Protocol of the Session on January 30, 2008

(Udo Pastörs, NPD: Sie ergänzen sich ganz gut.)

Erstens. Gewalt muss überall konsequent bekämpft werden, und zwar völlig unabhängig davon, wo sie auftritt, wer sie ausübt und an wen sie sich richtet.

(Raimund Borrmann, NPD: Außer da, wo sie belohnt wird.)

Gewalt kennt keine Hautfarbe oder Nationalität. Das gilt für die Täter, aber auch für das Opfer.

(Raimund Borrmann, NPD: So ist es.)

Deswegen geht es vor allen darum, die Ursachen für Gewalt zu bekämpfen. Zu den Ursachen zählen insbesondere schlechte Bildung, schlechte Integration, mangelnde berufl iche Perspektiven und fehlende soziale Teilhabe.

(Raimund Borrmann, NPD: Oder politische Diskriminierung.)

Zweitens. Wenn wir im Kampf gegen die Jugendkriminalität erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die Prävention ausbauen. Das ist der entscheidende Punkt. In Anlehnung an den bekannten Strafrechtslehrer Franz von Liszt hat die Aussage, eine gute Sozial- und Bildungspolitik ist die beste Kriminalprävention, mehr denn je Gültigkeit.

Drittens. Die bestehenden Gesetze reichen vollkommen aus, schärfere Gesetze wären vollkommen wirkungslos. Wir haben kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefi zit.

Viertens. Deswegen gilt es, Strafverfahren zu beschleunigen, Strafen schneller zu vollziehen und vor allem Schulen, Justiz und Jugendhilfe besser auszustatten.

(Udo Pastörs, NPD: Und kriminelle Ausländer auszuweisen.)

Und in diesem Sinne sagen wir deutlich, dass das, was wir heute erfahren haben zum Konzept des Generalstaatsanwaltes, was Frau Kuder vorgestellt hat, ein Ansatz wäre. Das will ich an der Stelle deutlich sagen.

Meine Damen und Herren, das alles sind keine ideologischen oder gar nur rechtstheoretischen Vorstellungen linker Politiker, nein, das sind zum ganz überwiegenden Teil Auffassungen von Fachleuten. Fachverbände und Experten sprechen sich gegen jedwede Verschärfung des Jugendstrafrechts aus. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die gemeinsame Erklärung des Republikanischen Anwaltsvereins, der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, der Neuen Richtervereinigung, der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, der Rechtsanwaltskammer Berlin und dem Verein Deutscher Strafverteidiger. Ferner gibt es eine Resolution gegen die Verschärfung des Jugendstrafrechts, die von fast 1.000 Hochschullehrern und Praktikern unterstützt wird.

(Udo Pastörs, NPD: Fragen Sie doch mal die Opferverbände, was die dazu sagen!)

Letztlich haben sich auch der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Richterbund in einer gemeinsamen Erklärung gegen populistische Vorschläge im Bereich der Jugendkriminalität gewandt. Ich halte es angesichts der weltfremden Vorschläge der Union für angebracht, den Aussagen der Fachleute einen breiten Raum in der Debatte einzuräumen.

(Harry Glawe, CDU: Ich warte darauf schon seit fünf Jahren. Das nur zu Ihrer Kenntnis!)

Ich zitiere beispielhaft aus der gemeinsamen Erklärung der Fachverbände und Experten:

„1. Weder eine Erhöhung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre, noch der sogenannte Warnschussarrest sind geeignet, Sicherheit vor jugendlichen Straftätern zu gewährleisten. Bei Heranwachsenden … hat die bereits geltende Strafandrohung von 15 Jahren Höchststrafe zu keiner Abnahme von Delikten geführt.

Jugendliche Kriminalität ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass Täter die strafrechtlichen Konsequenzen nicht in Rechnung ziehen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Strafrecht bzgl. junger Straftäter ist die Generalprävention … deshalb untersagt.

Die hohe Rückfallquote der zu Freiheitsstrafen verurteilten Jugendlichen von nahezu 80 % legt eindringlich nahe, dass der Freiheitsentzug nicht die versprochene abschreckende Wirkung besitzt.“

(Raimund Borrmann, NPD: Sie werden eines Tages noch die Opfer einsperren. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

„Für Jugendliche, die sich noch in der Phase der Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit befi nden, gilt stärker als für Erwachsene, dass die Erfahrung von Freiheitsentzug eine Abkehr von der Gesellschaft und straffälliges Verhalten nur verstärkt.“ Ende des Zitats.

(Raimund Borrmann, NPD: Na, dann lasst doch die Täter frei rumlaufen!)

Meine Damen und Herren! Frau Justizministerin! An dieser Stelle füge ich hinzu, den Warnschussarrest hat nicht

nur die letzte Landesregierung aus sachlichen und rechtlichen Gründen zu Recht abgelehnt, auch die amtierende Bundesregierung hat den Gesetzentwurf des Bundesrates vor nicht einmal zwei Jahren einstimmig, also auch alle CDU-Minister einschließlich der Kanzlerin, als kontraproduktiv für eine wirksame Bekämpfung der Jugenddelinquenz bewertet. Vielleicht sollten Sie, Frau Kuder, auf Ihre Oberstaatsanwältin Sybille von Massow hören, die anlässlich der Gründung des Jugendrechtshauses sagte, nachzulesen im „Hamburger Abendblatt“ vom 15. Januar dieses Jahres, dass „alleinige Rufe nach Verschärfung des Jugendstrafrechts an den eigentlichen Problemen (vorbeigehen) “. Einen Abschreckungseffekt, wie Sie sich, Frau Kuder, vom sogenannten Warnschussarrest erhoffen, gibt es nicht.

(Zuruf aus dem Plenum: Natürlich!)

Jugendliche Täter handeln spontan in dem Bewusstsein, nicht erwischt zu werden.

(Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)

Frau Ministerin, ich hoffe daher sehr, dass Sie sich eines Besseren besinnen und von der Forderung nach der Einführung eines Warnschussarrestes absehen. Überzeugen müssen Sie, denke ich, lediglich Ihren Generalstaatsanwalt. Andere Juristen fallen mir auch nach längerem Überlegen im Land nicht ein, die den Warnschuss noch wollen.

(Udo Pastörs, NPD: Die wagen sich gar nicht, den Mund aufzumachen.)

Meine Damen und Herren, in der gemeinsamen Erklärung der Fachverbände heißt es weiter, Zitat:

„2. Der Vorschlag, Heranwachsende generell dem allgemeinen (Erwachsenen-)Straf recht zu unterstellen, ignoriert die seit langem erhobenen Forderungen der Praktiker der Jugendstrafjustiz, die zuletzt auf dem Jugendgerichtstag im September 2007 dafür votiert haben, auf junge Straftäter bis zum 21. Lebensjahr obligatorisch das Jugendstrafrecht anzuwenden.

… Das Jugendstrafrecht ist weitaus besser geeignet als das allgemeine Strafrecht, den notwendigen Opfer- und Rechtsgüterschutz zu gewährleisten.“

(Raimund Borrmann, NPD: Das stimmt doch gar nicht.)

„3. Dies gilt für die sog. Erziehungscamps bzw. Erziehungslager in besonderem Maße. Die Erfahrungen mit den in einigen amerikanischen Bundesstaaten praktizierten ,Boot-Camps‘ zeigen eindrücklich, wie wenig solche Lager geeignet sind, den Rechtsgüterschutz zu verbessern und Rückfallquoten zu senken.

Wie der Jugendarrest, so zählt auch die Internierung Jugendlicher in Lagern zu den Erfi ndungen der nationalsozialistischen Strafjustiz.“

(Raimund Borrmann, NPD: Nein, das war eine Erfi ndung der Sowjetunion kurz nach der Revolution. Haben Sie das etwa vergessen?!)

Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, derart unbefangen über die Einrichtung von Erziehungslagern zu reden. – Ich danke und hoffe auf eine interessante Debatte.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Frau Borchardt, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir auch die Landesverfassungen anderer Bundesländer zu achten haben. Wir haben hier nicht das Recht, davon zu sprechen, wer in einem anderen Bundesland Ministerpräsident a. D. ist oder nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das auch eine Frage der Achtung anderer Bundesländer ist.

Meine Damen und Herren, es hat jetzt das Wort die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Kuder. Frau Kuder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! „16 bis 18 Jahre alter Jugendlicher überfällt 8-Jährigen in Rostock“, so lautete eine Schlagzeile am letzten Samstag und es war nicht der einzige Bericht der Zeitungen über Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden an diesem Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 15-Jähriger überfi el in Rehna eine gehbehinderte 85-jährige Frau und forderte Geld. Zwei 18 und 20 Jahre alte Täter überfi elen in Schwerin mit einer Pistolenattrappe eine Tankstelle. Zuvor sollen sie bereits zwei weitere Tankstellen und einen Drogeriemarkt beraubt und 900 Euro erbeutet haben. Jugendkriminalität fi ndet nicht nur in U-Bahnhöfen von Großstädten statt, sondern auch hier vor unserer Haustür. Eine vernünftige Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Und die sieht in Mecklenburg-Vorpommern so aus:

Ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2006 hat sich gegenüber 2005 die Zahl der Straftaten von unter 21-jährigen Tatverdächtigen leicht erhöht. Dies betrifft vor allem Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen, Sachbeschädigungen, Straftaten gegen das Leben sowie Landfriedensbruch. Dabei ist der Anteil der 14- bis 21-jährigen Tatverdächtigen fast dreimal so hoch wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Von den 54.253 im Jahr 2006 insgesamt ermittelten Tatverdächtigen waren 17.115 unter 21 Jahre alt. Das heißt, ein Drittel aller Tatverdächtigen in Mecklenburg-Vorpommern ist Jugendlicher beziehungsweise Heranwachsender. 631 Tatverdächtige waren nichtdeutscher Herkunft. Diese Zahlen belegen, was inzwischen in der bundesweiten Diskussion wohl unstreitig ist: Es besteht ein politischer Handlungsbedarf!

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel, dass Gewalt, überall wo sie auftritt, konsequent bekämpft werden muss. Das gilt unabhängig davon, ob sie von Erwachsenen oder Jugendlichen, von Deutschen oder Nichtdeutschen, von Rechts- oder Linksextremen kommt. Wenn Handlungsbedarf unstreitig ist, kann man nur noch darüber streiten, welcher Weg der richtige ist. Während die einen eine rigorose Verschärfung des Jugendstrafrechts zur Bekämpfung von Jugendkriminalität fordern, sehen die anderen keinerlei Nachbesserungsbedarf. Meines Erachtens liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das ist nicht wahr.)

Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, gehören zu denen, die nichts verändern wollen. Sie sehen keine Notwendigkeit, das Jugendstrafrecht zu verbessern und behaupten, es bestehe nur ein Vollzugsdefi zit.

(Irene Müller, DIE LINKE: Verbessern immer, verschärfen nicht.)

Das geht an der Realität vorbei. Jugendliche und heranwachsende Straftäter werden in Mecklenburg-Vorpommern durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte bereits heute konsequent verfolgt. Im Vergleich zu anderen Bundesländern werden bei uns Jugendliche überdurchschnittlich häufi g bei den Jugendschöffengerichten, also dort, wo Freiheitsstrafen zu erwarten sind, angeklagt. Daraus ergibt sich auch, dass in Mecklenburg-Vorpommern sehr viel mehr Haftstrafen verhängt werden als in anderen Bundesländern. Zum Vergleich: 27,22 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, im Bundesdurchschnitt 15,94 Prozent. Auch die Verurteilungsquote gerade von heranwachsenden Tätern in Mecklenburg-Vorpommern ist überdurchschnittlich hoch.

(Udo Pastörs, NPD: Zu hoch!)

76,7 Prozent aller Angeklagten werden verurteilt, Verfahrenseinstellungen sind die Ausnahme. Anders zum Beispiel in Bremen, wo nur 38,1 Prozent aller Gerichtsverfahren mit einem Urteil enden. Und auch das allgemeine Erwachsenenstrafrecht fi ndet in Mecklenburg-Vorpommern auf Heranwachsende deutlich häufi ger Anwendung als in vielen anderen Bundesländern. Etwa 50,4 Prozent aller Straftäter zwischen 18 und 21 Jahren werden nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt.