Protocol of the Session on January 31, 2008

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob wir den EU-Reformvertrag nun befürworten oder nicht, warum wir ihn befürworten oder auch nicht, das alles soll heute ausgeblendet werden. Die einzig relevante Frage, die der Landtag heute zu beantworten hat, ist: Wollen wir uns damit begnügen, wollen wir uns damit abfi nden, dass der Vertrag von Lissabon, ein Vertrag von grundlegender Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union, lediglich von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird und die Bürgerinnen und Bürger somit keine Chance erhalten, direkt darüber abzustimmen? Die Antwort kann ich im Namen meiner Fraktion ganz klar geben: Nein, wir wollen uns nicht damit zufriedengeben. Wir wollen nicht tatenlos hinnehmen, dass dem Volk die Möglichkeit genommen wird, einen derartig wichtigen Grundlagenvertrag zu legitimieren. Und wir wissen, wir sind nicht allein.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

In anderen Ländern und auch auf Bundesebene gab es zahlreiche Versuche, im Grundgesetz Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide einzuführen. Wir wissen auch, dass ein großer Teil der Bevölkerung ein Referendum über den EU-Reformvertrag will. Einige Umfrageinstitute haben bis zu 90 Prozent Zustimmung ausgemacht. Nur die Regierenden im Bund, sei es RotGrün oder Schwarz-Rot, ignorieren fl eißig Volkes Willen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich frage mich, haben auch Sie Angst vor Volkes Willen? Ist man etwa immer noch traumatisiert nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das wirklich so sein sollte, dann kann ich nur sagen, die Regierungen haben die falschen Schlüsse gezogen. Verschiedene Meinungsforschungsinstitute kamen nach der Ablehnung des Verfassungsvertrages in beiden Ländern zum Ergebnis, dass die Referenden eben nicht, wie insbesondere von Regierungskreisen gestreut, als Ventile missbraucht wurden, weil man den jeweiligen Regierungen sozusagen einen Denkzettel aus innenpolitischen Gründen verpassen wollte. Nein, die Botschaft, die von

den Referenden ausging, war und ist nach wie vor eindeutig: Die Bürgerinnen und Bürger wollen in den Prozess der EU-Integration einbezogen werden, sie wollen mehr Einfl uss auf die Brüsseler Politik. Europa braucht mehr …

(Udo Pastörs, NPD: Sie wollen die EU nicht. Sie wollen die EU gar nicht.)

Sie wollen die EU nicht.

(Udo Pastörs, NPD: Das auch nicht, Herr Ritter. Ganz bestimmt nicht.)

Sie sprechen nicht für die Bürgerinnen und Bürger des Landes.

Europa braucht mehr Transparenz und Demokratie. Das ist im Übrigen auch die Auffassung eines wahren Europäers, des luxemburgischen Premierministers JeanClaude Juncker, oder die von Altbundespräsident Roman Herzog. Deswegen unterstützt meine Fraktion auch einen Volksentscheid über den EU-Reformvertrag.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Am Ende sollte nicht nur in der Bundesrepublik, nein, in allen Mitgliedsstaaten sollte am gleichen Tag über den Vertrag von Lissabon abgestimmt werden. Nur so kann ein Europa der Bürgerinnen und Bürger gelingen, nur so kann das Haus Europa von unten aufgebaut werden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Und in diesem Hause Europas ist für die NPD kein Platz, Herr Pastörs. Das ist ganz sicher.

(Michael Andrejewski, NPD: Na, na, na, na, na!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte kurz auf die Verfassungslage eingehen. Da wird dann von Gegnern eines Referendums in Anlehnung an die Artikel 20 und 38 Grundgesetz immer argumentiert, wir haben uns für die repräsentative Demokratie entschieden und das bedeute nun mal, dass das Parlament das Volk vertritt und demnach auch für das Volk entscheidet. Es dürfe also bis auf die Ausnahme bei Neugliederungen des Bundesgebietes keine Volksentscheide geben. Richtig ist, dass das Grundgesetz sich für die repräsentative Demokratie entschieden hat. Die wollen wir mit unserem Antrag auch überhaupt nicht schwächen oder gar aufl ösen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Verfassungsrechtlich umstritten ist aber, ob Volksbefragungen und Volksentscheide gänzlich unzulässig sind. Schließlich geht nach Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz alle Staatsgewalt vom Volke aus, und zwar nicht nur durch die Organe der Gesetzgebung oder durch Wahlen, sondern auch durch Abstimmungen.

(Udo Pastörs, NPD: Da sagt das Bundesverfassungsgericht leider etwas anderes.)

Ich will an dieser Stelle nicht weiter auf den Rechtsstreit eingehen. Ich möchte aber verdeutlichen, dass nach Auffassung einiger Verfassungsrechtler auch ohne Änderung des Grundgesetzes ein Referendum durchgeführt werden könnte. Daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir in unserem Antrag auch die Landesregierung aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Noch ist genügend Zeit dafür.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwar hat die Bundesregierung bereits das Ratifi zierungsgesetz erlassen und will am liebsten bis zur Sommerpause mit dem Thema durch sein, dieser Wunschtermin ist allerdings nicht allgemein verbindlich. Notfalls haben wir noch bis zum Ende dieses Jahres Zeit, soll doch der Ratifi zierungsprozess bekanntlich am 1. Januar 2009 in allen EU-Mitgliedsstaaten abgeschlossen sein.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss möchte ich noch auf ein besonders eigentümliches Argument der Gegner einer Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag eingehen. Da wird argumentiert, der Vertrag sei doch so komplex, dass das Pro und Kontra bei einer Volksgesetzgebung gar nicht hinreichend abgewogen werden könne.

(Udo Pastörs, NPD: Die Parlamentarier kannten es selbst nicht.)

Schließlich gebe es ja nur die einfache Ja- oder NeinAntwort. Es brauche also eines differenzierten demokratischen Meinungsbildungsprozesses in den Parlamenten und in den jeweiligen Ausschüssen. Kurz gesagt, die Bürgerinnen und Bürger wären einfach überfordert und könnten den Sachverhalt gar nicht richtig erfassen, frei nach dem Motto: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“

(Udo Pastörs, NPD: Das trifft für Sie zu, Herr Ritter.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, solchen abenteuerlichen Argumentationen muss man zweierlei entgegensetzen. Wir Parlamentarier sollten uns grundsätzlich nicht vormachen, dass wir so viel besser über den EUReformvertrag informiert sind als die mündigen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Das hat das ARD-Politikmagazin „Panorama“ bei einer Befragung einiger Mitglieder des Bundestages kurz vor der Abstimmung zum Verfassungsvertrag zu wesentlichen Aussagen gezeigt. Nur so viel: Der Titel des Beitrages hieß „Abstimmung der Ahnungslosen – die EUVerfassung im Bundestag“. Ich verzichte hier bewusst auf Namen und auch auf die Zuordnung zu bestimmten Fraktionen. Darauf soll es mir überhaupt nicht ankommen. Aber es verdeutlicht doch, dass das Argument, wir würden den Bürgerinnen und Bürgern vielleicht viel zu viel zumuten, gelegentlich auch auf die Parlamentarier selbst zutrifft. Ich sage ganz klar, natürlich können auch Parlamentarier nicht alles wissen. Aber so zu tun, als ob wir einen Grundlagenvertrag besser mal ohne die Bürgerinnen und Bürger verabschieden sollten, halte ich – mit Verlaub gesagt – für etwas anmaßend.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Und weil das so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich mit Nachdruck um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Herr Abgeordneter.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre

keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Detlef Müller. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!

Liebe Kollegen der Opposition, der Fraktion DIE LINKE, ich habe ja Verständnis dafür, dass man als Opposition immer wieder Anträge stellt, um die Regierung und die Regierungsfraktionen zu treiben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Du hast so ein gutes Herz.)

Keine Frage, das ist ja auch Ihr gutes Recht. Und da ist meine Parlamentsleidensfähigkeit ja auch schon ziemlich hoch. Aber zu diesem Thema, meine sehr verehrten Damen und meine Herren, ich gebe zu, da schwillt mir der Kamm. Seien Sie nicht böse, aber ehrlich gesagt, ich kann dieses Thema „Direkte Demokratie“ in diesem Zusammenhang hier nicht mehr so richtig hören und die immer wieder rhetorisch gestellten Fragen auch nicht, die unter anderem lauten: Ist es nicht richtig, über Fragen von besonderer Wichtigkeit das Volk zu befragen? Ist es nicht richtig, dem Volk Grundsätzliches zur Entscheidung vorzulegen? Ist es nicht richtig, dem Volk in wichtigen Einzelfragen die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern?

(Michael Andrejewski, NPD: Das wären schöne Dinge.)

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, auf diese Fragen kann man natürlich nur mit Ja antworten. Insofern stimme ich Ihnen zu, Herr Ritter, Sie haben ja die Passage hier auch genannt, Artikel 20 unseres Grundgesetzes und auch Artikel 3 unserer Landesverfassung sagen ganz klar: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wo geht sie hin?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Zurufe von Raimund Borrmann, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

Wo geht sie hin? Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen sowie durch die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung wahrgenommen.

Auf die von Ihnen hier gestellte Frage nach dem Vertrag von Lissabon, der ja immerhin ein Vertrag für 27 Mitgliedsstaaten der EU, also für circa 490 Millionen Menschen sein wird, kennt unser Grundgesetz eine eindeutige Antwort, und die heißt: Die Entscheidung liegt beim Deutschen Bundestag.

(Michael Andrejewski, NPD: Das könnte man ändern.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist auch gut so.

Da wir heute Vormittag das Landesverfassungsgericht hier vereidigt haben, muss ich sagen, in den Reden zu der Vereidigung kam ebenfalls zum Ausdruck, auch das Landesverfassungsgericht spricht wie alle anderen Gerichte seine Urteile im Namen des Volkes. So, wie die Gerichte ihre Arbeit im Namen des Volkes erledigen

(Udo Pastörs, NPD: Wessen Volk? – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)