athen tragen. Tatsächlich weigern sich, und das sage ich ganz bewusst, die alte und neue Landesregierung weiterhin standhaft, das Gesetz auch vollständig umzusetzen. Die Landesregierung bringt dann immer die gleichen Kamellen vor und verweist auf die Wirtschaftsvertreter, die meinten, das sei doch alles so schrecklich und schädlich für die Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, diese Argumente sind längst widerlegt. Die Unternehmen haben ein Interesse an einem Datenschutzsiegel. Ich kann auf Schleswig-Holstein verweisen. Dort ist es eingeführt und es gibt gute Erfahrungen. Darüber hinaus, und daran möchte ich erinnern, hat nicht etwa die Regierungskoalition, sondern die Landesregierung selbst das Gesetz seinerseits in den Landtag eingebracht. Die Landesregierung hat also gleich zwei Gründe, das Umsetzungsdefi zit endlich zu beseitigen. Ich bitte um Bestätigung unseres Antrages.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke sehr, Frau Abgeordnete.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre

keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erste hat ums Wort gebeten, in Vertretung des Innenministers, die Justizministerin des Landes Frau Kuder. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder hat das Recht auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Dieses Recht ist einer der Eckpfeiler des Persönlichkeitsschutzes in unserer Demokratie. Der Bürger muss grundlegend in Erfahrung bringen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Fehlt ihm diese Sicherheit, wird er aus Angst vor den Folgen auf gesellschaftliche Mitwirkung und die Wahrnehmung demokratischer Rechte verzichten. Eine solche Gesellschaft wäre nicht im Sinne des Grundgesetzes. So hat sich das Bundesverfassungsgericht sinngemäß schon im Jahre 1983 geäußert.

Meine Damen und Herren, es ist die Aufgabe der Landesregierung, dieses Recht beim Entwurf von Gesetzen sowie bei der Gesetzesanwendung und -umsetzung in der Verwaltung zu berücksichtigen und zu gewährleisten. Lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen: Wir nehmen diese Aufgabe ernst. Gleichwohl kann ich den Antrag der Fraktion DIE LINKE nicht unterstützen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Nö!)

Er ist zu einseitig. Er sieht nur die abwehrende Seite dieses Verfassungsrechtes. Aber Datenschutz gestaltet und garantiert nicht nur das Recht des Einzelnen auf die Herrschaft über seine Daten. Der Bürger ist vielmehr eine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. Das Grundgesetz hat das Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsverbundenheit der Person entschieden.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Deshalb muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechtes auf informelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die Frage ist, wo ist die Grenze. – Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)

Wie in zahlreichen anderen Konstellationen muss auch das hier behandelte Freiheitsrecht daher immer im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden und nicht davon losgelöst. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar. Dieses Abbild kann nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden. Es muss immer eine Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht und den Anforderungen der Gemeinschaft in der besonderen Situation stattfi nden. Genau dies berücksichtigt der Antrag nicht hinreichend. Das wird bereits in Punkt 1 deutlich. Hier steht die Aufforderung, die kritische Entschließung der Datenschutzbeauftragten zur Vorratsdatenspeicherung zu unterstützen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja.)

Es wird gewarnt vor einem angeblich immer stärker werdenden Verlangen der Strafverfolgungsbehörden, die sensible Daten unverdächtiger Bürger auf Jahre speichern wollen.

(Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Das ist richtig.)

Die Datenschutzbeauftragten setzen sich in der genannten Entschließung einseitig für das Recht des Bürgers auf Geheimhaltung seiner Daten ein.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Einseitig nicht.)

Die Landesregierung und der Landtag jedoch sind nicht nur dem Einzelnen, sondern immer auch der Allgemeinheit verpfl ichtet.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Wer ist denn die Allgemeinheit?)

Sie haben deshalb bereits im Ansatz die Aufgabe, die Freiheitsinteressen des Einzelnen gegen die Interessen und insbesondere den Schutz der Allgemeinheit abzuwägen. Und bei der Frage, ob Verbindungsdaten der Bürger für die Verfolgung von Straftaten befristet gespeichert werden sollten, kann die Abwägung angesichts der bestehenden Bedrohungslage für die innere Sicherheit nur so ausfallen,

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

dass der Sicherheit aller Bürger gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen der Vorrang gegeben werden muss.

Wir leben in einer Informationsgesellschaft und deshalb müssen wir uns angesichts des Ausmaßes der bestehenden Bedrohung aller rechtsstaatlich vertretbaren technischen Mittel bedienen, um unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen. Dabei können wir nicht auf die unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässigen Maßnahmen wie Nutzung der Bestandsdaten von Telefonen und Internet verzichten. Der Umgang mit dem Datenschutz muss der Realität der digitalen Welt gerecht werden. Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass die digitale Welt eine eigene Form der Kriminalität und des kriminellen Handelns zur Folge hat. Die Strafverfolgungsbehörden müssen sich auch in dieser Welt bewegen dürfen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Dagegen hat ja keiner was. Es geht um den Generalverdacht.)

Sie können nicht darauf warten, dass die Straftäter Briefe statt elektronischer Nachrichten schreiben. Vor diesem Hintergrund wäre es unverhältnismäßig, den Strafverfolgungsbehörden den geregelten Zugang zu diesen Daten mit dem Hinweis auf den Datenschutz zu verweigern.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Auch dem zweiten Teil des Antrages kann ich nicht folgen, und zwar aus zwei Gründen. Zum Ersten berücksichtigt die Landesregierung bei allen E-GovernmentProjekten sowieso die berechtigten Datenschutzbelange frühzeitig.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Bereits im Masterplan E-Government und dem folgenden Umsetzungs- und Maßnahmeplan wurde die Einführung eines einheitlichen Verschlüsselungs- und Signaturverfahrens vorgesehen. Die Basiskomponente „Virtuelle Poststelle und Signatur“ wird zur Gewährung einer sicheren Kommunikation bereits im Meldewesen als Vermittlungsstelle genutzt und im BAföG-Verfahren eingesetzt. Die virtuelle Poststelle dient dabei dem sicheren Transport von elektronischen Dokumenten nach dem bundesweiten Standard. Die eingesetzten Signaturen verhindern Fälschungen und stellen die eindeutige Zuordnung zum Absender her. Datenschutz muss gelebt

werden und nicht nur auf dem Papier stehen. Deshalb beteiligt die Landesregierung bei der Entwicklung von E-Government-Projekten frühzeitig den Landesbeauftragten für den Datenschutz.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aber nicht in allen Fällen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit, dass Datenschutz immer auch angemessen sein muss. Das heißt, die geforderten Maßnahmen müssen für die Anwender noch umsetzbar sein. Daher muss beim Erstellen von Vorschriften, die neue Standards setzen,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich dachte, wir machen das auf der Basis des Datenschutz- gesetzes. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)